Freitag, 6. November 2015

Pediga-Anhänger: Männlich, erwerbstätig, mittelalt

Es ist die größte rassistische Mobilisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte. Eine neue Studie zeigt, wer die Leute sind, die an den Pegida-Aufmärschen teilnehmen. Unsere Autorin Carolin Hasenpusch hat das Buch kritisch gelesen.
Angefangen mit knapp 350 Personen in Dresden, konnten die »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung Europas« (Pegida) binnen weniger Wochen auf zeitweilig 25.000 Demonstrierende anwachsen und sich bundesweit ausbreiten. Das ist eine Massenbewegung; die größte rassistische Mobilisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Wie konnte dies passieren? Wer geht zu den Aufmärschen und welche Ideologien werden dort vertreten? Genau mit diesen Fragen beschäftigt sich das Buch »Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?«.
Die Politikwissenschaftler Lars Geiges, Stine Marg und Franz Walter haben hierfür Pegida-Aufmärsche in Dresden und Leipzig beobachtet, Interviews, Gruppendiskussionen und eine Onlineumfrage durchgeführt. Die Personen hinter Pegida (wie Lutz Bachmann, Kathrin Oertel und Co.) finden ebenso Beachtung wie der Medienumgang im In- und Ausland mit der Bewegung – alles mit dem Ziel, eine umfangreiche Darstellung dieser Aufmärsche zu präsentieren.
Dies ist dem Autorenteam sehr gut gelungen. Besonders der empirische Teil, in dem es sozioökonomische Daten von Pegida mit denen von No-Pegida-Teilnehmenden verglichen hat, ist beeindruckend umfangreich. Soetwas gab es bis zum Erscheinen des Buches noch nicht. Das dort skizzierte Bild ist ein ähnliches wie das, was uns bei Wahlanalysen zur AfD präsentiert wird: Personen, die zu Pegida gehen, sind tendenziell männlich, mittleren Alters und vollerwerbstätig. Fast die Hälfte hat einen Hochschulabschluss oder einen anderen akademischen Titel. Gut ein Fünftel bezieht ein monatliches Netto-Einkommen von mehr als 3000 Euro und zwei Drittel stufen ihre persönliche Lage als gut bis sehr gut ein. Laut der Studie sind es also nicht die »sozial Abgehängten«, die auf die Straße gehen, sondern diejenigen, denen es (noch) gut geht.

Pegida hetzt gegen Muslime

Auch die Frage, weswegen sie protestieren, wird im Buch intensiv behandelt. Themen wie die Unzufriedenheit mit der Politik und den Medien (»Volksferne der Politiker«), Sachsen als »das besondere Zuhause« sowie das (vermeintliche) »Diktat der political correctness« werden von den Befragten genannt. Sie betonen, dass ihre Anliegen sehr breit sind und nicht auf »Islam« und »Islamisierung« reduziert werden können. Dennoch fällt auf, dass gerade hier eine enorm hohe Übereinstimmung vorherrscht und »die Befragten ein überaus hohes Maß an Redebereitschaft zeigten.« Letztlich übertrugen sie alle die Problemlagen in verschieden starker Ausprägung auf »den Islam« und »Muslime«. »Der Islam« wird dabei nicht als eine Religion wahrgenommen, sondern als geschlossene Denkweise, »Kultur« und auch »politische Ideologie«. Dementsprechend nehmen Pegida-Demonstrierende Personen mit muslimischen Glauben oder Menschen, von denen sie annehmen, dass sie diese Glaubensrichtung haben, als eine homogene, geschlossene Gruppe wahr, die nicht zu »ihren« Wertevorstellungen passt.
Dieses rassistische Weltbild wird in der Studie vielschichtig und differenziert dargestellt ohne es zu relativieren oder abzuschwächen. Dies ist eine besondere Stärke des Buches, zeigt es doch im Detail, dass Rassismus Teil der »Mitte der Gesellschaft« ist und kein Randphänomen. Ressentiments sitzen tief und wurden über Jahrzehnte verinnerlicht. Eine andere Erkenntnis der Studie ist, dass Bewegungen nicht automatisch dezidiert links und emanzipatorisch sind. Auch Pegida müsse als Teil der Zivilgesellschaft gesehen werden, als eine Form »APO von rechts«, so die Autorin und die Autoren.

Es fehlt die Einordnung

Die Stärke des Buchs ist aber auch seine Schwäche. Es ist primär deskriptiv; eine tiefe politische Analyse und eine Einordnung in politische Kontexte gibt es nicht. Dabei ist es bei Pegida doch auch gerade wichtig zu verstehen, wie das Feinbild »der Muslime« und der »Wirtschaftsflüchtlinge« entstehen konnte. Auch die Verbindung zum organisierten rechten Spektrum und die Offenheit »nach rechts« werden nicht näher betrachtet.
Dies ist eine große Lücke. Denn auch wenn Pegida möglicherweise bald ganz verschwunden sein sollte: Die Auffassungen ihrer Protesttragenden leben fort, können sich jederzeit neu zusammensetzen und reaktiviert werden. Auf erschreckende Weise wird dies in diesem Sommer bei den dramatisch zunehmenden Anschlägen und Hasstiraden gegen Geflüchtete deutlich. Solcher Hass entsteht nicht »aus dem Nichts«, der Boden hierfür wurde auf unterschiedliche Weise in den letzten Jahren bereitet. Pegida und die aktuellen Gewalttaten konnten daraus wachsen.
Um mehr über Pegida zu erfahren und die Komplexität der Demonstrationen zu verstehen, eignet sich das Buch gut. Wer eine politische Analyse und konkrete Handlungsmöglichkeiten erhofft, dem ist hiermit nicht geholfen. Letztlich ist es eine sozialwissenschaftliche Studie und keine marxistische Analyse.
Das Buch: Lars Geiges, Stine Marg, Franz Walter: Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft? Transcript, Bielefeld 2015, 208 Seiten, 19,99 Euro.

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