Punxatans Neuer Blog
Freitag, 31. Januar 2025
Vortrag in Leipzig – Brasilien: Massenproteste & Volksaufstände
Wir teilen einen Aufruf zu einem Vortrag, der uns zugeschickt worden ist:
BRASILIEN: Massenproteste & Volksaufstände
Vortrag: Sonntag, 2. Februar / 15 Uhr
Zweieck (Zweinaundorfer Str. 22)
Brasilien: Victoria dos Santos ermordet
Wir veröffentlichen folgend eine Übersetzung der Nachricht der brasilianischen Roten Einheit, in der der Mord an Victoria dos Santos angeprangert wird:
Am Donnerstag, dem 9. Januar 2025, kam es zu einem weiteren feigen Mord der Militärpolizei von São Paulo an armen schwarzen Jugendlichen aus den Außenbezirken. Die junge Victoria dos Santos, gerade einmal 16 Jahre alt, wurde während des ohnehin schon verbrecherischen Angriffs der Polizei auf ihren Bruder auf einer Straße im Viertel Guaianazes im Osten von São Paulo feige ermordet.
Laut der Mutter der jungen Frau, Vanessa dos Santos, ging Victorias Bruder, nachdem Lärm auf der Straße war, nachsehen, was los sei. Da kam die Polizei, ging gewaltsam auf ihn zu und warf ihn zu Boden. Als ihre Schwester nachsehen wollte, was mit ihrem Bruder los sei, wurde sie angeschossen und ohne medizinische Versorgung zurückgelassen. Die Mutter berichtet Folgendes: „Ich kniete vor dem Polizisten nieder, damit er meiner Tochter half, aber sie halfen nicht. Sie kümmerten sich nur darum, meinen Sohn in das Auto zu zerren.“
Als die junge Frau ins Krankenhaus gebracht wurde, war sie bereits gestorben. Dies ist ein weiteres Verbrechen des alten Staates gegen das Volk, begangen von den Würmern der Militärpolizei von São Paulo, die sich seither sukzessive gegen die schwarze Jugend der Favelas richtet und von Tarcisio Vendile und seinem Staatssicherheitssekretär Derrite legitimiert wird.
Wir jungen Leute wissen sehr gut, dass wir nicht wissen, wo diese Polizeieinsätze enden werden, wenn sie erst einmal in der Favela beginnen. All die Demütigungen und die Gewalt, bei denen man jederzeit sterben kann, egal, was man tut, sind der ständige Beweis dafür, dass alles, was man von einem „demokratischen Rechtsstaat“ sagt, nichts weiter als leeres Geschwätz ist, das von der sozialen Klasse und der Hautfarbe abhängt. Dieselbe Polizei, die in den reichen Vierteln den Kopf senkt und um Verzeihung bitten muss, wenn sie in diesen Vierteln vorgeht, und die klar sagt, dass man dort anders vorgehen muss, ist dieselbe, die in den armen Vierteln erst schießt und dann fragt.
Der Tod von Victoria dos Santos (16), des jungen Gregory Ribeiro Vasconcelos (17, ermordet in Baixada Santista im November 2024), Ryan da Silva Andrade (4 Jahre, ermordet bei derselben Operation, bei der Gregory im November 2024 getötet wurde), Gabriel Faria (27 Jahre, Neffe des Rappers Eduardo Taddeo) und so viele andere Morde in jüngster Zeit zeigen, dass es sich nicht um „Einzelfälle“, „mangelnde Vorbereitung der Polizei“ oder irgendetwas anderes handelt, wie das Pressemonopol behauptet. Die Funktion der Militärpolizei besteht darin, die Interessen der verkommenen herrschenden Klassen, derGroßgrundbesitzer, der Großbourgeoisie und der Imperialisten zu verteidigen, das Volk zu unterdrücken und anzugreifen, mit dieser Politik des Krieges niedriger Intensität ein Klima des Terrors für die Massen zu schaffen, in der Annahme, dass sie sich so nicht erheben werden, um sich der ganzen Fäulnis dieses Systems und ihres alten Staates zu stellen. Süße Illusion, dass sie die revolutionäre Wut der Massen eindämmen werden!
Die Arbeit, des Anprangerns und gegen die Polizei-Massaker in den Favelas zu mobilisieren, ist notwendiger denn je! Wir, die wir diese Arbeit seit Beginn der Organisation leisten, kennen alle Demütigungen, die diese Morde für die Familien bedeuten, insbesondere durch den alten Staat, wo ihnen oft das Mindestmaß an Gerechtigkeit verweigert wird und die Polizisten weiterhin frei und ohne jegliche Strafe leben können. Wir rufen alle Demokraten, Revolutionäre und insbesondere die Jugend auf, sich aktiv an der Kampagne gegen das Massaker in den Favelas ganz Brasiliens zu beteiligen, denn nur das mobilisierte und organisierte Volk wird in der Lage sein, diese völkermörderische Politik des alten Staates zu besiegen. Wir dürfen nie vergessen, dass die Rebellion gerechtfertigt ist, und dass das Volk das heilige Recht hat, Widerstand zu leisten und sich in der notwendigen Weise gegen alle Arten offener oder verschleierter Gewalt zu verteidigen, die vom alten Staat der Großgrundbesitzer und der Großbourgeoisie, Diener des Imperialismus, vor allem der Yankees, verübt wird.
Für ein Ende der Massaker in den Favelas in ganz Brasilien!
Schluss mit den Massakern der Militärpolizei in den Favelas und Israels in Palästina!
Die Rebellion ist gerechtfertigt!
Der Kampf der Hafenarbeiter in Hamburg
Die umstrittenen Pläne zum Einstieg der weltgrößten Reederei MSC beim Hamburger Hafenbetreiber HHLA schlagen in der Hansestadt immer weiter immer höhere Wellen. Bei einer öffentlichen Anhörung im Haushaltsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft gab es durchaus scharfe Kritik an dem vom rot-grünen Senat vorangetriebenen Deal. Hafenarbeiter und -ingenieure, Gewerkschafter und Kleinaktionäre sind gegen das Geschäft Sturm gelaufen. Damit verzögert sich die für den Abschluss noch notwendige Zustimmung der Bürgerschaft.
Der Deal ist nicht nur ein Streit zwischen Vertretern eines Staatskapitalismus und denen der nicht-staatlichen Monopole. Es gab unter anderem auch solche Kritik, dass der Konzern vor allem angesichts seines als besonders wertvoll erachteten Schienengeschäfts Metrans unter Wert verkauft werde.
Dass dieses Geschäft viele Haken hat, ist offensichtlich, allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die verantwortlichen Akteure planlos oder verkürzt auf die zukünftige Entwicklung schauen. Bürgermeister Tschentscher ist quasi Ziehsohn seines Vorgängers, dem berühmt-berüchtigten Gangsters von Hamburg, Betrüger und Deal-Macher, Olaf Scholz. Die Arbeitsbedingungen im Hamburger Hafen sind in den vergangenen Jahre geprägt worden durch Ausgliederungen, Logistik-Tarife und Zeitarbeit. Die gelben Gewerkschaften, hier ver.di, haben sich darum nicht nur nicht gekümmert, im Gegenteil. Der „wilde Streik“ im November wurde mit Verweis auf die Juristerei abgewürgt und die betroffenen Kollegen mehr oder weniger im Stich gelassen – „da kann man nichts machen“, ist die Haltung von ver.di diesbezüglich.
Eine Lösung, um die Löhne zu drücken und die Arbeiter weiter zu spalten, bietet sich dem Hamburger Senat durch die Teilprivatisierung. Damit würde sich die SPD dann auch nicht direkt die Hände schmutzig machen. Ein Beispiel dafür ist Slawa Fur, Betriebsratsvorsitzender bei der Containerreparaturfirma Medrepair. Medrepair ist eine 100-prozentige Tochter von MSC, und diese kündigte dem Betriebsratsvorsitzenden fristlos und wurde rechtlich dabei von einem als „Union-Buster“ bekannten Anwalt, Helmut Naujoks, vertreten. Entsprechend sind die Aussichten für die Hamburger Hafenarbeiter. Darum ist die auf Demonstrationen gerufene Parole „Unser Hafen, unsere Stadt – Macht den MSC-Deal platt!“ durchaus nachvollziehbar.
Beim bislang letzten Streik hatten die Hafenarbeiter die Arbeit in einem Warnstreik niedergelegt, weil wieder über ihren Lohn verhandelt wird. Um Druck zu machen, hatte die Gewerkschaft ver.di alle Seehafen-Beschäftigten in Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Brake und Emden zum zentralen Streik nach Hamburg gerufen. Das Ergebnis war ein 48-stündiger Stillstand – in dieser Zeit wurden keine Schiffe abgefertigt, keine Container auf LKW verladen. Betroffen waren nicht nur die großen Containerterminals, sondern auch Stauereien und der Stückgut-Umschlag. Rund 12.000 Menschen arbeiten in den bestreikten deutschen Seehäfen. Beeindruckend dabei ist neben der Kampfbereitschaft, welche die Hafenarbeiter immer wieder an den Tag legen, die Geduld, welche ver.di mit den Arbeitskäufern hat. Ganze sieben ergebnislose Verhandlungsrunden brauchte es, damit ver.di sich dazu durchringen konnte, einen zweitägigen Warnstreik durchzuführen.
Etwa drei Wochen vorher war ver.di nur dazu bereit, die Hafenarbeiter mit Beginn der Frühschicht zu einem nur 24-stündigen Warnstreik aufzurufen. Auch hier wurde die Abfertigung von Container- und Frachtschiffen in Deutschlands großen Nordseehäfen weitgehend lahmgelegt worden war. Betroffen waren die Häfen Hamburg, Emden, Bremen, Bremerhaven, Brake und Wilhelmshaven. Man stelle sich vor, die Hafenarbeiter würden einmal richtig streiken dürfen.
Beeindruckend ist auch historisches: Mit einem ersten Warnstreik in einer Spätschicht, sowie dem 24-stündigen Warnstreik vor dem unlängst abgehaltenen 48-stündigen Warnstreik summiert sich der streikbedingte Arbeitsausfall auf gerade einmal rund 80 Stunden pro Mitarbeiter. Dies ist es der längste Arbeitskampf in den Häfen seit mehr als 40 Jahren, und das Ausmaß des Streiks ist ein Armutszeugnis für die gelben Gewerkschaften.
Auf der bislang letzten Streikdemonstration kam es erneut zu Auseinandersetzungen mit der Polizei (Bild rechts). Diese griff die Demonstration an, weil sie angeblich jemanden festnehmen wollten, der angeblich einen Böller geworfen habe, wodurch angeblich mehrere Personen verletzt worden seien. Auf der Abschlusskundgebung am Besenbinderhof in der Nähe des Hauptbahnhofs griffen die Beamten an, hielten einen Mann fest. Die Situation eskalierte. Mehrere Hafenarbeiter drängten die Polizei zurück. Es flogen Flaschen aus der Menge. Die Polizei setzte Pfefferspray ein. Fünf Polizisten und fünf Demonstranten wurden nach Berichten verletzt. Es nahmen etwa 5.000 Menschen an der Demonstration teil.
Die Seite der Arbeitskäufer hatte im Vorwege an mehreren norddeutschen Arbeitsgerichten versucht, die Warnstreiks mithilfe von einstweiligen Verfügungen zu stoppen. Das gelang nicht. Bei der Verhandlung vor dem Hamburger Arbeitsgericht zeigte sich aber, dass das Gericht Zweifel daran hat, ob beim Streikbeschluss der Arbeiter alle Formalien korrekt eingehalten wurden. Das Ergebnis ist nun ein Vergleich. Nach diesem Streik im Juni sind weitere Arbeitskämpfe bis zum 26. August ausgeschlossen. In anderen Städten, unter anderen in Bremen, Oldenburg und Wilhelmshaven wurde der Streik von den zuständigen Gerichten in den ersten Instanzen bestätigt.
Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann forderte anschließend die Gewerkschaft und die Arbeitskäufer dazu auf, sich auf ein Schlichtungsverfahren zu einigen. Die Streiks nannte Westhagemann schädigend, so etwas würde die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Hamburg schwächen. Bislang hat sich ver.di noch nicht darauf eingelassen, aber das wird nur eine Frage der Zeit ein.
Gegenwärtig fordert ver.di lediglich mindestens einen Inflationsausgleich für alle Beschäftigten. Die Arbeitskäufer beharren bislang auf maximal 12,5 Prozent, allerdings verteilt auf zwei Jahre. Darüber hinaus verweigert sich ver.di allerdings, den durchaus berechtigten Forderungen der Arbeiter nachzukommen und sowohl die Rücknahme der Strafmaßnahmen gegen die Arbeiter des wilden Streiks, als auch den Stopp des Deals mit der MSC zu fordern. Im Gegenteil wird – ganz in deutscher sozialdemokratischer Tradition – ökonomischer und politischer Kampf so strikt voneinander getrennt, dass jedem Beobachter die Absurdität ins Gesicht springt.
lowerclassmag.com/2025/01/22/das-kapital-laeuft-amok/
Fast auf den Tag acht Jahre nach dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz raste Taleb al-A. mit einem SUV über den Weihnachtsmarkt von Magdeburg, tötete und verletzte viele Menschen. Der rechte Pöbel bei X, Telegram und Co. flippte aus. Doch diesmal war alles ganz anders. Der Täter war einer von ihnen – kein Islamist, sondern ein erklärter Feind des Islam, Sympathisant der AfD und Querulant mit Wut im Bauch. Die Amokfahrt von Magdeburg und ihr Echo sind symptomatisch für die um sich greifende Verwirrung. Die Ereignisse erscheinen wie ein Abbild der Verhältnisse. Nichts passt mehr zusammen, nichts fügt sich. Die zerstörerische Dynamik des Kapitalismus scheint eine neue Stufe erreicht zu haben.
Von Kristian Stemmler
Ein X für ein U vormachen, das ist eine schöne deutsche Redewendung, mit der das bewusste Täuschen eines oder mehrerer Mitmenschen umschrieben wird. US-Milliardär Elon Musk dürfte sie nicht gekannt haben, als er beschloss, den Kurznachrichtendienst Twitter, den er sich im Herbst 2022 einverleibt hatte, in X umzubenennen. Aber genau das geschieht dort seitdem in noch größerem Ausmaß als zuvor: Den Usern wird ein X für ein U vorgemacht, sie werden mit Desinformation, neudeutsch Fake News, überschwemmt, mit Hass und rechter Hetze zugedeckt – und nicht nur dort. Auch bei Telegram, Facebook und Co. sind die Schleusen für den braunen Dreck weit geöffnet.
Am Abend des 20. Dezember 2024 zeigte sich das wieder einmal. Nur Minuten nachdem die Eilmeldungen von einem „Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg“ über den Sender gegangen waren, schoss der rechte Mob bei X, Telegram und Co. bereits aus allen Rohren, flutete das Netz mit Falschmeldungen und Hetze. Da war die Rede von fünf Tätern, einer auf dem Weihnachtsmarkt deponierten Bombe, 34 Toten et cetera. Der Neonazi Martin Sellner, Führungsfigur der österreichischen Identitären Bewegung, behauptete bei X und Telegram, der Attentäter sei ein Syrer, ein Islamist und im Zuge der „Flüchtlingskrise“ in den Jahren 2015/16 nach Deutschland gekommen. Alles falsch, wie sich wenig später herausstellte.
Diesmal war alles ganz anders. Der Täter kam aus Saudi-Arabien, war 2006 nach Deutschland eingereist, hatte hier Asyl erhalten und arbeitete als Psychiater im Maßregelvollzug mit suchtkranken Straftätern. Er hatte sich vom Islam losgesagt, bezeichnete sich in einem Interview mit der FAZ im Juni 2019 gar als „aggressivster Kritiker des Islams in der Geschichte“. Im Internet äußerte er mehrfach Sympathien für die AfD und hing Verschwörungsideen an, vor allem der von einer angeblichen Islamisierung Deutschlands und Europas.
Betrachtet man seine Aktivitäten in Netzwerken wie X entspricht A. eher dem Bild des reaktionären deutschen Wutbürgers und Querulanten und sicher nicht dem Klischee vom arabischem Islamisten. Das brachte nicht nur den rechten Pöbel ins Schleudern, wenn auch nur kurz, denn der Mob ließ sich nicht davon abbringen, dass die Tat letztlich eine islamistische gewesen sei. Aber auch bürgerliche Politiker und Medien waren verwirrt und mussten ein wenig suchen, bevor sie ein passendes Erklärungsmuster für die Tat gefunden hatten.
Geradezu dankbar wurde der Hinweis der Ermittlungsbehörden aufgenommen, Taleb al-A. sei vermutlich psychisch krank, was seine zunehmend wirrer werdenden Äußerungen in öffentlichen Posts und Videos tatsächlich nahelegen. Damit war die Sache für Politik und Medien abgehakt: Der Mann war durchgedreht, so etwas kommt vor. Diskutiert wird seitdem nur noch darüber, ob die Tat hätte verhindert werden können, warum die Behörden den vielen Hinweisen auf eine Gefährlichkeit des Attentäters offenbar nicht konsequent nachgegangen waren. Eine weiterführende Analyse der Ereignisse steht nicht mehr auf der Agenda, schon gar nicht die Frage, was sie über kapitalistische Zerfallsprozesse aussagen könnten. Im Koordinatensystem bürgerlicher Politiker und Medien kommen solche Zusammenhänge nicht vor.
Tatsächlich lohnt es sich genauer hinzusehen, erscheinen die Ereignisse von Magdeburg doch wie ein Abbild der gesellschaftlichen Verhältnisse. Schon das Disparate des Geschehens. Der Attentäter aus einem muslimischen Land, aber kein Islamist, sondern ein Islamhasser, ein rechter Hater wie sie bei X, Telegram & Co. in Scharen ihr Unwesen treiben, ein eigenbrötlerischer Querulant, der sich mit den Behörden anlegte – also einer der ihren, in seinem Verschwörungs- und Verfolgungswahn eher dem Amokläufer von Halle vergleichbar als dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz. Und doch wurden und werden Taleb al-A. und seine Tat vom rechten Mob instrumentalisiert, um gegen Zuwanderer*innen und den Islam zu hetzen.
Da passt nichts zusammen, was die Tat noch absurder und sinnloser erscheinen lässt, als sie es so schon war. Für die Analyse hilfreich ist der Hinweis, dass es sich bei genauem Hinsehen in Magdeburg nicht um einen Anschlag, sondern um eine Amokfahrt gehandelt hat. Das Stichwort führt zu Überlegungen des Gießener Sozialwissenschaftlers und Autoren Götz Eisenberg. Denn er hat sich bereits vor fast einem Vierteljahrhundert – in seinem Buch „Amok – Kinder der Kälte“ – intensiv mit dem Thema befasst und Amoktaten, die damals hierzulande noch eine Seltenheit waren, als Schlüssel zum Verständnis der zerstörerischen Dynamik des Kapitalismus erkannt.
„Der Amoklauf wird die kriminelle Physiognomie der Gesellschaft des entfesselten Kapitalismus prägen“, prophezeite Eisenberg etwa. Die in diesen Taten zu Tage tretende Form des „reinen und richtungslosen Hasses“ bilde die Rückseite einer Gesellschaft, „in der die Warenform universell geworden ist und sich die Menschen in totale Selbstverwertungsmonaden verwandelt haben“. Der individuelle Amoklauf hänge viel enger mit dem „Amoklauf des globalisierten Kapitals“ zusammen, „als wir wahrhaben wollen“, zeuge von einer „Indifferenz und Kälte, die die Praxis der Deregulierer und Modernisierer zum vorherrschenden gesellschaftlichen Klima gemacht hat“.
„Eine Gesellschaft, die sich vollständig ihrem ökonomischen System ausliefert“, schrieb Eisenberg weiter, „trägt den Keim zu ihrer Selbstzerstörung in sich. Wenn eines Tages alles Hemmende beseitigt ist, wird es auch nichts mehr geben, was die Gesellschaft trägt und stützt, und am Ende muss alles synthetisch, therapeutisch und/oder gewaltförmig zusammengehalten werden. Die tektonischen Beben, die durch die Wucht von Modernisierungs- und Globalisierungsprozessen ausgelöst werden, erschüttern nicht nur die tragenden Gerüste des Gesellschaftsbaus, sondern auch den tradierten Formen sozialer Integration und reichen bis in den Menschen hinein.“
Der Neoliberalismus, stellte Eisenberg fest, habe „treibhausmäßig eine Atmosphäre der Konkurrenz und zwischenmenschlichen Feindseligkeit“ gezüchtet und die Herausbildung einer „Kultur des Hasses“ (so der marxistische Historiker Eric J. Hobsbawm) befördert. Die Fähigkeiten zu Mitleid, gegenseitiger Hilfe und Solidarität verdorrten, weil sie durch gesellschaftliche Verhältnisse keine Stützung erführen. „Unter unseren Augen entsteht ein durch und durch kapitalistischer Menschentyp, der zur Einfühlung in andere unfähig und dessen Innenwelt eine einzige Gletscherlandschaft ist“, heißt es bei Eisenberg.
Was immer den Amoktäter von Magdeburg konkret antrieb, die von Eisenberg präzise beschriebenen Zerfallsprozesse schaffen erst das Klima, in dem Taten wie diese möglich werden. „Soziale Desintegration und Anomie waren und sind der beste Nährboden für Massenkriminalität und Bandenbildung, aber auch für individuelle Verzweiflungstaten“, betont er. In manchen Aspekten erinnere „die Gegenwart der zerfallenden Arbeitsgesellschaften“ an die Aufstiegsphase des Kapitalismus, „als Massen von Menschen aus ständischen Strukturen freigesetzt wurden und vagabundierend und marodierend durch die Lande zogen, bis die industrielle Revolution sie aufsog und in Lohnarbeiter verwandelte“.
Auch den Reflex, Amoktaten mit dem Hinweis auf eine psychische Erkrankung des Täters abzuhaken, wie es aktuell nach den Ereignissen von Magdeburg praktiziert wird, hat der Gießener Autor plausibel eingeordnet. Die von Amok und Terror heimgesuchten Gesellschaften hätten sich darauf geeinigt, schreibt er, „die Täter in zwei Kategorien einzuteilen: den religiös motivierten Terroristen und den psychisch gestörten Einzeltäter“. Diese Ettikettierung habe den unschätzbaren Vorteil, „dass die herrschenden Zustände nicht mit diesen Taten in Zusammenhang gebracht werden“.
Die Demontage des Sozialstaates im Namen des Neoliberalismus steigere den Angst- und Panikpegel rapide, konstatiert Eisenberg. „Die gesellschaftliche Atmosphäre reichert sich mit Spannungen und Aggressionen an und es wächst das Bedürfnis der Menschen nach Sündenböcken, auf die sich ihre Malaise verschieben lässt.“ Als solche Sündenböcke würden dem verängstigten Kleinbürger Flüchtlinge und Migranten hingestellt. Eisenberg: „Sie verkörpern all das Flüchtige und Fremde, unter dem die Menschen zu leiden haben.“ Im „Schlagschatten des Anti-Terror-Kampfes“ breiteten sich islamophobe Einstellungen wie ein Flächenbrand aus und leiteten Wasser auf die Mühlen der Ausländerfeinde, Rechtspopulisten und Rassisten.
Die AfD braucht die Stimmen also nur noch einzusammeln. Der Rechtspopulismus, so Eisenberg, organisiere und funktionalisiere die „über den ökonomischen Prozess freigesetzten Ängste“ und schlage Kapital aus der Feindseligkeit, die den Fremden und Migranten entgegenschlage. Für den Aufstieg des Rechtspopulismus und Rassismus trügen in erster Linie diejenigen Verantwortung, „die durch ihre Deregulierungspraxis großflächig Angst und Unsicherheit“ erzeugten.
Götz Eisenberg hat sich in einem Beitrag für seinen Blog durchhalteprosa.de von diesem Januar auch konkret mit der Amokfahrt von Magdeburg befasst und einen Zusammenhang zur Weltlage hergestellt, der kaum von der Hand zu weisen ist. Er schreibt:
„Diese Tat ist nicht wahnsinniger, als der Rest der Welt. Die sich seit Jahren ausbreitende schizoide Großwetterlage begünstigt kollektive und individuelle Regressionen auf archaische Spaltungsneigungen. Im einem Klima, das mit Spannungen und Ambivalenzen aufgeladen ist, gedeiht eine heimliche Katastrophenbereitschaft, die einen erschreckenden Mitnahmeeffekt erzeugt: In eine anomisch-abseitige Position gedrängte Zeitgenossen „haben einen Hass“, und würden am liebsten „alles in die Luft sprengen“. Trittbrettfahrer steigen auf den Zug der weltweit entflammten Paranoia auf und lassen sich durch sie zu irgendwelchen Wahnsinnstaten anregen.“
Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. So überzeugend die Zusammenhänge hier auch dargelegt sind, dringen sie doch nicht durch. Wie gesagt: Im bürgerlichen Koordinatensystem kommen sie nicht vor. Den Herrschenden ist es gelungen, schon das Nachdenken über eine Alternative zum Kapitalismus als völlig abwegig hinzustellen. Um so wichtiger ist es, immer wieder auf die tatsächlichen Ursachen hinzuweisen. Angesichts der allgemeinen Orientierungslosigkeit und Verwirrung, die von X, Telegram und Co. nach Kräften angeheizt werden, ist es heute schon viel, einen klaren Kopf zu behalten. Das ist die erste Voraussetzung, um überhaupt Widerstand leisten und organisieren zu können.
Frankreich: Verurteilung der Aktivisten von Handi-Social wird bestätigt.
Im Jahr 2018 organisierten Mitglieder von Handi-Social Blockaden am Bahnhof Matabiau in Toulouse (wo es für Menschen mit Behinderungen unmöglich ist, allein in die Züge zu gelangen) und am Flughafen Toulouse-Blagnac. Sie besetzen die Gleise und Start- und Landebahnen und stören den Zug- und Flugverkehr. Diese Aktionen führen zu einem Prozess. Bei diesem Prozess, dem die Verurteilten aufgrund fehlender Zugänglichkeit nicht vollständig beiwohnen können, werden 16 Aktivisten in erster Instanz zu Haftstrafen zwischen zwei und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.
Nach einer Neubewertung durch das Berufungsgericht wurden diese Strafen in Geldstrafen von bis zu 2000 € umgewandelt, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Handi-Social reichte daraufhin Klage beim Kassationsgericht ein und beklagte, dass die Urteile das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzten. Das Urteil fiel am Donnerstag, den 8. Januar: Die Klage wurde abgewiesen.
Übersetzt mit DeepL.com (kostenlose Version)
https://secoursrouge.org/france-la-condamnation-des-militant·es-de-handi-social-est-confirmee
Schlagwörter: Frankreich, Repression, Widerstand
Grundrechte für Lehrer*innen untersagt: Gegen die Neuauflage der Berufsverbote-Praxis!
Die bayerischen Behörden wollen das Gespenst der Berufsverbote wiederbeleben: Einer Klimaaktivistin wird die Zulassung zum Referendariat verwehrt. Das bedeutet nicht nur, dass sie nicht im Staatsdienst unterrichten darf, sondern ihre Berufsausbildung zur Lehrerin nicht abschließen kann. Als Begründung werden politische Aktivitäten und missliebige Äußerungen angeführt.
Berufsverbot
Konkret wirft das bayerische Kultusministerium der Lehramtsstudentin vor, an Klimaprotesten und anderen politischen Aktionen beteiligt gewesen zu sein. In mehreren Fällen wurden dabei Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet – was die eingesetzten Beamt*innen bekanntlich stets in hoher Zahl tun. Als Sprecherin des Offenen Antikapitalistischen Klimatreffens München trat die Aktivistin vor allem bei den Protesten gegen die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in Erscheinung und stellte sich mehrfach als Anmelderin von Großdemonstrationen gegen rechts zur Verfügung.
Diese Mitwirkung an politischen Bewegungen und die Ausübung demokratischer Grundrechte werden ihr nun zum Vorwurf gemacht, um ihre Berufspläne und ihre wirtschaftliche Grundlage zu zerstören. Neben den Protesten gegen den Braunkohleabbau in Lützerath und gegen die IAA in München führt das Ministerium eine kapitalismuskritische Äußerung ins Feld: Indem sie die Auto-Messe als „Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima“ bezeichnete, habe sie die freiheitlich-demokratisch Grundordnung verlassen. Wer den Begriff „Profitmaximierung“ benutzt, ist demnach zu kapitalismuskritisch, um für das Lehramt geeignet zu sein.
Das Vorgehen lässt die Praxis der Berufsverbote der 1970er/80er wiederauferstehen: Mit dem „Radikalenerlass“ wurde vor exakt 53 Jahren – am 28. Januar 1972 – die Regelüberprüfung von Bewerber*innen für den Staatsdienst und von Angestellten im öffentlichen Dienst eingeführt. Damit schuf sich die damalige Bundesregierung ein gewaltiges Instrument zur Einschüchterung der linken Bewegungen, gegen die sich der Erlass richtete: Bis Ende der 1980er wurden auf dieser Grundlage Informationen über 3,5 Millionen als Oppositionelle verdächtigte Menschen beim politischen Inlandsgeheimdienst abgefragt. Gegen etwa 1250 Betroffene, in der Regel Lehramtsstudierende, wurden wegen ihres Engagements in linken Zusammenhängen Berufsverbote verhängt. Rund 260 Angestellte des öffentlichen Diensts, die beispielsweise bei der Bundespost oder Bundesbahn arbeiteten, verloren ihre Arbeit. Während die Bundesregierung die Regelabfragen 1985 einstellte, führten einzelne Bundesländer sie weiter fort – Bayern schaffte die Massenüberprüfungen erst 1991 ab.
Ab 2004 wagte das baden-württembergische Oberschulamt einen neuen Vorstoß und verhängte ein Berufsverbot gegen einen Heidelberger Aktivisten, das aber 2007 letztinstanzlich für unrechtmäßig erklärt wurde. Seither bemühten sich verschiedene Bundesländer darum, diese Repressionsmaßnahme neu zu beleben.
„Offensichtlich reicht den Repressionsorganen das Strafrecht nicht mehr aus, wenn es darum geht, linke Bewegungen einzuschüchtern und Aktivist*innen mundtot zu machen. Erneut greifen die Behörden darauf zurück, Lebensentwürfe und wirtschaftliche Grundlagen von Menschen zu zerstören, die von ihren Grundrechten Gebrauch machen und gegen gesellschaftliche Missstände protestieren“, erklärte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V. „Es besteht die Gefahr, dass diesem Fall weitere folgen werden.“ Sommerfeld schloss mit dem Appell: „Wir müssen diesem neuerlichen Versuch, missliebige Proteste und engagierte Menschen durch Berufsverbote zu knebeln, gemeinsam entgegentreten. Wir fordern alle auf, gegen diesen Frontalangriff auf elementare Grundrechte entschieden zu protestieren!“
https://rote-hilfe.de/meldungen/grundrechte-fuer-lehrerinnen-untersagt-gegen-die-neuauflage-der-berufsverbote-praxis
Schlagwörter: Antifaschismus, Berufsverbote, Klimaaktivist*innen
Bangladesch: Angriffe der alten Ordnung auf gerechte Forderungen
Wir veröffentlichen eine Zusammenfassung einer Erklärung der Neu-Demokratischen Volksfront, Bangladesch :
Die Neu-Demokratische Volksfront verurteilte den brutalen Angriff der Polizei auf Grundschullehrer, die sich für die Verstaatlichung einer Grundschule einsetzten, aufs Schärfste und protestierte mit Massenmobilisierungen.
Heute, am 26. Januar 2025, haben die Massen der Neu-Demokratischen Volksfront die Übergriffe auf die Lehrer, die die Verstaatlichung der Schule in Shahbag forderten, aufs Schärfste verurteilt. Die Polizei schoss u.a. mit Schockgranaten auf die friedlich protestierenden Lehrer.
Wir stellen fest, dass dies kein Einzelfall ist. Vor einiger Zeit wurden Studenten auf dem Campus der Universität Dhaka brutal von der Polizei angegriffen. Andererseits war die Untätigkeit der Polizei bei verschiedenen Verbrechen im Land offensichtlich, wie z. B. zerstörten Schreinen, Angriffen auf einheimische Studenten usw. Aber wann immer die Menschen mit ihren berechtigten Forderungen auf die Straße gehen, versucht die Polizei, sie zu unterdrücken.
Wir denken, dass ein solches Verhalten eine klare Verantwortungslosigkeit des Staates und ein klarer Beweis für Menschenrechtsverletzungen ist. Die Übergangsregierung muss die Verantwortung für den Angriff übernehmen. Durch den Angriff auf friedliche Demonstranten unterstreicht die Regierung ihre intolerante Haltung, die sich gegen die Massen richtet.
Die Neu-Demokratische Volksfront fordert ein hartes Vorgehen gegen die für den Angriff verantwortlichen Polizisten und die Gewährleistung der Behandlung der Verletzten. Darüber hinaus fordern die Lehrer die Regierung auf, die berechtigten Forderungen zu akzeptieren.
Wir möchten klarstellen, dass die Versuche, die legitimen Forderungen des Volkes zu unterdrücken, immer wieder gescheitert sind und auch in Zukunft scheitern werden. Wenn diese Politik der Unterdrückung des Volkes fortgesetzt wird, wird sich ein noch größerer vereinter Widerstand dagegen formieren.
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