Freitag, 31. August 2012

Der Tag danach

Hintergrund. Die westlichen Staaten und die Golfmonarchien zerstören Syrien, weil das Land sich nicht unterwirft. Für die Zeit nach Assad werden in Berlin bereits eifrig Konzepte ­entworfen Von Karin Leukefeld, Damaskus Quelle: jungeWelt vom 8.08.2012 Auf Kommunisten-online am 9. August 2012 – Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat eine »ressortübergreifende ›Task Force Syrien‹« eingerichtet, um die Koordinierung aller Maßnahmen in der Bundesregierung sicherzustellen. Ein »Arbeitsstab Syrien« wurde geschaffen, verstärkt u.a. durch Personal der früheren deutschen Botschaft in Damaskus, die seit Januar 2012 geschlossen ist. Die Lage spitze sich zu, so Westerwelle. »Das Assad-Regime hat die Kontrolle über Teile des Landes verloren.« In einem erklärenden Zusatztext heißt es weiter: »Wir können annehmen, daß das Regime die volle Kontrolle über das Land nicht wiedererlangen wird. Es ist auch anzunehmen, daß Oppositionselemente dauerhaft die Kontrolle in Teilen des Landes übernehmen könnten.« Daraus ergäben »sich neue und dringende Anforderungen, auf die wir national sowie im EU- und UN-Rahmen reagieren müssen«. Den Vorsitz der Einsatztruppe wird Botschafter Boris Ruge übernehmen, der im Auswärtigen Amt Regionalbeauftragter für den Nahen und Mittleren Osten sowie den Maghreb ist. »Mit unseren Partnern« werden nun Planungen für den Tag nach einem Übergang vorangetrieben, so das Auswärtige Amt. Gemeint sind »Maßnahmen im Bereich der humanitären und Wiederaufbauhilfe«. Die »Stabilisierung von Syrien nach Ende des Konflikts« stelle »eine große Herausforderung dar« und erfordere »von seiten der internationalen Gemeinschaft erhebliche Ressourcen«. Kurzfristig müßten nun »Kontakte mit der syrischen Opposition im Inland« hergestellt werden. Startzeichen für die Bekanntgabe dieser vermutlich seit langem vorbereiteten »Task Force Syrien« sei der »Rücktritt von Kofi Annan« gewesen, sagte Westerwelle. Die »Bemühungen um den Einstieg in einen politischen Prozeß« in Syrien müßten weitergehen. Während der Annan-Mission war von derartigen Bemühungen indes in der deutschen Außenpolitik wenig zu sehen gewesen. Statt dessen trug die Bundesregierung erheblich zur Verschärfung der Lage in Syrien bei. Verschärfte Sanktionen Mit nicht enden wollenden Sanktionen wird Wirtschaft und Gesellschaft des Entwicklungslandes seit Sommer 2011 schwerer Schaden zugefügt. Im Widerspruch zum Völkerrecht, das Sanktionen gegen ein Entwicklungsland nur auf Basis einer UN-Sicherheitsratsresolution zuläßt, wurden allein von der Europäischen Union mehr als 60mal Sanktionen gegen Syrien verschärft. Die Strafmaßnahmen werden teilweise von der Arabischen Liga, der Türkei, der Schweiz, Japan, Kanada und Australien unterstützt. Seitens der US-Administration steht Syrien seit Jahrzehnten ohnehin unter Sanktionen. Europa darf kein Rohöl aus Syrien mehr importieren oder Ölprodukte wie Heizöl, Diesel oder Kochgas an Syrien zurückliefern. Medien wurden sanktioniert, die syrische Fluglinie darf europäische Flughäfen nicht mehr anfliegen. Westliche und die meisten arabischen Airlines haben ihren Service in das Land eingestellt. Firmen und Banken dürfen mit syrischen Partnern nicht mehr kooperieren. Unternehmen im Bereich Computer- und Telekommunikationszubehör sowie aus dem Elektrosektor mußten ihren Handel mit Syrien einstellen. Die Bundesregierung gehörte dabei stets zu den ersten, die eine weitere Verschärfung der Sanktionen forderte. Angeblich, um »das Regime zu schwächen und zum Einlenken« zu bewegen, tatsächlich aber zahlt jede einzelne syrische Familie den Preis. Im vergangenen Winter fehlte es an Heizöl. Stromlieferungen sind seit Monaten durch Anschläge bewaffneter Gruppen immer wieder unterbrochen. Die Europäische Investitionsbank (EIB) stellte ihre Vereinbarung mit Syrien über den Ausbau des Elektrizitätssektors im November 2011 einseitig ein. Seit 1978 hatte Syrien von der EIB finanzielle Hilfen im Wert von 1,6 Milliarden Euro erhalten. Infolge der Strafmaßnahmen gegen den Ölsektor wurde Kochgas knapp. Das wiederum forcierte den Schwarzmarkthandel, der Preis für einen Gaszylinder vervierfachte sich. Angeblich habe die EU einigen Firmen erlaubt, Kochgas nach Syrien zu liefern, erfuhr der Schriftsteller Louay Hussein von der oppositionellen Bewegung »Den syrischen Staat aufbauen« im Gespräch mit EU-Vertretern. Tatsache ist jedoch, daß jede Firma, die Handel mit Syrien treibt, von europäischen und US-amerikanischen Regierungen mit Sanktionen bedroht wird. Das gilt für Firmen, die Öl- oder andere Produktlieferungen versichern, ebenso wie für Banken, die den Zahlungsweg regeln. Die Knappheit an Diesel schränkt den innersyrischen Güterverkehr ein, der ohnehin unter den militärischen Auseinandersetzungen zu leiden hat. Viele Firmen und Familienbetriebe mußten ihre Arbeit wegen Treibstoffknappheit reduzieren oder einstellen. Die Folgen sind Arbeitslosigkeit und Geldmangel für Zehntausende Menschen, die jeweils Familien ernährten. Das Verbot, Güter zu importieren und/oder zu exportieren, erhöht die Lebensmittelpreise vor Ort. Nur was vom Staat weiterhin subventioniert wird, können die Menschen sich problemlos leisten. Gewollte Eskalation Nach Beginn der Unruhen in Deraa (Südsyrien) stellte die Bundesregierung alle bilateralen Projekte zwischen Deutschland und Syrien ein. Mitarbeiter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (heute Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ) und anderer staatlicher oder halbstaatlicher Entwicklungsorganisationen hatten den Syrern das Gefühl gegeben, Europa suche und fördere die Zusammenarbeit. In Schulen und Universitäten, im Wassersektor, im Medienbereich, in der Stadtentwicklung waren deutsche Experten gern gesehene Kollegen. Nun wurden sie quasi über Nacht von der Bundesregierung aufgefordert, Syrien zu verlassen. Die Sicherheitslage im Land wurde vom Außenministerium bereits im Frühsommer 2011 als gefährlicher als im Irak und in Afghanistan eingestuft – mit entsprechenden Gefährdungszulagen. Die deutsche Botschaft reduzierte ihre Tätigkeit, das Goethe-Institut wurde geschlossen. Damit wurden wichtige bilaterale Kontakte gekappt, sowohl die Regierung in Damaskus als auch die innersyrische Opposition verloren Ansprechpartner. Statt die guten diplomatischen Beziehungen zu Syrien für eine Deeskalation zu nutzen, nahm die BRD eine führende Position unter den »Freunden Syriens« ein, einem Kreis von Staaten, die sich um die USA, Großbritannien, Frankreich und die Ölmonarchien im Golfkooperationsrat scharten. Die »Freunde Syriens« entwickelten – wie schon zuvor im Falle des Jemen und Libyens – ihre eigene Politik. Sie agierten am UN-Sicherheitsrat und an Sondervermittler Kofi Annan vorbei, was die komplizierte Lage zusätzlich verschärfte. Die »Freunde Syriens« folgten den Ansagen Katars und Saudi-Arabiens, »keine Verhandlungen mit dem Regime Assad« zu führen, sondern stattdessen den Rücktritt von Präsident Baschar Al-Assad zu fordern. Das erfolgte unisono mit der im Ausland agierenden Opposition und gegen ausdrücklichen Rat und Vorschläge der innersyrischen Opposition. Die Bundesregierung gesellte sich dem Lager zu, das für Syrien nicht nur keinen politischen Übergang wollte, sondern den »Sturz des Regimes« propagierte und dafür eigene Söldnertruppen in Richtung Syrien in Bewegung setzte. Berlins Freunde in Saudi-Arabien und Katar teilten im April öffentlich mit, daß sie Kämpfer bewaffnen, bezahlen und nach Syrien schicken. Der NATO-Partner Türkei läßt die Kämpfer mit Waffen und begleitenden Kriegsreportern unbehelligt über die Grenze ziehen. Der Führung der »Freien Syrischen Armee« (FSA) wird ebenso wie dem Syrischen Nationalrat von Ankara Kost und Logis gewährt. Die US-Regierung, auch eine »Freundin Syriens«, gab bekannt, daß sie die Kämpfer und ihre »nicht-tödliche Ausrüstung« mit 25 Millionen US-Dollar finanziert. Saudi-Arabien und Katar bezahlen einen Stützpunkt bei Adana, wo der US-Geheimdienst CIA – vermutlich in Kooperation mit anderen Geheimdiensten – Geld und Waffen verteilt, Kämpfer ausbildet und nach Syrien in den Krieg schickt. Als 1986 die Iran-Contra-Affäre aufflog, bei der die Reagan-Regierung mit Einnahmen aus geheimen Waffenverkäufen an den Iran die Contras finanzierte, die in Nicaragua die sandinistische Regierung bekämpften, war es ein großer Skandal. 25 Jahre später – im November 2011 wurden im Archiv für Nationale Sicherheit (Washington) die Dokumente zur Einsicht frei gegeben – zeigen die »Freunde Syriens« stolz ihren auf vielen Ebenen durchgeführten Angriff auf Syrien vor den Augen der ganzen Welt. Vielleicht sind sie über die massive Präsenz von Al-Quaida, Dschihadisten aus Libyen, Tschetschenien, sogar aus China und vielen europäischen Staaten beunruhigt, die offensichtlich immer mehr Einfluß in den Reihen der »Freien Syrischen Armee« bekommen. Dennoch wird der Krieg niedriger Intensität fortgesetzt. »Day After« Wenn also Al-Qaida, Dschihadisten, Salafisten und die »Freie Syrische Armee« Syrien »befreit« haben werden, wenn der Syrische Nationalrat vom »befreiten« Aleppo aus die Hauptstadt Damaskus erobert haben und Präsident Baschar Al-Assad gestürzt, ermordet oder vertrieben sein wird, wenn die Regierung abgesetzt sein wird, alle Widersacher beseitigt sein werden – dann sollen die Pläne wahr werden, die syrische Oppositionelle seit Monaten in Berlin geschmiedet haben. Die Wochenzeitung Die Zeit berichtete kürzlich über das »geheime Projekt«, das den Namen »Day After« (»Tag danach«) trägt. Seit Anfang des Jahres 2012 wird das Projekt unter dem Schirm der von der Bundesregierung – mit Steuergeldern – finanzierten Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) und dem United States Institute für Peace (USIP), einem von der US-Regierung gesponserten Institut, entwickelt. Die auserwählten, der Öffentlichkeit unbekannten Personen syrischer Herkunft werden vom Bundesaußenministerium in Berlin und dem US-Außenministerium »mit Geld, Visa und Logistik« unterstützt. Mit der »Arbeitshypothese«, daß die syrische Regierung zusammenbricht, werden Exgeneräle, Wirtschafts- und Justizexperten sowie Vertreter von Religions- und Volksgruppen aus der ganzen Welt nach Berlin eingeflogen. Dort beraten sie geheim darüber, wie die »Assad-Diktatur in eine Demokratie« umgewandelt werden soll. »Unbeobachtet und ohne Druck« sei eine »Diskurscommunity« geschaffen worden, sagt SWP-Leiter Volker Perthes. »Im August soll ein Dokument veröffentlicht werden, das den Konsens der Opposition darüber darstellt, wie die neue Verfassung aussehen muß«, heißt es in der Zeit. »Wie Armee, Justiz und Sicherheitsapparate reformiert werden können, wie die Konfessionen künftig friedlich zusammenleben können und die Wirtschaft umgebaut werden muß.« Politische und Menschenrechtsaktivisten in Syrien, in und außerhalb der organisierten Opposition, reagieren ungläubig auf den Berliner Plan für die angebliche Rettung ihrer Heimat. Louay Hussein, Mitbegründer und Vorsitzender der oppositionellen Bewegung »Den syrischen Staat aufbauen«, sucht lange nach Worten, bevor er antwortet. Verschiedene Staaten versuchten offenbar, solche Pläne zu entwickeln, sagt er. Ihm sei die Absicht nicht klar, doch hilfreich für die Menschen sei es ganz bestimmt nicht. Ursprünglich habe die innersyrische Opposition auf einen solchen »Tag danach« hingearbeitet, weil man kein politisches Vakuum wollte, sollte das Regime zusammenbrechen. »Wir hatten große Angst vor dem Chaos, das dann ausbrechen könnte. Heute haben wir das Chaos.« Das Gerede von dem »Tag danach« oder dem »Tag nach Assad« sei reine »Demagogie«, sagt Louay Hussein. »Damit vermitteln sie den jungen Leuten den Eindruck, als würde das Regime bald stürzen. Sie treiben sie dazu, Waffen zu nehmen, weil sie denken, es sei ohnehin bald alles vorbei.« Die Konzentration des westlichen Auslands auf den Präsidenten und darauf, ob er bleibe oder gehe, sei das größte Problem, meint Hussein, der als Mitglied einer verbotenen kommunistischen Partei acht Jahre im Gefängnis saß. »Unsere größte Herausforderung ist, ob das Land im Bürgerkrieg zerbricht, nicht »der Tag danach«. Zum aktuellen Chaos im Land hätten alle beigetragen: das Ausland, europäische Politiker, die Opposition. Alle redeten nur über Assad, niemand spreche mehr von Demokratie. Wenn man heute fordert, Assad solle gehen oder bleiben, müsse man dies im Zusammenhang mit der Frage tun, was einen Bürgerkrieg verhindere. »Als wir uns am 18. März letzten Jahres an den Protesten beteiligten, hofften wir, der 19. März würde besser sein, als der 17. März. Diese Hoffnung ist vorbei.« Als »akademische Übung« bezeichnet der Vorsitzende der syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, George Jabbour, die Bemühungen von Berlin und Washington, unter großem finanziellen Aufwand Pläne für das zukünftige Syrien erschaffen zu lassen. Es sei bekannt, daß Institute Intellektuelle und Akademiker finanzierten, um von deren Ideen zu profitieren, im übrigen könne auch er mal eine Verfassung für Deutschland schreiben, »mal sehen, was man in Deutschland dann sagen wird«. »Für unsere eigene Zukunft« Der Rechtsanwalt Anas Joudeh nahm Ende Juli an einem von der Friedensgemeinde Sant’Egidio in Rom organisierten Treffen teil, bei dem Vertreter von zehn oppositionellen Gruppen aus Syrien nach intensiven Diskussionen ein gemeinsames Grundsatzpapier beschlossen, die elf Punkte umfassende »Erklärung von Rom«. Weil »Waffen keine Lösung sind«, haben die Gruppen sich verpflichtet, den friedlichen Protest und eine Dialoglösung zu unterstützen. Weitere Treffen und Konferenzen in Syrien sind geplant. Von der Geheimdebatte in Berlin hat Joudeh nicht gehört, allerdings gebe es ja viele Gruppen im Ausland, die über den »Tag danach«, die »Stunde Null« oder einen Übergangsprozeß in Syrien diskutierten. »Vielleicht ist ihre theoretische Arbeit gar nicht so schlecht«, sagt Joudeh diplomatisch. Doch »das Problem, das wir mit allen diesen Projekten haben, ist, daß wir jetzt ein Problem haben, das wir lösen müssen.« Es sei leicht, über den »Tag danach« zu reden, doch »wie lösen wir das Problem, das wir heute bis dahin, bis zum ›Tag danach‹ haben?« Wer täglich mit der Realität in Syrien konfrontiert sei, könne »den Kopf nicht in den Sand stecken« und über den »Tag danach oder den Tag nach dem Tag danach reden«, meint Joudeh. Man habe es mit einem Regime zu tun, daß überzeugt sei, daß die Lösung mit Waffen und Panzern gefunden werde, und man habe es mit den Gruppen der Opposition zu tun, die meinten, »die einzige Lösung sind ihre Pistolen und Bomben«. Daß im Ausland so eine Debatte von Leuten geführt werde, die möglicherweise lange Zeit ihres Lebens gar nicht mehr in Syrien gelebt hätten, mache es umso notwendiger, die Stimme Syriens laut ertönen zu lassen, sagt Anas Joudeh. Ein Modell wie im Irak, wo alle Strukturen im Ausland entschieden wurden, werde man in ­Syrien nicht akzeptieren. »Wir Syrer müssen zusammenarbeiten, um unsere eigene Lösung, unsere eigenen Pläne für unsere eigene syrische Zukunft zu finden.« Ein Freundeskreis junger Leute sitzt an einem Nachmittag in Damaskus zusammen. »Haben die denn überhaupt Einfluß hier in Syrien«, will Jihad, der Journalistik studiert wissen, als er von dem Projekt »The Day After« erfährt. Er glaube nicht, daß das funktionieren könne. Das habe doch mit einem demokratischen Prozeß nichts zu tun. Sein Freund Salim meint: »Wer weiß, was die vorhaben. Sind die überhaupt in der Lage, die Realität hier in Syrien richtig einzuschätzen?« Zu sagen, die Opposition in Syrien, im Land, könne eine solche Diskussion nicht führen, bringt Jihad auf. »Die haben kein Recht! Sollen sie sich doch mal ansehen, was für Opfer die Menschen hier bringen! Hier sterben die Menschen, und die sitzen in Europa in ihren Hotels oder sonst wo und reden nur. Unakzeptabel.« Wer immer mit so einer Idee in Syrien auftauche, werde umgehend Gegenwind von der Bevölkerung bekommen, zeigt sich Julia, eine Kommilitonin, überzeugt. »Das funktioniert nicht.« Abdulaziz Al-Khair vom Vorstand des Nationalen Koordinationsbüros für demokratischen Wandel (NCB) meint, das Projekt zeige eine gewisse »Naivität«. Man gehe von einem baldigen Sturz des syrischen Regimes aus und versuche dem Land »das libysche oder das irakische Modell« aufzupflanzen. »Das wird in Syrien nicht funktionieren«, ist er überzeugt, so schnell werde das Regime nicht stürzen. »Da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens.« Einfluß der Gotteskrieger Das Gespräch mit einem ausländischen Politik- und Wirtschaftsexperten, der seit Jahren in Syrien lebt und dessen Namen nicht genannt werden soll, erlaubt einen Blick hinter die Kulissen der Macht. Systematisch hätten die USA und Europa mit ihren Partnern in den Golfstaaten den Fall von Syrien vorbereitet, sagt er. Gespräche mit westlichen Botschaftern im Herbst 2011 hätten erschreckend deutlich gezeigt, daß sie nicht an einer politischen Übergangslösung interessiert waren, sondern einen anderen Plan verfolgten. »Wir sind Augenzeugen der beabsichtigten, angekündigten und offen von westlichen Staaten unterstützten Zerstörung des letzten säkularen Staates in der arabischen Welt«, erklärt der Mann. Dafür bedienten sich die westlichen Staaten islamistischer Söldnertruppen, die von den Golfmonarchien bezahlt und bewaffnet würden. Rußland stehe hinter Syrien »nicht wegen einem Hafen am Mittelmeer oder wegen seiner Waffengeschäfte, sondern weil diese Gotteskrieger nach einer Zerstörung Syriens gen Moskau marschieren« würden. Dschihadisten, die Ende der 1990er Jahre in und von Tschetschenien aus – getarnt als nationale Freiheitskämpfer – Terroraktionen starteten, seien von den Golfmonarchien finanziert worden. Einer ihrer Anführer lebte in Doha/Katar. Saudi-Arabien habe jetzt offenbar dem Westen angeboten, alle Kosten des Krieges gegen Syrien zu tragen, selbst einen NATO-Einsatz wolle Riad bezahlen. Saudi-Arabien bediene sich der Religion, sunnitische und schiitische Muslime würden von Predigern in Fernsehprogrammen gegeneinander aufgehetzt. »Das sunnitische Blut ist eins«, so der Slogan eines solchen Senders. Dem Westen sei der wachsende Einfluß der Gotteskrieger nicht verborgen geblieben, doch sei der kaum noch zu stoppen. »Die Söldnermafia – deren Hintermänner sich als Hilfsorganisationen tarnen – schleust die Kämpfer quer durch die Region«, sagt der Gesprächspartner. »Die Saudis bezahlen alles.« Syrien, eine der ältesten Zivilisationen der Welt, solle zerstört werden, »weil es sich den westlichen Interessen nicht beugen will, weil es eigene nationale Interessen verfolgt, weil es die 1978 geknüpfte Allianz mit dem Iran nicht aufgibt«. Die USA und Europa seien entschlossen, die Regierung von Präsident Assad zu vernichten, dafür nähmen sie – wie schon im Irak – die Zerstörung von Land und Gesellschaft billigend in Kauf. Dabei verfolgten die »Freunde Syriens« verschiedene Ziele, erklärt der Gesprächspartner. Saudi-Arabien wolle Syrien schwächen, um den Einfluß des Iran und der libanesischen Hisbollah in der arabischen Welt zu stoppen. Die USA wollten Syrien brechen, um Israel einen Gefallen zu tun und es daran zu hindern, Iran anzugreifen. Die übrigen westlichen Staaten seien dabei, weil sie Israel und den USA einen Gefallen tun wollten und wirtschaftlich auf das Geld aus den Golfstaaten angewiesen seien. Mit einer Öl- und Gaspipeline aus den Golfstaaten nach Europa wolle man sich von den Gaslieferungen Rußlands unabhängig machen. Die Türkei verfolge eigene regionale Großmachtideen mit der Muslimbruderschaft. Das »kreative Chaos«, mit dem die frühere US-Außenministerin Condoleezza Rice einen »Neuen Mittleren Osten« begründen wollte, nimmt seinen Lauf. Ob Syrien am »Tag danach« von den Muslimbrüdern, Salafisten oder Al-Qaida geführt oder ein »neues Somalia« wird, wie Louay Hussein befürchtet, der Westen wird dafür die Verantwortung tragen. Die innersyrische Opposition sieht wohl am deutlichsten die Gefahren, die auf ihre Heimat zukommen. Eine demokratische, selbstbestimmte Zukunft Syriens hängt am seidenen Faden.

Wehrpflicht, Berufsarmee oder Abschaffung des Heeres?

Von Tibor Zenker Kominform vom 29.08.2012 (auf Kommunisten-online am 31. August 2012) – Der Krieg der Worte rund um den österreichischen Verteidigungsminister und Zivilmilitaristen Norbert Darabos (SPÖ) ist abgeflaut, die angestrebte Bundesheerreform auf die lange Regierungsbank geschoben. Doch man soll sich keinen Illusionen hingeben: Die Zeit der Wehrpflicht, die es innerhalb der EU ansonsten nur noch in Griechenland, Zypern, Finnland, Estland und mit Abstrichen in Dänemark gibt, ist auch in Österreich mittelfristig vermutlich vorbei. Für ihre Abschaffung - oder zumindest ihre Aussetzung wie z.B. in Deutschland - gibt es bereits jetzt eine parlamentarische Mehrheit (durch SPÖ, BZÖ und Grüne), im Zweifelsfall wohl doch eine (allerdings knappe) Mehrheit in der Bevölkerung sowie eine mediale Mehrheit durch die Unterstützung der SPÖ seitens der Speerspitzen des Boulevards. Selbst die gegenwärtig widerspenstigen Positionen von ÖVP und FPÖ haben mehr mit politischem Opportunismus zu tun als mit tatsächlicher Strategie. Kurzum: Der Fisch ist geputzt. Und doch oder erst recht liegt vor uns ein guter Anlass, sich mit der Bedeutung der Armee und der Art der Soldatenrekrutierung im bürgerlichen Staat auseinanderzusetzen. Kapitalismus, Imperialismus und Militarismus Friedrich Engels bezeichnete als einen der entscheidenden Punkte bei der Herausbildung des Staates „die Einrichtung einer öffentlichen Gewalt, welche nicht mehr unmittelbar zusammenfällt mit der sich selbst als bewaffnete Macht organisierenden Bevölkerung. Diese besondre, öffentliche Gewalt ist nötig, weil eine selbsttätige bewaffnete Organisation der Bevölkerung unmöglich geworden seit der Spaltung in Klassen. [...] Diese öffentliche Gewalt existiert in jedem Staat; sie besteht nicht bloß aus bewaffneten Menschen, sondern auch aus sachlichen Anhängseln, Gefängnissen und Zwangsanstalten aller Art“. [1] Die „besonderen Formationen bewaffneter Menschen“, die über die Gesellschaft gestellt werden und sich ihr entfremden, aber keineswegs über ihr stehen, sind die Polizei und die Armee, wie Lenin ausführt, der sie als „Hauptwerkzeuge der Gewaltausübung der Staatsmacht“ [2] bezeichnet. Wichtig zu wissen ist daher, dass die Armee immer die Armee der Herrschenden ist, ein Unterdrückungswerkzeug. Daher ist die Armee im bürgerlichen Klassenstaat ein wesentliches Mittel zur Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung und des Kapitalismus, sie ist die Armee der Bourgeoisie oder, genauer, im fortgeschrittenen staatsmonopolistischen Kapitalismus die Armee des Monopolkapitals, der Imperialisten. Man möge sich dies gerade im 140. Jahr seit der Pariser Kommune - und eben ihrer blutigen Niederschlagung - in Erinnerung rufen und gut merken. Dahinter kann man, wieder mit Engels, die folgende Beobachtung bezüglich der öffentlichen Gewalt machen: „Sie verstärkt sich aber in dem Maß, wie die Klassengegensätze innerhalb des Staats sich verschärfen und wie die einander begrenzenden Staaten größer und volkreicher werden - man sehe nur unser heutiges Europa an, wo Klassenkampf und Eroberungskonkurrenz die öffentliche Macht auf eine Höhe emporgeschraubt haben, auf der sie die ganze Gesellschaft und selbst den Staat zu verschlingen droht.“ [3] So schrieb Engels 1884, ohne dass er ahnen konnte, dass als Konsequenz zwei Weltkriege und der Faschismus folgen würden. Es geht also um die veränderte Bedeutung des Armee mit der Herausbildung des Imperialismus - Lenin: „Insbesondere aber weist der Imperialismus, weist die Epoche des Bankkapitals, die Epoche der gigantischen kapitalistischen Monopole, die Epoche des Hinüberwachsens des monopolistischen Kapitalismus in den staatsmonopolistischen Kapitalismus, eine ungewöhnliche Stärkung der 'Staatsmaschinerie' auf, ein unerhörtes Anwachsen ihres Beamten- und Militärapparates“ [4]. Man spricht in weiterer Folge vom (kapitalistischen) Militarismus - und es geht um eine Doppelbedeutung: „Der moderne Militarismus ist ein Resultat des Kapitalismus ... als Militärmacht, die die kapitalistischen Staaten bei ihren äußeren Zusammenstößen einsetzen ('Militarismus nach außen'...), und als Waffe in den Händen der herrschenden Klassen zur Niederhaltung aller (ökonomischen und politischen) Bewegungen des Proletariats ('Militarismus nach innen').“ [5] Aber welche Armee - und damit kommen wir wieder näher zur gegenwärtigen Debatte in Österreich -, welche Heeresverfassung entspricht diesen Aufgaben? Karl Liebknecht meinte 1907: „Freilich entwickelt der Kapitalismus ebenso wie jede andere Klassengesellschaftsordnung seine besondere Sorte Militarismus; denn der Militarismus ist seinem Wesen nach Mittel zum Zweck oder zu mehreren Zwecken, die je nach der Art der Gesellschaftsordnung verschieden und je nach ihrer Verschiedenheit auf verschieden gearteten Wegen zu erreichen sind. Das tritt nicht nur im Heerwesen zutage, sondern auch im übrigen Inhalt des Militarismus, der sich aus der Erfüllung seiner Aufgaben ergibt. Der kapitalistischen Entwicklungsstufe entspricht am besten das Heer der allgemeinen Wehrpflicht, das aber, obwohl ein Heer aus dem Volke, kein Heer des Volkes, sondern ein Heer gegen das Volk ist, oder mehr und mehr dazu umgearbeitet wird. Es tritt bald als stehendes Heer auf, bald als Miliz. Das stehende Heer, das aber auch keine Erscheinung nur des Kapitalismus ist, erscheint als seine entwickeltste, ja seine normale Form“. [6] Einige historische Hintergründe Die Entwicklung Richtung Wehrpflicht zeichnete sich in Europa im Laufe des 19. Jahrhunderts ab, wenngleich schon zuvor, nicht zuletzt im Kriegsfall, die früher üblichen Söldner- bzw. Berufsheere durch Wehrpflichtigenheere ergänzt oder sogar ersetzt worden waren, was mitunter jedoch auf willkürlichen Zwangsrekrutierungen beruhte. Die ersten durchschlagenden Erfolge eines Wehrpflichtigenheeres erbrachte die französische Armee ab 1793, schließlich wurde ein Gutteil Europas durch Napoleon Bonaparte unterworfen. Schlagartig verfügte die französische Armee damals über ein Heer von 400.000 Mann, während Österreich und Preußen einerseits jeweils keine 100.000 professionellen Soldaten zusammenbrachten, andererseits in der Kampfesmoral der französischen Revolutionsarmee unterlegen waren. Es ist interessant, dass sich diese Tendenz zur Wehrpflicht mit der Position der frühen Arbeiterbewegung deckte. Für die Erste Internationale formulierte Karl Marx 1866: „(a) Der verderbliche Einfluss von großen stehenden Heeren auf die Produktion ist auf bürgerlichen Kongressen aller Arten, auf Friedenskongressen, ökonomischen Kongressen, statistischen Kongressen, philanthropischen Kongressen und soziologischen Kongressen, zur Genüge dargelegt worden. Wir halten es daher für überflüssig, uns über diesen Punkt zu verbreiten. (b) Wir schlagen allgemeine Volksbewaffnung und allgemeine Ausbildung im Waffengebrauch vor. (c) Wir stimmen, als einer vorübergehenden Notwendigkeit, kleinen stehenden Heeren zu, die als Schulen für Offiziere der Miliz dienen; jeder männliche Bürger soll auf kurze Zeit in diesen Armeen dienen.“ [7] Schon ein Jahr zuvor hatte Engels festgehalten, es sei „durchaus nicht gleichgültig, ob die allgemeine Wehrpflicht vollständig durchgeführt wird oder nicht. Je mehr Arbeiter in den Waffen geübt werden, desto besser. Die allgemeine Wehrpflicht ist die notwendige und natürliche Ergänzung des allgemeinen Stimmrechts; sie setzt die Stimmenden in den Stand, ihre Beschlüsse gegen alle Staatsstreichversuche mit den Waffen in der Hand durchzusetzen.“[8] Man möge aber zwei Dinge nicht verwechseln: Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht führt natürlich keineswegs automatisch zur Abschaffung der stehenden Heere - im Gegenteil. Gerade bei längeren Dienstzeiten, wie sie in Europa im ausgehenden 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts üblich waren oder wie es heute z.B. in Israel der Fall ist, führt die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht gerade zu sehr großen stehenden Heeren. D.h. nur in Verbindung mit einer prägnanten Ausbildungszeit sowie mit einem konsequenten Milizsystem ergibt die Wehrpflicht eine Reduzierung der stehenden Heere - und dies war auch die eigentliche Position der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts, oben vermittelt durch Marx und Engels. Die - langsame - Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Österreich war 1868 eine Schlussfolgerung aus der Niederlage von Königgrätz zwei Jahre zuvor. Ganz offensichtlich war die Zeit der Massenarmeen, scheinbarer Volksarmeen, längst gekommen. In Preußen war die Wehrpflicht bereits 1813/14 durchgesetzt worden, damals ebenso die Konsequenz einer militärischen Niederlage, nämlich jener gegen Frankreich. Die österreichische Arbeiterbewegung jener Zeit stimmte mit Marx und Engels überein. Im „Hainfelder Programm“ von 1888/89, als Victor Adler (unter redaktioneller Mithilfe Karl Kautskys) auf dieser Grundlage die Sozialdemokratische Arbeiterpartei schuf, heißt es: „Die Ursache der beständigen Kriegsgefahr ist das stehende Heer, dessen stets wachsende Last das Volk seinen Kulturaufgaben entfremdet. Es ist daher für den Ersatz des stehenden Heeres durch die allgemeine Volksbewaffnung einzutreten.“ [9] Im „Wiener Programm“ von 1901 wurde diese Position der SDAPÖ für ein Milizheer bekräftigt, nun auch unter Verwendung des Wortlauts „allgemeine Wehrpflicht“. Bis 1914, unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkrieges, verfügte die österreichische Armee über ein stehendes Heer von rund 450.000 Mann, davon im Kern etwas weniger als ein Zehntel Berufssoldaten. Zu Kriegsbeginn wurde ein Mobilmachungsstand von 3,4 Millionen Soldaten erreicht, im Laufe des Krieges wurden schließlich acht Millionen österreichische Soldaten an die Front geschickt - 1,5 Millionen kamen nicht mehr zurück, weltweit waren es etwa zehn Millionen Soldaten. Damit war 1914-1918 eingetreten, wovor Wilhelm Liebknecht schon 1891 gewarnt hatte: „Im nächsten Kriege werden Millionen unter der Fahne stehen, Europa wird in Waffen starren, ganze Völker werden gegeneinander geworfen, ein Krieg, wie ihn die Weltgeschichte niemals gesehen, im Vergleich zu welchem der letzte französisch-deutsche Krieg ein Kinderspiel war und der unsere Zivilisation auf ein Jahrhundert zurückwerfen muss.“ [10] Der Zweite Weltkrieg sollte nur zwei Jahrzehnte später noch viel verheerender sein. Offenkundig treffen in der Frage der allgemeinen Wehrpflicht innerhalb des Kapitalismus, insbesondere des Imperialismus, zwei gegensätzliche Facetten aufeinander, die den beiden Formen des Militarismus, wie sie Lenin weiter oben angeführt hat, geschuldet sind. Was den Militarismus nach außen betrifft, so diente die Wehrpflicht aus Sicht der Imperialisten der Bereitstellung von ausreichend Kanonenfutter, motiviert mit ausreichend nationalistischer Ideologie und ultrapatriotischem Pathos. In diesem Sinne möge die Parole tatsächlich lauten: Keinen Mann und keinen Cent dem Militarismus! Dazu in scheinbarem Gegensatz stehen die zuvor genannten Positionen von Marx, Engels und Adler, die in der allgemeinen Wehrpflicht einen Fortschritt sehen - dieser ist jedoch vorrangig innerer, d.h. „innenpolitischer“ Natur. Über den Militarismus nach innen schrieb Karl Liebknecht: „Der Militarismus ist aber nicht nur Wehr und Waffe gegen den äußeren Feind, seiner harrt eine zweite Aufgabe, die mit der schärferen Zuspitzung der Klassengegensätze und mit dem Anwachsen des proletarischen Klassenbewusstseins immer näher in den Vordergrund rückt, die äußere Form des Militarismus und seinen inneren Charakter mehr und mehr bestimmend: die Aufgabe des Schutzes der herrschenden Gesellschaftsordnung, einer Stütze des Kapitalismus und aller Reaktion gegenüber dem Befreiungskampf der Arbeiterklasse. Hier zeigt er sich als ein reines Werkzeug des Klassenkampfes, als Werkzeug in den Händen der herrschenden Klassen, dazu bestimmt, im Verein mit Polizei und Justiz, Schule und Kirche die Entwicklung des Klassenbewusstseins zu hemmen und darüber hinaus einer Minderheit, koste es, was es wolle, selbst gegen den aufgeklärten Willen der Mehrheit des Volkes die Herrschaft im Staat und die Ausbeutungsfreiheit zu sichern.“ [11] Und hier besteht die Möglichkeit, dass das Wehrpflichtigenheer an die Grenzen seiner Einsetzbarkeit stößt. Ein Berufsheer wird - ebenso wie die Polizei - jeden Befehl der Herrschenden ausführen, wenn dies „sein muss“, und auch gegen friedliche und unbewaffnete Zivilisten vorgehen, erst recht natürlich gegen eine etwaige revolutionäre Erhebung. Das Wehrpflichtigenheer hingegen, deren Soldaten im fortgeschrittenen Kapitalismus logischerweise zum Großteil aus der Arbeiterklasse stammen, wird dies nicht so bedenkenlos und gewiss nicht zur Gänze tun. Liebknecht verwies 1907 diesbezüglich auf Russland: „Aber wenn schon in den bürgerlich-kapitalistischen Staaten die Armee der allgemeinen Wehrpflicht als Waffe gegen das Proletariat ein krasser, zugleich furchtbarer und bizarrer Widerspruch in sich selbst ist, so ist das Heer der allgemeinen Wehrpflicht unter dem zarisch-despotischen Regierungssystem eine Waffe, die sich notwendig mehr und mehr mit niederschmetternder Wucht gegen den zarischen Despotismus selbst wenden muss“. [12] In der Februar- und Oktoberrevolution 1917 war dies der Fall, als sich die Bolschewiki durch ihre konsequente Friedens- und Revolutionsagitation einen relevanten Rückhalt in der Armee geschaffen hatten. Die Mehrheit der Soldaten wandte sich gegen ihre Generäle und Offiziere und stellte sich auf die Seite der Aufständischen. In den Folgejahren gelang es der neuen Roten Armee als tatsächlicher Volksarmee zudem, die Revolution gegen die Angriffe der mit den imperialistischen Staaten verbündeten Weißgardisten zu verteidigen. Liebknecht hatte also bezüglich der möglichen Revolution eine richtige Einschätzung getroffen, ebenso Lenin 1916, als er die militärischen Konsequenzen einer Revolution skizzierte: „Bürgerkriege sind auch Kriege. Wer den Klassenkampf anerkennt, der kann nicht umhin, auch Bürgerkriege anzuerkennen, die in jeder Klassengesellschaft eine natürliche, unter gewissen Umständen unvermeidliche Weiterführung, Entwicklung und Verschärfung des Klassenkampfes darstellen. Alle großen Revolutionen bestätigen das. Bürgerkriege zu verneinen oder zu vergessen, hieße in den äußersten Opportunismus verfallen und auf die sozialistische Revolution verzichten. [...] Der Sozialismus kann nicht gleichzeitig in allen Ländern Siegen. Er wird zuerst in einem oder einigen Ländern siegen, andere werden für eine gewisse Zeit bürgerlich oder vorbürgerlich bleiben. Das muss nicht nur Reibungen, sondern auch direktes Streben der Bourgeoisie anderer Länder erzeugen, das siegreiche Proletariat des sozialistischen Staates zu zerschmettern. In solchen Fällen wäre ein Krieg unsererseits legitim und gerecht, es wäre ein Krieg für den Sozialismus, für die Befreiung anderer Völker von der Bourgeoisie. Engels hatte vollständig recht, als er in seinem Briefe an Kautsky vom 11. September 1883 ausdrücklich die Möglichkeit von 'Verteidigungskriegen' des Sozialismus, der schon gesiegt hat, anerkannte. Er meinte nämlich die Verteidigung des siegreichen Proletariats gegen die Bourgeoisie anderer Länder.“ [13] Es liegt auf der Hand, dass nur eine militärisch geschulte und bewaffnete Arbeiterklasse, die sich in relevanter Zahl sodann auch entsprechend organisiert, die Bourgeoisie stürzen und die Revolution und den Sozialismus verteidigen kann. Alles andere, insbesondere eine „friedliche“, gewaltfreie Revolution, die von den Herrschenden im In- und Ausland einfach so hingenommen wird, ist zwar optimistisch ausmalbar, aber denn wohl doch Wunschdenken. Auf die Zimperlichkeit des bürgerlichen Staates, des Imperialismus, der Konterrevolution und des Faschismus zu hoffen, ist unangebracht. Nochmals Lenin: „Eine unterdrückte Klasse, die nicht danach strebt, Waffenkenntnis zu gewinnen, in Waffen geübt zu werden, Waffen zu besitzen, eine solche unterdrückte Klasse ist nur wert, unterdrückt, misshandelt und als Sklave behandelt zu werden. Wir dürfen ... nicht vergessen, dass wir in einer Klassengesellschaft leben und dass außer dem Klassenkampfe keine Rettung daraus möglich und denkbar ist. In jeder Klassengesellschaft, sie möge auf der Sklaverei, Leibeigenschaft oder, wie heute, auf der Lohnsklaverei beruhen, ist die unterdrückende Klasse bewaffnet.“ [14] Und was folgt für Lenin daraus? - „Heute militarisiert die imperialistische - und andere - Bourgeoisie nicht nur das ganze Volk, sondern auch die Jugend. Morgen wird sie meinetwegen die Frauen militarisieren. Wir antworten darauf: Desto besser! Nur immer schneller voran - je schneller, desto näher ist der bewaffnete Aufstand gegen den Kapitalismus. [...] Jetzt durchdringt die Militarisierung das ganze öffentliche Leben. Die Militarisierung wird alles. Der Imperialismus ist erbitterter Kampf der Großmächte um Teilung und Neuteilung der Welt - er muss daher zur weiteren Militarisierung in allen, auch in kleinen, auch in neutralen Ländern führen. Was sollen die proletarischen Frauen dagegen tun? Nur jeden Krieg und alles Militärische verwünschen, nur die Entwaffnung fordern? Niemals werden sich die Frauen einer unterdrückten Klasse, die revolutionär ist, mit solcher schändlichen Rolle bescheiden. Sie werden vielmehr ihren Söhnen sagen: 'Du wirst bald groß sein, man wird dir das Gewehr geben. Nimm es und erlerne gut alles Militärische - das ist nötig für die Proletarier, nicht um gegen deine Brüder zu schießen, wie es jetzt in diesem Räuberkriege geschieht und wie dir die Verräter des Sozialismus raten, sondern um gegen die Bourgeoisie deines eigenen Landes zu kämpfen, um der Ausbeutung dem Elend und den Kriegen nicht durch fromme Wünsche, sondern durch das Besiegen der Bourgeoisie und deren Entwaffnung ein Ende zu bereiten.' Wenn man nicht eine solche Propaganda und eben eine solche im Zusammenhange mit dem jetzigen Kriege treiben will, dann höre man gefälligst auf, große Worte von der internationalen revolutionären Sozialdemokratie, von der sozialen Revolution, von dem Kriege gegen den Krieg im Munde zu führen.“ [15] Doch zurück zur Geschichte der Wehrpflicht in Österreich. - In der Ersten Republik plante man, die allgemeine Wehrpflicht beizubehalten. Von 1918 bis 1920 existierte in Österreich die so genannte „Volkswehr“, die bis zu 50.000 Mann unter Waffen hatte - praktisch handelte es sich zu diesem Zeitpunkt jedoch um ein Freiwilligenheer. Allzu weit her war es mit dem Gedanken des Volksheeres dann ohnedies doch wieder nicht, letztlich galten auch in dieser Phase Liebknechts Worte: „So steht der moderne Militarismus vor uns, der nicht mehr und nicht weniger sein will als die Quadratur des Zirkels, der das Volk gegen das Volk selbst bewaffnet, der den Arbeiter, indem er eine Altersklassenscheidung mit allen Mitteln künstlich in unsere soziale Gliederung hineinzutreiben sucht, zum Unterdrücker und Feind, zum Mörder seiner eigenen Klassengenossen und Freunde, seiner Eltern, Geschwister und Kinder, seiner eigenen Vergangenheit und Zukunft zu machen sich vermisst, der gleichzeitig demokratisch und despotisch, aufgeklärt und mechanisch sein will, gleichzeitig volkstümlich und volksfeindlich.“ [16] Die Volkswehr war ideologisch, v.a. regional betrachtet, inhomogen. Während in den Bundesländern direkt an monarchistische Traditionen angeknüpft wurde, setzte sich in Wien der sozialdemokratische und somit republikanische Einfluss durch. Dies allerdings auch mit Gewalt: Nachdem in den Jahren 1918 und 1919 in Wien und Linz bereits auf demonstrierende, zum Teil revolutionäre Arbeiter geschossen wurde und die regierende Sozialdemokratie dutzende Tote in Kauf genommen hatte, wurde im August 1919 die starke kommunistische Bastion in der Wiener Volkswehr, das Bataillon 41, das aus der Roten Garde hervorgegangen war, vom zuständigen SP-Staatssekretär Julius Deutsch aufgelöst. So konnte der spätere austrofaschistische Diktator Kurt Schuschnigg mit Recht hervorheben, es sei, „die erfolgreiche Abwehr der kommunistischen Parolen und kommunistischen Brachialgewalt im Jahre 1919 ein ausschlaggebendes Verdienst der Sozialdemokraten, das unbestritten bleibt.“ [17] Der gegenrevolutionäre Charakter der österreichischen Sozialdemokratie war leider tatsächlich schon in den Jahren 1918/19 voll ausgebildet. Das Ende der Volkswehr und der allgemeinen Wehrpflicht wurde kurz darauf von außen bestimmt: Als Bestandteil des Friedensvertrages von Saint-Germain wurde es Österreich untersagt, ein Wehrpflichtigenheer zu unterhalten, ebenso waren bestimmte Waffengattungen, darunter die Luftwaffe, verboten. Stattdessen gab es ab 1920 ein Berufsheer, das auf 30.000 Mann limitiert war. Hatte die Sozialdemokratie zunächst noch in diesem neuen Bundesheer unter den Soldaten eine Mehrheit, so gelang es den Christlichsozialen bzw. den Austrofaschisten im Laufe der nächsten Jahre, das Heer weitgehend umzufärben - freilich unter dem Vorwand einer angeblichen „Entpolitisierung“ -, wobei viele ehemalige Berufssoldaten sozialdemokratischer Gesinnung im Republikanischen Schutzbund aufgefangen wurden. Im zentralen Dokument der „austromarxistischen“ Sozialdemokratie jener Zeit, im „Linzer Programm“ von 1926, ist zum Thema festgehalten: „Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei muss ... die Arbeiterklasse in ständiger organisierter geistiger und physischer Bereitschaft zur Verteidigung der Republik erhalten, die engste Geistesgemeinschaft zwischen der Arbeiterklasse und den Soldaten des Bundesheeres pflegen, sie ebenso wie die anderen bewaffneten Korps des Staates zur Treue zur Republik erziehen und dadurch der Arbeiterklasse die Möglichkeit erhalten, mit allen Mitteln der Demokratie die Klassenherrschaft der Bourgeoisie zu brechen.“ [18] Und an selbiger Stelle wird fortgesetzt: „Wenn es aber trotz allen diesen Anstrengungen der sozialdemokratischen Arbeiterpartei einer Gegenrevolution der Bourgeoisie gelänge, die Demokratie zu sprengen, dann könnte die Arbeiterklasse die Staatsmacht nur noch im Bürgerkrieg erobern.“ Natürlich ist der zweite Fall eingetreten, der „dritte“, „demokratische“ Weg zum Sozialismus war ein Irrweg in die Sackgasse. Im kurzen Bürgerkrieg im Februar 1934, als sich - entgegen den Wünschen der SP-Führung - die Basis der Schutzbundes gegen den Faschismus auflehnte, war für die kämpfenden Antifaschisten freilich nichts mehr zu gewinnen. Dies hatte in der Verantwortung der Führung der Sozialdemokratie und des Schutzbundes politische, organisatorische und militärtaktische Ursachen, die hier nicht weiter zu erörtern sind. [19] Faktum ist jedenfalls, dass das Berufsbundesheer im Februar 1934 seinen entsprechenden Auftritt hatte: Unter Einsatz von Artillerie und Panzerfahrzeugen wurde der Aufstand militärisch niedergeschlagen. Diese Erfahrung war es, die die Einführung eines Berufsheeres in der Sozialdemokratie berechtigter Weise für Jahrzehnte zum unmöglichen Standpunkt machte, wie noch zu zeigen sein wird. 1936, im austrofaschistischen „Ständestaat“, wurde die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt. Im März 1938, als die deutsche Wehrmacht mit 65.000 Mann in Österreich einrückte, verfügte man über ein stehendes Heer von 60.000 Mann und 130.000 Reservisten. Trotzdem wurde kein einziger Schuss abgegeben, um die Okkupation zu verhindern, obwohl durchaus Verteidigungspläne ausgearbeitet worden waren - diese waren jedoch mit dem Berchtesgadener Abkommen hinfällig, der zuständige Generalstabschef Alfred Jansa wurde auf Hitlers Verlangen von Schuschnigg abberufen. Von 1938 bis 1945 wurden 1,2 Millionen Österreicher zum Kriegsdienst in der deutschen Wehrmacht eingezogen - in Deutschland hatte das NS-Regime 1935 die in der Weimarer Republik aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages abgeschaffte Wehrpflicht (ein Berufsheer von 100.000 Mann war erlaubt) wieder eingeführt. 260.000 österreichische Soldaten der deutschen Wehrmacht starben im Zweiten Weltkrieg. 1945 untersagten die vier Besatzungsmächte die Aufstellung einer neuen österreichischen Armee, deren Aufbau die Provisorische Regierung Renner durchaus schon angedacht hatte. Erst 1952 konnte als Vorläufer des späteren Bundesheeres der Zweiten Republik die so genannte „B-Gendarmerie“ gegründet werden, die bis 1956 über 6.000 Mann verfügte. Nach dem Abschluss des österreichischen Staatsvertrages von 1955 und dem Abzug der sowjetischen, US-amerikanischen, britischen und französischen Soldaten wurde das neue, heutige Bundesheer geschaffen, wiederum auf Basis der allgemeinen Wehrpflicht - diese ist auch im österreichischen Bundesverfassungsgesetz fixiert. [20] Die Wehrpflicht entsprach auch der Position der SPÖ, die in einem Parteivorstandsbeschluss am 13. Mai 1955 festgehalten hatte: „Die Sozialistische Partei sieht in einer Armee des Volkes den besten Schutz der Republik. Diesem Ziel dient die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und der Aufbau eines neuen Heeres mit milizartigem Charakter.“ [21] Und diese programmatische Position, die auch zumindest formell zur Realität wurde, blieb in der SPÖ über Jahrzehnte unangetastet. In den Parteiprogrammen von 1958 und 1966 wurde sie unterstrichen, noch 1978 ließ Bruno Kreisky niederschreiben: „Die militärische Landesverteidigung soll auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht von einem milizartigen System getragen werden“. [22] Erst das aktuell gültige, 1998 beschlossene „Grundsatzprogramm“ der SPÖ gibt vorsichtshalber keine Auskunft mehr über die Frage der Wehrpflicht. So verfügt der österreichische Staat gegenwärtig über ein stehendes Heer von 35.000 Mann, davon 25.000 Berufssoldaten und 10.000 Präsenzdiener. Hinzu kommen ca. 30.000 Milizsoldaten sowie rund 950.000 Reservisten. Freilich ist das nur die halbe Wahrheit: Wenn wir uns an Engels' Worte über die „Formationen bewaffneter Menschen“ erinnern, so ist die Polizei mitzudenken. Die österreichische Bundespolizei verfügt über rund 23.000 „bewaffnete Exekutivbedienstete“. Somit stehen in unserem Land annähernd 50.000 Männer und Frauen berufsmäßig unter Waffen. 1,6 Millionen Männer sind in Österreich insgesamt wehrtauglich, jedes Jahr kommen knapp 50.000 hinzu. Dies also ist der Status quo - und es gibt unterschiedliche Meinungen, in den Hauptzügen deren drei, darüber, wie die weitere Entwicklung aussehen soll. Fußnoten: [1] Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. In: Marx/Engels-Werke (MEW), Bd. 21, S. 165f. [2] W. I. Lenin, Staat und Revolution. In: Lenin-Werke (LW), Bd. 25, S. 401 [3] Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. MEW 21, S. 166 [4] W. I. Lenin, Staat und Revolution. LW 25, S. 423 [5] W. I. Lenin, Der streitbare Militarismus und die antimilitaristische Taktik der Sozialdemokratie. LW 15, S. 187 [6] Karl Liebknecht, Militarismus und Antimilitarismus. In: Reden und Aufsätze, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 74 [7] Karl Marx, Instruktionen für die Delegierten des Provisorischen Zentralrats zu den einzelnen Fragen. MEW 16, S. 199 [8] Friedrich Engels, Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei. MEW 16, S. 66 [9] Prinzipienerklärung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (1888/89). In: Klaus Berchtold, Österreichische Parteiprogramme 1868-1966, Wien 1967, S. 139 [10] Wilhelm Liebknecht, Die Stellung des Proletariats zum Militarismus. In: Gegen Militarismus und Eroberungskrieg, Berlin 1986, S. 161 [11] Karl Liebknecht, Militarismus und Antimilitarismus. In: Reden und Aufsätze, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 82 [12] ebd., S. 90 [13] W. I. Lenin, Das Militärprogramm der proletarischen Revolution. In: Ausgewählte Werke, Moskau 1946, Bd. I, S. 877f. [14] ebd., S. 879 [15] ebd., S. 880ff. [16] Karl Liebknecht, Militarismus und Antimilitarismus. In: Reden und Aufsätze, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 82f. [17] zitiert nach: Arnold Reisberg, Februar 1934 - Hintergründe und Folgen, Wien 1974, S. 100 [18] Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs (1926). In: Austromarxismus, Texte zu Ideologie und Klassenkampf, Frankfurt/M. - Wien 1970, S. 385 [19] vgl. Arnold Reisberg, Februar 1934 - Hintergründe und Folgen, Wien 1974, S. 190-200 [20] B-VG Art 9a §3 [21] zitiert nach: Arbeiterzeitung, 14.5.1955 [22] Das neue Parteiprogramm der SPÖ (1978). In: Wolfgang Neugebauer, Modelle für die Zukunft – Die österreichische Sozialdemokratie im Spiegel ihrer Programme, Wien 1991, S. 146

Schmähpreisübergabe in Japan

Guten Tag, leider hat es etwas gedauert, bis wir heute ENDLICH über die Schmähpreisübergabe in Japan berichten können. Wir arbeiten nahezu ausschließlich ehrenamtlich und da ging es leider nicht früher. Wir bitten um Verständnis. Unsere Aktionen zur Übergabe des ethecon Black Planet Award 2011 an den Vorsitzenden Tsunehisa Katsumata, den ausgeschiedenen Präsidenten Masataka Shimizu, den Präsidenten Toshio Nishizawa sowie die weiteren für die Fukushima-Katastrophe verantwortlichen Manager und die GroßaktionärInnen des TEPCO-Konzerns in Japan haben in jeder Hinsicht unsere Erwartungen übertroffen. Lesen Sie die fesselnden Berichte in dieser [ethecon email info]. Zugleich war unsere Reise allerdings auch sehr traurig und erschütternd. Lesen Sie auch dazu unsere Reportage in dieser [ethecon email info]. Und: Wir mussten die leidvolle Erfahrung machen, dass Japan sehr teuer ist. Kein Fahrschein für öffentliche Verkehrsmittel unter 6 Euro. Die Aktionen "TEPCO stoppen!" in Japan haben ein großes Loch gerissen. Helfen Sie uns bitte - falls möglich - mit Spenden (auf unserer Webseite / PayPal). Stärken Sie uns den Rücken mit einer Fördermitgliedschaft, einer Anspar-Stiftungen oder vielleicht sogar mit einer Zustiftung. Bitte machen Sie unter Ihren Freunden und Bekannten auf uns und unsere Arbeit aufmerksam. Dass sich das überzogene Budget gelohnt hat, wird an vielen Dingen deutlich - so zum Beispiel an der Berichterstattung im ZDF (Suchwort "Schmähaward"). Aber auch an der tiefen Dankbarkeit der japanischen AktivistInnen, die zu Tränen gerührt waren, dass wir sie mit der Strahlenkatastrophe nicht alleine lassen. Am 1. September erhält die von unserem ethecon Blue Planet Preisträger Elias Bierdel mitgegründete Organisation Borderline Europe den Aachener Friedenspreis. Wir gratulieren! Viele weitere wichtige Informationen und Petitionen gibt es auf unserer Facebook-Kampagnenseite. Sollten Sie eine eigene Facebook-Seite haben, dann drücken Sie bitte unbedingt auf unserer Facebook-Seite den "Gefällt mir"-Button und verleihen Sie als "Fan" unserer Arbeit so Ihre Unterstützung. Am besten jetzt direkt. Und noch eine Bitte: Wir brauchen ehrenamtliche Unterstützung. Vor allem bei Übersetzungs- und Internetarbeiten. Mit solidarischen Grüßen Axel Köhler-Schnura / Bettina Schneider ethecon Stiftung Ethik & Ökonomie www.ethecon.org / info@ethecon.org

Weg mit dem Abschiebeknast! (Ingolheim)

Demonstration am 8.9. um 16 Uhr ab Bahnhof Ingelheim Für die ersatzlose Schließung des Abschiebeknast Ingelheim für Flüchtlinge aus RLP und dem Saarland. Eine kurze und „knackige“ Demo und eine Kundgebung und viel Musik vor den Toren des Abschiebeknastes. Wer hinfahren will kann das mit dem eigenen PKW oder mit dem Zug. Anbei der Aufruf. Weitere Informationen: http://wegmitdemknast.blogsport.de/ Gruß Markus Pflüger www.agf-trier.de * * * Eine andere Welt ist nötig! Weg mit dem Abschiebeknast Ingelheim, weg mit den Mauern um Europa, stoppt alle Abschiebungen! Während der Reichtum multinationaler Konzerne und einiger „Superreicher“ auch oder gerade in „Krisenzeiten“ ins Unermessliche wächst, haben Millionen Menschen auf der Welt kaum das Nötigste zum Leben. Doch die Bilder, die von dem unermesslichen Leid dieser Menschen zeugen, sind zur Normalität geworden. Berichte über ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer werden lediglich in die Randnotizen der Medien verbannt, während Meldungen über Opfer auf gekenterten Luxusschiffen tagelang die Medien beherrschen und Betroffenheit auslösen. Jedes Jahr sterben mindestens 3.000 Menschen bei dem Versuch, die streng bewachte Wohlstandsinsel Europa zu erreichen, welche vermeintlich Sicherheit und Perspektive verheißt. Es ertrinken Tausende auf der Flucht über das Mittelmeer, es ersticken Menschen in ihren Verstecken auf Lastwagen, es werden Flüchtlinge an den Grenzen festgenommen und abgeschoben – ohne dass ihre Asylgründe überhaupt geprüft würden. Menschen, die aus wirtschaftlicher Not und Hunger fliehen, erreichen zumeist nur das Nachbarland, wo sie in provisorisch eingerichteten Lagern ein kümmerliches Dasein fristen. Nur diejenigen, deren Familien in der Lage sind, genügend Geld aufzubringen, können sich auf den langwierigen und gefährlichen Weg nach Europa machen, begleitet von der Hoffnung ihrer Angehörigen auf künftige Unterstützung. Doch das Europa, das für seine „Staatsbürger“ und diejenigen, die die „richtigen“ Papiere besitzen, die Grenzen niedergerissen hat, versucht mit der eigens dazu eingerichteten und militärisch aufgerüsteten Grenzschutzagentur Frontex die „Festung“ zu sichern und die Schutzsuchenden auf hoher See abzudrängen, anstatt Ihnen Hilfe zu leisten und sie willkommen zu heißen. Lieber werden nach wie vor Verträge mit Diktatoren – wie einst mit Gaddafi – ausgehandelt, um ihnen den Weg zu versperren. Einlass gewährt sie nur denen, die als nützlich eingestuft werden, weil ihre Qualifikationen gerade auf dem hiesigen Arbeitsmarkt fehlen. Für Grenzsicherungsmaßnahmen gibt die EU ein Vielfaches von dem aus, was sie für die Aufnahme von Menschen zur Verfügung stellt. Schutzsuchende, denen es gelingt, die Außengrenze Europas zu überwinden, werden in Ländern wie Griechenland, Ungarn oder Malta regelmäßig eingesperrt – häufig für Monate. Ganz gleich, ob Männer, Frauen, Familien oder Kinder – wer frei kommt, landet über kurz oder lang auf der Straße. Wer kann, flieht weiter in andere Staaten Europas. Doch auch dort ist keine Hilfe zu erwarten. Die Menschen werden aufgegriffen und inhaftiert. Auf ein faires Asylverfahren warten die Betroffenen vergeblich. Gemäß der europäischen Dublin-II-Zuständigkeitsverordnung werden sie wieder in das Land ihrer Einreise innerhalb der EU abgeschoben. Aus Deutschland werden jährlich circa 12.000 Menschen zumeist nach Italien, Frankreich oder Ungarn zurückgeschickt. Nach schweren Strapazen und einer Kette von Abschiebungen finden sich viele Flüchtlinge in einer völlig hoffnungslosen Situation wieder, in der ihnen keinerlei Rechte auf Schutz gewährt werden. Auch gegen diese Praxis werden werden wir gemeinsam in Ingelheim demonstrieren. Wer zunächst in Deutschland bleiben darf, wird mit Entrechtung und Diskriminierung konfrontiert: Flüchtlinge werden mit einem Arbeitsverbot belegt, müssen in Lagern leben und dürfen oft das Territorium eines eng begrenzten Gebietes nicht verlassen. Zum Bestreiten des Lebensunterhalts werden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährt, die etwa 35% unter dem Arbeitslosengeld II-Satz liegen, der vom Bundesverfassungsgericht als notwendig für ein menschenwürdiges Leben festgelegt wurde. Die rot-grüne Landesregierung in Rheinland-Pfalz hat erklärt, den Abschiebeknast in Ingelheim zu schließen. Bisher ist hier leider nicht viel passiert. Wir werden uns jedoch auch entschieden gegen jede Nachfolgeeinrichtung wenden, die letztlich nur eine etwas weniger inhumane Form der Freiheitsberaubung sein kann. Flüchtlinge gehören nicht in Haft. Die rheinland-pfälzische Landesregierung sollte sich stattdessen für das Bleiberecht aller Flüchtlinge stark machen und sich für ihre Aufnahme unabhängig von ihrer „Verwertbarkeit“ einsetzen. Wir kämpfen für eine gerechte und solidarische Welt, in der es Perspektiven für jeden Menschen gibt, eine Welt, in der die „Wohlhabenden“ dann ohne militärische Absicherung ihrer Grenzen vor Schutzsuchenden auskommen. Wir werden eine kurze und „knackige“ Demo und eine Kundgebung und viel Musik vor den Toren des Abschiebeknastes veranstalten, der symbolisch für die Mauern um Europa steht. Beteiligt euch, macht Werbung, kommt vorbei! Aktionsbündnis Abschiebehaft Abschaffen

[Hoppetosse] 1-2 Tage noch frei: Vortragstermine am 29.10. und 1.11. im Norden möglich!

Hallo, ich habe eine Einladung zu einem Seminar nach Hallig Hooge. Das wird vom 30.10. bis 1.11. sein. Vorher bin ich nahe Hameln (28.10.). Das heißt: Auf der Hinfahrt wäre auf jeden Fall noch ein Tag/Abend frei für eine Veranstaltung auf dem Weg dazwischen bzw. in den durchfahrenen Regionen. Denkbar aber auch auf der Rückfahrt, also am 1.11. abends. Wer hat Lust auf eine Veranstaltung z.B. in Hamburg oder Schleswig-Holstein? - 29.10. und 1.11. abends sind möglich Themen können die sein, die ich gerade so aktuelle mache, also z.B. - Demokratie. Die Herrschaft des Volkes. Eine Abrechnung - Den Kopf entlasten (Kritik vereinfachten Welterklärungen) - Freie Menschen in freien Vereinbarungen: Theorie der Herrschaftsfreiheit Und natürlich die beiden Ton-Bilder-Schaus "Monsanto auf Deutsch" und "Fiese Tricks von Polizei und Justiz". Mehr Themen und mehr Infos zu den genannten auf www.vortragsangebote.de.vu. Als neues Thema wollen wir auch "Selbstermächtigung oder Bevormundung - Kritik an aktuellen Bewegungsstrategien und emanzipatorische Perspektiven" von hier anbieten ... darin wird als ein Beispiel auch die kreative Antirepression vor- und bisher gängigen Konzepten gegenübergestellt. Also ... wer Lust hat, melde sich ... Gruß, Jörg -- Jörg Bergstedt, 06401/90328-3, Fax 03212-1434654, Mobil 01522-8728353 c/o Projektwerkstatt, Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen-Saasen www.projektwerkstatt.de - und von dort in über 12000 Themenseiten! Projektwerkstätten leben davon, dass woanders Sachen übrig sind: Eine Liste, was gebraucht wird, ist unter www.projektwerkstatt.de/gesucht zu finden. Schwert für Motorsäge (30cm), Eck-Klokasten, Videokamera, Beamer, 2-Liter(oder mehr)-Wasserkocher, mobiler Drucker mit USB-Kabel und ständig Verbrauchsmaterialien (Kopierpapier, Bits, Schweißelektroden ...).

Mittwoch, 29. August 2012

Strom abgestellt – 4 Kinder sterben bei Wohnungsbrand

Saarbrücken (Korrespondenz), 28.08.12: Bei einem Wohnungsbrand in Saarbrücken – Burbach kamen am vorigen Freitag zwei Mädchen (3 Jahre) und zwei Jungen (5 und 7 Jahre) ums Leben. Lediglich die Eltern und ein Säugling konnten gerettet werden. Als Ursache wurde jetzt eine brennende Kerze angegeben. Eine Woche zuvor wurde der 7-köpfigen Familie, die von Harz IV leben muss, der Strom abgestellt. Statt jetzt die gesellschaftlichen Ursachen zu untersuchen und den Stromanbieter ins Visier zu nehmen, soll die Verantwortung auf die Eltern abgeschoben werden. Es ist ein Skandal, wenn die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Brandstiftung gegen die Eltern einleitet. Dass es sich hierbei nicht um eine übereifrige Aktion eines Staatsanwaltes handelt zeigt auch die Aussage des Geschäftsführers des Jobcenters, der gegenüber der Presse erklärt hat, dass steigende Strompreise kein Grund für Stromsperren sind, weil die Leute ihr Geld für andere Sachen ausgeben würden. Wie das so immer ist, hat mal wieder keiner was gewusst. Der Stromanbieter wusste nicht, dass in der Wohnung Kinder leben, die Arbeitsagentur und das zuständige Jugendamt wussten nichts von der Stromsperrung und alle zusammen regen jetzt eine Debatte an, wonach im Vorfeld von Stromsperrungen soziale Härtefälle abgefragt werden sollten. Als wenn es nicht längst bekannt wäre, dass vor allem Harz IV Empfänger und Familien mit wenig Einkommen kaum noch in der Lage sind, die ständig steigende Energiepreise zu zahlen. Laut Stromversorgungsverordnung kann der Strom bereits bei einem Zahlungsverzug von 100 Euro abgestellt werden.

Italien: Bergleute kämpfen mit Sprengstoff

28.08.12 - Bis zu 100 sardische Bergarbeiter haben sich mit 350 Kilogramm Sprengstoff in einer Kohlezeche verschanzt und kämpfen um ihre Arbeitsplätze im Bergwerk Carbosulcis. BILD-online zitiert die Bergleute: „Wir machen uns Sorgen, dass das Bergwerk geschlossen werden könnte”, sagte der 54-jährige Bergmann Sandro Mereu. „Wir fürchten um unsere Jobs.” Er und seine Kollegen würden so lange unter Tage bleiben, bis sie eine Zusage der Regierung bekämen, dass die Zukunft des Bergwerks gesichert sei. In der Mine sind derzeit 460 Arbeiter beschäftigt. Die Bergleute von Carbosulcis westlich der Stadt Cagliari haben ihre Zeche schon in den Jahren 1984, 1993 und 1995 in Protestaktionen besetzt. Einmal hielten sie 100 Tage aus.

"Ein Wagen voll geladen für die griechischen Stahlarbeiter-Familien"

29.08.12: Am 27.8.12 informierte das Presseteam zum Frauenpolitischen Ratschlag: Frauen organisieren die Solidarität mit Griechenland. Im Vorfeld des 10. Frauenpolitischen Ratschlags in der PH Ludwigsburg am 15./16. September organisieren sie die Sammlung von haltbaren Lebensmitteln, Medikamenten, Hygieneartikeln usw. Für den Transport wird ebenfalls um Unterstützung geworben... Ganz im Gegensatz zur massiv in gewissen Medien betriebenen Hetze gegen die angeblich faulen Griechen organisiert der Frauenpolitische Ratschlag die Solidarität mit den um ihre Würde, Arbeitsplätze und Existenzgrundlage kämpfenden Griechen: Nach 273 Tagen Streik hatten die Stahlarbeiter von Helliniki Halivourgia in Aspropirgos beschlossen, ihren Streik zu beenden - der Kampf wird weitergeführt, gegen die Entlassungen, die Kürzung der Löhne und vieles mehr. Der kämpferische Frauenrat – das sind die verantwortlichen Koordinatorinnen des Ratschlags - hat Sofia Roditi vom Komitee der Stahlarbeiterfrauen von Aspropirgos zum 10. Frauenpolitischen Ratschlag eingeladen, der am 15./16. September in der PH Ludwigsburg stattfindet. Sie wird beim Frauenpower-Marathon „Von Religion bis Revolution“ am Samstag, 15. September über die Situation in Griechenland berichten... Die Sammlung läuft - auf dem 10. Frauenpolitischen Ratschlag werden wir die Pakete am 16. September mit Grüßen der Teilnehmerinnen auf den Weg schicken nach Aspropirgos in Griechenland. Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung: Kontakt: Christine Schaaf, Stuttgart, Tel: 0711/732672, Email: Ch.Schaaf@t-online.de oder Gabi Stadler, Hebsack Tel: 07181/481613 , Email: hebsack7@gmx.de

Warum nimmt die Altersarmut zu?

29.08.12: Es klingt paradox: Immer mehr Menschen gehen vorzeitig in Rente, weil sie es nicht schaffen bis 65, demnächst 67 Jahre zu arbeiten. Zugleich arbeiten immer mehr Rentner. Aber das eine hängt eng mit dem anderen zusammen. Karl Brenke, „Arbeitsmarktexperte“ beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), behauptet in der Deutschen Welle: "Die Arbeit ist in vielen Bereichen körperlich nicht mehr so anstrengend wie zuvor. Deshalb können alte Menschen länger arbeiten." Mit dieser These wird u.a. die volks- und besonders frauenfeindliche Rentenpolitik gerechtfertigt, die seit mindestens 1992 von sämtlichen Bundesregierungen vorangetriebenen wird. Im Jahr 2000 waren bereits 14,5 % derjenigen, die erstmals eine Altersrente bezogen, Frührentner. 2010 war das schon fast jeder Zweite. 320.000 der 674.000 neuen Rentnerinnen und Rentner mussten vorzeitig Rente beantragen. Sie hielten den stets steigenden Druck im Beruf nicht mehr aus, sie waren aus dem Betrieb rausgedrängt worden oder Opfer von angeblich „sozialverträglicher“ Arbeitsplatzvernichtung geworden. Selbst wenn jemand mehr als 35 Jahre gearbeitet und Rentenbeiträge gezahlt hatte, betrugen die Abschläge für den früheren Renteneintritt 2011 durchschnittlich 113 Euro im Monat. Noch heftiger sind diejenigen betroffen, die mit einer Erwerbsminderungsrente über die Runden kommen müssen. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei im Bundestag musste das Van-der-Leyen-Ministerium aufdecken: 761.000 Rentner arbeiten zur Zeit offiziell angemeldet in einem Minijob – das sind 60 % mehr als im Jahr 2000. Unter ihnen waren 2011 bereits 120.000, die älter als 75 Jahre alt waren! Sicherlich gibt es rüstige Senioren, die aus eigenem Antrieb ihre Arbeit fortführen oder stundenweise berufstätig sein möchten, anstatt aufs Abstellgleis geschoben zu werden. Die meisten aber tun dies, weil die Rente hinten und vorn nicht reicht. Sie schuften als Parkwächter oder Fensterputzer, tragen Zeitungen aus, schieben Einkaufswagen zusammen usw. Gezielt wird seit etwa zwei Jahrzehnten das gesetzliche Rentenniveau gedrückt. Wer im Jahr 2000 erstmals eine Rente bezog und mindestens 35 Jahre Beiträge gezahlt hatte, bekam im Durchschnitt 1021 Euro im Monat. Bis 2011 sank diese Summe – von der auch noch Kranken- und Pflegeversicherung bezahlt werden muss – auf 975 Euro bei Männern und bei Frauen durchschnittlich sogar auf 491 Euro – bei steigenden Mieten, Lebenshaltungskosten usw. Jetzt reiht sich die Führung von SPD und Grünen in den Chor der Kritiker dieser Entwicklung ein, allerdings hüten sie sich, die Ursachen angzugreifen: Diese Kräfte haben die Situation schließlich mit zu verantworten mit den Hartz-Gesetzen, der Rente mit 67 usw.! Die gezielten Rentensenkungen dienten als Türöffner dafür, dass wer irgend konnte, sich zusätzlich privat versicherte – per Riesterrente, staatlich gefördert – oder wie auch immer. Ein Bombengeschäft für Versicherungen einerseits und vorprogrammierte Altersarmut andererseits, besonders für diejenigen, denen dafür schon in jungen Jahren das Geld fehlt. Ganz besonders Frauen können wegen der Hauptlast der Familienarbeit oder weil sie allein erziehend sind, nicht einmal die gesetzliche Rentenversicherung regelmäßig „bedienen“. Mit der flächendeckenden Durchsetzung von Niedriglöhnen und Minijobs durch die Hartz-IV-Gesetze wird die Altersarmut in den nächsten Jahren weiter sprunghaft steigen. Einer derart volks- und besonders frauenfeindlichen Politik den Kampf anzusagen gehört zu den Anliegen des Frauenpolitischen Ratschlags, der Montagsdemo usw. Für die Herabsetzung des Rentenalters auf 60 Jahre für Männer, auf 55 Jahre für Frauen bei vollem Rentenausgleich! Festsetzung einer staatlichen Mindestrente unabhängig von der persönlichen Berufstätigkeit!

30 Prozent höhere Strompreise wegen der "Energiewende"?

28.08.12 - Dreist kündigen Tuomo Hatakka, Europa-Chef des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, und Peter Terium, Vorstandsvorsitzender des Energiekonzerns RWE an, dass die Strompreise bis zum Jahr 2020 um bis zu 30 Prozent steigen müssten. Die Stromwirtschaft stehe vor Investitionen unter anderem zum Ausbau neuer Trassen für Überlandleitungen und für den Anschluss an die Wind-Offshore-Parks in Höhe von bis zu 150 Milliarden Euro. Beflissen erklärte im Vorfeld des heutigen Energiegipfels der wirtschafspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Joachim Pfeiffer: „Es muss klar sein, dass die Mehrkosten aus dem Umbau der Energieversorgung nicht der deutschen Industrie aufgebürdet werden können.“ Stattdessen soll die Bevölkerung, die mit 80prozentiger Mehrheit den beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie wollte, dafür auch zahlen: „Wer A sagt, muss jetzt auch B sagen.“ Die Energiekonzerne könnten auf keinen Fall weiter belastet werden. Kanzlerin Merkel ist bemüht, die Wogen zu glätten: „Wir müssen natürlich schauen, dass Wirtschaftlichkeit, Sozialverträglichkeit und Umweltfreundlichkeit zusammen kommen“, sagte sie im Sommerinterview der ARD und fügte nebenbei hinzu, dass auch die Verbraucher „den einen oder anderen Cent“ zahlen werden (zitiert nach www.zeit.de). Wie sieht es denn aus mit der Belastung der Energiekonzerne? Während der Privatkunde heute rund 26 Cent für die Kilowattstunde zahlen muss, zahlen Industriekunden 10 Cent! Im Strompreis an den Verbraucher sind 41 Prozent Steuern und Abgaben enthalten und mit jeder Preissteigerung kassiert der Finanzminister mit. 23 Prozent machen der gelieferte Strom und 36 Prozent die Netznutzung aus. So wird die Masse der Verbraucher dreimal abgezockt: Erstens mit der steigenden Stromrechnung, zweitens als Steuerzahler, der für die Investitionen der Konzerne aufkommt und drittens über die allgemeinen Preissteigerungen aller Konsumgüter, die auch mit den wachsenden Energiekosten der Hersteller begründet werden. Das hat mit der „Energiewende“ nicht das geringste zu tun – diese Argumentation nutzt die zunehmende Sorge um die natürliche Umwelt in der Bevölkerung schamlos aus. Der Verbraucherpreis stieg von 13 Cent/kwh im Jahr 2000 auf 26 Cent heute – in diesem Zeitraum war von „Energiewende“ noch keine Rede. Eine gestern veröffentlichte Studie von Greenpeace Energy und Bundesverband WindEnergie kommt zum Ergebnis: „Immer wieder müssen die erneuerbaren Energien als Preistreiber herhalten. Dabei sind sie schon heute günstiger als Kohle und Atom ...“ (Presseerklärung vom 27.8.12.). Nach dieser Studie haben die Stromkonzerne von 1970 bis 2012 staatliche Subventionen für Atomstrom in Höhe von 187 Milliarden Euro, für Steinkohleverstromung 177 Milliarden Euro und für Strom aus Braunkohle 65 Milliarden Euro erhalten, während die erneuerbaren Energien bis heute mit gerade einmal 54 Milliarden Euro gefördert wurden. Die Energiekonzerne wollen jetzt zum Erhalt ihrer Monopolstellung großräumige Netze ausbauen, die in erster Linie auf zentrale Großanlagen statt dezentrale Energieversorgung ausgelegt sind – und diese Investitionen durch die Verbraucher bezahlen lassen. Bundesumweltminister Peter Altmeier (CDU) strebt eine Kompromisslösung im "Energiemix" an. Das bedeutet aber, dass erst bis 2050 80 Prozent der Stromversorgung auf der Basis regenerativer Energien erfolgen würden – und Strom ist nur ein Bruchteil der Energie, die insgesamt genutzt werden muss. Nötig zur Rettung der Erde vor der drohenden globalen Klimakatastrophe ist eine Umstellung auf 100 Prozent der Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien – und das in den nächsten 20 Jahren! Die Monopole fordern künftig andere Rahmenbedingungen. Das zeigt ihre Kritik an der Öko-Umlage. Diese ist eine Steuer, die den Übergang von der Atomenergie auf erneuerbare Energien finanzieren soll. Während diese Umlage für einen Durchschnittshaushaltsverbrauch im Schnitt 125 Euro ausmacht, zahlen die Monopole für dieselbe Strommenge 31 Euro. Mit dessen Wegfall würden ihre Maximalprofite steigen. Auch das zeigt: Die Rettung der Umwelt vor der Profitwirtschaft kann niemals gemeinsam mit, sondern nur gegen die Monopolinteressen durchgesetzt werden.

Linkspartei stellt Strafanzeige gegen Faschisten

Wuppertal (Korrespondenz), 29.08.12: Am Montag ging die folgende Presseerklärung von der Linkspartei an die Öffentlichkeit - nachdem faschistische Kräfte am Samstag einen Sternmarsch durchführen konnten, der in Wuppertal endete - es handelte sich dabei um viele Mitglieder der soeben verbotenen Naziorganisationen! Die Polizei sah angeblich keine Möglichkeit, das zu verbieten und schützte den Aufmarsch. Pressemitteilung vom 26.8.2012 Aufruf zum Holocaust: DIE LINKE stellt Strafanzeige Der Kreisvorstand der Partei Die Linke wird Strafanzeige gegen die Absender einer Mail erstatten, in der zur Massenvernichtung antifaschistischer Menschen aufgerufen wird. In der anonym versandten Nachricht, die am Wochenende auf der Homepage Der Linken einging, heißt es: „Einen Zweck erfüllen die autonomen, antifaschistischen Aktionsbündnisse: die Knochen können zur Seifenherstellung verwendet werden. Einen weiteren Sinn gibt es nicht. Gleiches gilt für die Partei Die LINKE“. Diese Verhetzung Andersdenkender ist ein Aufruf zum Holocaust, auch im strafrechtlichen Sinne. Es ist eine weitere Straftat mit rechtsextremistischem Hintergrund, die sich in Wuppertal und anderen Städten häufen. Die LINKE wird gemeinsam mit vielen anderen demokratischen Kräften weiterhin dafür wirken, dass sich gegen den Rechtsextremismus breiter Widerstand entwickelt! Von den Ermittlungsbehörden erwartet die LINKE, dass gegen die Straftaten aus dem neonazistischen Spektrum energisch vorgegangen wird!

Wahnsinnig oder verrückt ?

BENJAMIN NETANJAHU mag verrückt sein, aber er ist nicht wahnsinnig. Ehud Barak mag wahnsinnig sein, aber er ist nicht verrückt. Also: Israel wird den Iran nicht angreifen. ICH HABE es schon früher gesagt und ich werde es wieder sagen, selbst nach dem endlosen Gerede darüber. Tatsächlich ist über keinen Krieg so viel geredet worden, bevor er stattfand. Um die klassische Filmzeile zu zitieren; „Wenn du schießen musst, dann schieße! Rede nicht!“ Von allem Gerede Netanjahus über den unvermeidlichen Krieg ragt einer seiner Sätze heraus: „Im Untersuchungskomitee nach dem Krieg werde ich selbst die Verantwortung übernehmen, ich und ich allein!“ Ein sehr enthüllendes Statement. Erstens: ein Untersuchungskomitee wird nur nach einem militärischen Fehlschlag ernannt. Nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 gab es kein solches Komitee, auch nicht nach dem Sinai-Krieg 1956 und nach dem Sechstagekrieg 1967. Es gab jedoch Untersuchungskomitees nach dem Jom Kippur-Krieg 1974 und den Libanonkriegen 1982 und 2006. Indem er das Gespenst eines anderen Komitees heraufbeschwört, behandelt Netanjahu unbewusst diesen Krieg als einen unvermeidbaren Fehlschlag. Zweitens: nach israelischem Gesetz ist die ganze Regierung Israels Oberkommandeur der Armee. Nach einem anderen Gesetz tragen alle Minister die „kollektive Verantwortung“. Das TIME-Magazin, das immer lächerlicher wird, mag „König Bibi“ krönen, aber wir haben noch keine Monarchie. Netanyahu ist nicht mehr als der primus inter pares - der erste unter Gleichen. Drittens: in seinem Statement drückt Netanjahu grenzenlose Verachtung gegenüber seinen Ministerkollegen aus. Sie zählen nicht. Netanjahu betrachtet sich selbst als modernen Winston Churchill. Ich kann mich nicht erinnern, dass der, nachdem er das Amt übernommen hatte, verkündigte: „Ich bin verantwortlich für die nächste Niederlage.“ Selbst in der verzweifelten Situation jener Zeit glaubte Churchill an den Sieg. Und das Wörtchen „ich“ kam nicht groß in seiner Rede vor. BEI DER täglichen Gehirnwäsche wird das Problem in militärischen Termini präsentiert. Die Debatte befasst sich mit militärischen Fähigkeiten und Gefahren. Israelis sind verständlicherweise besonders besorgt über den Regen von Zig-Tausenden von Raketen, von denen man erwartet, dass sie in allen Teilen Israels - nicht nur aus dem Iran kommend - fallen werden, sondern auch vom Libanon und dem Gazastreifen. Der Minister für zivile Verteidigung gab gerade in dieser Woche sein Amt auf, und ein anderer, ein Flüchtling der glücklosen Kadima-Partei, hat sein Amt übernommen. Jeder weiß, dass ein großer Teil der Bevölkerung (einschließlich mir) völlig schutzlos ist. Ehud Barak hat angekündigt, dass nicht mehr als mickrige 500 Israelis von feindlichen Raketen getötet werden. Ich hoffe nicht, die Ehre zu haben, zu ihnen zu gehören, obwohl ich in der Nähe des Verteidigungsministeriums lebe. Aber die militärische Konfrontation zwischen Israel und dem Iran ist nur ein Teil des Bildes – und nicht der bedeutendste. Wie ich in der Vergangenheit schon angedeutet habe, ist die Auswirkung auf die Weltwirtschaft, die so schon in einer tiefen Krise steckt, weit wichtiger. Ein israelischer Angriff wird vom Iran als von Amerika inspiriert angesehen, und die Reaktion wird entsprechend sein, wie dies vom Iran in dieser Woche ausdrücklich festgestellt wurde. Der Persische Golf ist wie eine Flasche, deren Hals die Meerenge von Hormuz ist, die vollkommen vom Iran kontrolliert wird. Die riesigen amerikanischen Flugzeugträger, die zur Zeit im Golf stationiert sind, wären gut beraten, hinauszufahren, bevor es zu spät ist. Sie ähneln jenen alten Segelbooten, die Liebhaber in Flaschen zusammenbastelten. Selbst die mächtige militärische Ausrüstung der US wäre nicht in der Lage, die Meerenge offen zu halten. Einfache Land-See-Raketen würden genügen, um sie monatelang geschlossen zu halten. Um sie zu öffnen, wäre eine lange Landoperation durch die USA und ihre Verbündeten erforderlich. Ein langes und blutiges Geschäft mit ungewissem Resultaten. Ein großer Teil der Weltölreserven müssen diese einzigartige Wasserstraße passieren. Sogar die bloße Drohung ihrer Schließung würde die Ölpreise unermesslich in die Höhe treiben. Derzeitige Feindseligkeiten werden weltweit einen wirtschaftlichen Kollaps verursachen mit hundert Tausenden – wenn nicht Millionen – von neuen Arbeitslosen. Jedes dieser Opfer wird Israel verfluchen. Da es kristallklar sein wird, dass dies ein israelischer Krieg ist, wird sich die Wut gegen uns richten. Schlimmer noch, viel schlimmer – da Israel darauf besteht, es sei der „Staat für das jüdische Volk“, wird die Wut die Form eines nie da gewesenen Ausbruchs von Anti-Semitismus annehmen. Neumodische Islamophoben werden sich in altmodische Judenhasser verwandeln. „Die Juden sind unser Unglück“, wie die Nazis zu behaupten pflegten. Dies mag am schlimmsten in den USA sein. Bis jetzt haben die amerikanischen Bürger mit einer bewundernswerten Toleranz zugesehen, wie ihre Nahost-Politik praktisch von Israel diktiert wurde. Doch sogar der AIPAC und seine Verbündeten werden nicht in der Lage sein, den Ausbruch öffentlicher Wut aufzuhalten. Sie werden hinweg gefegt werden wie die Wellenbrecher vor New Orleans. DIES WIRD eine direkte Auswirkung auf eine zentrale Kalkulation der Kriegstreiber haben. Bei privaten Gesprächen, aber nicht nur dort, behaupten sie, dass Amerika am Vorabend der Wahlen bewegungsunfähig sein wird. Während der letzten paar Wochen vor dem 6. November werden beide Kandidaten sehr große Angst vor der jüdischen Lobby haben. Die Kalkulation von Netanjahu und Barak sieht folgendermaßen aus: sie werden angreifen, ohne sich den Teufel um die amerikanischen Wünsche zu scheren. Der iranische Gegenangriff wird gegen amerikanische Interessen gerichtet sein. Die USA werden gegen ihren Willen in den Krieg mit hineingezogen. Doch selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass die Iraner mit äußerster Zurückhaltung gegen ihre Statements handeln und nicht amerikanische Ziele angreifen sollten, wird Präsident Obama gezwungen sein, uns zu retten, eine riesige Menge Waffen und Munition senden, unsere Antiraketen-Verteidigung aufbessern und den Krieg finanzieren. Sonst würde er angeklagt, Israel im Stich gelassen zu haben, und Mitt Romney würde als Retter des jüdischen Staates gewählt werden. Diese Kalkulation gründet sich auf historische Erfahrungen. Alle israelischen Regierungen der Vergangenheit haben die amerikanischen Wahljahre für ihre Zwecke ausgenützt. Als 1948 von den USA gefordert wurde, den neuen israelischen Staat gegen den ausdrücklichen Rat des Außen- und Verteidigungsministers anzuerkennen, kämpfte Präsident Truman gerade um sein politisches Leben. Seine Wahlkampagne war bankrott. Im letzten Augenblick sprangen jüdische Millionäre in die Bresche. Truman und Israel waren gerettet. 1956 war Präsident Eisenhower inmitten seiner Wiederwahlkampagne, als Israel zusammen mit Frankreich und England Ägypten angriff. Es war eine Fehlkalkulation – Eisenhower benötigte keine jüdischen Stimmen und Geld und ließ das Abenteuer stoppen. In andern Wahljahren waren die Einsätze niedriger, aber die Gelegenheit wurde immer ausgenützt, um einige Konzessionen von den USA zu erlangen. Wird es dieses Mal funktionieren? Wenn Israel am Vorabend der Wahlen einen Krieg auslösen wird , offensichtlich, um den Präsidenten zu erpressen, wird die amerikanische Öffentlichkeit Israel unterstützen – oder wird das Gegenteil passieren? Es wird ein entscheidendes Risiko von historischen Ausmaßen sein. Aber Netanjahu ist - wie Mitt Romney - ein Protégé des Casino-Magnaten Sheldon Adelson, und er kann nicht abgeneigter gegenüber Risiken sein, als die armen Troddel, die ihr Geld in Adelsons Casino lassen. WO SIND die Israelis bei all diesem? Trotz der ständigen Gehirnwäsche zeigen die Umfragen, dass die Mehrheit der Israelis absolut gegen einen Angriff sind. Netanjahu und Barak werden als zwei Suchtkranke gesehen, manche sagen Größenwahnsinnige, die nicht mehr rational denken. Einer der bemerkenswertesten Aspekte der Situation ist, dass unser Armeechef und der ganze Generalstab als auch die Chefs des Mossad und des Geheimdienstes (Shin Bet) und fast alle ihre Vorgänger vollkommen und öffentlich gegen einen Angriff sind. Es ist eine der seltenen Gelegenheiten, dass militärische Kommandeure moderater als ihre politischen Chefs sind, auch wenn dies in Israel schon mal vorgekommen ist. Man mag sich sehr wohl fragen: wie können politische Führer einen schicksalhaften Krieg beginnen, wenn praktisch alle ihre militärischen Berater, die unsere militärischen Fähigkeiten und Grenzen kennen, dagegen sind? Einer der Gründe dieser Opposition ist, dass die Armeechefs besser als jeder andere wissen, wie vollkommen abhängig Israel von den USA wirklich ist. Unsere Beziehungen zu Amerika sind allein die Basis unserer nationalen Sicherheit. Es scheint auch zweifelhaft, ob Netanjahu und Barak in ihrer eigenen Regierung und im inneren Kabinett die Mehrheit für einen Angriff haben. Einige von ihnen glauben, dass - abgesehen von allem anderen – der Angriff die Investoren und Touristen vertreiben und damit für Israels Wirtschaft sehr großen Schaden verursachen wird. Wenn das so ist, warum glauben die meisten Israelis immer noch, der Angriff stehe bevor? Die Israelis sind vollkommen davon überzeugt, dass (a) der Iran von einer Bande verrückter Ayatollahs ohne jede Vernunft regiert wird und (b) dass, wenn sie einmal im Besitz einer Atombombe sind, diese sicher auf uns fallen lassen. Diese Überzeugungen gründen sich auf die Äußerungen von Mahmoud Ahmadinejad, in denen er erklärte, dass „er Israel vom Antlitz der Erde wegwischen“ wolle. Aber sagte er das wirklich so? Sicher, er hat viele Male seine Überzeugung ausgedrückt, dass die zionistische Entität verschwinden werde. Aber anscheinend hat er dies nie gesagt, dass er – oder der Iran - etwas tun werde, um dieses Ergebnis zu erreichen. Das mag nur ein kleiner rhetorischer Unterschied sein, aber in diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig. Ahmadinejad mag auch ein großes Mundwerk haben, aber seine aktuelle Macht im Iran war niemals groß und wird schnell immer weniger. Die Ayatollahs, die wirklichen Herrscher, sind weit davon entfernt, unvernünftig/irrational zu sein. Ihr ganzes Verhalten seit der Revolution zeigt, dass sie sehr vorsichtige Leute sind, abgeneigt gegenüber ausländischen Abenteuern, beschädigt von dem langen Krieg mit dem Irak, den sie weder angefangen noch gewollt haben. Ein mit Atombomben bewaffneter Iran mag ein unbequemer Nachbar sein, aber die Drohung eines „zweiten Holocaust“ ist ein Hirngespenst manipulierter Phantasie. Kein Ayatollah wird eine Bombe abwerfen, wenn die sichere Antwort die totale Vernichtung aller iranischen Städte sein wird und es das Ende der ruhmvollen, kulturellen Geschichte Persiens bedeutet. Die Abschreckung war ja der sinn der israelischen nuklearen Bewaffnung. WENN NETANJAHU & Co wirklich vor der iranischen Bombe Angst hätten, dann würden sie eines von zwei Dingen tun: Entweder der atomaren Abrüstung der Region zustimmen, und alle atomare Aufrüstung aufgeben (höchst unwahrscheinlich). Oder mit den Palästinensern und der ganzen arabischen Welt Frieden schließen und damit die Feindseligkeit der Ajatollahs gegenüber Israel entwaffnen. Aber für Netanjahu ist viel wichtiger, die Westbank zu behalten und die Siedlungen auszubauen als die iranische Bombe zu verhindern. Benötigen wir einen besseren Beweis der Verrücktheit seiner Panikmacherei? Danke Tlaxcala Quelle: http://zope.gush-shalom.org Erscheinungsdatum des Originalartikels: 18/08/2012 Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=7972

The Day After (III)

DAMASKUS/BERLIN german-foreign-policy vom 27.08.2012 (auf Kommunisten-online am 29. August 2012) – Am morgigen Dienstag stellen syrische Oppositionelle in Berlin der Weltöffentlichkeit Pläne zur Neuordnung Syriens vor. Die Pläne sind unter Anleitung deutscher Regierungsberater in Kooperation mit US-Stellen hinter verschlossenen Türen erarbeitet worden; sie sollen nach dem Sturz des jetzigen Regimes, den die deutsche Auslandsspionage aktiv unterstützt, schnellstmöglich verwirklicht werden. Über die bislang unter strikter Geheimhaltung tagende Planungsgruppe werden mittlerweile erste Details bekannt. Demnach ist an der Erstellung der Neuordnungspläne, die unter anderem Elemente für eine neue Verfassung beinhalten, nicht nur ein bei Bündnis 90/Die Grünen organisierter syrischer Exilpolitiker beteiligt, sondern auch ein an der höchstrangigen Ausbildungsstätte des Pentagon lehrender Wissenschaftler. Äußerungen von an den Planungen beteiligten Exilsyrern lassen deutlich erkennen, dass die Berliner Syrien-Vorhaben den Charakter eines Va Banque-Spiels tragen. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die an den Aktivitäten führend beteiligt ist, hat unlängst ein mehrjähriges Forschungsprojekt initiiert, mit dem sie angesichts der Umbrüche in großen Teilen der arabischen Welt den dortigen Elitenwandel systematisch unter die Lupe nimmt. Damit gibt sie Berlin auch über Syrien hinaus die Möglichkeit, sein Einflussstreben zu maximieren. Premiere in Berlin Am morgigen Dienstag stellen syrische Oppositionelle erstmals umfassende Pläne zur Neuordnung Syriens vor. Ort ihres Auftritts ist die Berliner Bundespressekonferenz, wo gewöhnlich Sprecher der Bundesregierung Medienvertretern Rede und Antwort stehen. Die Pläne, die die Syrer präsentieren, sind im Rahmen eines deutsch-amerikanischen Projekts mit dem Titel „The Day After“ erstellt worden, für das auf deutscher Seite die vom Bundeskanzleramt finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) federführend war, auf US-Seite das United States Institute of Peace (USIP) (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Einbezogen worden sind rund 45 syrische Regimegegner, von denen es heißt, sie repräsentierten die wichtigsten Strömungen der Opposition - von der Muslimbruderschaft bis zu Milizionären von der Free Syrian Army (FSA). Am Nachmittag sollen dann die Resultate von „The Day After“ in den Räumlichkeiten der SWP handverlesenen Funktionsträgern aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft näher erläutert werden. Der Exilverband Syrian National Council (SNC), der zwar im Land selbst kaum verankert ist, von den westlichen Staaten aber als maßgebliche Oppositionsorganisation anerkannt wird, hat mittlerweile angekündigt, die Pläne als „Roadmap“ für die Zeit nach dem Sturz des Regimes übernehmen zu wollen. Va Banque Inzwischen werden erste Details über die bisher strikt geheim tagende Planungsgruppe bekannt. Demnach gehört ihr der 1974 geborene, 1996 aus Syrien geflohene und heute in Berlin lebende Ferhad Ahma an, der seit Ende 2011 im SNC mitarbeitet und in ihm den kurdischsprachigen Teil der syrischen Opposition vertritt. Ahma, auf Bezirksebene für Bündnis 90/Die Grünen aktiv, lobte bereits im Februar die Zusammenarbeit des Auswärtigen Amts mit syrischen Regimegegnern [2]; wie er berichtet, umfassen die Resultate von „The Day After“ Planungen für die Umstrukturierung der syrischen Repressionsapparate sowie Vorschläge für eine neue Verfassung. Ahma gesteht offen ein, dass die von den arabischen Golfdiktaturen und den westlichen Führungsmächten unterstützten Bemühungen, Assad zu stürzen, klaren Va Banque-Charakter tragen. „Nach Assad ist mit Chaos zu rechnen“, äußert der SNC-Politiker: Scheiterten die Bemühungen um Neuordnung, „dann wird das Land auseinanderfallen“.[3] In die Unterstützung der Oppositionsmilizen ist auf deutscher Seite vor allem der Bundesnachrichtendienst involviert (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Allzu zerstritten Kritisch äußert sich auch Amr al Azm, Professor an der Shawnee State University in Portsmouth (Ohio) und SNC-Gründungsmitglied, der sich morgen an der Vorstellung der Resultate von „The Day After“ beteiligen wird. Al Azm hat vor kurzem festgestellt, die westlichen Staaten realisierten mittlerweile, „dass der SNC nicht die Rolle spielen können wird, die sie ihm zugedacht haben“.[5] Grund sind neben der schwachen Verankerung in Syrien die zahlreichen inneren Streitigkeiten, die der Verband bis heute nicht beigelegt hat. Der SNC werde zumindest von den USA „nicht mehr als die einzige, nicht einmal als die dominante Oppositionsgruppierung betrachtet“, erläuterte Al Azm. In deutschen Medien lässt er sich mit einer Einladung an Berliner Einflussagenten zitieren: „Wenn der Regimewechsel kommt, dann werden wir sehr viel Hilfe brauchen - auch aus Deutschland.“[6] Neben Al Azm werden an der morgigen Vorstellung der „The Day After“-Planungen auch die SNC-Mitglieder Afra Jalabi und Murhaf Jouejati teilnehmen. Jalabi, eine in Montreal lebende Publizistin, hat sich unter anderem mit feministischen Auslegungen des Koran befasst und bildet im SNC einen gewissen - im Westen gern hervorgehobenen - Gegenpol zur Muslimbruderschaft, die in dem Dachverband eine führende Rolle spielt. Jouejati lehrt „Middle East Studies“ an der National Defense University in Washington, der höchstrangigen Ausbildungsstätte des US-Verteidigungsministeriums. Langjährige Kontakte In die Berliner Aktivitäten zur Neuordnung Syriens ist auch der prominente Oppositionelle Riad Seif involviert. Während bei „The Day After“ Pläne entworfen wurden, hat Berlin mittlerweile ein Büro eingerichtet, das die Vorbereitungen einer multinationalen „Arbeitsgruppe“ zur Umgestaltung der syrischen Wirtschaft koordiniert (german-foreign-policy.com berichtete [7]). An einem Treffen der „Arbeitsgruppe“ am 16. August im Auswärtigen Amt nahm auch Seif teil und führte am Rande der Zusammenkunft ein Gespräch mit dem deutschen Außenminister. Der Syrer war in den 1980er Jahren einer der erfolgreichsten Privatunternehmer seines Landes; in den 1990er Jahren trieb er als unabhängiger Parlamentsabgeordneter die Deregulierung der syrischen Ökonomie voran. Damals entwickelten sich seine bis heute tragfähigen Beziehungen nach Deutschland: Seif produzierte für den deutschen Adidas-Konzern und hielt Kontakt zum heutigen Direktor der SWP, Volker Perthes, der ihn in einem seiner recht prominenten Bücher über die arabische Welt als Modellbeispiel eines syrischen Oppositionellen porträtierte.[8] Als Seif in offenen Konflikt mit dem Regime geriet und inhaftiert wurde, da stärkte Berlin, das sich sonst nicht scheute, syrische Flüchtlinge abzuschieben, ihm den Rücken: 2003 erhielt Seif den Weimarer Menschenrechtspreis, später forderten zahlreiche Politiker seine Freilassung. Mit deutscher Hilfe konnte er im Juni Syrien verlassen; seitdem hält er sich in der Bundesrepublik auf. Elitenwandel Die SWP, die führend an „The Day After“ beteiligt ist, hat inzwischen ein neues Forschungsprojekt gestartet, das den aktuellen „Elitenwandel“ in der arabischen Welt untersucht. Ein solches Vorhaben hatte sie erstmals in den Jahren 2001 bis 2003 durchgeführt; damals ging es darum, Verschiebungen in den arabischen Eliten unter die Lupe zu nehmen, die durch Generationswechsel und durch nötige Modernisierungsmaßnahmen unvermeidlich schienen. Man müsse „sich ernsthaft mit der neuen Elitengeneration und ihren Interessen“ befassen, schrieb damals die SWP; wenn nötig gelte es auch, „altgedienten Partnern, die Wandel blockieren“, entschieden entgegenzutreten.[9] Der Beistand, den etwa Riad Seif - er wurde damals von der SWP als Angehöriger aufstrebender Eliten identifiziert - wenig später aus Deutschland erhielt, trug dieser Forderung Rechnung; heute zahlt er sich aus. Wie die SWP jetzt schreibt, will sie an ihr damaliges Projekt anknüpfen und die künftigen Eliten in der arabischen Welt möglichst präzise identifizieren; das soll „die von der Bundesregierung aufgelegten Transformationspartnerschaften“ mit mehreren Staaten des Nahen und Mittleren Ostens „analytisch unterfüttern und forschend und politikberatend begleiten“.[10] Das Vorhaben dient einer möglichst wirksamen deutschen Einflusspolitik nicht nur in Syrien, sondern in der gesamten arabischen Welt. Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Syrien-Politik finden Sie hier: Kriegsdrohungen gegen Syrien, Irans Achillesferse, Kriegsszenarien für Syrien, Kriegsszenarien für Syrien (II), Mit der UNO zur Eskalation, Marktwirtschaft für Syrien, Die jemenitische Lösung, Schmuggelkontrolleure, Nach vierzig ruhigen Jahren, The Day After, The Day After (II) und Verdeckte Kriegspartei. [1] s. dazu The Day After siehe [2] Worauf die Syrer in Deutschland hoffen; www.zeit.de 10.02.2012 [3] Wie in Berlin die Zeit nach Assad geplant wird; www.welt.de 20.08.2012 [4] s. dazu Verdeckte Kriegspartei [5] Washington backs away from supporting SNC; www.dailystar.com.lb 17.08.2012 [6] „Da fliegen die Fetzen“; www.tagesschau.de 21.08.2012 [7] s. dazu Marktwirtschaft für Syrien [8] Volker Perthes: Geheime Gärten. Die neue arabische Welt, München 2002 [9] Volker Perthes (Hg.): Elitenwandel in der arabischen Welt und Iran, SWP-Studie S41, Dezember 2002 [10] Elitenwandel und neue soziale Mobilisierung in der arabischen Welt; www.swp-berlin.org

The Day After (II)

BERLIN/DAMASKUS german-foreign-policy vom 08.08.2012 (auf Kommunisten-online am 29. August 2012) – Mit der Einrichtung einer neuen „Task Force“ verstärkt die Bundesregierung ihre Bemühungen um Einfluss auf Syrien nach dem erwarteten Sturz des Assad-Regimes. Es sei „bereits jetzt notwendig“, Planungen „für den Tag nach einem Übergang“ in Syrien vorzubereiten, teilt das Auswärtige Amt mit; sämtliche entsprechenden Anstrengungen bündele von nun an eine „personell verstärkte Stabsstelle“ im deutschen Außenministerium. Damit erweitert die Bundesregierung ihre bisherigen Aktivitäten, die unter anderem monatelange Geheimgespräche mit über 40 Exil-Oppositionellen sowie die Erstellung von Blaupausen für die syrische Ökonomie nach dem Ende des Bürgerkriegs umfassen. Federführend ist der Regionalbeauftragte für den Nahen und Mittleren Osten und Maghreb im Auswärtigen Amt, Boris Ruge. Ruge begleitete bis Anfang 2011 die immer engere deutsche Kooperation mit dem syrischen Regime und mit syrischen Industriellen, während die Damaszener Deregulierungspolitik größere Teile der Bevölkerung in die Verelendung trieb. Ebenfalls stützte Ruge den Berliner Kurs bei der Abschiebung von Flüchtlingen nach Syrien, von denen rund ein Fünftel unmittelbar nach ihrer Ankunft inhaftiert wurden. Heute bemüht er sich um Zusammenarbeit mit Oppositionellen, deren katastrophale Lage die Berliner Außenpolitik noch bis Anfang 2011 mit ihrer Unterstützung für das Regime verschlimmerte. Unterstützung der Exil-Opposition Um Einfluss auf die syrische Opposition bemüht sich Berlin mit verstärkter Intensität seit Juli 2011. Am 5. Juli 2011 traf eine exilsyrische Delegation unter Leitung von Radwan Ziadeh zu Gesprächen im Auswärtigen Amt ein.[1] „Das Treffen war gut“, teilte der Delegationschef drei Wochen später mit: „Deutschland stimmt mit uns überein.“[2] Ziadeh, der 2007 ins Exil gegangen war, hatte bald darauf begonnen, für das United States Institute of Peace (USIP) zu arbeiten, eine regierungsfinanzierte Einrichtung, die sich mit möglichen Intervention in Konflikten weltweit befasst. Ende Juli 2011 war dann in Berlin zu erfahren, dass der Nahost-Beauftragte des Auswärtigen Amts, Boris Ruge, sich bereits zweimal zu Gesprächen mit Vertretern auch der Opposition nach Damaskus begeben habe. Ziadeh fungiert inzwischen als „Direktor für auswärtige Beziehungen“ des Syrian National Council (SNC), einer stark von der Muslimbruderschaft geprägten Organisation von Exil-Oppositionellen, die von den westlichen Industriestaaten zur „legitimen Vertretung“ der Bevölkerung Syriens erklärt worden ist. In Zusammenarbeit mit dem USIP hat die vom Bundeskanzleramt finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) seit Januar rund 45 syrische Exil-Oppositionelle zu ausführlichen Gesprächen in der deutschen Hauptstadt versammelt, um Vorbereitungen für die Zeit nach dem Sturz des Regimes zu treffen (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Zum selben Zweck hat die Bundesregierung in Berlin ein Büro eingerichtet, das die Wirtschaftsordnung des Post-Assad-Syriens gestalten soll. Es wird von einem Deutschen geleitet (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Task Force Syrien An die genannten Aktivitäten knüpft nun die neu installierte Berliner „Task Force Syrien“ an. Man könne „annehmen, dass das Regime die volle Kontrolle über das Land nicht wiedererlangen wird“, schreibt das Auswärtige Amt.[5] Hintergrund ist die arbeitsteilige Unterstützung des bewaffneten Aufstands in Syrien durch die westlichen Staaten sowie die mit ihnen verbündeten Golfdiktaturen, die finanzielle und logistische Hilfen bis hin zu militärischer Aufrüstung umfasst. Berlin erklärt, in Aufrüstungsmaßnahmen nicht involviert zu sein; doch gelten die Küstengewässer des Libanon, in denen die deutsche Marine zur Verhinderung von Waffenschmuggel eingesetzt ist, als bedeutende Transportroute für den Nachschub an Kriegsgerät und an auswärtigen Milizionären - von deutschen Schiffen wurde jedenfalls noch nichts davon gestoppt.[6] Ergänzend kündigt Berlin nun an, eine „personell verstärkte Stabsstelle“ zur Koordination aller Aktivitäten zu installieren („Task Force Syrien“) und mit ihrer Hilfe konkrete „Planungen für den Tag nach einem Übergang voranzutreiben“.[7] Dazu müssten auch Kontakte zur „syrischen Opposition im Inland“ hergestellt werden, erklärt das Auswärtige Amt. Die Herrschaft der Aufständischen Diejenigen Gebiete Syriens, die mittlerweile von Aufständischen kontrolliert werden, bieten nun erste Möglichkeiten zu systematischer westlicher Einflussnahme im Land selbst. Dabei scheinen sich die Befürchtungen, Syrien könne aus dem bisherigen Zustand harter Repression in neue, nicht weniger blutige Gewaltverhältnisse abgleiten, zu bestätigen. Erste Berichte aus Gebieten, in denen Rebellen die Macht übernommen haben, beschreiben Willkürherrschaft, illegale Massenexekutionen und eine starke Stellung auch militant islamistischer Organisationen. In Azaz unweit Aleppo etwa hätten Aufständische gefangene Regierungssoldaten schlicht „gefesselt und erschossen“, heißt es; der Rebellenkommandeur habe eine große Nähe zum militanten Islamismus und nutze Symbole, die denjenigen von Al Qaida ähnelten. Die Macht liege insgesamt bei zum Teil brutal operierenden Milizionären.[8] Freunde aus der Industrie Der Leiter der neuen Berliner „Task Force Syrien“, Boris Ruge, verfügt schon lange über Beziehungen nach Syrien. Exemplarisch zeigt dies ein Ereignis vom November 2010. In den Jahren zuvor hatte das Assad-Regime begonnen, seine Politik stärker auf die Interessen von Industriellen auszurichten, und dabei die verarmende Landbevölkerung sowie große Teile der weithin perspektivlosen Jugend erheblich vernachlässigt. Die Deregulierungspolitik führte zu wachsender Verelendung und im Frühjahr 2011 dann in den Aufstand. Berlin interessierte sich bis 2011 - Assad herrschte gänzlich unumstritten - nicht für die wachsende Verelendung der Bevölkerung; deutsche Industrielle gründeten im Februar 2010 in Abstimmung mit dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Damaszener Regime einen „Syrian German Business Council“. Am 29. November 2010 erklärte Boris Ruge auf einer Veranstaltung des Wirtschaftsverbandes, er sei überzeugt, dieser könne die deutsch-syrischen Beziehungen auch künftig „positiv entwickeln“. Zu den Mitgliedern des „Business Council“ gehörten hochrangige Industrielle, die noch Anfang 2011 von Berlin hofiert wurden, wenig später aber sich oder ihre Unternehmen auf einer EU-Sanktionsliste wiederfanden - Grund: „Unterstützt das syrische Regime in wirtschaftlicher Hinsicht.“[9] Dazwischen war die Entscheidung gefallen, gemeinsam mit der syrischen Exil-Opposition einen Elitenwechsel in Syrien anzustreben. Seitdem wird in der westlichen Öffentlichkeit gelegentlich auf die zuvor ignorierte Verelendung von Teilen der syrischen Bevölkerung unter Assad hingewiesen. Abschiebepolitik Gleiches gilt für die Repression des Assad-Regimes. Berlin hat nicht nur jahrelang eine recht enge Geheimdienstkooperation mit Syrien unterhalten, Folterkooperationen inklusive (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Ein Abschiebeabkommen, das Anfang 2009 in Kraft getreten ist, hat darüber hinaus die Überstellung zahlreicher Flüchtlinge aus Deutschland an das syrische Regime möglich gemacht. Trotz eines Hungerstreiks syrischer Exil-Oppositioneller hielt die Bundesregierung an ihm fest.[11] Wie sie noch im Oktober 2010 bestätigte, wurde gut ein Fünftel der nach Syrien abgeschobenen Flüchtlinge unmittelbar nach ihrer Ankunft in Haft genommen; einige von ihnen blieben bis zu dreieinhalb Monate interniert.[12] Noch im März 2012 musste Amnesty International die Bundesregierung auffordern, einen offiziellen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Syrien zu erlassen. Erst nach massivem öffentlichem Druck waren die Bundesländer im April 2012 bereit, formell auf die Überstellung von Flüchtlingen nach Syrien zu verzichten - allerdings zeitlich beschränkt auf sechs Monate. Fehl am Platze Während die Bundesregierung sich weiterhin um Einfluss bei der syrischen Opposition bemüht, teilte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, am Montag mit, es sei „einfach völlig fehl am Platze“, die Aufnahme syrischer Kriegsflüchtlinge in der Bundesrepublik in Betracht zu ziehen; diese sollten im Nahen Osten bleiben.[13] Ergänzend hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, in Aussicht gestellt, christliche Flüchtlinge, die religiös motivierten Aufständischen entkommen konnten, bevorzugt zu behandeln: „Wir prüfen derzeit“, teilt Kauder mit, „wie wir zumindest den Christen, die in die Nachbarländer geflüchtet sind, helfen können“.[14] [1] s. dazu Marktwirtschaft für Syrien [2] „Im Ramadan ist jeder Tag ein Freitag“; www.taz.de 28.07.2011 [3] s. dazu The Day After [4] s. dazu Marktwirtschaft für Syrien [5] Auswärtiges Amt richtet ressortübergreifende „Task Force Syrien“ ein; www.auswaertiges-amt.de [6] s. dazu Schmuggelkontrolleure [7] Auswärtiges Amt richtet ressortübergreifende „Task Force Syrien“ ein; www.auswaertiges-amt.de [8] Assads blutendes Antlitz; Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.08.2012 [9] Verordnung (EU) Nr. 878/2011 des Rates vom 2. September 2011 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 442/2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien [10] s. dazu Der gemeinsame Nenner Repression (I) und Der gemeinsame Nenner Repression (II) [11] s. dazu Im Hungerstreik [12] s. dazu Der gemeinsame Nenner Repression (I) [13] Löning: „Keine Syrien-Flüchtlinge nach Deutschland - Menschen brauchen Hilfe unabhängig von Religion“; www.swr.de 06.08.2012 [14] Wer schützt die Christen in Syrien? www.bild.de 05.08.2012 Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58394