Samstag, 25. August 2012

„WENIGER ABHÄNGIGKEIT STÄRKT DIE SOUVERÄNITÄT“

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hielt am 14. August 2012 einen kurzen Vortrag an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität von Buenos Aires. Dabei räumte er mit Mythen über die Inflation, die öffentlichen Statistiken und die Verschuldung auf: „Entschließt sich ein Land dazu, nicht mehr mitzumachen, dann greifen die Kreditgeber zu allen verfügbaren Mitteln, um Ängste zu erzeugen.“ von Thomas Lukin, Página 12 übersetzt von Jens-Torsten Bohlke Havanna, 15. August 2012, Cubadebate. (auf Kommunisten-online am 16. August 2012) – Joseph Stiglitz äußerte: „Wenn sie sagen, daß die Inflation die grausamste Steuer ist, dann werden wir hellhörig. Banken machen sich niemals Sorgen um die Armen.“ „Der Zugang zu den Finanzmärkten ist nicht wesentlich von Bedeutung. Argentinien hatte völlig recht mit der Aussage, daß diese Variable nicht so wichtig ist wie das Ziel des Wachstums“, erklärte gestern Joseph Stiglitz. Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften von 2001 und einstige Chefökonom der Weltbank nahm an einem Seminar an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität von Buenos Aires teil, wo er nicht nur die Art des Ausweges aus der Krise im Fall Argentiniens wertschätzte und die von Europa angewandten Haushaltskürzungsmaßnahmen in Frage stellte, sondern er sprach auch über die Rolle des Staates, der öffentlichen Statistiken und der Inflation. „Stiglitz ist nicht nur ein Querdenkender Wirtschaftsfachmann, sondern auch ein sehr intelligenter Mensch“, sagte die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner über den Professor der Universität von Columbia (USA). Bei seiner öffentlichen Vortragsreise in Begleitung weiterer Nobelpreisträger, öffentlicher Persönlichkeiten und von Mitarbeitern internationaler Kreditorganisationen hielt er einen aufsehenerregenden provokatorischen Vortrag, in welchem er die Anpassungskonzeptionen und die Rolle der internationalen Kreditorganisationen in Frage stellte. Argentiniens Wirtschaftsminister Hernán Lorenzino und eine Gruppe hochrangiger Wirtschaftsfachleute waren ständig an diesen Veranstaltungen beteiligt. Im Unterschied zu den Hauptvertretern der Querdenker fordert der US-Wissenschaftler jedoch keinen Wechsel bei den theoretischen Paradigmen. Auch zweifelt er nicht an ihren Grundlagen. Vielmehr stützt er sie. Theoretisch fußt Stiglitz auf einer Strömung, die die neuen Keynesianer genannt wird. Sie setzen sich gegenüber dem orthodoxen Korsett der Anderen ab, indem sie vor den Unzulänglichkeiten des Marktes warnen. Auch wenn der einstige Berater des US-Präsidenten Bill Clinton öffentlich die Wirtschaftspolitik der US-Regierung unterstützt, hat er sich dazu durchgerungen, für die Führung der Makro-Ökonomie für grundlegend gehaltene Entscheidungen wie die Verstaatlichung der Rentenversicherung in Frage zu stellen. Im Folgenden zitieren wir einige Kernaussagen aus dem gestrigen Vortrag des Wirtschaftsfachmanns an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität von Buenos Aires sowie einige Antworten von ihm auf der Pressekonferenz: - Zugang zu internationalem Kredit: „Der Nutzen aus der äußeren Verschuldung wird überschätzt. Die konventionelle Theorie vertritt, daß die Verschuldung gut ist, weil sie das Wachstum und die Stabilität fördert. Der Zugang zu den Märkten ist eine zwischengeschaltete Variable und nicht gut an sich. Entschließt sich ein Land dazu, nicht mehr mitzumachen, dann greifen die Kreditgeber zu allen verfügbaren Mitteln, um Ängste vor den Folgen zu erzeugen, aber dabei sagen sie nicht die Wahrheit. Argentinien hatte völlig recht mit der Aussage, daß diese Variable nicht so wichtig wie das Ziel des Wachstums ist. Das war eine riskante Haltung, aber sie führte zu guten Ergebnissen. Es steht außer Zweifel, daß die Finanzmärkte einen negativen Einfluss auf die Fähigkeit der Länder haben, ihre Politik zu gestalten. Das Verringern der Abhängigkeit von den internationalen Gläubigern stärkt die wirtschaftliche Souveränität.“ - Inflation: „Die Inflation ist ebenfalls kein Problem an sich. Von Bedeutung sind ihre Folgen auf das Wachstum, auf die Verteilung der Einkommen und für die Armut. Die Paranoia bezüglich der Inflation ist nicht gerechtfertigt. Die Inflation in Europa und in den USA ist sehr niedrig. Man schaut da nur auf die Preise und lässt etwas Wichtiges außer acht, wie das bei der Spekulationsblase war. Es gibt keine genaue Zahl, aber eine sehr hohe Inflation wird zu einem Problem. Wenn sie sagen, daß die Inflation die grausamste Steuer ist, dann werden wir hellhörig. Banken machen sich niemals Sorgen um die Armen. Sprechen sie von den Armen, dann haben sie ein ganz anderes Ziel im Hinterkopf. Die Inflation ist ein Symptom von etwas mehr, aber man muß weit darüber hinausgehen, um ihren wirklichen Ursprung zu verstehen und sie abzuschaffen.“ - Statistiken: „Jede Regierung hat ein unabhängiges Statistisches Amt, welches verlässliche Angaben liefert. Es gibt eine große Meinungsgegensätzlichkeit darüber, wie die Statistiken zu machen sind. Ich stand einem Ausschuss vor, der die Grenzen untersuchte, welche die Statistiken haben. Es ist wichtig, Grundkennziffern in der Statistik zu haben, die die Menschen verstehen und für ihre Diskussionen verwenden können.“ - Rolle des Staates: „Es gibt keine Regel, die besagt, in welchem Umfang der Staat eingreifen muß. Die Frage ist nicht, ob es staatliche Eingriffe geben soll oder nicht, denn die Regierungen greifen stets in die Wirtschaft ein. Die Märkte existieren nicht durch sich selbst allein, sie existieren immer in einem Kontext voller Regeln, Gesetze, Regelungen und politischer Maßnahmen, die öffentlich geschaffen werden. In den Vereinigten Staaten war die Entscheidung, nichts gegenüber den Finanzderivaten zu tun, eine Entscheidung dafür zu ermöglichen, daß diese Papiere bis zu einem Punkt anwachsen, an dem eine Firma wie AIG* mit Kosten von 150 Milliarden Dollars gerettet werden musste. Die Entscheidung, sich da rauszuhalten, erforderte ein äußerst kostspieliges staatliches Eingreifen.“ - Orthodoxe Ökonomen: „Eines der Probleme in Europa und Argentinien liegt darin, daß viele orthodoxe Ökonomen glauben, daß die einzige Art der Auseinandersetzung mit der Krise in mehr Einsparungen bei den Haushaltsausgaben besteht. Sie gebärden sich da wie die Doktoren des Mittelalters, die an den Aderlass glaubten. Und wenn der Aderlass nicht funktionierte, dann ließen sie ihre Patienten erneut zur Ader. Die Haushaltskürzungen funktionieren nicht. Und die Antwort ist, strengere Steuerregeln anzuwenden. Die Ökonomen, die gehört wurden, pochten auf die Haushaltskürzungen. Aber die Leute hören, was sie hören wollen. Man kann die orthodoxen Ökonomen nicht zu sehr beschuldigen. Es gibt auch die anderen Ökonomen, die erklären, daß keine Wirtschaft sich durch Haushaltskürzung erholt.“ - Ausweg aus der Krise: „Argentinien verließ das feste Wechselkurssystem und nahm eine Umgliederung seiner Schulden vor. Hätte es nur eine jener Maßnahmen ergriffen, wäre das Herauskommen aus der Krise nicht zu schaffen gewesen. Europa steht einem ähnlichen Schauplatz gegenüber. Wie der Fall Argentinien offenlegt, ist das nicht leicht, aber man kann der Krise entgegentreten und wieder wachsen. Die Tatsache, daß Argentinien zwischen 2002 und 2008 so stark gewachsen ist, bis zu jenem Jahr des Krisenausbruchs, ist ein Beweis dafür, daß die Umgliederung der Schulden und die Anpassung bei der Art des Wechselkurssystems die Grundlage für Wachstum boten. Argentinien glich nicht nur den Niedergang aus, sondern machte mehr daraus. Eine Umgliederung der Schulden ermöglicht den Neustart von null. Was du daraus machst, hängt von jedem Land selbst ab. Aber es ist keine gute Idee, sich wieder neu zu verschulden, sondern die früheren Probleme sind zu vermeiden.“ - Eurozone und Anpassung: „Der Steuerpakt Europas ist ein automatischer Destabilisator. Diese institutionellen Regeln verschlimmern die Dinge. Solche Regeln wie die Inflationsziele sind Beispiele dafür, wie wir immer riskantere Obergrenzen schaffen. Das Umgliedern der Schulden oder das Voranbringen eines neuen Marshallplans wird nicht das grundsätzliche Problem der Eurozone lösen. Europa muß föderaler werden. Die beste Lösung liegt darin, daß alle Länder erhalten bleiben und die Strukturprobleme anpacken. Geschieht dies nicht, dann muß man die beste Art des Auswegs aus der Krise mit weniger Zusammenbruch nicht nur für Europa, sondern für die Weltwirtschaft suchen.“ Anmerkungen: *AIG, siehe dazu: http://www.heise.de/tp/blogs/8/133440 Quelle: http://www.cubadebate.cu/

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