IMI-Standpunkt 2015/040
Solidarität mit den Opfern von Paris, Beirut, Bagdad, ...
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 17. November 2015
Der deutsche Bundespräsident hat in Reaktion auf die
Anschläge von Paris bei seiner Rede zum Volkstrauertag pathetisch
erklärt: „wir beugen unser Haupt vor den Toten, niemals aber beugen wir
uns dem Terror“. Die Wahrheit sieht ganz anders aus. Der französische
Präsident Hollande hat den Ausnahmezustand ausgerufen und der Polizei
erlaubt, ohne richterlichen Beschluss Hausdurchsuchungen durchzuführen,
in Deutschland werden ähnliche Maßnahmen und der Einsatz der Bundeswehr
im Inneren gefordert. Der Herausgeber der FAZ, Berthold Kohler, wähnt
uns „im Weltkrieg“, der Chefredakteur des Tagesspiegel, Stephan-Andreas
Casdorff, erklärt unter der Überschrift „Die Weltlage hat sich
verändert“ den Freitag, den 13., zur „Zäsur“. Welch eine tiefe
Verneigung vor dem Terrorismus, ein paar blutrünstigen und lebensmüden
Männern mit Kalaschnikows das zuzugestehen, was hunderttausenden
Demonstrant_innen gegen TTIP und griechischen Wähler_innen nicht
zugestanden wird: Die Weltlage zu verändern.
Das geschieht, indem der kriminelle, terroristische Akt in Paris zu einer Kriegserklärung stilisiert wird. Die Kriegserklärung richte sich gegen „die liberalen Demokratien und ihre offenen Gesellschaften“ (Kohler), kurz: den Westen (ebd.). Entsprechend erwähnen weder Gauck noch Kohler oder Cassdorff überhaupt die Opfer der Anschläge in Beirut oder die Opfer der vielen anderen Anschläge, denen seit Jahren die Zivilbevölkerung in den Trümmern der früheren Schauplätze des Krieg gegen den Terror, in Afghanistan, Irak, Jemen usw. ausgesetzt sind. Ihre Solidarität gilt auch nicht wirklich den Opfern, sondern der „französischen Nation“ (Gauck) und damit primär den Eliten und ihrer Regierung. „Die Franzosen gehören nicht zu den Nationen, die sich von solchen Vergeltungschlägen einschüchtern lassen“, so Kohler und auch Cassdorf ist überzeugt: „Frankreich, als Grande Nation, wird nicht stillhalten.“
Wie auf die Anschläge zu reagieren sei, ist bereits mit der Formulierung als Kriegserklärung vorweggenommen und tatsächlich werden neben Maßnahmen zur Verschärfung der „Inneren Sicherheit“ – die allesamt im diametralen Widerspruch zur Selbstdarstellung als „liberale Demokratien“ und „offenen Gesellschaften“ stehen – v.a. militärische Schritte, denen sich auch Deutschland nicht verweigern könne, diskutiert. Nach Cassdorff habe „Präsident Francois Hollande … schon quasi den Bündnisfall der Nato ausgerufen“ was „Folgen, politisch wie militärisch“ habe, „[a]uch für die Bundeswehr“. Auch nach Kohler werde die Definition als „Kriegsakt … schwerwiegende Folgen nach sich ziehen – für Frankreich, für die Nato und damit auch für den wichtigsten Verbündeten, Deutschland… Mehr denn je kommt es jetzt auf die Geschlossenheit des Westens an.“ Kohler, dessen Beitrag auch sonst von Ernst Jünger und Carl Schmitt inspiriert scheint, stimmt die Bevölkerung auch schon auf die innenpolitischen Folgen des bevorstehenden „epochale[n] Kampf[es]“ ein, der nicht „ohne Einschränkungen der Freiheiten möglich sein“ wird: „Die Deutschen“ wollten und müssten in solchen Zeiten „ein hartes … Gesicht an der Spitze ihrer Regierung“ sehen (– gegen ein „in der muslimischen Welt“ herangewachsenes „Ungeheuer“, „das seine Tentakel um die ganze Welt schlingen möchte“).
Die von Politik und Medien fleißig betriebene Rede vom NATO-Bündnisfall allerdings ist ausgemachter Blödsinn und bietet eine offene Flanke. Jenseits der Frage, ob hinter einem als bewaffneter Angriff gewertetem Akt ein Staat als Völkerrechtssubjekt stehen muss oder nicht, kann er nur dann als Bündnisfall gewertet werden, wenn der angegriffene Staat sich nicht bereits mit diesem Staat im Kriegszustand befindet. Die französische Regierung hat jedoch dem sog. Islamischen Staat bereits mehrfach den Krieg erklärt und führt bereits seit September 2014 im Irak und seit September 2015 auch in Syrien Luftschläge gegen den IS. Im Januar 2013 intervenierte Frankreich gegen „Islamisten“ in Mali und führt seit dem mit der Operation Barkhane einen grenzüberschreitenden „Krieg gegen den Terror“ in Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und dem Tschad. Auch Kohler erkennt: „Der Terrorangriff auf Paris ist eine Quittung dafür nach Art des IS“. Hieraus aber zugleich einen Anlass zum Bündnisfall der NATO zu machen (wie es die Türkei schon zuvor mit ihren Angriffen auf syrisches Territorium erprobte) würde die NATO auch formal zum offensiven Kriegsbündnis machen und damit zu einer offen völkerrechtswidrigen Organisation, die den Weltfrieden gefährdet.
Dass dies de facto längst zutrifft und nicht nur die Bevölkerungen in den angegriffenen Staaten, sondern eben auch innerhalb der NATO bedroht, haben die sozialen Bewegungen bereits erkannt. Attac Frankreich etwa stellt, nachdem die Organisation ihre „volle Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen“ erklärt, zutreffend fest: „Das ist nicht unser Krieg: Nach dem amerikanischen Desaster im Irak und in Afghanistan tragen die aktuellen französischen Interventionen im Irak, Libyen, Syrien, Mali, Tschad, Niger, der Zentralafrikanischen Republik dazu bei, diese Regionen zu destabilisieren und lösen den Abgang von Flüchtlingen und Migranten aus, die gegen die Festung Europa prallen und deren Körper an unsere Küsten stranden. Ungleichheiten und Raubzüge zerreißen die Gesellschaften und bringen sie gegeneinander auf… Wir lehnen eine Gesellschaft der Angst, der Stigmatisierung und der Suche nach Sündenböcken ab. Wir bekräftigen unsere Entschlossenheit, uns weiterhin frei zu bewegen, zu arbeiten, uns zu unterhalten, uns zu treffen und zu kämpfen“ und zwar „gegen den Imperialismus …, gegen den ‚humanitären‘ Imperialismus, gegen den zerstörerischen Produktivismus, für Gesellschaften, in denen Mäßigkeit, Freiheit und Gleichheit herrschen“.
Und während die Regierenden durch Instrumentalisierung der Opfer die Menschen auf die Beschneidung ihrer Rechte und weitere, entgrenzte Kriege einzustimmen versuchen, dürfte diese Analyse in der Bevölkerung tatsächlich – trotz allem durch die Eliten offen geschürten Nationalismus – womöglich weit mehr verfangen. Was die Regierungen und ihre Sprachrohre nämlich letztlich propagieren ist alles andere als eine Veränderung der „Weltlage“, sondern ein immer Mehr am Immergleichen, während sich ihre Interessen und jene der Terroristen zunehmend ähneln: der Inszenierung dieses Immergleichen als „epochaler Kampf“, der nun einmal Opfer verlange. Die Bevölkerungen und sozialen Bewegungen setzen dem zumindest die Hoffnung auf eine tatsächliche Änderung der Weltlage entgegen. Sie sollten sich dabei daran erinnern, wie die spanische Öffentlichkeit auf die Anschläge 2004 in und um Madrid reagierte: Nachdem es bereits zuvor Monate lang Demonstrationen gegen die spanische Beteiligung am Irakkrieg gegeben hatte, wurde nach den Anschlägen die Regierung Aznar abgewählt und die neue Regierung beendete ihre Beteiligung an jenem Krieg, der im Irak die Fundamente des Islamischen Staates schuf.
Das geschieht, indem der kriminelle, terroristische Akt in Paris zu einer Kriegserklärung stilisiert wird. Die Kriegserklärung richte sich gegen „die liberalen Demokratien und ihre offenen Gesellschaften“ (Kohler), kurz: den Westen (ebd.). Entsprechend erwähnen weder Gauck noch Kohler oder Cassdorff überhaupt die Opfer der Anschläge in Beirut oder die Opfer der vielen anderen Anschläge, denen seit Jahren die Zivilbevölkerung in den Trümmern der früheren Schauplätze des Krieg gegen den Terror, in Afghanistan, Irak, Jemen usw. ausgesetzt sind. Ihre Solidarität gilt auch nicht wirklich den Opfern, sondern der „französischen Nation“ (Gauck) und damit primär den Eliten und ihrer Regierung. „Die Franzosen gehören nicht zu den Nationen, die sich von solchen Vergeltungschlägen einschüchtern lassen“, so Kohler und auch Cassdorf ist überzeugt: „Frankreich, als Grande Nation, wird nicht stillhalten.“
Wie auf die Anschläge zu reagieren sei, ist bereits mit der Formulierung als Kriegserklärung vorweggenommen und tatsächlich werden neben Maßnahmen zur Verschärfung der „Inneren Sicherheit“ – die allesamt im diametralen Widerspruch zur Selbstdarstellung als „liberale Demokratien“ und „offenen Gesellschaften“ stehen – v.a. militärische Schritte, denen sich auch Deutschland nicht verweigern könne, diskutiert. Nach Cassdorff habe „Präsident Francois Hollande … schon quasi den Bündnisfall der Nato ausgerufen“ was „Folgen, politisch wie militärisch“ habe, „[a]uch für die Bundeswehr“. Auch nach Kohler werde die Definition als „Kriegsakt … schwerwiegende Folgen nach sich ziehen – für Frankreich, für die Nato und damit auch für den wichtigsten Verbündeten, Deutschland… Mehr denn je kommt es jetzt auf die Geschlossenheit des Westens an.“ Kohler, dessen Beitrag auch sonst von Ernst Jünger und Carl Schmitt inspiriert scheint, stimmt die Bevölkerung auch schon auf die innenpolitischen Folgen des bevorstehenden „epochale[n] Kampf[es]“ ein, der nicht „ohne Einschränkungen der Freiheiten möglich sein“ wird: „Die Deutschen“ wollten und müssten in solchen Zeiten „ein hartes … Gesicht an der Spitze ihrer Regierung“ sehen (– gegen ein „in der muslimischen Welt“ herangewachsenes „Ungeheuer“, „das seine Tentakel um die ganze Welt schlingen möchte“).
Die von Politik und Medien fleißig betriebene Rede vom NATO-Bündnisfall allerdings ist ausgemachter Blödsinn und bietet eine offene Flanke. Jenseits der Frage, ob hinter einem als bewaffneter Angriff gewertetem Akt ein Staat als Völkerrechtssubjekt stehen muss oder nicht, kann er nur dann als Bündnisfall gewertet werden, wenn der angegriffene Staat sich nicht bereits mit diesem Staat im Kriegszustand befindet. Die französische Regierung hat jedoch dem sog. Islamischen Staat bereits mehrfach den Krieg erklärt und führt bereits seit September 2014 im Irak und seit September 2015 auch in Syrien Luftschläge gegen den IS. Im Januar 2013 intervenierte Frankreich gegen „Islamisten“ in Mali und führt seit dem mit der Operation Barkhane einen grenzüberschreitenden „Krieg gegen den Terror“ in Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und dem Tschad. Auch Kohler erkennt: „Der Terrorangriff auf Paris ist eine Quittung dafür nach Art des IS“. Hieraus aber zugleich einen Anlass zum Bündnisfall der NATO zu machen (wie es die Türkei schon zuvor mit ihren Angriffen auf syrisches Territorium erprobte) würde die NATO auch formal zum offensiven Kriegsbündnis machen und damit zu einer offen völkerrechtswidrigen Organisation, die den Weltfrieden gefährdet.
Dass dies de facto längst zutrifft und nicht nur die Bevölkerungen in den angegriffenen Staaten, sondern eben auch innerhalb der NATO bedroht, haben die sozialen Bewegungen bereits erkannt. Attac Frankreich etwa stellt, nachdem die Organisation ihre „volle Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen“ erklärt, zutreffend fest: „Das ist nicht unser Krieg: Nach dem amerikanischen Desaster im Irak und in Afghanistan tragen die aktuellen französischen Interventionen im Irak, Libyen, Syrien, Mali, Tschad, Niger, der Zentralafrikanischen Republik dazu bei, diese Regionen zu destabilisieren und lösen den Abgang von Flüchtlingen und Migranten aus, die gegen die Festung Europa prallen und deren Körper an unsere Küsten stranden. Ungleichheiten und Raubzüge zerreißen die Gesellschaften und bringen sie gegeneinander auf… Wir lehnen eine Gesellschaft der Angst, der Stigmatisierung und der Suche nach Sündenböcken ab. Wir bekräftigen unsere Entschlossenheit, uns weiterhin frei zu bewegen, zu arbeiten, uns zu unterhalten, uns zu treffen und zu kämpfen“ und zwar „gegen den Imperialismus …, gegen den ‚humanitären‘ Imperialismus, gegen den zerstörerischen Produktivismus, für Gesellschaften, in denen Mäßigkeit, Freiheit und Gleichheit herrschen“.
Und während die Regierenden durch Instrumentalisierung der Opfer die Menschen auf die Beschneidung ihrer Rechte und weitere, entgrenzte Kriege einzustimmen versuchen, dürfte diese Analyse in der Bevölkerung tatsächlich – trotz allem durch die Eliten offen geschürten Nationalismus – womöglich weit mehr verfangen. Was die Regierungen und ihre Sprachrohre nämlich letztlich propagieren ist alles andere als eine Veränderung der „Weltlage“, sondern ein immer Mehr am Immergleichen, während sich ihre Interessen und jene der Terroristen zunehmend ähneln: der Inszenierung dieses Immergleichen als „epochaler Kampf“, der nun einmal Opfer verlange. Die Bevölkerungen und sozialen Bewegungen setzen dem zumindest die Hoffnung auf eine tatsächliche Änderung der Weltlage entgegen. Sie sollten sich dabei daran erinnern, wie die spanische Öffentlichkeit auf die Anschläge 2004 in und um Madrid reagierte: Nachdem es bereits zuvor Monate lang Demonstrationen gegen die spanische Beteiligung am Irakkrieg gegeben hatte, wurde nach den Anschlägen die Regierung Aznar abgewählt und die neue Regierung beendete ihre Beteiligung an jenem Krieg, der im Irak die Fundamente des Islamischen Staates schuf.
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