In der hessischen JVA Butzbach kündigen Gefangene unbefristete Proteste ab 1. Dezember an
Deutsche
Gefängnisse seien längst zu »Sonderwirtschaftszonen« mit Billiglöhnen
geworden, kritisiert die Gewerkschaft GG/BO. In der JVA Butzbach könnte
Protest in dieser Sache zum Hungerstreik werden.
Einst wurde die JVA Butzbach wegen ihrer Trainerausbildung für Häftlinge gelobt. Nun droht ein Hungerstreik.
Foto: dpa/F. Rumpenhorst
In
der hessischen Justizvollzugsanstalt (JVA) Butzbach droht ab 1.
Dezember ein unbefristeter Hungerstreik von Gefangenen. Die im
Haftalltag für reguläre Lohnarbeit eingesetzten Gefangenen kritisieren
ihre Arbeitsbedingungen und fordern »Minimalstandards« für Löhne und
soziale Absicherung, bestätigte Oliver Rast, Sprecher der neuen
Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), auf
»nd«-Anfrage.
»Mit unserem ›Hungerschrei‹ wollen wir ein Zeichen setzen«, so Jürgen
Rößner, Sprecher der GG/BO-Sektion Butzbach. »Wir fordern Mindestlohn
und Rentenversicherung für alle gefangenen Arbeiter(innen),
Tariffähigkeit, Abschaffung der Arbeitspflicht, volle
Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern und Solidarität drinnen und
draußen.« Eine Petition mit diesen Forderungen, die »nd« in Kopie
vorliegt, haben »nd«-Recherchen zufolge bereits weit über 100 Gefangene
unterzeichnet. Grundgesetz, Resozialisierungsgrundsatz und Urteile des
Bundesverfassungsgerichts, argumentiert Rößner, sicherten auch
Gefangenen das Recht auf ungehinderte gewerkschaftliche Betätigung zu.
Ein Auslöser des Konflikts in der JVA Butzbach mit ihren rund 500
Gefangenen war dem Vernehmen nach ein Dokument im Zusammenhang mit der
Produktion von Klettergerüsten für Spielplätze durch die gefängniseigene
Schlosserei. Die Häftlinge, sagt GG/BO-Sprecher Rast, hätten die Preise
für die Produkte mit ihren Stundenlöhnen in Höhe von maximal 1,50 Euro
abgeglichen und seien zu der Schlussfolgerung gekommen, dass sie mit
ihrer Arbeit der JVA traumhafte Gewinnmargen bescherten. Entgegen der
politischen Zielsetzung einer Resozialisierung von Gefangenen
»produziert dieses zur Zeit perfide Strafvollzugssystem den Rückfall von
Gefangenen und entlässt sie in die resozialisierte Altersarmut, weil es
sich nicht an seine ureigene Gesetzgebung und Verordnung hält«, beklagt
Rößner.
Butzbach ist kein Einzelfall. Deutsche Gefängnisse, sagt Rast, seien
längst zu »Sonderwirtschaftszonen« mit Billiglöhnen geworden, in denen
teilweise auch private Unternehmen ohne Sozialabgaben produzieren und
ausbeuten ließen.
Für Unmut unter den Gefangenen sorgen auch die Folgen des
Personalabbaus im Strafvollzug. So sind laut Rast vielfach sportliche
Aktivitäten und Ausgänge gestrichen worden. Dies komme einer
Verschärfung der Freiheitsstrafe gleich. Der Bund der
Strafvollzugsbediensteten (BSBD), ein Ableger des Deutschen Beamtenbunds
(DBB), beklagt »Arbeitsunzufriedenheit, Demotivation und zunehmenden
Krankenstand« des vorwiegend beim BSBD organisierten Gefängnispersonals.
»Die Arbeitssituation ist gefährlich und befindet sich in einer totalen
Schräglage«, so die hessische BSBD-Landeschefin Birgit Kannegießer.
Die Butzbacher Gefangenen sind auch deshalb sauer, weil Hessens
Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) bislang nicht auf ein Schreiben
reagierte, das Ende September von der gewählten Interessenvertretung
der Gefangenen verfasst wurde. Die Unterzeichner des Briefes hatten
darin ihre Probleme geschildert, um ein Gespräch gebeten und sich für
Lösungen offen gezeigt. »Es kann nicht sein, dass die Ministerin nicht
auf die Sorgen der Gefangenen reagiert hat und diese nun keine andere
Möglichkeit mehr sehen, als in einen Hungerstreik zu treten«, so die
SPD-Landtagsabgeordneten Heike Hofmann und Lisa Gnadl. Beide forderten
von der Justizministerin Aufklärung über Zustände in Butzbach.
»Nach jahrelanger Arbeit in der JVA muss man am Ende auch
Rentenansprüche haben«, betont auch die LINKE-Abgeordnete Marjana
Schott. »Wenn die Ministerin den Gedanken der Resozialisierung und die
Anliegen der Gefangenen ernst nehmen würde, hätte sie auf den
Gesprächswunsch reagiert.« Dass die Gefangenen nun mit einem
Hungerstreik auf ihre prekäre Lage aufmerksam machen wollten, sei
»erwartbar gewesen«, so Schott.
Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden, nd 23.11.2015
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