Freitag, 13. November 2015

Den Berliner PsychKG-Entwurf mit Vollmacht zu Securitate Terror verwerfen

Am Donnerstag, den 19. November demonstrieren wir von 9.30 bis 10.30 Uhr vor dem Eingang des Berliner Rathauses, Rathausstraße, 10178 Berlin. Die Bezirksbürgermeister kommen um 10 Uhr zum Rat der Bürgermeister zusammen. Wir appelieren an sie:

!

Am 16.10. hatten wir hier über den vierter_Entwurf_PsychKG berichtet, den 3 Tage zuvor der Senat und am 15.10. der Rat der Bürgermeister auf der Tagesordnung hatte. Ebenfalls am 16.10. fragte der Abgeordneten der Piraten, Alexander Spies, den Senat, ob die menschenrechtlichen Vorgaben ausbuchstabiert in der Behindertenrechtskonvention (BRK) in dem Entwurf erfüllt seien. Inzwischen liegt die Antwort vor. Der Senat hat offenbart, dass er die Behindertenrechtskonvention, die Monitoringstelle und den UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen für belanglos hält.
Es läuft auf eine Verachtung der UN und der Menschenrechte hinaus!
Hier sind die Fragen und die Antworten des Senats vom Abgeordnetenhaus im Internet veröffentlicht
Psychiatrische Zwangsmaßnahmen mit Hilfe der vorgeschlagenen PsychKG-Paragraphen zu legalisieren ist ein Affront gegen die BRK und damit gegen die Menschenrechte und sowieso ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Wir rufen auf zu demonstrieren, auf dass diese böse Offensive scheitert und auch dieser 4. PsychKG-Entwurf im Papierkorb entsorgt wird.
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Kurzbericht von der heutigen Demonstration bei der Justizministerkonferenz vor dem Eingang der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin. Bilder der Demonstration hier
Wir demonstrierten zu 2 Themen:
  • Keine Regelung des Berufsbilds von Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuern!
    Keine gesetzliche Festlegung von Eignungskriterien zulassen!
    Unser Flugblatt dazu: Das Recht „Nein“ zu sagen !Punkt 10 der Tagesordnung der Konferenz war:
    Rechtsgrundlage für ärztliche Zwangsmaßnahmen gegenüber Betreuten
  • Weg mit § 63 StGB!
    Als Flugblatt verteilten wir den Brief mit der Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener an das Bundesjustizministerium zum Referentenentwurf der Novelle des § 63 (siehe weiter unten). Da dieser Entwurf nur mit kleinen Änderungen am 4.11. von der Bundesregierung als Gesetzentwurf übernommen wurde und nun dem Bundestag zugeleitet wird, soll also wieder nur der alte Wein in einen neuen Schlauch umgefüllt werden soll. Dagegen steht das Kartell gegen § 63 StGB, das wie wir die ersatzlose Streichung des § 63 fordert.
Die Kampagne Weg mit § 63 hat nicht nur durch diese Allianz von AnwältInnen und Hochschullehrern Unterstützung bekommen, sondern auch durch die großartige Nachricht, dass sich Italien an die Behindertenrechtskonvention hält und dabei ist, alle forensischen Psychiatrie-Gefängnisse aufzulösen!
Darüber berichtet Martin Zinkler in dem Editorial der Recht & Psychiatrie 4/2015, siehe hier, Zitat daraus:
Auch der italienische Gesetzgeber scheint einen Schritt weitergehen und durch eine Strafrechtsreform die Schuldunfähigkeit abschaffen zu wollen.

Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.

An das
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
Mohrenstraße 37
10117 Berlin
Mittwoch 8. Juli 2015
Unsere Stellungnahme zum Referentenentwurf einer Novelle des § 63 StGB

Willkür im Recht – Unrecht !

Sehr geehrter Herr Minister Maas,
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir möchten die Gelegenheit nutzen, um innerhalb der vorgegebenen Frist bis 31.7.2015 unsere Stellungnahme zu dem Entwurf einer Novelle des § 63 StGB ab zu geben.
Wir begründen der Reihe nach, warum wir zentralen Prämissen des § 63, wie dessen in dem Regierungsentwurf vorgeschlagenen Novellierung, widersprechen:
• Es ist eine falsche Behauptung und Täuschung der Öffentlichkeit, das angeblich „zweispurige System unseres Strafrechts“ strafe nur die Schuldfähigen.
Nahezu das Gegenteil ist der Fall – die Schuldunfähigen werden ebenfalls weggesperrt, müssen also die gleiche Grundrechtsverletzung – ihrer Freiheit beraubt zu werden – erdulden, wie die Schuldfähigen, aber diese Strafe wird noch wesentlich verschärft
a) dadurch, dass sie bei Verhängung zeitlich unbegrenzt, also ein Lebenslänglich ist, und
b) solange vollzogen wird, bis der Gefangene seine angebliche „Gefährlichkeit“ widerlegt. Er hat also die Beweislast für „Ungefährlichkeit“, eine mit rechtstaatlichen Vorstellungen unvereinbare Bedingung, da es in einer nichtdeterministischen Welt logisch unmöglich ist, so einen Beweis zu erbringen. Im Resultat ist der Gefangene der Willkür ärztlichen Vermutens und „Gutachtens“ komplett ausgeliefert. Dadurch wird man entmenschlicht, zu etwas Gefährlichen an sich erklärt, die schlimmste Diskriminierung, die einem widerfahren kann. In Deutschland wurde ein „Ewiger Jude“ als gefährlich gewähnt; noch immer wird auf Grundlage des § 63 in den Strafgerichten die Mär von den „Ewig Geisteskranken“ reproduziert. Dabei ist augenfällig, dass durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung am 24. November 1933 (RGBl. I 995) der Maßregelvollzug von den Nazis in das Strafgesetzbuch eingeführt wurde.
Es handelt sich also in dem Sinne um ein „zweispurige System“ des Strafrechts, als dass Schuldfähige nach Regeln bestraft werden (von Resozialisierung ist offenbar gar keine Rede mehr) und die sog. „Schuldunfähigen“ willkürlich, aber auf alle Fälle drakonisch. Zu leugnen, dass der Maßregelvollzug eine Strafe ist, ist in unseren Augen eine Schutzbehauptung zur Vertuschung einer systematischen Beugung der Menschenrechte. Diese Sichtweise wird vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte am 26.1.2009 in einer Erklärung an die Vollversammlung der UN bestätigt, wir zitieren:
47. Im Bereich des Strafrechts erfordert die Anerkennung der Rechtsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen die Abschaffung der Verteidigung auf der Grundlage der Negation strafrechtlicher Verantwortung aufgrund des Vorliegens einer psychischen oder geistigen Behinderung.* Stattdessen müssen behinderungsunabhängige Maßstäbe für das subjektive Element von Straftaten mit der Berücksichtigung der Situation der einzelnen Beschuldigten angewandt werden. Wenn Untersuchungshaft vor oder während des Strafverfahrens in Übereinstimmung mit Artikel 13 des Übereinkommens erforderlich sein sollte, müssen die gesetzlichen Regelungen entsprechend angepasst werden.
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* im Englischen als “insanity defence” bezeichnet.
• Es ist eine falsche Behauptung und Täuschung der Öffentlichkeit, dass nachträglich die Voraussetzung für die Bestrafung mit dem § 63, die Einsicht- und Steuerungsfähigkeit einer Person zur Zeit der Begehung einer Tat, festgestellt werden könne. Die aktuell prominenten Beispielen der reinen Willkür psychiatrischen Diagnonsens (das Rosenhan Experiment, die Gutachterurteile über Anders Behring Breivik, das Lob der Gutachten von Gert Postel durch den Vorsitzenden BGH-Richter Armin Nack, Mollath & Co) sind evident. Im Gegenteil ist vielmehr davon auszugehen, dass es nachträglich gar keine Möglichkeit einer Verifizierbarkeit der Unterstellung von „Schuldunfähigkeit“ gibt, denn es kann aus denselben Gründen das Verschiedenste getan werden, wie aus den verschiedensten Gründen das Gleiche getan werden kann. Es gibt also jenseits einer gewissen Plausibilität keine klare Zuordnung von Gründen zu Verhalten, keine sichere Herleitung von Gedanken aus Taten, genauso wenig wie umgekehrt. Diese Freiheit macht vielmehr den Kern menschlicher Freiheit und Würde aus. Eine rückwärtige Begutachtung von angeblicher „Schuldunfähigkeit“ beruht nur auf Geständniszwang, in Wahrheit ist es ein willkürliches Stochern im Nebel unter Vortäuschung angeblicher „Wissenschaftlichkeit“.
Ein anderes Beispiel bestätigt die praktische Unmöglichkeit solcher Rückwärtsbegutachtungen: Zu Recht kann nahezu kein Testament nach dem Tod des Erblassers noch wegen mangelnder Testierfähigkeit anfochten werden, denn Geisteszustände sind flüchtig, nur aktuell gegeben und plastisch; sie ändern sich oft diskontinuierlich, spontan, in Brüchen. Zwar kann Alkohol- oder Drogenkonsum im Blut gemessen werden, aber der damit verbundene Kontrollverlust kann Schuld nicht negieren, da er von der betroffenen Person ja wissentlich herbeigeführt wurde.
• Es ist eine falsche Behauptung und Täuschung der Öffentlichkeit, es könne eine „Prognose über die Zukunft, was die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit anbelangt“gemacht werden. Sowenig eine Wettervorhersage für mehr als 14 Tage und auch da nur mit abnehmender Wahrscheinlichkeit möglich ist, so wenig sind nichtwillkürliche Prognosen für menschliches Verhalten möglich – z.B. weil für eine solche Prognose wesentliche Gedanken verschwiegen oder sogar falsche vorgetäuscht werden können. Sollen tatsächlich weiter mit diesen willkürlichen Vorhersagen die brutalsten Strafen unserer Rechtsordnung gerechtfertigt werden?
Solche Angst und Furcht verbreitende Schutzhaft charakterisiert den Terror in einem Unrechtsstaat. Ein aktuelles Beispiel dafür ist, wie Schwule z.B. in Russland oder Ägypten verfolgt, als „gefährlich“ gebrandmarkt und präventiv bestraft werden. Mit dem gleichen psychiatrisch „wissenschaftlichen“ Vorwand wurden bis vor 45 Jahren auch bei uns noch Schwule staatlich verfolgt. Das Beispiel zeigt wie willkürlich seit dem 24. November 1933 psychiatrische Verurteilungen zur Verhängung von Schutzhaft sind.
• Es ist eine falsche Behauptung und Täuschung der Öffentlichkeit, dass diese willkürlichen Strafmaßnahmen mit dem „Schutz der Allgemeinheit“ gerechtfertigt werden könnten.
Für den Schutz der Allgemeinheit, der „Gefahrenabwehr“, ist die Polizei zuständig.
Folgt man dem Referentenentwurf, soll nun aber eine viel weitergehende Maßnahme beibehalten werden: Schutzhaft gegen Personen aus der medizinisch/biologistisch bestimmten Gruppe der angeblich oder tatsächlich „psychisch Kranken“. Damit werden diese zu besonders diskriminierten Menschen, die eine Sondergefahr seien, aus der sich deren Sonderpflicht zur Duldung von Schutzhaft ergebe. Dabei gibt es keine Sondergefahr durch angeblich oder tatsächlich „psychisch Kranke“, es gibt nur Gefährdungen bzw. konkret gefährdende Handlungen von Mitmenschen, die zu Interventionen der Polizei führen. Dafür gibt es von Verleumdung, Ruhestörung und Stalking bis zum Besitz gefährlicher Chemikalien, Waffen- oder Tiere für alle Bürger gleich gültige Rechte und Pflichten. Es gibt auch ohne jeden psychiatrischen Diagnonsens keinerlei Lücken im Rechtstaat, die in einem solchen Falle nicht ein rechtstaatlich angemessenes und verhältnismäßiges Verhalten der Polizei allen Bürgern gegenüber gleich ermöglichen würde. Selbst wenn eine bestimmte Gruppe von Menschen weit überproportional strafbare Handlungen begehen sollte, darf es in einem Rechtstaat keine Sonderstrafgesetze geben, die solche Personen zur Gefahr an sich erklärten. Z.B. ist es undenkbar, dass es in den USA eine Sonderstrafgesetzgebung für Afroamerikaner zwischen 15 und 35 Jahren gäbe, nur weil diese weit überproportional in Konflikt mit den Strafgesetzen geraten, also eine „Gefährdung der Allgemeinheit“ als Vorwand statistisch belegbar wäre.
Im Übrigen möchten wir darauf hinweisen, dass folgende wesentliche Fragen bis jetzt unbeantwortet sind:
  • Wo sollen denn diese angeblich „richtig“ urteilenden Gutachter herkommen, wenn ausbildende Gutachterkoryphäen wie z.B. Prof. Kröber ihre Fehlbarkeit bei Gustl Mollath bewiesen haben und reihenweise des schlichten Abschreibens von Vorgutachten überführt sind?
  • Wollen Sie weiter Folter dulden, denn jede psychiatrische Zwangsbehandlung, wie sie auch im Maßregelvollzug regelmäßig praktiziert wird, wird inzwischen auch international als Folter gesehen?
    Siehe Staatenbericht des UN-BRK-Fachausschusses über Deutschland vom 17.4.2015:
Freiheit von Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Artikel 15)
33. Der Ausschuss ist tief besorgt darüber, dass der Vertragsstaat die Verwendung körperlicher Zwangsmaßnahmen und chemischer Freiheitseinschränkungen, die Absonderung/ Isolierung und andere schädliche Praktiken nicht als Folterhandlungen anerkennt. Er ist fernerhin besorgt über die Verwendung körperlicher und chemischer Freiheitseinschränkungen, insbesondere bei Personen mit psychosozialen Behinderungen in Einrichtungen und älteren Menschen in Pflegeheimen.
34. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, a) eine Überprüfung mit dem Ziel der offiziellen Abschaffung aller Praktiken vorzunehmen, die als Folterhandlungen angesehen werden;..
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