Bereits
während des Wahlkampfs vor der Parlamentswahl im Juni 2015 ging der
türkische Militär- und Sicherheitsapparat scharf gegen die neue Partei
der Völker, die HDP, vor. Die HDP ist eine Allianz der kurdischen,
linken, demokratischen und sozialistischen Kräfte in der Türkei. Sie ist
auch ein Resultat der Gezi-Proteste gegen Bodenspekulationen und
Prestigeprojekte in Istanbul vor drei Jahren. Die HDP ist eine linke
Sammlungsbewegung, die das Ziel hatte, bei der Wahl die hohe
Zehn-Prozent-Hürde zu überwinden und als linke Opposition ins türkische
Parlament einzuziehen.
Trotz der Repressionen gegen die neue Partei konnte die HDP auf Anhieb mit 13,1 Prozent gleich 80 Abgeordnete ins Parlament schicken. Die islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung AKP verlor die absolute Mehrheit und war weit von ihrem Ziel entfernt, mit einer Zweidrittelmehrheit die Verfassung für ein Präsidialsystem ändern zu können. Erdoğan und die AKP ließen daraufhin alle Koalitionsgespräche scheitern und setzten Neuwahlen für den 1. November 2015 an.
Den Friedensprozess mit der PKK hatte Erdoğan bereits im Frühjahr 2015 aufgekündigt. Obwohl noch am 28. Februar eine »Deklaration für den Frieden und die Lösung des Kurdenkonfliktes« unterzeichnet worden war, sah sich Erdoğan kurze Zeit später nicht mehr daran gebunden. Er erklärte, es gäbe keine Benachteiligung der Kurdinnen und Kurden und folglich auch kein Kurdenproblem in der Türkei.
Die türkische Regierung setzte bei den Auseinandersetzungen in Syrien auf die bewaffnete syrische Opposition und zumindest indirekt auf den IS. Nachweislich wurden die Grenzen immer wieder für Waffen und Kämpfer des IS offen gehalten. Geschlossen wurde die Grenze für Flüchtlinge aus Rojava und Kobani und auch für Kämpferinnen und Kämpfer, die die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die kurdischen Milizen (YPG) im Kampf gegen den IS unterstützen wollten. Die Türkei erklärte neben der PKK auch die syrischen Selbstverteidigungskräfte PYD zur Terrororganisation und beschuldigte die Kurdinnen und Kurden und die PKK, den Friedensprozess sabotiert zu haben.
In der türkischen Stadt Suruç in der Nähe der Grenze zu Kobanê, gab es am 20. Juli 2015 bei einer Versammlung von Jugendlichen einen Anschlag mit 32 Toten. Die Jugendlichen hatten sich auf den Weg zum Wiederaufbau der zerstörten Stadt Kobanê machen wollen. Für den Anschlag machte die türkische Regierung die PKK verantwortlich. Es kam nun endgültig zur gegenseitigen Aufkündigung des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terror gehen türkische Sicherheitskräfte seitdem massiv gegen die kurdische Bevölkerung im Südosten der Türkei vor.
Der Anschlag auf eine Friedensdemonstration in Ankara am 10. Oktober 2015 mit über 100 Toten hat die Eskalation der Konflikte in der Türkei ins Licht der internationalen Öffentlichkeit gezerrt. Die Bomben explodierten, während sich Menschen aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, linken und demokratischen Gruppen versammelten. Die Demonstration sollte zu friedlicher Konfliktlösung aufrufen! Der türkische Friedensblock hatte die Demonstration in Ankara organisiert, um eine klare Botschaft an alle Konfliktparteien zu senden: »verhandeln statt schießen«. Der Attentäter war den türkischen Sicherheitsbehörden vermutlich bekannt, nichts deutet darauf hin, dass sie nur im Ansatz versucht hätten, diesen Anschlag zu verhindern. Sie gingen im Gegenteil massiv gegen alle Solidaritätsaktionen und Demonstrationen nach dem Anschlag vor.
Das Wahlergebnis vom 1. November 2015 zeigt die Polarisierung in der türkischen Gesellschaft. Trotz Wahlkampfunterstützung durch Bundeskanzlerin Merkel und die Europäische Union hat die Politik der Angst nur zum Teil funktioniert. Einerseits ist die AKP wieder stärkste Partei im Parlament. Nachdem sie im Juni nur 41 Prozent der Stimmen erhalten hatte, kam sie nun wieder auf 49,2 Prozent. Allerdings erreichte sie weiterhin nicht ihr Ziel einer Zweidrittelmehrheit. Die HDP konnte erneut die Zehn-Prozent-Hürde überwinden und mit 10,7 Prozent wieder ins Parlament einziehen. Und das obwohl sie aufgrund des permanenten Ausnahme- und Kriegszustandes keinen normalen Wahlkampf führen konnte.
Nach der Wahl setzte die türkische Regierung den Krieg gegen die eigene Bevölkerung fort. Am 28. November 2015 wurde Tahi Elci, der Präsident der Anwaltskammer in Diyarbakır getötet. Der Anschlag erfolgte nach einer Pressekonferenz, in der der Anwalt die Einstellung der bewaffneten Auseinandersetzungen gefordert hatte: »Wir möchten hier keinen Krieg, keine Auseinandersetzungen mit Waffen haben.« Außerdem hatte er sich für den Erhalt der Altstadt von Diyarbakır eingesetzt. Nach dem Anschlag verhängte die Regierung eine Ausgangssperre über die Altstadt, Polizei und Staatsanwaltschaft nahmen aber keine Ermittlungen auf.
Die türkische Regierung setzt ihre Bestrafungsaktionen gegen die kurdischen Städte im Südosten der Türkei fort, in denen die HDP trotz allen Terrors auch bei der Wahl am 1. November 2015 erneut hohe Ergebnisse von 80 bis 90 Prozent erzielte. Seit dem 11. Dezember 2015 erreichten die ohne gesetzliche Grundlage verhängten Ausgangssperren eine neue Dimension.
Ein wichtiges Hoffnungszeichen für linke Mobilisierung war der Mitte Januar 2016 veröffentlichte Friedensappell, unterzeichnet von 1.128 Akademiker*innen aus 90 türkischen Universitäten. Darin heißt es: »Wir, die Akademiker/innen und Wissenschaftler/innen dieses Landes werden nicht Teil dieses Verbrechens sein! … Wir fordern den Staat auf, diese Vernichtungs- und Vertreibungspolitik gegenüber der gesamten Bevölkerung der Region… sofort einzustellen.« Doch auch auf diesen Appell antwortete der Staat mit Repression. Es wurden Ermittlungsverfahren wegen »Terrorpropaganda« gegen die Wissenschaftler*innen eingeleitet und Hausdurchsuchungen durchgeführt. Universitäten leiteten Disziplinarmaßnahmen gegen die Unterzeichner*innen ein. 27 Hochschulangehörige wurden festgenommen. Es gab auch eine breite internationale Solidaritätswelle zur Unterstützung des Friedensappells, für ein Ende der Gewalt in der Türkei.
Staatspräsident Erdoğan strebt nach wie vor ein Präsidialsystem an, um seine Macht zu untermauern und zu sichern. Kritische Journalisten und Akademiker*innen und viele andere sind in Haft oder werden mit Verfahren wegen Beleidigung des Präsidenten belegt. Der Rechtsstaat ist in der Türkei ausgehebelt.
Inzwischen hat sich die Situation weiter verschärft. Der Preis für die Festung Europa, für die Abschottung Europas gegen Flüchtlinge, ist ein hoher. Er wird bezahlt mit der Demokratie in der Türkei, mit den Rechten der Flüchtlinge und der Zukunft der Kurd*innen.
Trotz der Repressionen gegen die neue Partei konnte die HDP auf Anhieb mit 13,1 Prozent gleich 80 Abgeordnete ins Parlament schicken. Die islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung AKP verlor die absolute Mehrheit und war weit von ihrem Ziel entfernt, mit einer Zweidrittelmehrheit die Verfassung für ein Präsidialsystem ändern zu können. Erdoğan und die AKP ließen daraufhin alle Koalitionsgespräche scheitern und setzten Neuwahlen für den 1. November 2015 an.
Den Friedensprozess mit der PKK hatte Erdoğan bereits im Frühjahr 2015 aufgekündigt. Obwohl noch am 28. Februar eine »Deklaration für den Frieden und die Lösung des Kurdenkonfliktes« unterzeichnet worden war, sah sich Erdoğan kurze Zeit später nicht mehr daran gebunden. Er erklärte, es gäbe keine Benachteiligung der Kurdinnen und Kurden und folglich auch kein Kurdenproblem in der Türkei.
Die türkische Regierung setzte bei den Auseinandersetzungen in Syrien auf die bewaffnete syrische Opposition und zumindest indirekt auf den IS. Nachweislich wurden die Grenzen immer wieder für Waffen und Kämpfer des IS offen gehalten. Geschlossen wurde die Grenze für Flüchtlinge aus Rojava und Kobani und auch für Kämpferinnen und Kämpfer, die die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die kurdischen Milizen (YPG) im Kampf gegen den IS unterstützen wollten. Die Türkei erklärte neben der PKK auch die syrischen Selbstverteidigungskräfte PYD zur Terrororganisation und beschuldigte die Kurdinnen und Kurden und die PKK, den Friedensprozess sabotiert zu haben.
In der türkischen Stadt Suruç in der Nähe der Grenze zu Kobanê, gab es am 20. Juli 2015 bei einer Versammlung von Jugendlichen einen Anschlag mit 32 Toten. Die Jugendlichen hatten sich auf den Weg zum Wiederaufbau der zerstörten Stadt Kobanê machen wollen. Für den Anschlag machte die türkische Regierung die PKK verantwortlich. Es kam nun endgültig zur gegenseitigen Aufkündigung des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terror gehen türkische Sicherheitskräfte seitdem massiv gegen die kurdische Bevölkerung im Südosten der Türkei vor.
Der Anschlag auf eine Friedensdemonstration in Ankara am 10. Oktober 2015 mit über 100 Toten hat die Eskalation der Konflikte in der Türkei ins Licht der internationalen Öffentlichkeit gezerrt. Die Bomben explodierten, während sich Menschen aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, linken und demokratischen Gruppen versammelten. Die Demonstration sollte zu friedlicher Konfliktlösung aufrufen! Der türkische Friedensblock hatte die Demonstration in Ankara organisiert, um eine klare Botschaft an alle Konfliktparteien zu senden: »verhandeln statt schießen«. Der Attentäter war den türkischen Sicherheitsbehörden vermutlich bekannt, nichts deutet darauf hin, dass sie nur im Ansatz versucht hätten, diesen Anschlag zu verhindern. Sie gingen im Gegenteil massiv gegen alle Solidaritätsaktionen und Demonstrationen nach dem Anschlag vor.
Das Wahlergebnis vom 1. November 2015 zeigt die Polarisierung in der türkischen Gesellschaft. Trotz Wahlkampfunterstützung durch Bundeskanzlerin Merkel und die Europäische Union hat die Politik der Angst nur zum Teil funktioniert. Einerseits ist die AKP wieder stärkste Partei im Parlament. Nachdem sie im Juni nur 41 Prozent der Stimmen erhalten hatte, kam sie nun wieder auf 49,2 Prozent. Allerdings erreichte sie weiterhin nicht ihr Ziel einer Zweidrittelmehrheit. Die HDP konnte erneut die Zehn-Prozent-Hürde überwinden und mit 10,7 Prozent wieder ins Parlament einziehen. Und das obwohl sie aufgrund des permanenten Ausnahme- und Kriegszustandes keinen normalen Wahlkampf führen konnte.
Nach der Wahl setzte die türkische Regierung den Krieg gegen die eigene Bevölkerung fort. Am 28. November 2015 wurde Tahi Elci, der Präsident der Anwaltskammer in Diyarbakır getötet. Der Anschlag erfolgte nach einer Pressekonferenz, in der der Anwalt die Einstellung der bewaffneten Auseinandersetzungen gefordert hatte: »Wir möchten hier keinen Krieg, keine Auseinandersetzungen mit Waffen haben.« Außerdem hatte er sich für den Erhalt der Altstadt von Diyarbakır eingesetzt. Nach dem Anschlag verhängte die Regierung eine Ausgangssperre über die Altstadt, Polizei und Staatsanwaltschaft nahmen aber keine Ermittlungen auf.
Die türkische Regierung setzt ihre Bestrafungsaktionen gegen die kurdischen Städte im Südosten der Türkei fort, in denen die HDP trotz allen Terrors auch bei der Wahl am 1. November 2015 erneut hohe Ergebnisse von 80 bis 90 Prozent erzielte. Seit dem 11. Dezember 2015 erreichten die ohne gesetzliche Grundlage verhängten Ausgangssperren eine neue Dimension.
Ein wichtiges Hoffnungszeichen für linke Mobilisierung war der Mitte Januar 2016 veröffentlichte Friedensappell, unterzeichnet von 1.128 Akademiker*innen aus 90 türkischen Universitäten. Darin heißt es: »Wir, die Akademiker/innen und Wissenschaftler/innen dieses Landes werden nicht Teil dieses Verbrechens sein! … Wir fordern den Staat auf, diese Vernichtungs- und Vertreibungspolitik gegenüber der gesamten Bevölkerung der Region… sofort einzustellen.« Doch auch auf diesen Appell antwortete der Staat mit Repression. Es wurden Ermittlungsverfahren wegen »Terrorpropaganda« gegen die Wissenschaftler*innen eingeleitet und Hausdurchsuchungen durchgeführt. Universitäten leiteten Disziplinarmaßnahmen gegen die Unterzeichner*innen ein. 27 Hochschulangehörige wurden festgenommen. Es gab auch eine breite internationale Solidaritätswelle zur Unterstützung des Friedensappells, für ein Ende der Gewalt in der Türkei.
Staatspräsident Erdoğan strebt nach wie vor ein Präsidialsystem an, um seine Macht zu untermauern und zu sichern. Kritische Journalisten und Akademiker*innen und viele andere sind in Haft oder werden mit Verfahren wegen Beleidigung des Präsidenten belegt. Der Rechtsstaat ist in der Türkei ausgehebelt.
Inzwischen hat sich die Situation weiter verschärft. Der Preis für die Festung Europa, für die Abschottung Europas gegen Flüchtlinge, ist ein hoher. Er wird bezahlt mit der Demokratie in der Türkei, mit den Rechten der Flüchtlinge und der Zukunft der Kurd*innen.
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