Interview mit dem Terror-Experten Peter Neumann
Der
"Islamische Staat" beherrscht die Schlagzeilen im syrischen
Bürgerkrieg. Zu Unrecht, sagt Terrorexperte Peter Neumann: Der Kampf
gegen Al-Qaida dürfte den Westen noch vor Herausforderungen stellen,
warnt er.
von Christian Böhme
Herr Neumann, laut Geheimdienstinformationen sind einige
Dutzend altgedienter Al-Qaida-Kämpfer nach Syrien entsandt worden. Was
zieht die Top-Terroristen vom Hindukusch ans Mittelmeer?Der Schwerpunkt der globalen dschihadistischen Bewegung hat sich ganz klar verschoben – von den Stammesgebieten in Pakistan in Richtung Levante und vor allem Syrien. Das liegt sicherlich an den Aktivitäten des „Islamischen Staats“, der dort ein großes Territorium kontrolliert. Aber auch die Nusra-Front, eine Filiale der Terrororganisation Al Qaida, hat in dem Bürgerkriegsland eine starke, stabile Präsenz aufgebaut. Übrigens: Schon in den vergangenen Jahren sollen sich Al- Qaida-Kader nach Syrien begeben haben.
Will Al Qaida damit dem „Islamischen Staat“ Konkurrenz machen?
Es ist ganz klar, dass es eine starke Konkurrenzsituation gibt. Die strategischen Ansätze der beiden Extremisten-Gruppen sind auch ganz unterschiedlich. Der „Islamische Staat“ hat von Anfang an auf territoriale Expansion gesetzt. Dazu passt die Ausrufung des Kalifats Mitte 2014. Al Qaida allerdings war immer dagegen. Ihr Argument lautete: Um ein Kalifat zu propagieren, braucht es große Stabilität. Es könne nicht sein, dass das Projekt nach zwei Jahren scheitert. Das würde der Glaubwürdigkeit sehr schaden. Inwiefern?
Al Qaidas legendärer Chef Osama bin Laden hat das zum einen damit begründet, dass man mit einem Kalifat für die Feinde ein Ziel schaffe, sich also verwundbar mache. Zum anderen werde der eigene Anspruch infrage gestellt, sollte das Kalifat gleich wieder zerstört werden. Im Prinzip hat Al Qaida aus den Niederlagen im Irak die Lehre gezogen, in Syrien vorsichtiger zu agieren.
Das heißt?
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Man trat nicht so offen aggressiv auf wie der „Islamische Staat“. Al Qaida setzte vielmehr auf Kooperation, arbeitete mit anderen Gruppen zusammen – sogar wenn die Ideologie nicht hundertprozentig übereinstimmte. So sollte die Bevölkerung gewonnen werden. Die Führung von Al Qaida scheint nun der Auffassung zu sein, dass man tief genug verankert ist, um zumindest so etwas wie ein Emirat, eine Provinz, auszurufen.
Könnten Al Qaida und die Nusra-Front von der Ausrufung eines Emirats ideologisch und propagandistisch profitieren?
Gut möglich. Überzeugten Dschihadisten würde signalisiert werden, dass eine Alternative zum „Islamischen Staat“ existiert. Nach dem Motto: Al Qaida gibt es noch, die Gruppe ist erfolgreich und hat etwas aufgebaut. Man könnte somit der Kritik begegnen, der IS expandiere, Al Qaida als Organisation der Väter und Großväter dagegen bleibe untätig. Die Botschaft würde außerdem lauten, dass Al Qaida eine Alternative für „moderate“ Dschihadisten ist, denen die IS-Terrormiliz zu radikal auftritt.
Ist dennoch eine Kooperation von Al Qaida und „Islamischen Staat“ denkbar?
Mit den derzeitigen Führungen beider Organisationen ist das ausgeschlossen. Es gibt ohnehin nur zwei Szenarien, die einen Zusammenschluss vorstellbar machen könnten: Der „Islamische Staat“ schließt sich Al Qaida wieder an. Das geht aber nicht, weil er ja das Kalifat ausgerufen hat.
Und die andere Möglichkeit?
Die lautet, Al Qaida ordnet sich dem IS unter. Was auch nicht vorstellbar ist. Denn das wäre eine Erniedrigung für Al Qaidas Führung. Und nicht zu vergessen: Als sich der IS abspaltete, ist sehr viel Blut geflossen. Versöhnung kommt daher nicht infrage.
Spielt bei Al Qaidas Entscheidung, hochrangige Veteranen nach Syrien zu schicken, auch die geografische Nähe zu Israel eine Rolle?
Ganz sicher. Wer überzeugter Dschihadist ist, für den bedeutet Syrien und der Irak mit ihrer Nähe zu heiligen Orten wie Jerusalem, Mekka und Medina etwas ganz Besonderes. Das Weltreich des Islam wird nicht vom Hindukusch aus neu gegründet, sondern dort, wo es historisch schon einmal existierte. Das macht für „Gotteskrieger“ Syriens heutige Bedeutung aus.
Das zerfallende Bürgerkriegsland Syrien als Aufmarschgebiet für Terroristen – kann der Westen dem etwas entgegensetzen?
Da ist schon einiges passiert. Der IS expandiert nicht mehr, die Zahl der ausländischen Kämpfer ist deutlich zurückgegangen. Das bedeutet allerdings keineswegs, dass die Gefahr vorbei ist. Die Folgen eines zusammenbrechenden Syriens werden uns noch sehr lange beschäftigen. Zumal es für den Westen schwieriger sein wird, gegen Al Qaida und die Nusra-Front vorzugehen als gegen den „Islamischen Staat“.
Warum?
Der Islamische Staat ist bei allen verhasst, er hat keine Freunde – außer sich selbst. Al Nusra dagegen hat sorgfältig Allianzen aufgebaut. Es gibt viele salafistische Rebellengruppen, die gute Beziehungen zur Al-Nusra-Front haben. Wenn der Westen nun den Al-Qaida-Ableger bombardiert, dürfte das bei einigen Aufständischen Widerstand auslösen. In Syrien ist die Reputation der Nusra-Front eben deutlich besser als die des Islamischen Staates. Deren Kämpfer gelten als religiös, weniger arrogant. Und sie gehen effektiv gegen Machthaber Baschar al Assad vor. Dafür sind gerade die sunnitischen Syrer dankbar.
Peter Neumann (41) gilt als einer führenden Terrorismus-Experten. Der Politikwissenschaftler leitet das Internationale Zentrum für Studien zur Radikalisierung am King's College in London.
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