Orbán errang einmal mehr die Aufmerksamkeit der internationalen Medien mit einer Rede bei einer "Konferenz von Intellektuellen" - so die Qualifizierung der amtlichen Nachrichtenagentur MTI, vergangenen Freitag in Budapest. Dort fasste er im Stile eines Verschwörungstheoretikers zusammen, wer Schuld an der Flüchtlingskrise trage. Pegida und andere Rassisten und Rechtsextreme wissen nun erstmals einen europäischen Regierungschef auf ihrer Seite.
Die Aussagen sind nicht neu, ganz im Gegenteil, alle Aspekte tauchten in den vergangenen Monaten immer wieder auf, zumal die "fremden Mächte und Interessen" ohnehin eine zentrale Rolle beim Mythos des ungarischen Opfers eines immerwährenden nationalen Befreiungskampfes spielen. Zunächst - und zwar schon seit den Anschlägen in Paris im Januar - hatte sich Orbán aber immer wieder mit kriminalisierenden Beleidgungen vor allem den Flüchtlingen selbst gewidmet, auch das eine Parallele zu den rechtsextremen Bewegungen in Westeuropa, durch einen EVP-Politiker! Mit Beginn der Zaunbauten verschärfte Orbán nicht nur die Rhetorik sondern schuf mit Sonder- und Notstandsgesetzen auch eine offen diskriminierende Praxis.
Orbáns Aussagen am Samstag zusammengefasst lauteten: Europa läuft Gefahr "übernommen" zu werden, was "die Träume einer handvoll gut betuchter Aktivistenführer" erfülle, "die niemand gewählt hat und die glauben, über den Staaten zu stehen." Es sei dabei nicht "ohne Berechtigung, an die Soros-Stiftungen zu denken." Der Finanzinvestor George Soros (ungarisch-jüdische Wurzeln) sei die zentrale Figur bei der Umsetzung. Damit spielt Orbán nicht nur unmissverständlich die antisemitische Karte, sondern warnt auch die NGO´s, viele von ihnen u.a. von Soros` Open Society Foundation mitfinanziert, die in Ungarn eine ganz ähnliche Behandlung erfahren wie in Putins Russland und als "Agenten fremder Mächte" qualifiziert und behandelt werden, unter Einsatz und Missbrauch aller staatlichen Gewalten. Orbán genoss einst übrigens selbst ein Soros-Stipendium...
Man könne den maßgeblichen europäischen Playern gar keine Inkompetenz beim Umgang mit der Flüchtlingskrise unterstellen, vielmehr handele es sich um die planmäßige Umsetzung einer "linksintellktuellen Konstruktion", deren Ziel es sei, die Nationalstaaten aufzulösen oder zu schwächen. "Diese Konspiration, diesen Verrat, mit dem wir konfrontiert sind, müssen wir bekämpfen, dazu müssen wir uns an die Demokratie, an das Volk wenden." Man wolle Europa den Völkern wegnehmen. Indirekt unterstellte er bei einer nachfolgenden Rede am Wochenende auch Angela Merkel, fremdgesteuert zu sein.
Orbán bedient damit - kaum noch verklausuliert - die von Neonazis lancierte und von zahllosen "Besorgten" übernommene Theorie, wonach das "Finanzjudentum" die Weltherrschaft erringen bzw. sicherstellen will, in dem es die Völker durch Umvolkung ihrer Identitäten beraubt, um sie so besser knechten zu können. Die Flüchtlingswelle wird bewusst provoziert und nach Europa gelenkt, um dort eine Art Umvolkung vorzunehmen, damit bürgerliche Emanzipation zu schwächen und willige Arbeitssklaven zu schaffen. Sein "Aufruf an das Volk" ist indes nichts anderes als die Umsturzaufrufe von Pegida und anderen Nazigruppen, allerdings getätigt durch einen Regierungschef eines EU-Landes.
Die internationale Presse nahm Orbáns Bekenntnis, Teil des Netzwerkes von Verschwörungstheoretikern zu sein, zur Kenntnis. Die ungarische Opposition, zumindest ihr demokratischer Teil, spricht von billigen, populistischen Lügen und Unsinn. Er sei der letzte, der hinsichtlich der Flüchtlingsprobleme irgendetwas gelöst habe, er habe die Lasten und Verantwortlichkeiten der Krise einfach auf die Nachbarn abgeschoben und betreibe eine inhumane, unrechtstaatliche Politik. Nur die Rückkehr an den Brüsseler Verhandlungstisch, eine gerechte Verteilung der Lasten und eine angemessene Flüchtlingspolitik könnten hier helfen. Orbán selbst habe ein Flüchtlingsproblem geschaffen, denn Hunderttausende Ungarn haben wegen der Not im Lande und seiner kleptokratischen, antisozialen Politik das Land als "Wirtschaftsflüchtlinge" verlassen. Die neonazistische Jobbik sieht in Orbán zwar einen Politiker, der einiges richtig gemacht habe, aber dennoch Teil des Mainstreams sei. Anstatt mit "Europa" zu verhandeln, solle er ein Referendum einfordern, besser aber noch, 2018 Platz für die wahren Beschützer des Ungarntums - Jobbik also - Platz machen.
Ungarns Regierung sieht sich, laut Orbán, mittlerweile "in einer anderen Zeitrechnung", denn man habe das Flüchtlingsproblem schon gelöst (durch Grenzzäune). Nun ginge es darum, durch weitere Bollwerke auch die Grenzen ganz Europas vor der "Invasion der Moslems" zu schützen, notfalls auch mit militärischer Gewalt. Konkret beharrt man auf dem Aufbau einer multinationalen Grenzarmee an der griechischen EU-Außengrenze.
red.
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