Hunger und Suizidwelle: Dürre und Rekordhitze auf dem Subkontinent verschärfen wirtschaftliche Not von Millionen kleiner Bauern weiter
Von Thomas Berger
Es fehlt das Wasser: Flussbett im indischen Unionsstaat Maharashtra am 10. Mai
Foto: AP Photo/Manish Swarup
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Seit März, April herrscht in mehr als einem Drittel des Landes der Notstand in Form extremer Dürre und Rekordtemperaturen. Die Hitzewelle, die das um diese Zeit übliche Maß weit übertraf, sorgte landesweit für mehr als 300 offiziell anerkannte Todesfälle, die meisten davon im jüngsten Unionsstaat Telangana, im Südosten des Landes. Mancherorts kletterte das Thermometer schon in der ersten Maihälfte auf 47 Grad im Schatten, zuletzt wurde im nordwestlichen Unionsstaat Rajasthan mit über 51 Grad ein weiterer Rekordwert gemessen. In den ersten vier Monaten hat es zudem über 20.000 Waldbrände gegeben. Das waren mehr als im gesamten Jahr 2014 und schon über 5.000 mehr, als 2015 registriert wurden, teilten die Behörden Anfang Mai mit.
330 Millionen Bürger, rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung, haben in zehn Unionsstaaten vom mittleren Norden bis in den Süden besonders gelitten. Nicht nur die Grundversorgung vieler Dörfer, die teilweise über keinen einzigen wasserführenden Brunnen mehr verfügen, ist nach wie vor ein Problem. Auch die Wirtschaft wurde durch Hitze und Dürre schwer beeinträchtigt. Vor allem der ohnehin schwer gebeutelte Agrarsektor. Die Landwirtschaft, in der noch immer Millionen Inder beschäftigt sind, und die die Eigenversorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln wie Reis sicherstellen muss, bietet mit verdorrten Feldern und an Wassermangel gestorbenen Tieren vielerorts ein Bild des Schreckens.
Der komplette Ausfall ihrer Ernten läßt die Betroffenen immer weiter in die Verschuldung abrutschen. In Unionsstaaten wie Maharashtra – mit der Wirtschaftsmetropole Mumbai die Region, die am stärksten zum Bruttoinlandsprodukt Indiens beiträgt – ist das seit Jahren ohnehin ein Dauerbrenner. Der diesjährige Monsun könnte für etliche der momentan ums wirtschaftliche Überleben kämpfenden Landwirte zu spät kommen. Dass die oft privaten Geldverleiher mit ihren Wucherzinsen einlenken, ist eher unwahrscheinlich. Es ist also damit zu rechnen, dass die Kleinstbauern wie schon in der Vergangenheit keinen Ausweg aus ihrer Situation mehr sehen. Für die kommenden Monaten wird deshalb eine neue Suizidwelle unter Farmern befürchtet.
Kritiker werfen der Regierung von Premier Narendra Modi, die seit zwei Jahren im Amt ist, eklatantes Versagen vor. Neu-Delhi habe nicht rechtzeitig und angemessen auf die akute Notlage reagiert, wird ihr von verschiedenen Seiten vorgeworfen. Nicht nur die politische Opposition von Linken und Liberalen greift die regierenden Hindunationalisten deswegen scharf an. Der öffentliche Unmut darüber hat auch andere Gruppen erfasst. Bereits im April hatten rund 150 Akademiker und Aktivisten einen offenen Brief an Modi verfasst. Zu dessen Erstunterzeichnern zählen die Sozialaktivistinnen Medha Patkar und Aruna Roy, die Schriftstellerin (»Der Gott der kleinen Dinge«) Arundhati Roy, die kommunistische Spitzenpolitikerin und Frauenrechtsaktivistin Brinda Karat, der frühere Marine-Stabschef Admiral Laxminarayan Ramdas sowie führende Autoren, Filmemacher, Schauspielerinnen Wirtschaftswissenschaftler und Juristen.
Die Regierung versage vor allem in Sachen Nahrungsmittelversorgung benachteiligter Bevölkerungsgruppen, heißt es in dem Schreiben. Während dabei mangelnde aktuelle Maßnahmen im Zentrum der Kritik stehen, schauen Experten und einzelne Verbände schon weiter voraus. Denn mit den absehbaren Ernteausfällen droht der Marktlogik zufolge bei vielen landwirtschaftlichen Produkten eine Verknappung des Angebot. Preise werden ansteigen und für Millionen Inder Nahrungsmittel unerschwinglich machen. Und das wird nicht nur die Ärmsten der Armen treffen, die ohnehin auf die kargen staatlichen Sonderzuteilungen pro Monat zu stark verbilligten Konditionen angewiesen sind. Millionen weitere Menschen sind von Mangelernährung und Hunger bedroht.
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