Angeblich will die Bundesregierung mit ihrer Hartz-IV-Reform Klarheit für Bezieher schaffen. Leichter wird aber das Kürzen und Streichen
Von Susan Bonath Vier Jahre hat die Bundesregierung an der neunten Änderung des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II) unter dem Titel »Rechtsvereinfachungen« gebastelt. Geplant ist die Verabschiedung nun für den 1. August, noch vor der Sommerpause will das Kabinett seinen Gesetzentwurf durch das Parlament bringen. Ein letztes Mal werden dazu am Montag Sachverständige unterschiedlicher Interessengruppen im Ausschuss für Arbeit und Soziales gehört. Das Urteil der Sozialverbände und -experten fiel zuletzt vernichtend aus: Die Situation für Betroffene werde durch die Regelungen weiter verschärft. Doch die Organisationen wurden bislang ebensowenig erhört wie die Opposition.Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), die Bundesagentur für Arbeit (BA), der Deutsche Landkreistag und der Städtetag werden der Regierung am Montag den Rücken stärken. Außerdem sind je ein Vertreter der »Salesianer Don Boscos«, einer katholischen Ordensgemeinschaft, des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), der Arbeiterwohlfahrt und der Caritas geladen. Hinzu kommen drei Einzelsachverständige: Sozialwissenschaftler Stefan Sell, Sozialrechtsreferent Frank Jäger und Uwe Hilgendag, »Streitschlichter« im Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg.Hauptkritikpunkt der Sozialverbände bleiben die vorgesehenen Regelungen zum Sanktionsrecht. Angedacht sind etwa verschärfte Repressionen gegen 15- bis 24jährige. Bereits wegen einer abgebrochenen Maßnahme oder zu wenig nachgewiesenen Bewerbungen kann demnach der Regelsatz für drei Monate gestrichen werden, beim zweiten »Vergehen« auch der Mietzuschuss. Das bezeichneten die Verbände einhellig als kontraproduktiv. Die Verschärfung würde den Weg in die Obdachlosigkeit bereiten. Eigentlich hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hier nachbessern wollen, doch diesen Plan ließ sie nach einem Veto der CSU fallen. Einzige vorgesehene Änderung: Über 25jährigen sollen Jobcenter künftig 30 Prozent je »Pflichtverletzung« vom Regelsatz kürzen dürfen. Bisher fielen beim ersten Verstoß 30, beim zweiten 60 Prozent und beim dritten die gesamte Leistung einschließlich Miete weg.
Auf der letzten Beratung am 15. April warf die Linke-Vorsitzende Katja Kipping der Bundesarbeitsministerin deshalb vor, weiter auf dem Rücken von Erwerbslosen zu sparen. Auch der Grünen-Politiker Wolfgang Strengmann-Kuhn forderte die Aussetzung der Sanktionen. Den Entwurf nannte er ein »Bündel bürokratischen Kleinkrams«.
In der Tat hält die avisierte Reform etliche neue Tücken für Leistungsberechtigte parat. Eine davon ist die von Kipping als »zweites Repressionsinstrument« bezeichnete »Ausweitung der Ersatzpflichtigkeit bei sozialwidrigem Verhalten«. Jobcenter sollen Klienten bis zu vier Jahre lang die Leistung kürzen oder streichen dürfen, wenn sie ihnen unterstellen, eine Kündigung oder Nichteinstellung selbst verursacht zu haben. Sie dürften also Geld »zurückfordern«, das Betroffene hätten verdienen können, aber nicht verdient haben.
Zweitens will die Regierung bei Alleinerziehenden kürzen: So sollen Alleinerziehenden bei der Berechnung des Kinderregelsatzes die Tage abgezogen werden, die der Nachwuchs beim anderen Elternteil verbringt. Studien zufolge sind 40 Prozent der Alleinerziehenden auf Hartz IV angewiesen. Linkspartei, Deutscher Juristinnenbund (DJB) und der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) kritisieren das Vorhaben.
Drittens sollen Umzüge eingeschränkt werden: Hat das Jobcenter die neue Wohnung nicht »genehmigt«, müsste es die Miete nicht voll anerkennen, auch wenn sie unter die »Angemessenheitsgrenze« fällt.
Viertens will man Hartz-IV-Beziehern das Vorgehen gegen amtliche Rechtsbrüche erschweren: Berufen sich Widersprechende auf ein höchstrichterliches Urteil, müssten Jobcenter danach rechtswidrige Bescheide nicht mehr rückwirkend, sondern erst ab dem Urteilsspruch revidieren. Sozialexperte Sell nannte dies vergangene Woche in der ARD-Sendung »Report Mainz« eine »unglaubliche Schweinerei«.
Fünftens soll die Überwachung ausgebaut werden: Mit monatlichen »automatischen Datenabgleichen« will die Regierung noch »effektiver Leistungsmissbrauch aufdecken«. Überwacht werden sollen auch Familienmitglieder von Hartz-IV-Beziehern.
Sechstens wurde eine vom Bundesrat geforderte Verbesserung für Ehrenamtliche verworfen: Weiterhin sollen Aufwandspauschalen oberhalb eines Betrages von 200 Euro auf die Bezüge angerechnet werden.
Und siebtens soll die Zwangsverrentung zum 63. Geburtstag künftig noch mit harten Sanktionen durchgesetzt werden: Das Amt zahlt keine Grundsicherung mehr, bis der Betroffene »einwilligt«. Die Folge sind lebenslange Rentenabschläge von bis zu 14,4 Prozent.
Die große Koalition wird indes nicht müde, die Reform als Vereinfachung zu preisen. Hauptsächlich führt sie hierzu die Verlängerung des Bewilligungszeitraums an. Das entpuppte sich inzwischen als Farce. Wie die Bundesregierung selbst im März in einer Antwort auf eine Grünen-Anfrage feststellte, werden schon jetzt 41 Prozent der Bescheide für ein Jahr ausgestellt. Diejenigen, auf die das jetzt nicht zutrifft, werden auch nach der Reform nicht davon profitieren. Denn Aufstocker mit unregelmäßigen Einkünften bleiben weiter ausgenommen. Zwei Verbesserungen soll es aber geben: Künftig darf der Regelsatz von den Gläubigern nicht mehr gepfändet werden, und Jugendliche in Ausbildung dürfen aufstocken.
Kommentar: Verpflichtet
Hartz-IV-Bezieher, Asylsuchende, Migranten: Sie alle haben es auf die »soziale Hängematte« abgesehen. Nur mit dem »Prinzip des Forderns« kann man dagegenhalten. So klingt die neoliberale Mär vom »faulen Grippel«, wie der CSU-Politiker Stephan Stracke einmal jene nannte, von denen er glaubt, sie wollten nicht arbeiten. Die »Flüchtlingsdebatte« und die geplante Hartz-IV-Reform haben dieses Gerede wieder befeuert. So rechtfertigen Unions- und SPD-Politiker den weiteren Ausbau der Überwachung von Erwerbslosen und Aufstockern sowie Sanktionen gegen diese. Klar ist: Auch künftig soll kein Recht auf Existenzsicherung haben, wer sich nicht »regelkonform« verhält.
Die Grundsicherung à la Hartz IV soll eigentlich das Überleben gewährleisten. Doch um sie zu erhalten, werden Bedürftige nicht nur bis auf den Inhalt ihrer Matratze durchleuchtet. Auf sie wartet auch das Zweite Sozialgesetzbuch (SGB II). Im neuen Entwurf desselben reihen sich »Pflichten« aneinander. Sie machen Bedürftigen klar, was »regelkonform« bedeutet. Über allem steht die »Pflicht zur Mitwirkung«. Die gilt nicht nur für Betroffene, sondern für »sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft«. Die Passage könnte auch lauten: Folgt den Anweisungen des Jobcenters gefälligst ohne Widerrede. Weiter besteht die »Pflicht zur Eingliederung in Arbeit«, wobei »grundsätzlich jede Arbeit zumutbar« ist. Dann gibt es noch eine »Ersatzpflicht bei sozialwidrigem Verhalten«, eine »Schadenersatzpflicht beim Abbruch von Maßnahmen«, eine »Verpflichtung zur Überprüfung der Angemessenheit der Unterkunft«, eine »flexibilisierte Bescheinigungspflicht« bei Krankheit sowie eine »Nachholungspflicht bei Pflichtverstößen«.
Egal, ob ein 58jähriger zu wenige Bewerbungen vorlegt, ein 19jähriger ein »Angebot« zum Bundeswehr-Seminar ignoriert oder das Jobcenter einer alleinerziehenden Mutter vorwirft, 100 Euro für ihr Kind angenommen zu haben: Die Sanktion »zur Durchsetzung der Pflichterfüllung« folgt mit Sicherheit. Für Alleinstehende bedeutet das, drei Monate mit 282,80 Euro auskommen zu müssen. Essen, Strom, Fahrkarten: Alles außer der Miete muss davon bezahlt werden. Unter 25jährige sollen sogar ein Vierteljahr von »Luft und Liebe« leben. Zeigen sie sich genügend demütig, ist eventuell auf Antrag ein Lebensmittelgutschein drin, der sie davor bewahrt, stehlen zu müssen. Das ist keine Hilfe, sondern soziale Schikane. (sbo)
Hartz-IV-Bezieher, Asylsuchende, Migranten: Sie alle haben es auf die »soziale Hängematte« abgesehen. Nur mit dem »Prinzip des Forderns« kann man dagegenhalten. So klingt die neoliberale Mär vom »faulen Grippel«, wie der CSU-Politiker Stephan Stracke einmal jene nannte, von denen er glaubt, sie wollten nicht arbeiten. Die »Flüchtlingsdebatte« und die geplante Hartz-IV-Reform haben dieses Gerede wieder befeuert. So rechtfertigen Unions- und SPD-Politiker den weiteren Ausbau der Überwachung von Erwerbslosen und Aufstockern sowie Sanktionen gegen diese. Klar ist: Auch künftig soll kein Recht auf Existenzsicherung haben, wer sich nicht »regelkonform« verhält.
Die Grundsicherung à la Hartz IV soll eigentlich das Überleben gewährleisten. Doch um sie zu erhalten, werden Bedürftige nicht nur bis auf den Inhalt ihrer Matratze durchleuchtet. Auf sie wartet auch das Zweite Sozialgesetzbuch (SGB II). Im neuen Entwurf desselben reihen sich »Pflichten« aneinander. Sie machen Bedürftigen klar, was »regelkonform« bedeutet. Über allem steht die »Pflicht zur Mitwirkung«. Die gilt nicht nur für Betroffene, sondern für »sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft«. Die Passage könnte auch lauten: Folgt den Anweisungen des Jobcenters gefälligst ohne Widerrede. Weiter besteht die »Pflicht zur Eingliederung in Arbeit«, wobei »grundsätzlich jede Arbeit zumutbar« ist. Dann gibt es noch eine »Ersatzpflicht bei sozialwidrigem Verhalten«, eine »Schadenersatzpflicht beim Abbruch von Maßnahmen«, eine »Verpflichtung zur Überprüfung der Angemessenheit der Unterkunft«, eine »flexibilisierte Bescheinigungspflicht« bei Krankheit sowie eine »Nachholungspflicht bei Pflichtverstößen«.
Egal, ob ein 58jähriger zu wenige Bewerbungen vorlegt, ein 19jähriger ein »Angebot« zum Bundeswehr-Seminar ignoriert oder das Jobcenter einer alleinerziehenden Mutter vorwirft, 100 Euro für ihr Kind angenommen zu haben: Die Sanktion »zur Durchsetzung der Pflichterfüllung« folgt mit Sicherheit. Für Alleinstehende bedeutet das, drei Monate mit 282,80 Euro auskommen zu müssen. Essen, Strom, Fahrkarten: Alles außer der Miete muss davon bezahlt werden. Unter 25jährige sollen sogar ein Vierteljahr von »Luft und Liebe« leben. Zeigen sie sich genügend demütig, ist eventuell auf Antrag ein Lebensmittelgutschein drin, der sie davor bewahrt, stehlen zu müssen. Das ist keine Hilfe, sondern soziale Schikane. (sbo)
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