Angela
Merkels Rede vom 15. April, in der sie bekannt gab, dass sie die
Staatsanwaltschaft ermächtige, gegen Jan Böhmermann nach § 103 StGB
vorzugehen, dauerte nur wenige Minuten, und sie umfasst im Druck gerade
einmal eineinhalb Seiten. Erst im vorletzten Absatz teilt sie in drei
Zeilen ihre Entscheidung mit.
Zuvor findet allerdings ein bemerkenswertes Versteckspiel statt. Es ist nicht die Rede von einem Ersuchen Erdoğans, sondern von einem Schreiben der »Republik Türkei«. Der wenig beliebte Präsident wird nur als Objekt der Satire erwähnt (»wegen des … Sendungsabschnitts über Präsident Erdoğan«). Anschließend wird das juristische Verfahren dargestellt, das angeblich nötig sei, um die Verfolgung Böhmermanns wegen der inkriminierten Straftat in Gang zu setzen. Merkel spricht in diesem Zusammenhang davon, die Bundesregierung habe das vorliegende Ersuchen »entsprechend der Staatspraxis geprüft«. Der Begriff der Staatspraxis beinhaltet, dass in diesem Fall »die Verfassung keine konkreten Vorgaben macht« (vgl. www.beck-shop.de). Das Ergebnis musste also innerhalb der Koalition ausgehandelt werden. An dieser Stelle wird ein brisantes Detail preisgegeben: »Es gab unterschiedliche Auffassungen zwischen … Union und SPD.« Diese eingeräumte Tatsache zwingt Merkel dazu, anschließend »näher Stellung [zu] nehmen«, gibt ihr aber andererseits auch die Möglichkeit, ins Allgemeine abzuheben. Sie knüpft an den Ausdruck »Republik Türkei« an und vermeidet es im Rest der Rede, Erdoğans Name auch nur ein einziges Mal zu nennen. Es geht vielmehr um das deutsch-türkische Verhältnis: zunächst um »die vielen Menschen mit türkischen Wurzeln hier im Land«. So wird eine Harmonie vorgetäuscht, als ob es den NSU und die Machenschaften um ihn herum nicht gegeben hätte. Dann geht es bruchlos um die ökonomischen (»enge wirtschaftliche Verflechtungen«) und militärischen Interessen (»gemeinsame Verantwortung als Alliierte in der Nordatlantischen Allianz«). Das Interesse an der »Türkei als Türsteherin« (vgl. Ulla Jelpke: Ossietzky 8/2016) wird – selbstverständlich – nicht erwähnt.
Der restliche Teil des Absatzes und der nächstfolgende dienen dazu, den heuchlerischen Widerspruch zwischen diesem (mit Schweigen übergangenen) Interesse und der Hinnahme von Erdoğans Repression gegen Journalisten und Demonstranten zu vertuschen. Hierbei wird zwar die Repression deutlich erwähnt und, diplomatisch verhüllt (»der offene Austausch«), kritisiert, um die bundesdeutsche Öffentlichkeit zu beschwichtigen. Wäre diese Kritik aber ernst gemeint, müsste die BRD sofort von dem »Türsteher«-Vertrag mit der Türkei zurücktreten.
In diesem Teil taucht der Begriff »Rechtsstaat« (beziehungsweise »Rechtsstaatlichkeit«) sechsmal in 13 Zeilen auf: zweimal als defizitär – in der Türkei – und viermal als vollendet – in der BRD. In den Zusammenhang der Rechtsstaatlichkeit stellt Merkel ihren Entscheidungsprozess: »Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen.« Dieser Satz enthält eine Belehrung gegenüber Erdoğan; gleichzeitig verschleiert Merkel aber die Situation, in der sie und ihr Kabinett zu entscheiden hatten: Nie war davon die Rede, dass sie den juristischen Fall hätten an sich ziehen können, aber genauso wenig war es für die juristische Klärung des Falles nötig, die Ermächtigung zu erteilen. Die Justiz musste ohnehin handeln, sobald Erdoğan Anzeige gegen Böhmermann erstattet hatte. Was Merkel nun vielmehr erreicht hatte, war Folgendes: Gegen Böhmermann wird nicht wegen einfacher Beleidigung, sondern nach § 103 StGB vorgegangen.
Vermutlich ungewollt, setzt Merkel nun noch eine Schlusspointe: Nicht nur ist ihre Ermächtigung im Interesse der Strafverfolgung überflüssig, sie hält den § 103 StGB darüber hinaus »für die Zukunft [für] entbehrlich«.
Weshalb diese halsbrecherischen und zugleich durchsichtigen Vertuschungsmanöver? Die bundesdeutsche Öffentlichkeit soll durch diplomatische Kritik an Erdoğan beschwichtigt und dieser wiederum nicht so sehr verärgert werden, dass er das derzeitige Hauptinteresse Merkels – seine Türsteherfunktion – womöglich nicht länger erfüllt. Dieses kleine schmutzige Geheimnis aber ist so offensichtlich, dass es auch trotz Nichterwähnung nicht verhüllt werden kann. Und so gerät dann die gesamte rhetorische Bemühung zum Desaster.
Zuvor findet allerdings ein bemerkenswertes Versteckspiel statt. Es ist nicht die Rede von einem Ersuchen Erdoğans, sondern von einem Schreiben der »Republik Türkei«. Der wenig beliebte Präsident wird nur als Objekt der Satire erwähnt (»wegen des … Sendungsabschnitts über Präsident Erdoğan«). Anschließend wird das juristische Verfahren dargestellt, das angeblich nötig sei, um die Verfolgung Böhmermanns wegen der inkriminierten Straftat in Gang zu setzen. Merkel spricht in diesem Zusammenhang davon, die Bundesregierung habe das vorliegende Ersuchen »entsprechend der Staatspraxis geprüft«. Der Begriff der Staatspraxis beinhaltet, dass in diesem Fall »die Verfassung keine konkreten Vorgaben macht« (vgl. www.beck-shop.de). Das Ergebnis musste also innerhalb der Koalition ausgehandelt werden. An dieser Stelle wird ein brisantes Detail preisgegeben: »Es gab unterschiedliche Auffassungen zwischen … Union und SPD.« Diese eingeräumte Tatsache zwingt Merkel dazu, anschließend »näher Stellung [zu] nehmen«, gibt ihr aber andererseits auch die Möglichkeit, ins Allgemeine abzuheben. Sie knüpft an den Ausdruck »Republik Türkei« an und vermeidet es im Rest der Rede, Erdoğans Name auch nur ein einziges Mal zu nennen. Es geht vielmehr um das deutsch-türkische Verhältnis: zunächst um »die vielen Menschen mit türkischen Wurzeln hier im Land«. So wird eine Harmonie vorgetäuscht, als ob es den NSU und die Machenschaften um ihn herum nicht gegeben hätte. Dann geht es bruchlos um die ökonomischen (»enge wirtschaftliche Verflechtungen«) und militärischen Interessen (»gemeinsame Verantwortung als Alliierte in der Nordatlantischen Allianz«). Das Interesse an der »Türkei als Türsteherin« (vgl. Ulla Jelpke: Ossietzky 8/2016) wird – selbstverständlich – nicht erwähnt.
Der restliche Teil des Absatzes und der nächstfolgende dienen dazu, den heuchlerischen Widerspruch zwischen diesem (mit Schweigen übergangenen) Interesse und der Hinnahme von Erdoğans Repression gegen Journalisten und Demonstranten zu vertuschen. Hierbei wird zwar die Repression deutlich erwähnt und, diplomatisch verhüllt (»der offene Austausch«), kritisiert, um die bundesdeutsche Öffentlichkeit zu beschwichtigen. Wäre diese Kritik aber ernst gemeint, müsste die BRD sofort von dem »Türsteher«-Vertrag mit der Türkei zurücktreten.
In diesem Teil taucht der Begriff »Rechtsstaat« (beziehungsweise »Rechtsstaatlichkeit«) sechsmal in 13 Zeilen auf: zweimal als defizitär – in der Türkei – und viermal als vollendet – in der BRD. In den Zusammenhang der Rechtsstaatlichkeit stellt Merkel ihren Entscheidungsprozess: »Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen.« Dieser Satz enthält eine Belehrung gegenüber Erdoğan; gleichzeitig verschleiert Merkel aber die Situation, in der sie und ihr Kabinett zu entscheiden hatten: Nie war davon die Rede, dass sie den juristischen Fall hätten an sich ziehen können, aber genauso wenig war es für die juristische Klärung des Falles nötig, die Ermächtigung zu erteilen. Die Justiz musste ohnehin handeln, sobald Erdoğan Anzeige gegen Böhmermann erstattet hatte. Was Merkel nun vielmehr erreicht hatte, war Folgendes: Gegen Böhmermann wird nicht wegen einfacher Beleidigung, sondern nach § 103 StGB vorgegangen.
Vermutlich ungewollt, setzt Merkel nun noch eine Schlusspointe: Nicht nur ist ihre Ermächtigung im Interesse der Strafverfolgung überflüssig, sie hält den § 103 StGB darüber hinaus »für die Zukunft [für] entbehrlich«.
Weshalb diese halsbrecherischen und zugleich durchsichtigen Vertuschungsmanöver? Die bundesdeutsche Öffentlichkeit soll durch diplomatische Kritik an Erdoğan beschwichtigt und dieser wiederum nicht so sehr verärgert werden, dass er das derzeitige Hauptinteresse Merkels – seine Türsteherfunktion – womöglich nicht länger erfüllt. Dieses kleine schmutzige Geheimnis aber ist so offensichtlich, dass es auch trotz Nichterwähnung nicht verhüllt werden kann. Und so gerät dann die gesamte rhetorische Bemühung zum Desaster.
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