Donnerstag, 26. Mai 2016

Wir weltweit wirksamsten Witzbolde (Harald Kretzschmar)


Sagen wir einfach mal nationalstaatlich gesehen »Wir«. Wir praktizieren ein immer wieder strauchelndes Geradeausgehen auf dem abgesicherten Terrain der Wohlstandsgesellschaft. Es geht so lange geradeaus, bis wir merken: Im Grunde bewegen wir uns die ganze Zeit im Kreis. Die Erklärung dafür ist, dass wir ständig gewisse Werte als Mittelpunkt umkreisen. Wollen wir edle Ideale demonstrieren, müssen wir uns zwangsläufig wiederholen. Besonders hochwertig ist uns zum Beispiel die Pressefreiheit. Immer wieder gibt es Anlass, auf sie in aller Deutlichkeit zu pochen.

Sie ist uns so heilig, dass wir jederzeit bereit sind, sie gegen fremde Heilige zu missbrauchen. Ja, ich spreche von Mohammed. Medial darf jeder und jede sagen und schreiben, rufen und flüstern, zeichnen und malen, was er oder sie will. Da gibt es nur ab und zu einen Bischof oder dessen Kardinal, der davor, also dagegen ist. Es gibt auch Chefredakteure oder deren Verlagsherren, die etliche Einwände zu hegen befugt sind. Es gibt eben diverse Wünsche und Abneigungen. Chancen fürs Individuum, öffentlich zu wirken, sind nun mal bemessen. Falls uns Witze einfallen, machen wir Witze. Aber wer ist bereit, darüber zu lachen? Gar nicht so einfach. Denn gewisse Gewohnheiten bestimmen das Witzemachen. Kennen Sie den? Ja, den kannte schon mein Großvater ...

Wir haben nichtsdestotrotz das Privileg gepachtet, uns über alles lustig zu machen, was andere unter Umständen sehr ernst nehmen. Wir bestimmen darüber, was alle Welt belachen darf. Denn wir sind die Witzbolde, die zeigen, dass sie immer was zu lachen haben. Fürs lachende Zähneblecken haben wir die besten Zahnärzte der Welt. Was das Erfinden von gesprochenen oder gezeichneten Witzen betrifft, haben wir umständehalber leider im Moment Nachwuchsprobleme. Oft genug witzelt es auf Comedy-Bühnen oder in den Sprechblasen von Cartoons nur ein wenig. Kenner mögen das mitleidig belächeln. Über Bildschirmkanäle erntet es dennoch Lachsalven. Oder hat durchaus Chancen, in Wettbewerben für Zeichner preisgekrönt zu werden.

Kommen wir also zu den Türken. Genauer gesagt: zu dem Türken. Noch genauer: Erdoğan.

Aber immer der Reihe nach. Wir sind ziemlich wehrlos. Wir haben keinen Prinzen Eugen mehr, der seinerzeit im letzten Moment die Türken an der Eroberung Wiens hindern konnte. Die Langzeitwirkung dieser Heldentat war enorm: Ein neuerlicher Ansturm auf die Bastionen des Abendlandes erfolgte erst von den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts an. Die Taktik der Eroberer verlegte sich nun vordergründig auf kulinarische Okkupation. Das Krummschwert ins Dönermesser verwandelt, erschien der Türke ganz zivil gewandet im Weichbild deutscher Städte. Und da ist er oder sie nun mal. Und ab und zu kommt Sultan Erdoğan vorbei und guckt nach, ob die Seinen auch auf gut deutsch türkisch sein dürfen.

Getarnt als Gastarbeiter schlichen sich die Leute vom Bosporus auf leisen Sohlen ein. Bald bargen München und Stuttgart, Köln und Westberlin von ganzen Familienclans besetzte Kiez-Quartiere. Seitdem haben wir den Salat. Wir mampfen ihn mit ganzen Batzen Dönerfleisch zusammen genussvoll, aber widerspenstig in uns hinein. Der Groll über die Überfremdung schlägt immer wieder durch unsere freudige Genuss-Sucht hindurch. Wenn wir Glück haben, bekennt sich der oder die Türkin zum muslimischen Glauben. Dann erinnern wir uns plötzlich unserer Taufe oder Konfirmation oder unseres letzten Kirchganges vor Jahrzehnten und trumpfen auf. Denn im Unterschied zu Allah und Mohammed halten wir Gott und Jesus für ungeheuer lustig. »Kreuziget ihn« war leider tödlicher Ernst. Aber alles andere ist doch ein Inbegriff von Lachlust und gegenseitigem Veralbern. Oder?

Dumm nur – immer wenn wir uns so schön selbstherrlich in die Brust werfen, straft uns umgehend ein schallendes Hohngelächter. Man glaubt uns nicht. Denn die glorreichen Zeiten von deutschem Humor und deutscher Satire liegen hinter uns. Der erste Todesstoß: Erich Kästner und Joachim Ringelnatz, Heinz Erhardt und Werner Finck waren zweifellos gesamtdeutsch. Dann wurde in West und Ost geteilt. In den Westzonen unserer geliebten Bundesrepublik belacht man nach wie vor Loriot und Marie Marcks, Robert Gernhardt und Otto Waalkes. Dagegen wecken Henry Büttner und Erich Schmitt, Hansgeorg Stengel und Eberhard Cohrs nur die territorial begrenzte Lachlust des Ostens. Wie das?

Heute trösten wir uns mit Mathias Richling da, und Olaf Schubert dort. Dieter Nuhr darf sich an Beifallskonserven erwärmen. Sebastian Pufpaff pufft und pafft dahin und dorthin. Wir sind es zufrieden. Bildschirmspezifisch krakeln und krekeln wir auf der Böhmermannspur. Mit erhobenem Zeigefinger erklären wir aller Welt die schlitzohrige Genialität um die Aktion mit dem Stinkefinger von Varoufakis. Satire? Ogottogott. Wo sind wir hingekommen. Bei den Zeichnern fällt uns unter der Altersgrenze von sechzig Jahren gar kein Satiriker mehr ein. Wenigstens lebt die deutsche Sprache in der gezeichneten Sprechblase derer weiter, denen keine Bildidee mehr einfällt. Kritisches Denken wird sorgsam in kurzfristig schnell wieder vergessenen Bestsellern abgepackt. Große Teile des Volkes sagen dazu nur »Wir sind das Volk« und meinen es mit Pegida und AfD sehr ernst. Dabei haben wir dann überhaupt nichts mehr zu lachen. Haha.

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