Für manchen CDU-Jungpolitiker ist die Welt noch heil: Hartz-IV-Sanktionen gibt es praktisch nicht
In der Debatte um die Hartz-IV-Reform werfen Vertreter der Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD der Opposition gerne Polemik vor. Vor allem, wenn es um Sanktionen geht, übertrieben Linkspartei und Grüne. Es betreffe ja nur drei Prozent der Leistungsberechtigten, heißt es immer wieder aus Koalitionskreisen.
Der 31jährige CDU-Abgeordnete Kai Whittaker war in einer Parlamentsdebatte Mitte April sogar noch weiter gegangen: Die Opposition brauche wohl »Nachhilfe« bei der Betrachtung »der Wirklichkeit«, meinte er. »Gerade mal ein Prozent« der Hartz-IV-Bezieher werde sanktioniert. Der Rest verhalte sich »doch ganz konform«.Aus einer Studie will der Jungpolitiker die Zahl haben. Um festzustellen, dass diese ein Ammenmärchen ist, genügt ein Blick in die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Demnach lag die Quote an sanktionierten »erwerbsfähigen Leistungsberechtigten« – bereits 15jährige zählen dazu – im Januar dieses Jahres bundesweit bei 3,1 Prozent, in Berlin sogar bei 4,5 Prozent. Gut 134.000 der rund 4,3 Millionen Bezieher waren alleine in diesem Monat von einer Kürzung ihrer Existenzsicherung betroffen. Im Schnitt wurden 109 Euro einbehalten. Mehr als drei Viertel der Sanktionen wurden wegen eines versäumten Termins verhängt. Wirksam waren im Januar allerdings 213.323 Sanktionen. Das heißt: Ein Teil der Betroffenen musste mit einer doppelten oder dreifachen Kürzung überleben.
Insgesamt verhängten die Jobcenter im vorigen Jahr 980.000 Strafen gegen 417.100 Hartz-IV-Berechtigte. Tatsächlich traf es 2015 also knapp zehn Prozent der Bezieher. Mehr als 50.000 davon hatten unter einer Vollsanktion zu leiden. Allein im Januar 2016 kappten Jobcenter 7.200 Menschen trotz Bedürftigkeit die gesamte Existenzsicherung einschließlich der Miete. Darunter waren 3.348 unter 25jährige, 3.688 Personen zwischen 25 und 55 Jahren sowie 164 über 55jährige. Zwischen 2014 und Mitte 2015 waren Monat für Monat auch rund 200 Minderjährige zwischen 15 und 17 Jahren von einer Vollsanktion betroffen.
Mit falschen Bescheiden haben Hartz-IV-Bezieher weiter zu kämpfen. Wer widerspricht, hat gute Karten: Im April entschieden die Jobcenter in 36 Prozent der Fälle zugunsten des Betroffenen. Insgesamt arbeitete die Behörde in diesem Monat 52.200 Widersprüche ab. Jene, die nach abgelehntem Widerspruch den Klageweg beschritten hatten, bekamen sogar in 40 Prozent aller Fälle ganz oder teilweise Recht. Komplett abgewiesen wurden nur 12 Prozent der Klagen. Insgesamt waren im April 185.614 Widersprüche und 192.265 Klagen anhängig, davon allerdings nicht einmal fünf Prozent wegen Sanktionen. Die meisten wehrten sich gegen Rückforderungen des Jobcenters, zu geringe Mietzuschüsse oder falsche Einkommensberechnung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen