Von Gerd Goertz
(Mexiko-Stadt, 11. April
2016, npl).- Die Form wird noch halbwegs gewahrt. Doch knapp
zwei Wochen, bevor die fünfköpfige Interdisziplinäre Gruppe
Unabhängiger Expert*innen (GIEI) der Interamerikanischen
Menschenrechtskommission (CIDH) am 24. April ihren mit
Spannung erwarteten zweiten Bericht über die 43 verschwundenen
Lehramtsstudenten von der Landuniversität Ayotzinapa im
Bundesstaat Guerrero vorstellen wird, ist ihr Verhältnis zur
mexikanischen Regierung am Tiefpunkt angekommen. Mehrere
Regierungsvertreter*innen haben trotz gegenteiliger Forderungen von
Familienangehörigen der Opfer, Menschenrechtsorganisationen
sowie Abgeordneter und Senator*innen betont, eine weitere
Mandatsverlängerung für die GIEI komme nicht in Frage. Die
aktuelle zweite Mandatsperiode endet am 30. April.
Eine lückenlose Aufklärung
der Attacken von lokaler Polizei und Mitgliedern des
organisierten Verbrechens gegen die Studenten in der Nacht vom
26. auf den 27. September 2014 in der Stadt Iguala scheint
damit unwahrscheinlicher denn je. Zu deutlich war in den
vergangenen Monaten das Bemühen der Autoritäten, den
Ermittlungen keine neuen Impulse zu geben und stattdessen mit
ihrem Vorgehen für weitere Verwirrung zu sorgen. Der noch
amtierende CIDH-Direktor Emilio Álvarez Icaza, selbst
Mexikaner und wie die GIEI Zielscheibe
von Diffamierungen, hinter denen böswillig Denkende
Regierungshardliner vermuten, warnte am vergangenen Wochenende
vor einer Rückkehr zum “autoritären Mexiko”. Vor wenigen
Wochen war es bereits zu heftigen Meinungsverschiedenheiten
über einen Kommissionsbericht zur allgemeinen Menschenrechtslage in
Mexiko gekommen. Die Regierung hatte den kritischen
CIDH-Bericht vehement zurückgewiesen.
Rückfall in ein
autoritäres Mexiko?
Erst am vergangenen Freitag
wurde ein neues Zwischengutachten der internationalen
Forensiker*innen der Universität Innsbruck bekannt. Die
Gutachter*innen hatten unter anderem Knochenreste auf der
Müllhalde von Cocula mit Haarproben aus den Bussen verglichen,
mit denen die verschwundenen Studenten vor den Attacken
gefahren waren. Die Proben erbrachten jedoch wegen nicht
erstellbarer genetischer Profile keine Belege für die
Regierungsversion, dass die Studenten alle noch in der
Tatnacht auf der Müllhalde verbrannt wurden. Diese von dem
ehemaligen Generalbundesstaatsanwalt Jesús Murillo Karam der
Öffentlichkeit als „historische Wahrheit“ präsentierte Version
wird letztendlich auch von seiner Amtsnachfolgerin Aracely
Gómez nicht aufgegeben, obwohl die GIEI in ihrem ersten
Mandatsbericht zahlreiche wissenschaftliche Argumente dagegen
aufführte.
Anfang April hatte die
Generalbundesstaatsanwalt (PGR) unilateral und ohne Absprache
mit der GIEI ein Gutachten von Brandexperten veröffentlicht.
PGR und GIEI hatte sich Monate zuvor nach langwierigen
Verhandlungen auf sechs Brandexperten und neue Untersuchungen
in Cocula geeinigt. Doch das die PGR bei der Bekanntgabe
begleitende Mitglied der Gruppe war weder von der GIEI noch
seinen Kollegen für die Sprecherrolle autorisiert. Offenbar
wollte die Behörde mit ihrem Vorpreschen in der Öffentlichkeit
den Eindruck erwecken, die Studenten könnten doch in Cocula
verbrannt worden sein. In der äußerst knappen Zusammenfassung
des Gutachtens steht, auf der Müllhalde seien die Überreste
von 17 Leichen gefunden worden. Zudem habe es dort einen
großen kontrollierten Brand gegeben. Da Brände auf der Halde
zum einen häufig waren und zum anderem dort und in der näheren
Umgebung zahlreiche Opfer von Gewalttaten verscharrt und
teilweise verbrannt wurden, sind dies jedoch ohne genauere
Angaben wenig hilfreiche Informationen. „Etwas bleibt schon in
der Öffentlichkeit hängen“, scheint die Devise der PGR zu
sein.
Rolle von Armee und Bundespolizei
bleibt unklar
Gleichzeitig gelang es der
PGR in den sechs Monaten des zweiten GIEI-Mandates
erfolgreich, die von den unabhängigen Expert*innen geäußerte
Forderung von einer direkten Befragung der in Iguala in
unmittelbarer Nähe des Tatortes stationierten Militärs
unerfüllt zu lassen. Die Rolle von Soldaten und Bundespolizei
während der Entführung und des Verschwindenlassens der
Studenten ist immer noch unklar. Mexikos Präsident hat
mehrfach durchblicken lassen, die „bedauernswerten
Vorkommnisse“ von Iguala müssten „überwunden“, der Blick „in
die Zukunft“ gerichtet werden. Nicht nur die Eltern der
verschwundenen Studenten werfen der Regierung vor, auf das
Vergessen zu setzen. Ende März pflanzten sie am kleinen
Denkmal für die Studenten an der Avenida Reforma in Zentrum
von Mexiko-Stadt Vergissmeinnicht.
Bruch
zwischen CIDH-Expert*innenkommission und mexikanischer
Regierung von Nachrichtenpool
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