Von Gerd Goertz
(Mexiko-Stadt, 25. April 2016, npl).- Zuletzt noch einmal ein
Affront. Am Sonntag stellte die fünfköpfige internationale
unabhängige Expert*innengruppe (GIEI) der Interamerikanischen
Menschenrechtskommission (CIDH) in Mexiko-Stadt ihren zweiten
Bericht zum Verschwindenlassen der 43 Lehramtsstudenten von
Ayotzinapa in der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 vor.
Nicht ein einziger Repräsentant der mexikanischen Regierung war
in den großen Innenhof der Universität Claustro de Sor Juana im
Stadtzentrum gekommen. Präsident Enrique Peña Nieto dankte der
GIEI Stunden später lapidar per Twitter für ihre Arbeit und
sagte zu, der Bericht werde „analysiert“.
Die Generalbundesstaatanwaltschaft (PGR) bekräftigte ihre
Sichtweise, alle von der Expert*innengruppe vorgetragenen
Hypothesen seien bereits erschöpfend untersucht wurden. In den
Wochen zuvor hatte die Regierung unmissverständlich klar
gemacht, keine zweite Mandatsverlängerung für die Gruppe
zuzulassen. Offiziell endet das Mandat am 30. April.
GIEI und EAAF halten „Müllhaldenszenario“ der Regierung
für nicht möglich
Eine lückenlose Aufklärung der vor inzwischen mehr als
anderthalb Jahren durchgeführten und koordinierten Attacken von
lokaler Polizei und Mitgliedern des organisierten Verbrechens
gegen die Studenten in der Stadt Iguala, Bundesstaat Guerrero,
scheint damit unwahrscheinlicher denn je. Neue Hinweise für die
mögliche tiefere Verstrickung auch von Militärs und
Bundespolizei wurden nicht weiter verfolgt. Die Regierung
beharrt auf ihrer Version, die Studenten seien noch in der
Tatnacht auf der Müllhalde des an die Stadt Iguala angrenzenden
Landkreises Cocula verbrannt wurden.
Die GIEI sowie die zeitweise an den Untersuchungen beteiligten
Mitglieder des Argentinischen Forensikerteams (EAAF) halten dies
nach den von ihnen zusammengetragenen wissenschaftlichen
Erkenntnissen für unmöglich. Angesichts des Regierungsverhaltens
hatte das EAAF vor wenigen Tagen eine Ausnahme von seiner
gängigen Praxis gemacht und sein gesamtes Gutachten zu dem Fall
veröffentlicht, um eine „wissenschaftliche und informierte
Debatte zu fördern“. Eine klare Rückendeckung für die GIEI.
Regierung hatte gefordert Befragung von Militärs
abgelehnt
Die Expert*innengruppe machte am Sonntag klar, unter den
gegebenen Bedingungen seien keine gesicherten Schlussfolgerungen
über den Verbleib der Studenten möglich. In dem Bericht wird
darauf eingegangen, dass die Weigerung der Regierungsinstanzen
eine von unabhängigen Expert*innen eindrücklich und wiederholt
eingeforderte direkte Befragung der in Iguala in unmittelbarer
Nähe des Tatortes stationierten Militärs verhinderte.
Die Fragen, die die GIEI gerne an die Soldaten gestellt hätte,
sind nun im zweiten Bericht veröffentlicht. Dieser stellt auf
mehreren hundert Seiten ausführlich den bisherigen
Untersuchungsstand, Ermittlungsschwachpunkte sowie mögliche neue
Ermittlungslinien vor. Eingegangen wird dabei auch auf Videos
und Fotos, die nahelegen, dass die PGR in der Nähe des Flusses
Río San Juan bei Cocula Indizien und Knochenreste „gesät“ haben
könnte.
Amnesty International: Mexikanische Regierung sende
„gefährliche Botschaft“
Amnesty International sprach am Sonntag von einer „gefährlichen
Botschaft“, die die mexikanische Regierung sende. Jeder könne in
Mexiko verschwinden, ohne dass diesbezüglich etwas unternommen
würde. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission, mit der
sich die mexikanische Regierung zuletzt heftige Wortgefechte
geliefert hatte, kündigte die Suche nach einem geeigneten
Sondermechanismus an, um den Fall der verschwundenen Studenten
weiter zu verfolgen.
CIDH-Präsident James Cavallaro war zur Vorstellung des
GIEI-Berichtes extra nach Mexiko gekommen. Offenbar war der Weg
aus Washington zum Veranstaltungsort einfacher als die
beschwerliche Anreise aus den teilweise fast in unmittelbarer
Nähe liegenden Gebäuden des mexikanischen Innenministeriums und
der PGR. Geschweige denn aus dem Präsidentenpalast. Für
Dienstag, den 27. April, haben die Familienangehörigen der
studentischen Opfer zu einer Demonstration aufgerufen.
Der auf Spanisch verfasste zweite Bericht der GIEI kann unter
folgendem Link eingesehen werden:
https://www.scribd.com/doc/310269260/Informe-Ayotzinapa-II#fullscreen_______________________________________________
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