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Abschiebungen nach Mittelamerika "Mexikos Politik ist heuchlerisch"
tagesschau.de vom
14.02.2018
Die geplante US-Mauer an der Grenze
zu Mexiko sorgt für viel Empörung. Doch Mexiko selbst schiebt
Zehntausende Flüchtlinge aus Mittelamerika ab - auch wenn
ihnen in ihrer Heimat Gewalt droht.
Von Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio
Mexiko-Stadt
Am frühen Abend füllt sich das Casa Tochán in
Mexiko-Stadt. In der Gemeinschaftsküche rührt der diensthabende
Koch Reis und Bohnen zusammen für die 25 Mittelamerikaner, die
derzeit in der spendenfinanzierten Migrantenherberge leben.
Alle sind vor der Gewalt geflohen. Honduras
und El Salvador gehören zu den Ländern mit den höchsten Mordraten
der Welt. Der Honduraner Manuel kommt von seinem Job in einer
Tortillafabrik, den er offiziell gar nicht haben dürfte, weil er
in Mexiko nur geduldet ist.
Flucht vor Banden
Der Asylantrag des 22-Jährigen wurde
abgelehnt. "Die Behörden haben mir gesagt, dass Venezolaner und El
Salvadorianer im Moment die Priorität hätten", so Manuel. "Ich
wollte meine Heimat nicht verlassen, meine ganze Familie, aber ich
musste! Die Maras, die Jugendbanden, haben mich mit dem Tode
bedroht, weil ich nicht ihr Informant werden wollte. Ich habe im
Empfang des Obersten Gerichts gearbeitet und hatte deshalb Zugang
zu Informationen, die sie haben wollten."
Die Polizei sei in solchen Fällen keine
Hilfe, weil sie entweder selbst bedroht wird oder mit den Banden
kooperiere, erzählt Manuel mit regungsloser Miene. Auch in Mexiko
hat er schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht: Grundlos sei
er verhaftet worden und musste 16 Tage in einem Abschiebegefängnis
ausharren, bis die Behörden merkten, dass seine Papiere in Ordnung
waren und ihn freiließen.
Hunderttausende suchen Schutz
"In dem Gefängnis diskriminieren sie die
Mittelamerikaner: Migranten aus anderen Ländern bekommen drei gute
Mahlzeiten am Tag, wir nur Tortillas und gekochte Karotten",
erinnert er sich. Bevor er entlassen wurde, sei er gezwungen
worden zu unterschreiben, dass er immer gut zu Essen hatte.
Es hätte jedoch auch schlimmer kommen können.
"Als ich in dem Knast war, wurden mehrere Menschen von
Bandenmitgliedern ermordet, auch ein kleiner Junge aus Nicaragua -
Saúl, vier Jahre alt. In den Nachrichten wird das gar nicht
erwähnt", sagt Manuel.
Selten ist das Schicksal von Migranten ein
Thema: Etwa 400.000 Mittelamerikaner durchqueren Mexiko jährlich
auf dem Weg in die USA. Immer mehr wollen aber - so wie Manuel -
in Mexiko bleiben und bitten um Asyl. Die meisten jedoch
vergeblich.
Amnesty beklagt illegale Abschiebungen
76.000 Mittelamerikaner wurden im vergangenen
Jahr abgeschoben - viele, ohne jemals über ihre Rechte informiert
worden zu sein, beklagt Amnesty International. Die Organisation
wirft Mexiko schwere Menschenrechtsverletzungen und illegale,
systematische Abschiebungen vor, die gegen internationale
Prinzipien verstießen.
Danach darf niemand in sein Herkunftsland
zurückgebracht werden, der dort Angst um sein Leben haben muss.
Die Französin Garance Tardieu von Amnesty Mexiko hat an dem
Bericht gearbeitet, für den unter anderem 300 Migranten befragt
wurden, die in Abschiebehaft saßen. Bei 40 Prozent gab es Hinweise
auf illegale Abschiebung.
"Mexikos Politik ist heuchlerisch", sagt
Tardieu. "Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass Mexiko der
Torwächter der USA ist, indem es Mittelamerikaner schon an seiner
Südgrenze abfängt, damit sie gar nicht erst in die USA gelangen
können."
Flüchtlinge als Verhandlungsgegenstand
Seit Donald Trump Präsident sei, sorge sich
das Land um die Abschiebungen von Mexikanern aus den USA. "Und
dabei macht Mexiko an seiner Südgrenze das gleiche, fängt
mittelamerikanische Flüchtlinge ab und schickt sie zurück. Die
haben jedes Recht, in Mexiko um Asyl zu bitten", so Tardieu
weiter.
Trotz aller Anti-Trump-Rhetorik - Mexiko
erledigt nach wie vor die Drecksarbeit für die USA und hält
Mittelamerikaner fern. Sie sind Verhandlungsgegenstand, wenn es
etwa um den Fortbestand der Nordamerikanischen Freihandelszone
NAFTA geht. Den Vorwurf, illegal abzuschieben, wies die zuständige
Behörde in einer dürren Erklärung zurück. Zu einem Interview ist
dort niemand bereit.
Die zwischen den USA und Mexiko geplante
Mauer sorgt immer wieder für Schlagzeilen - die Flüchtlingen in
Mexiko dagegen nicht.
Kaum Chancen auf Asyl
Im Casa Tochán wartet Carlos aus El Salvador
seit sechs Monaten auf einen Bescheid der Migrationsbehörde. Auch
er floh vor der Gewalt der Maras, nachdem sie seinen Cousin
ermordet hatten. Für zwölf Euro schwarz pro Tag putzt der
23-jährige Automechaniker in Mexiko-Stadt Häuser reicher Leute.
Mexiko ist nicht sein Traumziel: "Wenn ich
nicht so arm wäre, würde ich in die USA gehen. Aber ich kann die
drei- bis viertausend Dollar für den Schleuser an der Grenze nicht
zahlen. Die USA wären schon toll: Dort verdient man mehrere Dollar
pro Stunde", sagt Carlos. In Mexiko sei es wenigstens ein bisschen
besser als in El Salvador. Dort herrsche große Armut. "Deshalb
gibt es auch so viel Kriminalität. Für die jungen Leute ist es
einfacher, in den Mara-Banden mitzumachen, als eine gut bezahlte
Arbeit zu finden", sagt er.
Carlos‘ Traum ist ein positiver Asylbescheid
und dann die Arbeitserlaubnis, die es ihm ermöglicht, einen Job zu
suchen und Geld nach Hause zu seiner Mutter und seinem kleinen
Bruder zu schicken. Herbergsleiterin Gabriela Hernandez wackelt
skeptisch mit dem Kopf: In den fünf Jahren des Bestehens der
Migrantenherberge hat sie nur vier Fälle erlebt, in denen
Asylanträge bewilligt wurden.
"Ich glaube, die Behörde nimmt einfach alle
Anträge, wirft sie hoch in die Luft, und der eine Antrag, der in
der Hand landet, wird bewilligt. Die angegebenen Asylgründe
spielen offensichtlich überhaupt keine Rolle. Dabei sieht man bei
allen Geschichten, wie groß die Lebensgefahr ist", sagt sie.
Ohne Asyl bleibt nur das Leben in der
Illegalität. Denn die Rückkehr nach Hause schließen alle Bewohner
des Casa Tochán aus.
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