Tristes Spektakel
Tatort Salisbury: Hier wurde der ehemalige Doppelagent Sergej Skipal und seine Tochter gefunden (13.3.2018)
Foto: Andrew Matthews/PA Wire/dpa
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Die Story ist Stoff für einen Krimi. Einen bitteren Thriller nach einem Drehbuch wie von Graham Greene oder Henning Mankell: Ein Mann mit Vergangenheit wird, acht Jahre nachdem seine Lebensphase als Agent mit dem Austausch zu Ende gegangen ist, schwerverletzt auf einer Parkbank gefunden. Der Mann ist kein Held, sondern ein Verräter. Er hat für Geld Aufklärer des eigenen Landes ans Messer geliefert. Ein korrupter Beamter. Kein Anlass, ihm in der Öffentlichkeit viele Tränen nachzuweinen.
Britische Sicherheitskreise haben dem Independent gegenüber geäußert, Sergej Skripal sei zum Schluss vom britischen Geheimdienst »nicht mehr aktiv genutzt« worden. Die Informanten schlossen nicht aus, dass er »zum Ziel geworden sein könnte, weil er möglicherweise als freier Mitarbeiter für von ehemaligen Spionen betriebene Sicherheitsfirmen gearbeitet habe«. Unklar bleibt: Wessen Ziel kann er mit solchen halbseidenen Jobs geworden sein? Was kann er zuletzt noch gewusst haben? Zuviel über die Briten? Klar ist: Mit 100.000 US-Dollar hatte sich Skripal einst billig verkauft. Irgendwann war das Geld weg, als Mensch ohne aktuelles Wissen war er für London wertlos. Ein altersarmer Kostgänger.
Für eines ist eine Gestalt wie Skripal aber immer noch gut: die nächsten »irakischen Massenvernichtungswaffen« aus dem Hut zu zaubern. Die Regierung Ihrer Majestät sei »sehr sicher«, dass Skripal Opfer eines in den Siebzigerjahren in der Sowjetunion entwickelten Nervengifts der »Nowitschok«-Gruppe geworden sei, sagte Theresa May. Russland solle innerhalb von 24 Stunden eine »glaubhafte Erklärung« dafür abgeben, wie dieses Gift nach Salisbury gekommen sei. »Glaubhaft« heißt: eine, die wir glauben.
Nochmal der Reihe nach. Bis zum Ende der Sowjetunion war »Nowitschok« ein streng gehütetes Staatsgeheimnis. Inzwischen glaubt der britische Geheimdienst laut May sagen zu können, in welchem Labor das an Skripal gefundene Gift synthetisiert worden ist. Wie ist er an dieses Wissen gekommen? Westliche Spezialisten haben die an Skripal gefundene Substanz also offenbar in der Hand bzw. im Reagenzglas gehabt. Woher hatten sie sie? Russland für von Giften verantwortlich zu machen, die man selbst gestohlen hat, ist mehr als dreist.
Das sollte eigentlich Anlass sein, mit Schuldzuweisungen vorsichtig zu sein. Zumal Russland für eine so spektakuläre Racheaktion kein Motiv hat, am wenigsten zu dem Zeitpunkt, zu dem die Sache passiert ist: zwei Wochen vor den Wahlen. Wenn irgendjemand in Moskau beschlossen haben sollte, Skripal zu »liquidieren«, hätte jeder vernünftig zynische Geheimdienstler entschieden, dass es nach acht Jahren jetzt auf ein paar Wochen auch nicht mehr ankommt.
Und westliche Dienste, auf deren – angebliche – Erkenntnisse sich die Kampagne stützt? Die »tun so etwas nicht«. Wirklich?
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