Anlässlich des 80. Jahrestages des
Einmarsches der Wehrmacht in Österreich am 12. März 1938, der die
Annexion Österreichs durch Nazi-Deutschland militärisch einleitete,
wollen wir einen Artikel von österreichischen Genossen zu diesem Thema dokumentieren.
80 Jahre Annexion Österreichs:
Einige Lehren des antifaschistischen Widerstandes und wie sich eine Fragestellung ändern kann.
Der nachstehende Artikel entstand
aus einem Referatsbeitrag der Antifaschistischen Aktion bei der
Veranstaltung „80 Jahre Anschluss“ über die wir berichteten, und den wir
unseren LeserInnen die bei der Veranstaltung nicht dabei sein konnten,
nicht vorenthalten wollen.
——
„Aber unser Kampf für das
Selbstbestimmungsrecht und die Unabhängigkeit Österreichs ist ein Kampf
für den Frieden, für die Selbstbestimmung und die Unabhängigkeit aller
Völker in Mitteleuropa. Darin erblicken wir die österreichische und
europäische Aufgabe unseres Volkes in der gegenwertigen Periode. Mögen
die anderen Völker dies erkennen und das österreichische Volk in seinem
schweren, leidensvollen Kampf unterstützen.“ (KPÖ, 1938)
So wie die These von „Österreich als
erstes Opfer“ Nazideutschlands zurückgewiesen werden muss, als ein
Versuch die österreichischen Nazis weiß zu waschen, so muss heute auch
in aller Entschiedenheit die These von der „Kollektivschuld“
zurückgewiesen werden, als Versuch das österreichische Kapital weiß zu
waschen. Beide Thesen zielen hauptsächlich darauf ab zu verheimlichen,
dass es die Herrschenden Österreichs waren die die Hauptschuld an der
Annexion Österreichs tragen, und der Widerstand sich unter Führung der
Arbeiterklasse, der Kommunistischen Partei Österreichs, entfaltete.
Der „Anschluss“ und die nationale Frage in Österreich
Statt einer Volksabstimmung die für den
13. März 1938 zur „Vereinigung“ mit Nazi-Deutschland geplant war,
marschierten am 12. März 250.000 Wehrmachtssoldaten unter dem Befehl
Hiltlers in Österreich ein. Kein einziger Schuss wurde vom
österreichischen Bundesheer abgegeben, auf Befehl der „Vaterländischen
Front“, geführt vom Austrofaschisten Schuschnigg. Der sogenannte
„Anschluss“ Österreichs an Deutschland, war zu diesem Zeitpunkt keine
große Überaschung, Teile der damaligen herrschenden Klasse in Österreich
sahen darin sogar die Möglichkeit ihren eigenen Machterhalt zu sichern.
Die tiefe Krise in der sich das österreichische Kapital seit der
Weltwirtschaftskrise 1929 befand, ließ die Herrschenden in den Jahren
vor dem „Anschluss“ zwischen einem möglichen engen Bündnis mit dem
faschistischen Italien unter Mussolini, einer „Wiederherstellung der
Donaumonarchie“ unter Habsburg (ein „Europa im Kleinen“, wie es von den
Austrofaschisten bezeichnet wurde), sowie der Unterordnung unter Nazi
Deutschland hin und her schwenken. Die Niederlage Italiens im damals
sogenannten „Abessinien“ und seine zunehmende Schwächung drängte die
Herrschenden Österreichs unter Schuschnigg immer weiter zu einer
Annäherung an Nazi-Deutschland. Auch die weltanschauliche Grundlage für
den „Anschluss“, der Deutschnationalismus, war zu dieser Zeit nichts
„Neues“, sondern findet seine Wurzeln schon lange Zeit davor, und wurde
in der ersten Republik neben dem Antisemitismus zu einem wichtigen
Bindeglied zwischen den wichtigsten (wenn auch nicht allen) Fraktionen
der „Vaterländischen Front“. „Österreich als zweiter deutscher Staat“,
wie es Dollfuß ausgedrückt hat, war wesentlich für die Herrschenden, um
sich im Zweifelsfall diese „Option“ offen zu halten. Die KPÖ legte 1937
zu dieser These gut dar, welche Interssen sich darin widerspiegelten: „Der
Pakt mit Hitler und Mussolini, die These der Schuschnigg-Diktatur:
Österreich sei ein „zweiter deutscher Staat“, verfolgt das Ziel, das
Schicksal des österreichischen Volkes an die Kriegsachse Rom-Berlin und
an das Schicksal des Dritten Reiches zu ketten. Andererseits verbirgt
sich hinter der Behauptung der Habsburg-Agitatoren, Österreich sei kein
nationaler, sondern ein übernationaler Begriff, ihr wahres Ziel: sie
wollen die Widerherstellung der Habsburgerherrschaft nicht nur in
Österreich, sondern in ganz Mitteleuropa, die Unterdrückung fremder
Völker und Nationen.“ Auch wenn der „Anschluss“ für die
Herrschenden Österreichs eine klare Unterordnung unter Nazi-Deutschland,
unter den Befehl Hitlers, bedeutete und einzelne Austrofaschisten
selbst Opfer des Nazi-Faschismus wurden, bevorzugten sie diese Option
gegenüber einem Bündnis mit der Arbeiterklasse, aus Furcht vor einer
möglichen sozialistischen Revolution.
Die weltanschauliche Grundlage des
Deutschnationalismus war nicht nur den wichtigsten Fraktionen der
Austrofaschisten eigen, sondern reichte auch bis tief in die Reihen der
Sozialdemokratie. Wichtige Führer der Sozialdemokratischen Partei
(SDAPÖ) begrüßten den „Anschluss“. Karl Renner rief sogar dazu auf bei
der inszenierten Wahl nach dem Einmarsch der Wehrmacht mit „Ja“ zu
stimmen. Otto Bauer, der zwar nicht wie Renner offen auf die Seite der
Faschisten übergegangen ist, sondern versuchte durch einen Pakt mit den
„Revolutionären Sozialisten“ die Linke in der Sozialdemokratie
zusammenzuschließen, vertrat ebenso eine großdeutsche Position.
Opportunismus und Unklarheit in der nationalen Frage, die auf einem
falschen Verständnis des Marxismus aufbauten, führten ihn dazu, den
„Anschluss“ als bessere Ausgangslage für die proletarische Revolution zu
sehen, was er Jahre später selbst als eine falsche Einschätzung
zurücknahm. Objektiv verhalf damit auch die Sozialdemokratie Otto Bauers
den Nazis zu einer besseren Ausganglage sich Österreich einzuverleiben.
Die Illusionen die Teile der österreichischen Bevölkerung in den
„Anschluss“ hatten, nährten sich aus einer verbreiteten Weltanschauung,
dass Österreich alleine „nicht lebensfähig“ wäre.
Die Kommunistische Partei Österreichs
(KPÖ) war die einzige Kraft die von Beginn an entschiedenen Widerstand
gegen die Annexion leistete. Dem wichtigen Kommunisten Alfred Klahr ist
es zu verdanken, dass die nationale Frage Österreichs zum ersten Mal
wissenschaftlich analysiert wurde, und zur Grundlage des gesamten
antifaschistischen national-demokratischen Widerstandskampfes gegen
Nazi-Deutschland wurde. Alfred Klahr wies nach, dass der „Anschluss“
Österreichs kein Akt des Fortschritts, sondern ein Akt der nationalen
Unterdrückung war, weil Österreich niemals Teil der deutschen Nation
war, und auch der „Anschluss“ nicht auf einem freiwilligen Entschluss
der österreichischen Bevölkerung fußte, sondern eine gewaltsame
Einverleibung mit Hilfe von 250.000 Wehrmachtssoldaten zur Voraussetzung
hatte. Die Sowjetionion nahm als erstes Land weltweit dazu Stellung und
verteidigte die Unabhängigkeit Österreichs, indem sie den Standpunkt
vertrat: „Es ist klar, der Fall Österreich ist eine klassische Form
einer Annexion. Gegen Annexion zu sein, heißt für das
Selbstbestimmungsrecht zu sein“ Unter Bezugnahme auf Lenins Werke zur nationalen Frage vertraten sie die Position: „Selbstbestimmungsrecht der Nation heißt ihre politische Unabhängigkeit.“
Arbeiterklasse und nationale Frage
Nicht engstirniger Nationalismus war der
Ausgangspunkt der Kommunisten und Antifaschisten als sie unter der
Parole „Rot-Weiß-Rot bis in den Tod!“ den Kampf für die
Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs aufnahmen. Der
Unabhängigkeitskampf in Österreich sollte zu einem Bollwerk gegen die
weitere Annektierung kleinerer Staaten, vor allem in Mittel- und
(Süd)osteuropa, werden, und war in dieser Periode Ausdruck des
Internationalismus und für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und
Nationen. Mit dem national-demokratischen Widerstandskampf gegen
Nazi-Deutschland reihten sich wichtige Teile der österreichischen
Bevölkerung in die internationale antifaschistische Einheitsfront gegen
Nazi-Deutschland als den damaligen Hauptfeind der Völker ein, und
verteidigten damit die Interessen der Mehrheit der gesamten
Weltbevölkerung. Die KPÖ vertrat den Standpunkt, dass es nicht die Frage
der „Nation an sich“ gibt, sondern sich die Haltung des Proletariats
zur „eigenen“ Nation je nach den konkreten Bedingungen ändern muss: „Die
Arbeiterklasse verteidigt jene nationalen Interessen, die zu ihren
eigenen Interessen nicht im Widerspruch stehen. Sie darf sich
keinesfalls dazu hergeben, etwa die Unterdrückung anderer Völker, die
Ausbeutung von Kolonialsklaven usw. als „nationale Interessen“ zu
verteidigen (…) Unter keinen Umständen sind die revolutionären Arbeiter
Verteidiger der Nation an sich, denn ihnen ist das Höchste nicht die
Nation, sondern der Sozialismus“ (KPÖ, 1938). Gerade weil die KPÖ
vom Standpunkt des Proletariats, vom Standpunkt des Internationalismus
und der proletarischen Weltrevolution aus den Unabhängigkeitskampf
entwickelte, konnte sie zur führenden Kraft auch aller patriotischen und
antifaschistisch gesinnten Teile der Bevölkerung in ganz Österreich
werden.
Auch wenn es die Freiheitskämpferinnen
und Freiheitskämpfer Österreichs nicht vermochten sich aus eigener Kraft
vom Nazi-Faschismus zu befreien, und es hautsächlich der damaligen
sozialistischen Sowjetunion (als Teil der alliierten Mächte) zu
verdanken ist, dass Österreich wieder eine unabhängige Nation wurde, so
leiste der antifaschistische Widerstand in Österreich doch einen
wichtigen Beitrag zur Niederschlagung des Nazi-Faschismus. Die
internationalen antifaschistischen Einheitsfront war es, die unter
kommunistischer Führung die Unabhängigkeit Österreichs wieder
hergestellt hat und die Neutralität in der Verfassung verankerte. Die
Unabhängigkeit Österreichs wurde objektiv zu einer Kraft des
Fortschritts und der Friedenserhaltung, nicht nur gegen den
Nazi-Faschismus, sondern ebenso gegen die Interessen der
imperialistischen Mächte USA und Großbritannien, die schon kurze Jahre
nach der Niederlage Nazi-Deutschlands den nächsten Raubzug
vorbereiteten.
Nicht lange dauerte es, dass die
Herrschenden Österreichs damit begannen dieses fortschrittliche Erbe des
Unabhängigkeitskampfes zu demontieren und auszuhöhlen. Während die
Mehrheit der Bevölkerung ein Interesse am Aufbau einer neuen
antifaschistischen und demokratischen Ordnung hatte, versuchte die
Bourgeoisie dem österreichischen Kapital wieder auf die Beine zu helfen.
Dazu wurden nicht nur die gesamten Kosten des Wiederaufbaus auf die
Schultern der breiten Massen abgewälzt und ehemalige Nazis
rehabilitiert, sondern ebenso die Neuralität immer mehr zum Hindernis
der Bestrebungen der herrschenden Klasse. Schon 1960 hinterging die
österreichische Regierung die Neutralität, indem sie 200 Soldaten in den
Kongo entsendet, natürlich um „den Frieden zu sichern“. Unter Kreisky
saniert sich die Rüstungsindustrie durch Waffen- und Panzerverkäufe,
unter anderem an die faschistische Militärjunta in Argentinien. Mit dem
Argument der „Friedenssicherung“ und des „Kampfes gegen den
Nationalismus“ beteiligt sich Österreich teilweise führend an der
Zerbombung und Zersplitterung Jugoslawiens. Mit der Teilnahme
Österreichs an den EU-Battlegroups, PESCO und nun in der gemeinsamen
EU-Armee lassen die Herrschenden Österreichs heute alle „neutralen“
Hüllen fallen und brechen ganz offen mit den verfassungsrechtlichen
Grundlagen von 1955. Vor allem auf Kosten der südosteuropäischen Völker
hat sich das österreichische Kapital wieder „saniert“ und konnte zu
einem „Spieler zweiter Reihe“ im europäischen Vergleich emporsteigen.
Vor allem die imperialistische Allianz EU verhalf dem österreichischen
Kapital dazu seinen Einfluss in die ehemligen Kolonialländer zu
vertiefen, und dieser soll nun mit der sogenannten EU-Osterweiterung
stabilisiert werden.
Die Frage der Unabhängigkeit Österreichs
trägt heute einen gänzlich anderen Charakter als 1938 bis 1945.
Bedeutete sie damals die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechtes der
Völker und Nationen, so dient ihre Unabhängigkeit heute dazu, das
Selbstbestimmungsrecht anderer Völker permanent zu beschneiden und zu
brechen. Den nationale-demokratische Widerstandskampf von Teilen des
österreichischen Volkes gegen Nazi-Deutschland heute als Legitimation
für den österreichischen Nationalismus zu missbrauchen, bedeutet das
imperialistische Wesen des heutigen Österreichs zu verschleiern, die
Rolle eines kleinen, jedoch regional bedeutenden Imperialisten.
Österreichischer Nationalismus bedeutet heute Legitimation für die
Unterdrückung und Ausbeutung anderer Völker und Nationen und steht im
direkten Gegensatz zu einer internationalistischen Haltung, die auf dem
marxistischen Standpunkt „Ein Volk das andere Völker unterdrückt, kann
selbst nicht frei sein.“ aufbaut.
Das große heroische Erbe der
national-demokratischen antifaschistischen Widerstandskampfes heute
aufzunehmen, das Recht auf die Selbstbestimmung der unterdrückten Völker
und Nationen zu verteidigen, muss seinen heutigen Ausdruck im Kampf
gegen das österreichische Kapital und gegen den österreichischen
Imperialismus finden. Nur so wird es möglich sein das Vermächtnis der
Partisaninnen und Partisanen, der Märtyrerinnen und Märtyrer, des
gesamten national-demokratischen Widerstandskampfes, hochzuhalten!
- Geschrieben von Ailin Ueber
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