Fachlichen Kriterien halten die Aussagen des designierten Gesundheitsministers zu Hartz IV nicht stand. Gespräch mit Kurt Nikolaus
Interview: Gitta Düperthal
Der designierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
Foto: Joachim Herrmann/REUTERS
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Kurt Nikolaus ist Referent der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen
Das Problem ist vor allem, dass der designierte Gesundheitsminister offenbar nicht die geringste Ahnung davon hat, wie Hartz IV überhaupt statistisch berechnet wird. Auch definieren weder Spahn noch die Bundeskanzlerin, was Armut ist – damit beschäftigt sich die Sozialwissenschaft. Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung seines Landes zur Verfügung hat, gilt danach als arm.
In Deutschland beginnt Armut bei einem Haushaltsnettoeinkommen von 979 Euro im Monat für einen Single, wobei ich mich auf Statistiken der EU beziehe. Auszurechnen ist danach, dass eine Einzelperson mit Hartz IV 76 Prozent der offiziellen Armutsschwelle erreicht. Auch viele Niedriglöhner sind von Armut betroffen.
»Mehr wäre immer besser«, so Spahn, »aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen.«
Selbstverständlich bezahlen die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Steuern für Zeiten der Erwerbslosigkeit. Wie sollte es sonst finanziert werden? Zu kritisieren ist einzig, dass bisher keine Vermögenssteuer erhoben wird, so dass Reiche und Superreiche gar nichts beitragen. Nur die unteren zwei Drittel der Gesellschaft werden zur Finanzierung der Leistungen herangezogen, also jene, die am wenigsten Einkommen beziehen. Das mittlere Einkommensdrittel der Gesellschaft muss allein für das untere Drittel in der Gesellschaft aufkommen. Das ist das Problem. Und problematisch ist es auch, wenn Politiker, die vom Thema Hartz IV überhaupt nichts wissen, die Dinge auf den Kopf stellen. Ihre Verlautbarungen sind dann sozusagen »Verlauthetzungen«.
Die Regelsätze sind sehr niedrig bemessen, so erhält ein alleinstehender Erwachsener 416 Euro im Monat. Dennoch erklärte der Gesundheitsminister, dass in Deutschland niemand hungern müsste, wenn es die Tafeln nicht gäbe. Hat er recht?
Spahn hätte sich vor seinen Aussagen informieren müssen. Ein erwachsener Single erhält pro Tag 4,77 Euro für Essen und alkoholfreie Getränke. Den höchsten Tagessatz bekommen Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren – er liegt bei 4,89 Euro.
Von Linken und Grünen wird der Gesundheitsminister nun als kaltherzig und überheblich kritisiert. Tut er Ihnen leid?
Überhaupt nicht. Er erhält genug Schmerzensgeld, nämlich 15.311 Euro monatlich, zu 100 Prozent aus Steuergeldern finanziert. Das ist das 36,8fache dessen, was ein Alleinstehender an Hartz IV bekommt. Ob er allerdings kaltherzig und überheblich ist, interessiert mich nicht die Bohne. Ich möchte seine Aussagen nicht moralisch bewerten. Zu konstatieren ist aber, dass es, fachlich betrachtet, nämlich nach dem EU-Armutsbegriff, Blödsinn ist, was er von sich gibt.
Ist er für das Amt des Gesundheitsministers geeignet?
Daran habe ich erhebliche Zweifel. Es wirft kein gutes Licht, auf die momentan noch nicht im Amt befindliche »Groko«, wenn einer der Minister sich bereits so früh vergaloppiert und behauptet, Hartz IV sei armutsfest.
Was erwartet die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen von der Regierung?
Wir fordern, die Regelsätze für Erwerbslose neu zu berechnen. Ein faires Berechnungsverfahren kann soziale Ausgrenzung beenden. Laut einem Diakonie-Gutachten von 2017 ist das Minimum ein Regelsatz von 560 Euro für Alleinstehende. Spahn redet über Armut und definiert sie so, wie es ihm gerade in den Kram passt. Wir hingegen sprechen von der Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe für erwerbslose Menschen.
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