Das
VII. Pariser Arrondissement ist geprägt vom Eiffelturm, dem Palais
Bourbon, Sitz der Nationalversammlung und der rue Solferino. Die Straße
ist nach einem Ort in Norditalien benannt, in dessen Nähe eine der
blutigsten Schlachten des 19. Jahrhunderts stattfand. Der Name soll an
den Sieg von Napoleon III. über die Österreicher erinnern. Die Straße
war aber auch Synonym für den Sitz der sozialistischen Partei
Frankreichs. Man muss in der Vergangenheit sprechen, denn das Gebäude
mit fast 3400 Quadratmetern Bürofläche wurde im Januar 2018 für 45,55
Millionen Euro an eine Immobilienholding verkauft. Der Investor war
gnädig: Noch bis zum 30. September dürfen die französischen Sozialisten
ihre Adresse in dem schicken Viertel behalten.
Nach François Mitterrands grandiosem Sieg 1981 konnte sich die Partei den Prachtbau in der Nummer 10 leisten; die französische Sozialdemokratie sah eine glänzende Zukunft vor sich. 37 Jahre später ist die Partei, welche 1981 über 36 Prozent der Wähler für sich begeistern konnte, mit 7,4 Prozent nur noch eine zerstrittene Splittergruppe. Die Partei mit der Rose als Symbol ist fast pleite. Durch das Wahldebakel 2017 reduzierte sich das Jahresbudget von 28 auf acht Millionen Euro. Es war ein Untergang mit Ansage. Die fünf Jahre von François Hollande waren geprägt von Stagnation und ständigem Lavieren zwischen den verschiedenen Flügeln der sozialistischen Partei. Für Frankreich erwies sich dieser als »kleineres Übel« zu seinem Vorgänger Sarkozy gewählte Präsident als eine herbe Enttäuschung, für Europa als eine echte Katastrophe. Wer, wenn nicht der französische Präsident, hätte die Chance gehabt, den alternativlosen Merkel-Methoden ein soziales europäisches Gegenmodell entgegenzuhalten, zusammen mit den gebeutelten Südstaaten. Stattdessen liebäugelte Hollande mit dem so effizienten modèle allemand. Schon im ersten Jahr der Präsidentschaft waren 74 Prozent der Franzosen mit diesem Präsidenten unzufrieden – ein Rekordwert. Der Ausverkauf sozialistischer Ideen, das Fehlen linker Perspektiven führte schließlich zum politischen Desaster, letztendlich auch zum Sieg von Macron, der mit seinem Slogan »ni gauche, ni droite« (weder links noch rechts) eine resignierte Wählerschaft einfangen konnte.
Der Niedergang der parti socialiste hatte sich schon lange abgezeichnet. Noch zu Mitterrands Lebzeiten spottete man über la gauche caviar, jene Parteifunktionäre, die mit der Übernahme von Regierungsposten nach dem Motto »jetzt sind wir mal dran« die Privilegien des einstigen Klassenfeindes in vollen Zügen genossen. Mit der glücklosen Kandidatur von Ségolène Royal gegen Sarkozy 2007 war klar, dass François Mitterrands Erben unter einem eklatanten Mangel an qualifiziertem Personal litten. Die Parteibürokraten mit ihrer jeweiligen Hausmacht hatten es sich auf lukrativen Posten bequem gemacht, und so war es nicht verwunderlich, dass sich spätestens nach François Hollandes Verzicht auf eine erneute Kandidatur eine Untergangsstimmung breitmachte. Es war dann auch eine der letzten Amtshandlungen des scheidenden Präsidenten, seinen engsten Mitarbeitern durch die Versetzung auf sichere Planstellen bei der weiteren Karriereplanung zu helfen. Mit der Aufgabe der rue Solferino 10 ging die Ära der génération Mitterrand endgültig zu Ende.
Auch eine andere ehemals mächtige Partei manifestiert sich in einem mächtigen Anwesen. Im 9. Arrondissement befindet sich seit 1971 der Sitz der französischen Kommunisten. Das imposante Gebäude, ein Entwurf des brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer, steht am place du Colonel Fabien. Der nach einem kommunistischen Widerstandskämpfer benannte Platz ist bis heute Synonym für die PCF, auch wenn die inzwischen in die Bedeutungslosigkeit abgesunkene Partei einen Großteil der 20.000 Quadratmeter untervermieten muss. Zum Glück steht der Bau unter Denkmalschutz, wodurch ein kompletter Verkauf bisher vermieden werden konnte.
Der Absturz der französischen Sozialisten ist symptomatisch für den Niedergang der europäischen Sozialdemokratie. Bis auf wenige Ausnahmen wie England und Portugal scheint dieser Parteitypus, deren Mitglieder sich bisweilen noch mit »Genosse« ansprechen, zum Auslaufmodell zu werden. Namen wie Blair und Schröder, aber auch Papandreou und Gonzales stehen für ein bis zum Äußersten ausgereiztes Konzept, soziale Errungenschaften unter dem Label »links« in einem Maße abzubauen, wie es sich die Konservativen nie getraut hätten. Ein besonderes Kapitel stellen die deutschen Sozialdemokraten dar. In der Nachkriegszeit konnten sie davon profitieren, dass viele ihrer Mitglieder unter dem NS-Regime gelitten hatten, und durch den Antikommunismus gab es keine linke Konkurrenz. Mit dem Ende der Ära Brandt verschwanden allmählich die sozialistischen Ambitionen, bis man sich schließlich auf den auch bei den Konkurrenzparteien so beliebten Mittelstand konzentrierte. Doch das links Blinken, rechts Abbiegen hat Tradition. Schon in der Weimarer Republik lieferte Kurt Tucholsky diese hochaktuelle Beschreibung: »Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem 1. August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleineren Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas –: vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahin gegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen.«
Selbstverständlich haben die Sozialdemokraten den Etikettenschwindel nicht für sich gepachtet: Da gibt es noch eine Partei, die sich christlich nennt, eine andere gar christlich-sozial. Aber die Interessen der Lohnabhängigen waren seit Bebel immer bei den Sozialisten verortet. Davon konnte die SPD lange Zeit profitieren, bis Begriffe wie »rot« oder »links« vollkommen diskreditiert waren. Wer sich daher heute als links outet, tut gut daran, sich im gleichen Atemzug von Deutschlands ältester Partei zu distanzieren. Wegen der Glaubwürdigkeit.
Das Gebäude in der Berliner Stresemannstraße 15 steht bis jetzt nicht zum Verkauf. Das Willy-Brandt-Haus preist aber auf seiner Website die Vermietung von Räumen für Veranstaltungen an. Ob das langfristig hilft?
Apropos Tucholsky: Eine empfehlenswerte Hörprobe https://www.youtube.com/watch?v=Ke-hn1ES2cw (ab 3‘11)
Nach François Mitterrands grandiosem Sieg 1981 konnte sich die Partei den Prachtbau in der Nummer 10 leisten; die französische Sozialdemokratie sah eine glänzende Zukunft vor sich. 37 Jahre später ist die Partei, welche 1981 über 36 Prozent der Wähler für sich begeistern konnte, mit 7,4 Prozent nur noch eine zerstrittene Splittergruppe. Die Partei mit der Rose als Symbol ist fast pleite. Durch das Wahldebakel 2017 reduzierte sich das Jahresbudget von 28 auf acht Millionen Euro. Es war ein Untergang mit Ansage. Die fünf Jahre von François Hollande waren geprägt von Stagnation und ständigem Lavieren zwischen den verschiedenen Flügeln der sozialistischen Partei. Für Frankreich erwies sich dieser als »kleineres Übel« zu seinem Vorgänger Sarkozy gewählte Präsident als eine herbe Enttäuschung, für Europa als eine echte Katastrophe. Wer, wenn nicht der französische Präsident, hätte die Chance gehabt, den alternativlosen Merkel-Methoden ein soziales europäisches Gegenmodell entgegenzuhalten, zusammen mit den gebeutelten Südstaaten. Stattdessen liebäugelte Hollande mit dem so effizienten modèle allemand. Schon im ersten Jahr der Präsidentschaft waren 74 Prozent der Franzosen mit diesem Präsidenten unzufrieden – ein Rekordwert. Der Ausverkauf sozialistischer Ideen, das Fehlen linker Perspektiven führte schließlich zum politischen Desaster, letztendlich auch zum Sieg von Macron, der mit seinem Slogan »ni gauche, ni droite« (weder links noch rechts) eine resignierte Wählerschaft einfangen konnte.
Der Niedergang der parti socialiste hatte sich schon lange abgezeichnet. Noch zu Mitterrands Lebzeiten spottete man über la gauche caviar, jene Parteifunktionäre, die mit der Übernahme von Regierungsposten nach dem Motto »jetzt sind wir mal dran« die Privilegien des einstigen Klassenfeindes in vollen Zügen genossen. Mit der glücklosen Kandidatur von Ségolène Royal gegen Sarkozy 2007 war klar, dass François Mitterrands Erben unter einem eklatanten Mangel an qualifiziertem Personal litten. Die Parteibürokraten mit ihrer jeweiligen Hausmacht hatten es sich auf lukrativen Posten bequem gemacht, und so war es nicht verwunderlich, dass sich spätestens nach François Hollandes Verzicht auf eine erneute Kandidatur eine Untergangsstimmung breitmachte. Es war dann auch eine der letzten Amtshandlungen des scheidenden Präsidenten, seinen engsten Mitarbeitern durch die Versetzung auf sichere Planstellen bei der weiteren Karriereplanung zu helfen. Mit der Aufgabe der rue Solferino 10 ging die Ära der génération Mitterrand endgültig zu Ende.
Auch eine andere ehemals mächtige Partei manifestiert sich in einem mächtigen Anwesen. Im 9. Arrondissement befindet sich seit 1971 der Sitz der französischen Kommunisten. Das imposante Gebäude, ein Entwurf des brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer, steht am place du Colonel Fabien. Der nach einem kommunistischen Widerstandskämpfer benannte Platz ist bis heute Synonym für die PCF, auch wenn die inzwischen in die Bedeutungslosigkeit abgesunkene Partei einen Großteil der 20.000 Quadratmeter untervermieten muss. Zum Glück steht der Bau unter Denkmalschutz, wodurch ein kompletter Verkauf bisher vermieden werden konnte.
Der Absturz der französischen Sozialisten ist symptomatisch für den Niedergang der europäischen Sozialdemokratie. Bis auf wenige Ausnahmen wie England und Portugal scheint dieser Parteitypus, deren Mitglieder sich bisweilen noch mit »Genosse« ansprechen, zum Auslaufmodell zu werden. Namen wie Blair und Schröder, aber auch Papandreou und Gonzales stehen für ein bis zum Äußersten ausgereiztes Konzept, soziale Errungenschaften unter dem Label »links« in einem Maße abzubauen, wie es sich die Konservativen nie getraut hätten. Ein besonderes Kapitel stellen die deutschen Sozialdemokraten dar. In der Nachkriegszeit konnten sie davon profitieren, dass viele ihrer Mitglieder unter dem NS-Regime gelitten hatten, und durch den Antikommunismus gab es keine linke Konkurrenz. Mit dem Ende der Ära Brandt verschwanden allmählich die sozialistischen Ambitionen, bis man sich schließlich auf den auch bei den Konkurrenzparteien so beliebten Mittelstand konzentrierte. Doch das links Blinken, rechts Abbiegen hat Tradition. Schon in der Weimarer Republik lieferte Kurt Tucholsky diese hochaktuelle Beschreibung: »Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem 1. August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleineren Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas –: vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahin gegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen.«
Selbstverständlich haben die Sozialdemokraten den Etikettenschwindel nicht für sich gepachtet: Da gibt es noch eine Partei, die sich christlich nennt, eine andere gar christlich-sozial. Aber die Interessen der Lohnabhängigen waren seit Bebel immer bei den Sozialisten verortet. Davon konnte die SPD lange Zeit profitieren, bis Begriffe wie »rot« oder »links« vollkommen diskreditiert waren. Wer sich daher heute als links outet, tut gut daran, sich im gleichen Atemzug von Deutschlands ältester Partei zu distanzieren. Wegen der Glaubwürdigkeit.
Das Gebäude in der Berliner Stresemannstraße 15 steht bis jetzt nicht zum Verkauf. Das Willy-Brandt-Haus preist aber auf seiner Website die Vermietung von Räumen für Veranstaltungen an. Ob das langfristig hilft?
Apropos Tucholsky: Eine empfehlenswerte Hörprobe https://www.youtube.com/watch?v=Ke-hn1ES2cw (ab 3‘11)
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