Nach Vergiftung von Exspion Skripal stellt Großbritannien Russland Ultimatum. NATO droht mit Aufnahme der Ukraine
Von Reinhard Lauterbach
Bewusste Attacke: Die britische Premierministerin Theresa May weiß in ihrem Konfrontationskurs gegen Russland die NATO hinter sich (Brüssel, 25.5.2017)
Foto: Christian Hartmann /Reuters
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Die Vergiftung des britischen Exspions Sergej Skripal in Großbritannien wird von der Londoner Regierung zu einer systematischen Eskalation der Konflikte mit Russland genutzt. Premierministerin Theresa May sagte am Dienstag im Unterhaus, die Regierung sei »sehr sicher«, dass Russland entweder direkt hinter dem Giftanschlag auf Skripal stehe oder zugelassen habe, dass sowjetische Kampfstoffe außer Landes kamen. Sie setzte Moskau eine Frist bis Mittwoch um Mitternacht, um sich »zufriedenstellend« zu den Vorwürfen zu erklären.
Mays Begründung für den Verdacht gegen Russland lautete, es habe erstens das in Skripals Organismus gefundene Nervengift »Nowitschok« früher produziert, zweitens habe es schon staatliche Mordanschläge verübt und erklärt, es betrachte Überläufer als legitime Ziele für Vergeltungsaktionen. Wer schließlich wie Russland die Krim annektiere, westliche Wahlen beeinflusse und Computersysteme angreife, dem sei auch zuzutrauen, den Anschlag auf Skripal verübt zu haben.
Mays Rede rief im britischen Parlament breite Zustimmung hervor. Hinterbänkler der Konservativen nannten die Attacke auf Skripal bereits einen »Kriegsakt« oder wenigstens »kriegsähnlich«. Labour-Chef Jeremy Corbyn teilte die »Empörung« über den »zutiefst bestürzenden« Angriff und forderte von Russland »vollständige Rechenschaft«. Er kritisierte einzig, dass May nun offenbar bereit sei, den Dialog mit Moskau abbrechen zu lassen.
Etliche Entwicklungen lassen genau das als eigentliche Absicht des Westens erscheinen. US-Außenminister Rex Tillerson erklärte am Dienstag, er habe volles Vertrauen in die britischen Ermittlungen und Bewertungen. Anders gesagt: Er gab London Carte blanche, so wie 1914 Berlin seinem österreichischen Juniorpartner im Streit mit Serbien. Am selben Tag wurde er allerdings von US-Präsident Donald Trump entlassen.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg spekulierte darüber, ob das westliche Kriegsbündnis nun den »Artikel 5« mit der gegenseitigen Beistandsklausel aktivieren solle, jedenfalls könne die Kriegsallianz nun die Ukraine und die Balkanstaaten beschleunigt aufnehmen. In den USA hieß es, als Konsequenz könnte Washington die ukrainische Armee aktiver bewaffnen. Lauter Ziele also, die der Westen ohnehin verfolgt und für die er nun anscheinend im Schatten der hochgekochten Empörung günstige Bedingungen vermutet.
Russland wies die britischen Anschuldigungen als unbegründet zurück und nannte Mays Auftritt eine »Zirkusvorstellung«. Präsident Wladimir Putin antwortete auf die Frage eines BBC-Reporters, ob Russland Skripal vergiftet habe, die Briten sollten erst einmal ihre Ermittlungen zu Ende führen. Gleichzeitig bot Moskau London Zusammenarbeit bei der Aufklärung an und verlangte als Bedingung, die angeblichen Beweise vollständig vorgelegt zu bekommen. Auf das britische Ultimatum ging Moskau nicht direkt ein, drohte aber Gegenmaßnahmen an, wenn Sanktionen verhängt würden.
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