Montag, 19. März 2018

[Chiapas98] UNO erhebt Foltervorwürfe gegen Mexiko (Neue Zürcher Zeitung v. 16.3.2018)

Ein Bericht der Uno-Menschenrechtskommission wirft Mexiko vor, bei Ermittlungen im Zusammenhang zum Fall der 43 verschwundenen Studenten von Ayotzinapa Folter angewendet zu haben. Die offizielle Darstellung des Tathergangs gerät damit ins Wanken.
von Nicole Anliker
NZZ v. 16.3.2018
Der Fall der 43 vermissten Studenten von Ayotzinapa bringt Mexikos Regierung erneut unter Druck. Ein am Donnerstag publizierter Bericht der Uno-Menschenrechtskommission bezichtigt mexikanische Beamte, mindestens 34 Personen gefoltert zu haben, die im Zusammenhang mit der Tatnacht im September 2014 festgenommen worden waren. Die Uno fordert die Justiz dazu auf, die unter Folter gewonnenen «Beweise» zur Aufklärung des Verbrechens fallenzulassen und eine unabhängige Staatsanwaltschaft zu schaffen. Die mexikanische Regierung sieht jedoch keinen Grund dafür. Der Bericht bringe weder neue Erkenntnisse, noch stimmten dessen Schlussfolgerungen mit den laufenden Ermittlungen überein, hiess es in einem Communiqué. An den Fall der 43 Studenten wird die Regierung ungern erinnert. Präsident Peña Nieto verspielte sich mit ihm seine Glaubwürdigkeit.

Orchestriertes Vorgehen

«Doppelte Ungerechtigkeit» heisst der 62 Seiten lange Uno-Bericht, der Mexiko erneut in Bedrängnis bringt. Darin werden die Fälle von 69 der insgesamt 129 Personen untersucht, die im Zusammenhang mit der Verschleppung der 43 Studenten inhaftiert worden sind. Es handelt sich dabei um lokale Polizisten sowie mutmassliche Mitglieder des Drogenkartells Guerreros Unidos. 51 Verhaftete zeigen laut der Menschenrechtskommission Hinweise auf Misshandlung oder mögliche Folter; 34 von ihnen sollen erwiesenermassen gefoltert worden sein. Die Recherchen basieren auf Aussagen von Betroffenen sowie medizinischen Berichten, die in offiziellen Dokumenten aufgeführt sind.
Die Uno-Experten stellen ein «klares Muster von Menschenrechtsverletzungen und eine praktisch einheitliche Vorgehensweise» fest. Die Personen seien willkürlich verhaftet und während ihrer Überstellungen ins Gefängnis gefoltert worden. Der Bericht legt dar, wie durch Elektroschocks, Analpenetrationen, Prügel oder Waterboarding Aussagen und Geständnisse erzwungen wurden.
Ein orchestriertes Vorgehen der Behörden ist wahrscheinlich. Offenbar fanden alle Verhaftungen statt, nachdem die Generalstaatsanwaltschaft die Leitung der Ermittlungen am 5. Oktober 2014 übernommen hatte. Bundespolizisten, Marinesoldaten und Angestellte der Staatsanwaltschaft selber sollen involviert gewesen sein. Zu dem Zeitpunkt stand die Regierung unter nationalem und internationalem Druck, die Verschleppungen aufzuklären.
Im Januar 2015 schloss sie den Fall ab. Laut offizieller Darstellung nahmen Polizisten die Studenten am 26. September 2014 in Iguala fest, weil diese eine Wahlveranstaltung stören wollten. Die jungen Menschen wurden demnach dem Kartell Guerreros Unidos übergeben. Dieses brachte sie um, verbrannte ihre Leichen auf einer Müllhalde und warf deren Überreste in einen Fluss.

Offizielle Version demontiert

Diese Version der Tatnacht war bereits im September 2015 von einer Expertengruppe der Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten widerlegt worden. Die Regierung nahm die Untersuchungen danach zwar wieder auf, beendete das Mandat der Expertengruppe aber frühzeitig. Was mit den Studenten geschehen ist, bleibt bis heute unklar. Peña Nieto hatte sich stets darum bemüht, die Tat als lokale Angelegenheit darzustellen; als einen Vorfall, in dem die örtliche Polizei mit dem Kartell kooperierte. Der jüngste Uno-Bericht demontiert diese Darstellung geradezu, da sie sich auf Zeugenaussagen stützt, die offenbar unter Folter gemacht worden waren. Die Hinweise darauf, dass der Versuch gemacht wird, den tatsächlichen Hergang zu vertuschen, verdichten sich damit.
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