Inhalt:
Einige Punkte zur Einschätzung der politischen Lage in Österreich Anfang 2018
1. Zur Einschätzung der neuen Regierungskonstellation
2. Zu Bedingungen und Orientierung des Klassenkampfs angesichts der schwarz-blauen Regierung
Hartz-IV in Österreich: Vom „Mindestsicherungsgesetz“ 2010 zur „Modernisierung“ des Arbeitslosenrechts 2018
Einige Punkte zur Einschätzung der politischen Lage in Österreich Anfang 2018
1. Zur Einschätzung der neuen Regierungskonstellation
2. Zu Bedingungen und Orientierung des Klassenkampfs angesichts der schwarz-blauen Regierung
Hartz-IV in Österreich: Vom „Mindestsicherungsgesetz“ 2010 zur „Modernisierung“ des Arbeitslosenrechts 2018
1. Zur Einschätzung der neuen Regierungskonstellation
Seit Dezember 2017 ist
eine neue Regierung aus ÖVP und FPÖ am Ruder. Die FPÖ in der Regierung
haben wir nicht zum ersten Mal. Wir hatten das bereits 1983-1987 als
Juniorpartner der SPÖ (unter den Bundeskanzlern Sinowatz und Vranitzky)
und 2000-2007 als Juniorpartner der ÖVP (unter dem Bundeskanzler
Schüssel). Beim ersten Mal, unter der schützenden Hand der SPÖ, gab es
nicht viel Wirbel gegen sie. Beim zweiten Mal, im Jahr 2000, war das
anders, damals gab es erhebliche und anhaltende Massenproteste. Im
Dezember 2017 sind rund um die Angelobung solche Massenproteste
ausgeblieben. 10.000 Teilnehmer in Wien sind nicht viel verglichen mit
den 300.000 am 19.Februar 2000. Das ist kein Zufall und kein
(massen)psychologisches Phänomen, sondern widerspiegelt die Entwicklung
der Gesellschaft und der Klassenkampfsituation. In den 1980er Jahren war
eine Phase der Linksentwicklung in der Gesellschaft (erhebliche
Streikkämpfe, antikapitalistische Volksbewegungen, Stärkung
kommunistischer Organisationen) gerade zu Ende gegangen. Es begann schon
wieder stramm nach rechts zu gehen.
Aber die neuerlichen
Tendenzen in Richtung Polizeistaat und Faschisierung des Staatsapparats
nahmen erst an Fahrt auf (die späten 1960er und 1970er Jahre mit ihrer
scharfen polizeilichen und juristischen Repression gegen alles Linke
waren schon wieder vergessen). Die FPÖ gerierte sich damals noch nicht
als ultrarechte Partei wie später unter Haider und Strache. Zwar hatte
sie damals dieselbe Vergangenheit, einen ebenso starken faschistischen
Flügel und auch das gleiche rechtsradikale Potential, aber der Steger
war halt nicht der Haider, sondern trat als „Nationalliberaler“ auf.
Rassismus, Chauvinismus und Xenophobie gab zwar damals auch schon, aber
eher als Nischenerscheinung, ohne große Bedeutung. Ganz anders im Jahr
2000. Zwar war den Wenigsten aufgefallen, dass drei aufeinanderfolgende
SPÖ-Innenminister (Löschnak, von Einem und Schlögl) seit mehr als einem
Jahrzehnt energisch den Ausbau des Polizeistaates, der Militarisierung
der Polizei, der Verschärfung der „Sicherheitspolitik“ betrieben hatten –
aber jetzt hatte die Haider-FPÖ sich seit „Knittelfeld“ nach rechts hin
radikalisiert. Es gab im Jahr 2000 ein gewisses Gefühl einer
„faschistischen Gefahr“, auch wenn nicht immer durchschaut wurde, worin
diese Gefahr eigentlich bestand. Das erklärt die damaligen
Massenproteste.
Heute ist die Lage anders. Seit den 1980er Jahren haben wir in Gesellschaft und Politik eine, noch dazu sich in den letzten Jahren nochmals beschleunigende Rechtsentwicklung. Wieso das? Die Bourgeoisie, die weder dumm noch blind ist, stellt sich auf die Verschärfung der Klassenwidersprüche ein, marschiert nach rechts und mit ihr marschiert die „öffentliche Meinung“, ihre Medien und alle ihre Parteien. Der Polizeistaat wird massiv ausgebaut (Repressionsapparat, Überwachung …), das „Profil“ des Bundesheeres geschärft, auch bzw. insbesondere für den Einsatz im Inneren, Chauvinismus und Rassismus werden angeheizt, um ArbeiterInnenklasse und Volk zu spalten. Die ÖVP war zwar immer schon reaktionär, aber noch nie so offen und extremistisch reaktionär wie heute. Aber auch die SPÖ lässt sich nicht lumpen und trägt den chauvinistischen Kurs – nach einigem Zögern – mit. In allem Wesentlichen sind sich alle einig: in ihrem „Neoliberalismus“ (Privatisierung, „Deregulierung“, Zertrümmerung des Arbeits- und Sozialrechts …), in der „Sicherheitspolitik“ und – mit Nuancen (aber das auch nur soweit es um offenen Rassismus geht) – inzwischen auch in der „Ausländerfrage“. Zugleich hat die FPÖ, die unbedingt wieder Posten und Pfründen will, im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen „demokratische“ und „europäische“ Kreide gefressen. Das alles zusammen ergibt eine Gemengelage, die offenbar die Herausbildung einer Massenbewegung gegen die Kurz-Strache-Reaktion sehr erschwert. Ein Wunder ist das nicht. Wenn sich ÖVP und SPÖ inzwischen nur mehr in Nuancen von der FPÖ unterscheiden, wenn frühere Debatten über die „Salonfähigkeit“ (oder „Ausgrenzung“) des Rechtsradikalismus inzwischen als anachronistisch erscheinen, wenn was gestern noch faschistisch hieß, heute „nationalkonservativ“ heißt und was gestern noch rechtsextremistisch hieß, heute „rechtskonservativ“, wenn rechtsextremes Gedankengut inzwischen als „Mitte-Rechts“ und die gemäßigtere Variante davon (wozu die Sozialdemokratie zu rechnen ist) sogar als „Mitte-Links“ gilt – dann trübt das das Wahrnehmungsvermögen und untergräbt es, wenn nicht dagegen gehalten wird, im Lauf der Zeit Protest und Widerstand 1. Zumal diese Entwicklung in internationalem Gleichklang erfolgt, immerhin sitzen ultrareaktionäre Parteien in 9 EU-Ländern sowie in Norwegen und in der Schweiz in der Regierung (und einige davon sind sogar halbfaschistische).
Zugleich
verschlechtert sich die objektive Lage erheblicher Teile von
ArbeiterInnenklasse und Volk zusehends. Reallohnabbau, Prekarität,
Zunahme der Arbeitslosigkeit, Aushöhlung bzw. Abbau des Arbeits- und
Sozialrechts (vom Pensionsrecht über die „Flexibilisierung“ der
Arbeitszeit bis zum „effizienten“ Einsatz eines wachsenden
Arbeitslosenheeres usw.). Das alles ist nicht neu. Der im neuen
Regierungsprogramm geplante neue Feldzug ist nur die Fortsetzung des
alten Feldzugs. Aber die Massen sind ideologisch gespalten und politisch
(organisatorisch) entwaffnet, daher ideologisch und politisch bewusst-
und wehrlos. Die Bourgeoisie versprüht derzeit gerade wieder einmal
Optimismus, blickt aber innerlich mit Sorge in ihre Zukunft. Die
Konkurrenz verschärft sich, die Profite sind unter Druck, der lange
Jahre andauernde Produktivitätsvorsprung schmilzt, neokoloniale
Einflusszonen am Balkan drohen ihr zu entgleiten und damit die damit
verbundenen erheblichen Extraprofite. Die Widersprüche im Weltmaßstab
verschärfen sich, politische „Instabilität“ nimmt zu, die daraus
resultierenden „Kollateralschäden“ (z.B. Migration, Umweltkatastrophen
…) nehmen zu. Die Bourgeoisie muss, will sie nicht den Anschluss
versäumen, Ausbeutung und Ausplünderung drastisch verschärfen, sowohl
dem Grad als auch dem Tempo nach. Sie muss
das, sie hat keine Wahl. „Im Großen und Ganzen hängt dies … nicht vom
guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten ab. Die freie
Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion
dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches Zwangsgesetz
geltend.“ (Marx, „Das Kapital“ I, MEW 23, S.286) Dasselbe gilt für die
Bourgeoisie eines jeden Landes gegenüber ihren ausländischen
Konkurrenten.
Alle Abteilungen und
Strömungen der österreichischen Kapitalistenklasse (und dementsprechend
auch alle maßgeblichen Parteien) sind sich einig bezüglich der
Notwendigkeit einer drastischen „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“
des österreichischen Kapitals, ergo einer scharfen Ausbeutungs- und
Ausplünderungsoffensive, radikaler als bisher schon. Die Frage ist nur:
wie radikal, in welchem Tempo, mit welchen Methoden? Die Frage ist nicht
Zuckerbrot oder Peitsche, denn es ist klar, dass die Peitsche schärfer
geschwungen werden muss als bisher. Die Frage ist nur: Wie viel
Zuckerbrot braucht die Peitsche, um erfolgreich geschwungen werden zu
können? Es stellt sich die Frage nach der geeignetsten Methode: soll man
eher „sozialpartnerschaftlich“ und schrittweise vorgehen oder eher nach
dem Motto „speed kills“ (das der Herr Khol von der ÖVP vor 17 Jahren.
anlässlich der seinerzeitigen ÖVP-FPÖ-Koalition, in die politische
Debatte einbrachte)? In diesem „taktischen“ Punkt, und nur in diesem,
keinesfalls im „strategischen“ Inhalt der letztlich für das Kapital
notwendigen „Reformen“, unterscheiden sich die verschiedenen politischen
Parteien.
Was die Bourgeoisie
jetzt mittels der ÖVP-FPÖ-Regierung in Angriff nehmen will,
unterscheidet sich nicht von dem, was z.B. die deutsche Bourgeoisie
bereits längst mittels der sozialdemokratisch-grünen Regierung
(Schröder-Fischer) durchgesetzt hat. Es kommt nur mit Verspätung, denn
bisher bestand für die österreichische Bourgeoisie wegen ihres
Produktivitätsvorsprungs, hoher neokolonialer Extraprofite auf dem
Balkan und anderer Konkurrenzvorteile keine zwingende Notwendigkeit,
sofort nachzuziehen. Immerhin hätte sie dadurch ja eventuell den
„sozialen Frieden“ gefährdet, eine „Frieden“, von dem sie seit
Jahrzehnten profitiert. Jetzt hat sich die Lage geändert, die
Konkurrenzvorteile schmelzen ab, die Profitrate ist unter Druck, jetzt
kann keine Rücksicht mehr auf den „Sozialpartner“ genommen werden. Das
ist die objektive Logik hinter dem Regierungswechsel. Nichts hat das
alles zu tun mit irgendeinem „Wählerwillen“ oder damit, dass die SPÖ
weniger Kapitalistenknecht oder „Industriellenfreund“ wäre als die SPD
in Deutschland.
Die SPÖ folgt genau
wie die anderen Parteien der Logik des Kapitals, des Profits, daher der
Ausbeutung. Jedoch ist für sie, solange und soweit die Klasseninteressen
der Bourgeoisie das zulassen, das Zuckerbrot wichtig. Das ist die
Lebensbedingung für ihren „arbeiteraristokratischen“ Partei- und
Gewerkschaftsapparat und daraus speist sich auch ihr besonderer Nutzen
für die Bourgeoisie. Meistens leistet die „Sozialpartnerschaft“ der
Bourgeoisie gute Dienste. Wenn es aber einmal wirklich nicht mehr anders
geht, gibt sich die Sozialdemokratie auch für einen brutaleren Kurs
her. Fast alle sozialen und wirtschaftlichen Attacken gegen die
ArbeiterInnenklasse im Nachkriegseuropa wurden von der Sozialdemokratie
des jeweiligen Landes geritten, weil sie die ArbeiterInnenklasse
einlullen und niederhalten kann. Allerdings, das ist die „Rache des
Montezuma“, tut ihr das meist auf Sicht nicht gut – was aber für die
Bourgeoisie wiederum kein großes Problem ist, hat sie doch genug andere
Parteien im Köcher. Es ist z.B. fraglich, ob in Deutschland seinerzeit
eine CDU-Regierung die sozialdemokratisch-grüne „Jahrhundertreform“
„Hartz IV“ hätte durchdrücken können, ohne gewaltigen Widerstand
auszulösen. Allerdings wurde die SPD dafür bei den Wahlen auch
ordentlich „abgestraft“. Noch krasser in Frankreich, wo die
Sozialdemokratie ebenfalls einen solchen Kurs verfolgte und bei den
letzten Wahlen zertrümmert wurde. Für die ÖVP stellt sich das angesichts
ihrer sozialen, aber auch ihrer politischen Klassenbasis anders dar.
Für die FPÖ als ultrareaktionäre Parte ähnlich, aber nicht ganz, denn es
kann ihr – mit ihrer Masche der „sozialen Heimatpartei“, vulgo: „Partei
des kleinen Mannes“ – passieren, dass sie bei dem Tempo, mit dem sie
alle ihre Wahlversprechen auf sozialem Gebiet bricht, bald durch den
Widerspruch zwischen ihrer Regierungspolitik und ihrer arbeiter- und
volkstümelnden Vorwahlpropaganda zerrieben oder sogar zerrissen wird.
Für die Bourgeoisie
stellte sich die Alternative, entweder mit der bisherigen Koalition
weiterzumachen oder einen Wechsel bzw. eher eine Anpassung scharf nach
rechts vorzunehmen. Ersteres hätte Kontinuität versprochen in puncto
arbeiterInnen- und volksfeindlicher Politik wie auch in puncto
„normalem“ Chauvinismus und Rassismus, aber die Versuchung, die Gunst
der Stunde (das Wahlergebnis, das Migrations“problem“, den
„Kurz-Effekt“,…) zu nutzen und zumindest zu versuchen, ohne Rücksicht
auf den „Sozialpartner“ brachial gegen das Arbeits- und Sozialrecht und
für noch mehr Steuerausplünderung vorzugehen, war für die Bourgeoisie
groß. Die Kernpunkte des neuen Regierungsprogramms sind klar: Steigerung
der Ausbeutung (durch „Reform“ des Arbeitsrechts), Sozialabbau,
Profitförderung (u.a. durch Steuerentlastung des Monopolkapitals) und
eine gehörige Portion an nationalem (gegen die „Ausländer“) und sozialem
Chauvinismus (gegen die „Minderleister“). Das ist das Rückgrat des
neuen Regierungsprogramms. Allerdings war das auch schon das Rückgrat
der SPÖ-ÖVP-Regierungspolitik, allenfalls ein bisschen weniger offen
formuliert, ein bisschen weniger aggressiv und ein bisschen weniger mit
chauvinistischen Parolen aufgeladen, aber keinesfalls weniger
„effizient“ im Sinne der Bourgeoisie 2.
Offenbar hat sich in der Bourgeoisie eine Strömung durchgesetzt, zur
Abwechslung wieder einmal auf die „Sozialpartnerschaft“ eher zu pfeifen
bzw. sie zurückzudrängen (mit ihr lassen sich nämlich viele der
angepeilten „Reformen“ zwar auch, aber nicht in diesem Tempo
durchsetzen) und mit rollenden Angriffen gegen ArbeiterInnenklasse und
Volk zu versuchen, den „Reformstau zu beseitigen“ 3.
Wenn sich kein oder nur wenig Widerstand entwickeln sollte, klappt das
zumindest eine Zeitlang. Die SPÖ könnte sich eine Zeitlang im
Hintergrund halten, gegen die Regierungskoalition maulen, sich dort oder
da sogar mit ihr anlegen, ohne aber der notwendigen radikalen „Reform“
ernsthaft im Weg zu stehen. Denn in den großen Zügen und in den
Kernpunkten ist sie denselben „Reformen“ verpflichtet, will sie
„staatstragend“ und „verantwortungsvoll“ bleiben (was sie bei Strafe des
Untergangs muss). Aber sie wäre für den Fall des Falles eines
neuerlichen Regierungswechsels nicht angepatzt. So gesehen ist die
ÖVP-FPÖ-Koalition ein kluger Schachzug der Bourgeoisie. Der „Bonus“ des
jungen dynamischen Schnösels Kurz wird sich wahrscheinlich schnell
abnutzen und die FPÖ wird in die Mühle geraten zwischen ihrer
tatsächlichen Politik und ihrer Wählerbasis bzw. den dieser gegebenen
Versprechungen und Illusionen, d.i. zwischen ihrer politischen und ihrer
sozialen Basis. Die Bourgeoisie hätte dann für den Fall des Falles eine
„unverbrauchte“ SPÖ-Option im Köcher.
Jedenfalls probiert es
die Bourgeoisie jetzt einmal ohne SPÖ in der Regierung. Wer hat das
entschieden? „Der Wähler“? Die Herren Kurz und Strache? Auf Basis des
„Wählerwillens“, also des Wahlergebnisses hätte man genauso eine
Koalition aus SPÖ und ÖVP (113 von 183 Sitzen) oder sogar SPÖ und FPÖ
(105 von 183 Sitzen) bilden können (worauf ein Teil der SPÖ ohnedies
schon einige Zeit hinarbeitet). Wieso kam dann die ÖVP-FPÖ-Koalition
heraus? In die Regierung gehievt wurde die ÖVP-FPÖ-Koalition nicht etwa
durch einen „Wählerwillen“, sondern durch die Bourgeoisie. Die Regierung
ist der geschäftsführende politische Ausschuss der Bourgeoisie, die
politische Repräsentanz des ideellen Gesamtkapitalisten. Die Bourgeoisie
probiert es halt jetzt einmal mit einer ÖVP-FPÖ-Koalition. Man muss
sich das nicht so vorstellen, dass irgendwo ein Strippenzieher sitzt,
der die Gesamtinteressen der Klasse verkörpert. Es wird innerhalb der
Bourgeoisie immer verschiedene Abteilungen (in ökonomischer Hinsicht)
und Strömungen (in politischer Hinsicht) geben, es wird Widersprüche,
Meinungsverschiedenheiten und Richtungskämpfe geben und diese vermitteln
sich über die diversen Bourgeoisparteien, die diversen Bourgeoismedien –
und die Bourgeoiswahlen. Eine gewisse „Vielfalt“ ist nachgerade ein
Muss der Bourgeoisdemokratie. Ein unerwartetes „Wählervotum“ kann da
zwar manchmal (sehr selten, nur unter Bedingungen verschärfter
Klassenwidersprüche) hineinpfuschen, ändern kann es nichts. Die Frage
ist, ob die Bourgeoisie bzw. die Richtung, die sich durchsetzt, einen
aggressiveren oder gemäßigteren Kurs steuern will, wie sie Peitsche und
Zuckerbrot miteinander kombinieren will, ob sie mehr oder weniger (oder
ggf. gar keine) „Sozialpartnerschaft“ einsetzen will usw. So kommt dann
eben die eine oder andere Partei zum Zug oder nicht zum Zug. Spießt es
sich, macht man solange Neuwahlen, bis es klappt (Spanien). Kommt man
einmal wirklich um einen unerwünschten Kandidaten nicht herum (wie
seinerzeit um die Syriza in Griechenland) dreht man diesen um oder lässt
ihn in eine Krise rauschen (z.B. einen Korruptionskrise, alle Dossiers
dafür liegen ja in den Schubladen) und stürzt ihn. Bei unberechenbaren
Entwicklungen kann man über das Geld und die Medien, die einem gehören,
eingreifen. Man kann auch den Bundespräsidenten eingreifen lassen – wie
gerade in Deutschland. Dort wird der Eindruck erweckt, der Herr
Steinmeier hätte das Ruder in Richtung einer CDU-SPD-Koalition
herumgerissen; aber der Herr Steinmeier wäre gar nichts, hätte er nicht
eine Mehrheit der herrschenden Klasse hinter sich. Beim österreichischen
Van der Bellen sieht man ebenfalls, wozu man ihn gewählt hat. Die
„Richtungsentscheidung“ anlässlich der Bundespräsidentenwahl entpuppt
sich im Nachhinein als riesige Farce. Um die neue ÖVP-FPÖ-Regierung
anzugeloben, hätte man genauso den Herrn Hofer wählen können. Und jetzt
macht er sogar schon, anlässlich der „Neujahrsansprache“, indirekt
Propaganda für die neue Regierung, ihre „Chancen“, ihre „Verantwortung“
etc. Ekelerregend!
Wie wird sich die SPÖ
verhalten? Sie tritt klarerweise gegen die neue Regierungskoalition auf,
aber sicher nicht gegen sie an. Sie hätte selbst gerne mit der ÖVP oder
auch mit der FPÖ eine Koalition gebildet, wenn es sich so ergeben
hätte. Jetzt wird ein bisschen protestiert und gemault, aber nur ein
bisschen, denn gegen die allermeisten Punkte des Regierungsprogramms hat
sie ja der Sache nach ohnehin nichts einzuwenden, allenfalls gegen
einige „Exzesse“, den Tonfall und einiges chauvinistische und
rassistisch-„völkische“ Beiwerk. Für den Fall, dass jemand im ÖGB das
anders sehen sollte, betonte ÖGB-Boss Foglar vorsorglich schon die
„politische Neutralität der Gewerkschaften gegenüber der Regierung“.
Insbesondere erklärte er, dass der ÖGB nicht an allfälligen den
Anti-Regierungsdemonstrationen teilnehmen werde. Eine interne
Dienstanweisung verbietet es ÖGB-Funktionären, auf regierungsfeindlichen
Demonstrationen aufzutreten. Natürlich gehen der SPÖ durch die
Oppositionsrolle ein paar Posten und Pfründen zeitweilig verloren, aber
dafür kann sie sich darauf vorbereiten, in den Startlöchern zu stehen,
wenn es mit der jetzigen Regierung einmal nicht mehr klappen sollte,
also spätestens in fünf Jahren. Bis dahin würde sie sich nicht nur nicht
mit neuen Schandtaten beschmutzt (auch wenn sie vielleicht im
Hintergrund daran mitgewirkt hat, manchmal direkt, manchmal nur durch
Stillhalten), sondern auch die alten zum Teil vergessen gemacht haben.
Auch die deutsche Sozialdemokratie hatte unmittelbar nach ihrer
Wahlschlappe – aus eigener Entscheidung – auf so einen Weg gesetzt –
allerdings ist die dortige Bourgeoisie gerade dabei, sie wieder
umzudrehen.
2. Zu Bedingungen und Orientierung des Klassenkampfs angesichts der schwarz-blauen Regierung
Zwar findet die
österreichische Bourgeoisie ihre politischen Repräsentanten in allen
maßgeblichen politischen Parteien und gehören alle diese Parteien zum
Klassenfeind. Da aber zwei von ihnen derzeit die Regierung bilden, muss
der Hauptstoß in politischer Hinsicht derzeit gegen die
ÖVP-FPÖ-Regierung als den derzeitigen geschäftsführenden politischen
Ausschuss der Bourgeoisie gerichtet werden. Dies darf indes nicht dazu
führen, hinter dem scharz-blauen Gesindel die Bourgeoisie verschwinden
zu lassen und womöglich die SPÖ auszusparen oder sie gar als „kleineres
Übel“ zu schonen. (Dasselbe gilt für den ultra-neoliberalen und zugleich
ultra-reaktionären Ableger des rechten Flügels der ÖVP, die „Neos“,
oder die Liste Pilz.)
Muss man aber
vielleicht dennoch in erster Linie auf die FPÖ fokussieren? Natürlich
ist die FPÖ eine ultrareaktionäre Partei und hat sie einige
Besonderheiten, insbesondere einen beträchtlichen faschistischen Flügel,
der etwa ein Drittel dieser Partei ausmacht und im Parlament und wohl
auch bald in den von ihr besetzten Teilen des Staatsapparats
überproportional vertreten ist/sein wird. Allerdings wurde sie von
vielen ihrer Wähler nicht deshalb gewählt. Natürlich wird die FPÖ, auch
der staatsmännisch gewordene Strache, immer wieder ultrareaktionäre
Vorstöße unternehmen, die noch über das Regierungsprogramm hinausgehen,
allein schon um immer wieder von ihrer arbeiterInnen- und
volksfeindlichen Politik in Fragen Arbeitsrecht, Sozialsystem,
Demokratie etc. abzulenken – aber von Kurz und Konsorten muss man
ähnliches erwarten. Vielleicht wird es unter einem FPÖ-Innenminister zu
noch mehr polizeilichen und geheimdienstlichen „Exzessen“ kommen als
unter seinem ÖVP-Vorläufer Sobotka, aber nur vielleicht, denn auch der
hat es bereits heftig getrieben. Es sind alle diese Bösartigkeiten
durchaus nicht der FPÖ vorbehalten. Die Führungsmannschaft der ÖVP ist
um nichts besser als die FPÖ. Inwiefern sind denn ein Kurz mit seinem
unverhohlen zur Schau getragenen Rassismus, ein Blümel mit seinem
exzessiven Sozialchauvinismus (d.h. einem Chauvinismus der
„Leistungsträger“ bzw. „Leistungswilligen“), ein Sobotka mit seinen
faschistischen Träumen und Ausritten in puncto Polizeistaat,
Scharfmacher wie Stelzer und Mikl-Leitner mit ihrer Handhabung der
Flüchtlingsfrage in OÖ und NÖ weniger reaktionär als ein Strache? O.K.
sie waren nicht in Nazi-Wehrsportgruppen und haben keinen Schmiss, aber
sonst? Die Kurz, Sobotka, Mikl-Leitner, um nur einige der prominentesten
Beispiele zu nennen, haben im letzten Jahr die FPÖ, jedenfalls die
etwas weichgespülten Herren Strache und Hofer, rechts überholt.
Ähnliches gilt auch
von Teilen der SPÖ. Ein Doskozil beteiligte sich zwar nicht an der offen
rassistischen Hetze eines Kurz, ließ aber in der Praxis keine
Gelegenheit aus, um zu demonstrieren, dass er mit dem ÖVP-Innenminister
Sobotka ein Herz und eine Seele ist. Und dieser Mann wurde im Wahlkampf
von Kern zu seinem Quasi-Stellvertreter aufgebaut und als
Zukunftshoffnung und Superminister der Sozialdemokratie gehandelt. Ein
Nissel im Burgenland betreibt dort eine Flüchtlingspolitik, die der in
OÖ und NÖ um nichts nachsteht. Kern selbst hat die reaktionäre Flut, die
im Vorjahr über uns hereinbrach, mitgetragen, er hat sich bloß verbal
nicht so exponiert und ist bei einigen Fragen, z.B. der islambezogenen
Hetze des Kurz, bei seinem Traum, das Mittelmeer militärisch abzusperren
und dort Flüchtlinge abzuschießen, und bei ähnlichen „Exzessen“ nicht
mitgegangen. Aber in den wirklich wichtigen und auch realistischen
Kernpunkten? Der ganze Wahlkampf der SPÖ zielte darauf, Kurz und Strache
mindestens zu matchen. Auch auf eine eventuelle Koalition berechnete
Kontakte mit der FPÖ gab es auf mehreren Ebenen. Nissel oder Doskozil
sind keine Ausreißer. Allerdings, das ist wahr, es tragen nicht alle
Teile und Mitglieder der SPÖ-Basis das mit. Weshalb sich das auch in
entsprechenden Widersprüchen ausdrückte und ausdrückt (z.B. in Wien,
wenn man an ein paar Äußerungen Häupls oder der inzwischen abservierten
Frau Wehsely denkt).
Die SPÖ ist ebenfalls
eine politische Repräsentanz des Klassenfeinds. In jeder Hinsicht, vom
Sozialabbau bis zum Polizeistaat, betreibt sie seit eh und je das
Geschäft der Bourgeoisie. Im Kern schweben ihr dieselben „Reformen“ vor
wie der neuen Regierungskoalition und sie arbeitete ja auch bisher schon
in der Regierung gemeinsam mit der ÖVP daran. Auch wenn die „neue“
Politik noch so neu daherkommt – an vielen und vor allem an den
entscheidenden Fragen ist es die alte Politik. Die SPÖ ist keinesfalls
ein „kleineres Übel“ – und nicht selten entpuppt sich das „kleinere
Übel“ alsbald als das größere. Auch im Kampf gegen die derzeitige
Regierung darf man ihre bisherige Rolle als Mittäter und ihre zukünftige
als potentieller Nachfolger der jetzigen Regierung, sobald diese einmal
– aus Sicht der Bourgeoisie – politisch abgewirtschaftet haben wird,
nicht vergessen. Was immer sie jetzt schwätzt, in ein paar Jahren wird
voraussichtlich sie wieder die Regierungsgeschäfte übernehmen und das
Werk der ÖVP-FPÖ-Regierung fortsetzen, vielleicht in andere Worte
gehüllt, mit ein bisschen anderen Methoden, aber der Sache nach gleich,
denn eine Politik, die auf Steigerung der „Wettbewerbsfähigkeit“ des
österreichischen Kapitals, ergo dessen auf Steigerung der Ausbeutung und
Ausplünderung, ergo dessen auch der Repression zielt, ist halt nun
einmal im Wesentlichen „alternativlos“ – solange man nicht auf den Sturz
des „alternativlosen“ Systems Kurs nimmt. Die SPÖ ist auch nach wie vor
der ideologische Hauptfeind in der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung.
Nochmals zurück zur
FPÖ. Zur Beurteilung der Frage, wer wie schlimm und gefährlich ist in
puncto Polizeistaat, Faschisierung, Chauvinismus etc., sind nicht die
Nazireminiszenzen einiger jetzt in Parlament und Regierung sitzenden
faschistischer Burschenschafter, sondern das Regierungsprogramm und
seine praktische Umsetzung, soweit es von der inneren und äußeren
„Sicherheit“, von der Aufrüstung und Militarisierung der Polizei, von
der Polizeiisierung und „Profilschärfung“ der Armee usw. handelt. Und
hier findet sich kaum etwas, was nicht im Kern auch die bisherigen
Regierungen massiv betrieben hätten. Vielleicht gibt es Nuancen zwischen
einem Kickl als Innenminister oder einem Sobotka – aber nur allenfalls
Nuancen, denn bei beiden handelt es sich um Leute mit einem
faschistoiden Persönlichkeitsprofil. Vieles von dem, was im
Regierungsprogramm steht, wurde bereits von der SPÖ-ÖVP-Regierung
vorbereitet oder in Angriff genommen (wenn auch nicht immer und vor
allem nicht mit denselben Worten hinausposaunt) und es wäre in jedem
Fall, bei jeder Regierungskonstellation, weitergeführt worden. Auch was
gegenüber Flüchtlingen im ganzen Land und besonders krass in OÖ, NÖ,
Burgenland praktiziert wurde und wird, bedurfte nicht überall der
Mitwirkung der FPÖ. Kern dachte sich sicher etwas (oder auch nicht), als
ihm am 19.12.2017 entschlüpfte, für dieses Regierungsprogramm hätte man
nicht die SPÖ durch die FPÖ ersetzen müssen. Aus diesem Grund braucht
man übrigens auch der „Machtkonzentration“, die sich daraus ergibt, dass
die FPÖ den Innen- und Kriegsminister stellt, nicht allzuviel Bedeutung
beimessen.
Bei der FPÖ gibt es
noch eine weitere Frage. Ihre Regierungstätigkeit in der Regierung
Schüssel (2000-2007) bestand hauptsächlich darin, Posten und Pfründen an
sich zu reißen, keine Korruptionsmöglichkeit auszulassen und alles an
„Programm“ unverzüglich zu vergessen. Binnen weniger Jahre war ein
Drittel der FPÖ-Amtsträger (in NÖ die Hälfte!) in irgendwelche
Strafverfahren wegen Unterschlagung, Untreue, Korruption, Krida usw.
verstrickt. Einige dieser Prozesse dauern bis heute an. Sie wussten oder
ahnten zumindest, dass sie nicht lange in der Regierung bleiben würden,
und die paar Jahre galt es auszunutzen. Vielleicht geht es der
Strache-FPÖ ähnlich. Wäre nicht schlecht, denn wer wieviel aus dem
Korruptionstopf, alles sowieso bereits ausgepresster Mehrwert, bezieht,
spielt uns keine Rolle – Hauptsache dieses Gesindel beschäftigt sich mit
nichts anderem. Ob es allerdings diesmal wieder so kommt, ist nicht
sicher, denn die „Zeichen“ stehen einer Partei wie der FPÖ heute
deutlich günstiger als damals.
Wächst mit der neuen
Regierungskonstellation – wenn schon nicht gleich die Gefahr des
Faschismus (des Ersatzes der bourgeoisdemokratischen durch eine
faschistischen Herrschaftsform der Bourgeoisie), so doch die Gefahr
einer forcierteren weiteren Faschisierung unserer Gesellschaft? In diese
Richtung gehende Tendenzen werden sich ziemlich sicher verstärken –
aber sie hätten sich auch unter jeder anderen Regierungskonstellation
verstärkt. Einen „kulturellen“ Unterschied macht es natürlich aus, wenn
offener und lautstarker Rassismus zur Regierungspolitik wird, wenn
deklarierte Nazis salonfähig werden, wenn eine Regierung plötzlich
wieder in der Südtirolfrage und darüber hinaus zündelt 4
oder wenn jemand, der seit Jahr und Tag gegen die
„testosterongesteuerten“ Flüchtlinge hetzt, Außenministerin wird. Aber
das alles ist eher Beiwerk des reaktionären Kurses, hauptsächlich auf
das „politische Klima“ gerichtet und auf Propaganda, oft auch nur auf
Provokation zielend und einen dumpfen reaktionären Bodensatz des
Wählervolks bedienend. Die nächste Ausbeutungs- und
Plünderungsoffensive, der weitere und verschärfte Ausbau des
Polizeistaats und noch mehr Schwung bei der Faschisierung des
Staatsapparats – das alles entscheidet sich am Kern der Sache, nicht an
diesem Beiwerk. Es geht um den arbeiterInnen- und volksfeindlichen Kern
des Regierungsprogramms, nicht um sein Beiwerk an Phrasendrescherei. In
diesem Kern aber erkennt man über weite Strecken eine Fortsetzung die
bisherige Regierungspolitik, die bloß nach den Träumen der Kurz und
Strache ein wenig „brutalisiert“, verschärft, beschleunigt werden soll.
Ausbau des
Polizeistaats, Anheizen des staatlichen Chauvinismus und Rassismus,
Faschisierungstendenzen machen allerdings noch keinen Faschismus.
Sowieso entscheiden weder die Hinz und Kunz des Wählervolkes, noch der
Sobotka mit seinem Parlament, noch die Kurz und Strache, über
Herrschaftsform und Herrschaftsmethoden der Bourgeoisie. Das letzte Wort
spricht immer die Klasse selbst bzw. die in ihr dominierende Fraktion
und/oder Strömung. Wenn sie keine andere Möglichkeit mehr sieht, ihre
Herrschaft aufrechtzuerhalten, als mittels eines halbfaschistischen oder
faschistischen Regimes, wird sie nicht zögern. Aber so etwas ist immer
mit Risiken behaftet, denn die offen terroristische Diktatur gegen
ArbeiterInnenklasse und Volk fordert zwangsläufig Widerstand heraus.
Wenige faschistische Regime haben sich über längere Zeiträume gehalten
und nach ihrem Zusammenbruch war die Bourgeoisherrschaft erst recht
wieder gefährdet, oft mehr als zuvor. Die Bourgeoisie wird sich so etwas
daher sehr genau überlegen. Derzeit ist so etwas nicht spruchreif. Sie
bereitet sich zwar auf längere Sicht auch auf eine faschistische Option
vor, aber sie hat keinen Grund, die faschistische Karte beim
gegenwärtigen Verhältnis der Klassenkräfte zu ziehen. Selbst wenn dieser
oder jener Minister oder Parteiführer in so eine Richtung liebäugeln
würde, würde er damit nicht durchkommen. Sogar im politischen Apparat,
vom Parlament bis zur Regierung und zur Justiz, hätte er dabei Probleme.
Die Dinge entscheiden sich nicht auf dem politischen Parkett, sie
werden dort nur exekutiert. Ein kluger Schauspieler sagte unlängst,
anlässlich der letzten Wahlen: „Wir wählen nur die Schauspieler, nicht
die Regisseure.“
Die neue Regierung,
hört man dort oder da in „linken“ Kreisen, sei eine „Regierung der
Industriellenvereinigung“. Das stimmt in dem Sinn, dass sie eine
Regierung der herrschenden Klasse, der Bourgeoisie ist. In zweierlei
Hinsicht stimmt es aber nicht. Erstens
besteht die Bourgeoisie nicht nur aus der Industriellenvereinigung,
auch wenn diese in mancher Hinsicht deren Speerspitze ist und einer
ihrer wichtigsten „think tanks“ (Ideologiepanzer). Man darf aber andere
Teile der Bourgeoisie und ihre Verbände nicht vergessen, von der
Wirtschaftskammer bis zum Bankenverband, ebenso wenig die Spitzen des
Staatsapparats, von der Ministerialbürokratie bis zum Generalstab,
ebenso wenig die Spitzen des Kultur-, Medien- und Religionsbetriebs.
Alle diese Elemente bilden zusammen die herrschende Bourgeoisklasse.
Zwar leben sie alle vom Mehrwert bzw. Profit und insofern bildet das
Finanzkapital (Industrie-, Handels-, Geldkapital…) das Rückgrat der
Klasse, aber nur auf die Industriellenvereinigung zu schauen, greift zu
kurz. Zweitens stellt
sich die Frage, wessen Werkzeug die ÖVP-FPÖ-Regierung denn sonst sein
sollte oder könnte. Könnte irgendeine Regierung im heutigen Österreich
etwas anderes sein als eine Regierung der „Industriellenvereinigung“
(wenn wir diese als symbolisch für die Gesamtbourgeoisie durchgehen
lassen)? War irgendeine Regierung je etwas anderes, seit die
österreichische Bourgeoisie nach dem Zweiten Weltkrieg wieder fest im
Sattel sitzt? Eben! Die Formulierung „Regierung der
Industriellenvereinigung“ legt vielen, die sie benutzen, nahe, eine
Bundesregierung müsse sich ja nicht zum Knecht der
Industriellenvereinigung machen, sondern könnte auch anders. Das genau
kann sie aber nicht. Auch jede SPÖ-Regierung, sogar die „gute“ unter
Kreisky, war eine Regierung der Bourgeoisie, also wenn man so will, eine
der „Industriellenvereinigung“. Sie war sogar eine der, wenn nicht die
bedeutendste und erfolgreichste „Regierung der
Industriellenvereinigung“, denn sie hat mit ihren „Modernisierungen“ in
schwerer Konkurrenznot die Bourgeoisie wieder auf die Beine und hoch
gebracht. Die Klasseninteressen der Bourgeoisie sind klar bestimmt, bei
deren Missachtung wird es eine Regierung nicht lange geben. Es geht
immer nur darum, mit welcher Politik, mit welchen Mitteln, auch mit
welchem „Stil“ die Interessen der Bourgeoisie vertreten werden, nicht
aber dass diese Interessen die Regierungstätigkeit bestimmen. Daher muss
man drittens
bei der Analyse und Kritik der Regierungspolitik zuerst die objektive
Lage des Kapitals, seine Probleme, seine Interessen analysieren und –
auf der anderen Seite – den Kerninhalt des neuen Regierungsprogramms.
Dann kann man auch unterscheiden, was tatsächlich für die Bourgeoisie
als Klasse wichtige „Reformprojekte“ sind und was nur propagandistische
Girlanden. Viele Punkte des Regierungsprogramms sind nur Rülpser,
Rülpser freilich, die ein bezeichnendes Licht werfen, wes Geistes Kinder
die Kurz und Strache sind, aber tatsächlich wenig bedeutsam für die
Bourgeoisie (manchmal sogar, wie z.B. die Doppelstaatsbürgerschaft für
Südtiroler und Alt-Österreicher, würden sie ernsthaft in Angriff
genommen, kontraproduktiv). Auch solche Rülpser muss man auf der
ideologischen Ebene bekämpfen, aber sie sind nicht entscheidend für die
Einschätzung der realen Bedrohungen und Gefahren, die von dieser
Regierung ausgehen, und für die Identifizierung der Hauptlinien des
Kampfes gegen sie. Man darf sich nicht von diesen Rülpsern vereinnahmen
und blenden lassen. Geht man richtig an das Regierungsprogramm heran,
d.h. von einem Klassenstandpunkt aus und ohne sich durch
chauvinistische, rassistische und sonstige Rülpser blenden zu lassen,
dann kann man die weitgehende Einhelligkeit aller relevanten Parteien in
den „großen Reformprojekten“ sehen. Schaut man dagegen nur auf die
ultraliberalen, chauvinistischen und rassistischen Rülpser, schneidet
natürlich die SPÖ mit ihren verhaltenen und sublimierten Rülpsern besser
ab. Genau das nämlich wäre verhängnisvoll: den Klassenkampf, darunter
auch den demokratischen Kampf gegen Reaktion und tendenzielle
Faschisierung, auf den Kampf gegen die derzeitige
Regierungskonstellation zu verengen, die SPÖ außen vor zu lassen und
sich so zum Steigbügelhalter einer bloß anderen, der nächsten
kapitalistischen und imperialistischen Regierungstruppe der Bourgeoisie
zu machen.
Zusammenfassend:
ArbeiterInnenklasse und Volk müssen in Verteidigung ihrer Interessen den
Hauptstoß gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung richten. Das gilt für die
gewerkschaftliche Ebene ebenso wie für viele Fragen politischem und
ideologischem Gebiet. Überall müssen Aktionseinheiten und – im besten
Fall – solide Einheitsfronten gegen diesen derzeitigen politischen Hort
der Reaktion in Österreich aufgebaut werden. Wir dürfen aber nicht
vergessen, dass diese politische Reaktion zwar der derzeitige politische
Repräsentant der Bourgeoisie ist, aber eben nur ihr derzeitiger
Repräsentant. Ihr ebenso willfähriges Werkzeug war, ist und bleibt die
Sozialdemokratie. Und wahrscheinlich stehen wir bald einmal wieder
dieser als Regierungsrepräsentanz des Kapitals gegenüber – dann sollten
wir darauf vorbereitet und auch dafür gewappnet sein. In strategischer
Hinsicht muss daher der Klassenkampf gegen die Bourgeoisie insgesamt
gerichtet werden, alle ihren politischen, gewerkschaftlichen, medialen,
kulturellen usw. Wasserträger inbegriffen. Und er muss auf Sturz des
kapitalistischen Systems zielen.
Auf den Sturz des
kapitalistischen Systems, nicht auf den „Sturz der Regierung“. Einige
linke Kreise propagieren nämlich den „Sturz der Regierung“. Wir haben
natürlich prinzipiell überhaupt nichts gegen einen Sturz der Regierung,
aber den „Sturz der Regierung“ in der heutigen Situation, wo ja an einen
Umsturz des Systems gar nicht zu denken ist, zu fordern, ist nicht nur
ein absoluter Holzweg, sondern ein absoluter Schwachsinn. Es würde
darauf hinauslaufen, die jetzige Regierung zu „stürzen“, besser: im
Auftrag der herrschenden Klasse ablösen zu lassen – um einer anderen
Bourgeoisregierung Platz zu machen, einer mit einer vielleicht etwas
modifizierten, aber genauso reaktionären Politik. Das klingt in manchen
Ohren vielleicht „konkreter“ als die strategische Orientierung auf den
Sturz des kapitalistischen Systems, ist aber unter den gegebenen
Bedingungen, weit von einer revolutionären Situation entfernt,
vollständig „abstrakt“, eine der Realität entrückte sinnentleerte
Redensart 5.
Aber eine mit schädlichen politischen Konsequenzen, denn „konkret“
könnte es, hier und heute als Parole für den Klassenkampf erhoben, nur
auf eine neuerliche SPÖ-Regierung oder eine Koalition unter
SPÖ-Beteiligung hinauslaufen. Wie wäre es z.B., nach dem „Sturz der
Regierung“ und wenn es trotzdem alleine nicht reicht, mit einer
SPÖ-FPÖ-Koalition? Wie schon gesagt: Der Klassenkampf muss gegen die
Bourgeoisie insgesamt gerichtet werden und auf Sturz des
kapitalistischen Systems zielen. Dass in einer revolutionären Situation
das Ziel im Sturz der Regierung besteht, versteht sich von selbst – aber
in einer Situation wie heute von „Sturz der Regierung“ zu schwafeln,
ist bull shit.
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