Donnerstag, 26. Juli 2018

Lauter Schablonen


Die gehypte Autorin Josefine Rieks erzählt in ihrem Debüt »Serverland« von einer Zukunft, die wie die Vergangenheit aussieht

Von Carsten Otte
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Hilfe, das Internet ist untergegangen! Eine Szene von einer Müllkippe in Accra, Ghana, 2008
Josefine Rieks: Serverland. Hanser-Verlag, München 2018, 176 S., 18 Euro
Wenn Romane oder Filme in der Zukunft spielen, gibt es in aller Regel zwei grundlegende Erzählmuster: Meist drehen sich die klassisch aufgebauten Plots um eine fortentwickelte Technik, die wir uns heute vielleicht vorstellen können, die aber noch nicht realisierbar ist. In dieser Science-Fiction wird durchs Weltall geflogen, wie heute mit dem Auto gefahren wird. Und oft gibt es in diesen Zukunftsgeschichten kriegerische Auseinandersetzungen, wobei sich ein paar sympathische, natürlich äußerst willensstarke Rebellen einer hochgerüsteten Macht zu erwehren haben. Das können Aliens sein oder auch imperiale Kräfte wie in »Star Wars«. Kontrolle, Überwachung und Manipulation in allen Lebensbereichen kennzeichnen diese Dystopie. Eine andere Variante ist der technische Rückschritt, der wahlweise durch eine Katastrophe oder durch den Beschluss der verzweifelten Menschheit zustande kam. Dabei besteht der erzählerische Trick dann darin, dass die Zukunft wie die Vergangenheit beschrieben wird. Im Debütroman der 1988 geborenen Autorin Josefine Rieks haben wir es mit einem solchen Modell zu tun: In »Serverland« haben die Menschen beschlossen, das Internet abzuschalten. Google, Youtube, Facebook und Twitter sind hier ein virtuelles Rauschen von gestern.
Die Erzählprämisse ist insofern spannend, als viele Leser eine Welt ohne Internet noch erlebt haben und sich wahrscheinlich trotzdem eine Zukunft ohne virtuelle Welt kaum vorstellen können – selbst wenn wir uns alle zuweilen mal wünschen, das Smartphone in den Müll zu werfen und digitale Enthaltsamkeit zu üben, wie es in populären Sachbüchern auch schon beschrieben wurde.
Bei Josefine Rieks wird aus diesem feuilletonistischen Wunschdenken gesellschaftliche Realität. Der im wahrsten Sinne des Wortes hypothetische Rahmen ist also gesetzt, muss noch ein literarischer Inhalt gefunden werden, und der geht so: Computernerd Reiner arbeitet bei der Post, sammelt in seiner Freizeit alte Laptops und gilt als Experte jener vergangenen Zeit, was ihn in einer Jugendbewegung, die das sagenumwobene Internet wiederbeleben möchte, zu einer interessanten Figur macht. Tatsächlich werden auf einer Industriebrache alte Internetserver gefunden, die Reiner mit Hilfe von Autobatterien zu revitalisieren versucht.
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Es kommt sogar zu einer Art Erweckungserlebnis, als Reste eines alten Videos aus dem Netz hochgeladen werden: »So mussten sich Forscher beim Betreten der Bibliothek von Alexandria gefühlt haben.« Der Vergleich ist schräg, und geneigte Leser werden schmunzeln und diese Stelle und ähnliche Passagen als Satire lesen. Denn es gibt durchaus eine erzählerische Fallhöhe, die humoristisch hätte weiter ausgelotet werden können.
Die Revitalisierung des Internets ist natürlich illegal und damit ein großer Spaß, wenn in der Community nicht so unterschiedliche Meinungen über Sinn und Zweck der Aktionen bestünde. Die einen wollen die Welt aufklären, die anderen streiten für eine vernetzte Globalisierung, es gibt Antikapitalisten und Hedonisten, wie man das eben aus alternativen Projekten kennt, und am Ende streiten sich alle, wenn in Kleingruppen über das eigene »Selbstverständnis« diskutiert werden soll.
Leider bietet der Roman aber literarisch sehr wenig, ist er doch von einer simplen Parataxe und einfachstem Vokabular geprägt und liest sich, vor allem in Hinblick auf das Thema, erstaunlich altbacken. Fatal ist die nicht eindeutige Wahl des Genres. Mal Abenteuergeschichte, mal Zukunftsroman und dann wieder Parodie aufs Protestgruppenmilieu – all das könnte verbunden werden, wenn es eine halbwegs profilierte Textästhetik gäbe, die mit den Inhalten angemessen verschraubt wäre. Doch zuweilen liest sich das Debüt wie eine lieblose Zeitungsreportage, die aber sehr cool und hip daherkommen möchte. Zudem hat der Text ein Glaubwürdigkeitsproblem. Denn so unwirklich die Welten sind, die in Science-Fiction-Büchern zuweilen entworfen werden, der Erzählkosmos muss in sich stimmig sein. Das ist hier nicht der Fall. Einerseits scheint in Zeiten von »Serverland« alles so weiterzugehen wie bisher, dann wiederum gibt es gesellschaftliche Brüche, die nicht begründet sind. Die Ursachen zum Beispiel, warum das Internet abgestellt worden ist, werden im dunkeln gelassen. Das ist durchaus Absicht der Autorin, aber keineswegs einleuchtend.
Nun stellt sich die Frage, warum sich mit einem Debüt beschäftigen, das solche literarischen Mängel aufweist. Zum einen wurden Text und Autorin von zahlreichen Medien hochgejubelt, was oft nach dem Motto verlief: Wie lässig und putzig zugleich, was sich der literarische Nachwuchs ausdenkt. Dabei hätte es gereicht, sich etwa genauer mit der Figurenzeichnung im Roman zu beschäftigen: Die Protagonisten verschwinden in dem ständig detailliert beschriebenen Elektroschrott, sie sind Schablonen und wirken wie Spielfiguren aus den im Roman längst verpönten Internetspielen. Man fragt sich, warum das Lektorat nicht etwas länger mit Josefine Rieks an diesem Text gearbeitet hat. So wirkt der Roman wie ein seltsames Medienprodukt, über das sich Leserinnen und Leser in der Zukunft, wenn sie denn noch ein Buch in die Hand nehmen, genauso wundern werden wie Reiner und seine Freunde über alte Youtube-Videos.

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