Wütend über Korruption
Die Übergangsregierung von Haider Al-Abadi versucht, die Massendemonstrationen im Irak durch den Einsatz von Sicherheitskräften niederzuschlagen. Bislang wurden mindestens elf Menschen getötet und Hunderte verletzt. Die Proteste, die am 8. Juli in Basra im Süden des Landes begannen und sich schnell auf andere Städte wie Bagdad ausgeweitet haben, richten sich vor allem gegen die Unfähigkeit und Unwilligkeit der Übergangsregierung, der Bevölkerung Zugang zu Wasser, Strom und anderen grundlegenden Dienstleistungen zu verschaffen. Auch am Freitag gingen wieder Tausende Menschen auf die Straße. Vor allem im Sommer, wenn die Temperaturen teils auf über 50 Grad Celsius steigen, werden die Folgen von jahrzehntelanger Korruption deutlich. Der Zorn der Menschen richtet sich in erster Linie gegen Büros der herrschenden Dawa-Partei von Pemier Al-Abadi.
Die politische Klasse und die Medien in den Golfstaaten und den westlichen Industrienationen nehmen die aktuellen Proteste dennoch zum Anlass, Teheran für die Eskalation der Gewalt verantwortlich zu machen, da Iran kurz vor Ausbruch der Proteste die Stromversorgung gedrosselt hatte. Die iranische Regierung hatte den Schritt mit einer Steigerung des eigenen Bedarfes, aber auch mit unbezahlten Rechnungen begründet. Obwohl die Stromlieferungen in das Nachbarland sehr schnell wieder hochgefahren wurden, wird Teheran Einmischung in die laufende Regierungsbildung im Irak vorgeworfen.
Diese Interpretation zeugt im besten Fall von Unwissenheit, eher aber von einem bewussten Versuch, die legitimen Proteste zu instrumentalisieren. Die Demonstrationen richten sich genau wie bereits die Massenproteste von 2015 bis 2017 gegen eine Regierung, die jahrelang in die eigenen Taschen gewirtschaftet, eine völlig verfehlte Infrastruktur- und Wohnungspolitik verfolgt sowie das Bildungs- und Gesundheitssystem komplett heruntergewirtschaftet hat.
In Basra zeigen sich die Auswirkungen ganz besonders: Mindestens 70 Prozent der irakischen Erdölförderung erfolgen dort, die Bevölkerung aber ist von extremer Armut und Arbeitslosigkeit betroffen. »2,5 Millionen mal 70 gleich null« stand auf dem Plakat eines jungen Mannes in der Stadt. Und darunter: »Sorry, Pythagoras, aber wir sind hier in Basra.« Gemeint waren damit die 2,5 Millionen Barrel Öl, die der Irak am Tag exportiert und die 70 US-Dollar, bei denen der Preis pro Fass liegt.
Der schiitische Kleriker Muktada Al-Sadr, dessen Wahlbündnis »Sairun« im Mai bei den Parlamentswahlen den ersten Platz belegt hatte, forderte die Aussetzung aller Gespräche zur Regierungsbildung, bis den legitimen Forderungen der Menschen Rechnung getragen würde. »Sairun« ist an den Protesten in Bagdad maßgeblich beteiligt wie auch bereits an denen in den Jahren 2015 bis 2017.
Al-Sadr hatte bei den Wahlen vor allem mit dem Versprechen punkten können, Vetternwirtschaft, Korruption, Klientelismus sowie die nicht zuletzt von der US-Besatzungsmacht forcierte Spaltung entlang konfessioneller Linien zu bekämpfen. Das Vorgehen Al-Abadis gegen die Demonstranten dürfte zu neuen Verstimmungen führen, denn Ende Juni hatte Al-Sadr eine Einigung in Hinblick auf die Regierungsbildung verkündet. Gleichzeitig befindet sich das Land in einem politischen Vakuum, weil noch immer die Wahlzettel neu ausgezählt werden.
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