Gerüchte über die Auslieferung des Wikileaks-Gründers aus ecuadorianischer Botschaft in London verdichten sich
Von Volker Hermsdorf
Muss um Exil bangen: Julian Assange lebt seit sechs Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London (19.5.2017)
Foto: Peter Nicholls /Reuters
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Der Wikileaks-Gründer hatte 2012 in der diplomatischen Vertretung um Asyl gebeten und lebt seitdem in dem Botschaftsgebäude. Ecuadors damaliger linker Präsident Rafael Correa hatte sein Gesuch unterstützt, da Assange, der wegen der Veröffentlichung geheimer US-Dokumente auf der Internetplattform Wikileaks von den USA verfolgt wurde, dort nicht mit einem fairen Verfahren rechnen könne. Correas im April 2017 gewählter Nachfolger Lenín Moreno bezeichnete den »Fall Assange« nach seinem Amtsantritt dann jedoch plötzlich als »Stein im Schuh Ecuadors« und als »Problem«, das er von seinem Vorgänger »geerbt« habe. Im Frühjahr ließ er Assange den Zugang zum Internet mit der Begründung sperren, dass der Gast durch seine Onlineaktivitäten die Beziehungen Ecuadors zu anderen Regierungen gefährde.
Im Gegensatz zu Rafael Correa, der nach seinem ersten Wahlsieg im Jahr 2007 eine »Bürgerrevolution« zur Beseitigung von Armut und sozialer Ungleichheit ausgerufen hatte und zur Politik der USA auf Distanz gegangen war, sucht Moreno jetzt wieder die Nähe der Regierenden in Washington. Erst Ende Juni war US-Vizepräsident Michael Pence zu Gesprächen in Quito, was die staatliche Nachrichtenagentur ANDES mit dem Hinweis auf »eine veränderte Außenpolitik« kommentierte. Giovanna Tassi, die Anfang des Jahres von Moreno gefeuerte ehemalige Chefin des staatlichen Rundfunksenders Radio Pública de Ecuador, hatte nach dem Treffen dem argentinischen Sender Radio Cooperativa berichtet, dass es dabei auch um die Wiedereröffnung der 2009 unter Correa geschlossenen US-Militärbasis in der ecuadorianischen Hafenstadt Manta und um die Zukunft Assanges gegangen sei.
Am 15. Juli informierte die britische Sonntagszeitung Sunday Times über Gespräche »auf hoher Ebene«. Minister des südamerikanischen Landes und des Vereinigten Königreiches suchten unter Federführung des neuen britischen Außenministers Alan Duncan nach einem Weg, den »Stein im Schuh« aus der Botschaft zu entfernen, schrieb das konservative Blatt. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP bestätigte Ecuadors Außenminister Andrés Terán dann am Donnerstag, dass es »Verhandlungen auf höchstem Niveau« gebe. Lenín Moreno habe nicht vor, Assange in London persönlich zu treffen, werde dort jedoch auch keine »offizielle Annäherung« der Regierungen in dem Fall verkünden, da »die Situation dies derzeit noch nicht rechtfertigt«, erklärte der Diplomat zweideutig.
Unter Berufung auf »Quellen mit einem kommunikativen Zugang zu Assange« meldete der russische Nachrichtenkanal RT am Freitag, dem Wikileaks-Gründer selbst seien diese Gespräche nicht bekannt. Er wisse aber, dass die USA »erheblichen Druck« auf Ecuador ausübten, einschließlich der Drohung, ein Darlehen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu blockieren, damit er nicht länger in der Botschaft verbleibt. Von RT in Quito befragte »regierungsnahe« Kreise, die anonym bleiben wollten, hätten die Existenz von Plänen bestätigt, »Assange zeitnah an die Briten auszuliefern«. Am Wochenende verdichteten sich die Gerüchte dann weiter. RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan verschickte einen Tweet, der auch von Wikileaks geteilt wurde. »Meinen Quellen zufolge soll Julian Assange in den nächsten Wochen oder sogar Tagen an Großbritannien übergeben werden«, schrieb Simonjan. »Wie nie zuvor wünsche ich mir, dass meine Quellen falschliegen«, so die RT-Chefredakteurin auf Twitter.
Assange könnte bald zum Opfer eines Politikers werden, dessen Doppelzüngigkeit sein eigenes Portal schon vor Jahren aufgedeckt hatte. 2010 veröffentlichte Wikileaks einen als »vertraulich« gezeichneten Bericht der US-Botschafterin Linda Jewell an ihren Dienstherren und das Kommando Süd der US-Streitkräfte aus dem Jahr 2007. Nach einem Gespräch mit dem von Correa gerade zu seinem Stellvertreter ernannten Moreno schrieb Jewell damals, dass der Vizepräsident für Washington künftig »ein nützlicher Partner« sein könne. Offenbar lag die US-Diplomatin mit dieser Einschätzung richtig.
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