Die breit angelegte Polizeiaktion wirft Fragen der Verhältnismäßigkeit auf. Die Münchner Generalstaatsanwaltschaft sucht die Autoren des Blogs "Augsburg für Krawalltouristen", in dem zu gewalttätigen Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag am vergangenen Wochenende aufgerufen wurde. Die anonymen Blogbetreiber veröffentlichten zur Kontaktaufnahme eine E-Mail-Adresse, die beim US-amerikanischen Technikkollektiv RiseUp eingerichtet wurde.
Der Verein Zwiebelfreunde sammelt seit Jahren Spenden für den alternativen und nicht kommerziellen Provider, dessen Dienstleistungen zur vertraulichen Kommunikation vor allem von sozialen Bewegungen weltweit genutzt werden. Das ist offensichtlich der einzige Grund, warum die deutschen Ermittler gegen den Verein so massiv vorgingen.
Durchsuchung am frühen Morgen
Vor zwei Wochen, kurz nach 6 Uhr, klingelte es an der Wohnungstür des Mitgründers und Vorstandsmitglieds der Zwiebelfreunde, Moritz Bartl, in Augsburg. Die Ermittler informierten Bartl darüber, dass sie die Identitäten der Initiatoren des Blogs herausfinden wollten. Sie nahmen nach Angaben Bartls aber nicht nur Geräte und Dokumente des Vereins mit, sondern auch Equipment und Unterlagen seiner Firma sowie persönliche Gegenstände von Familienangehörigen.
"Ein Anruf der Staatsanwaltschaft hätte das alles klären können"
Bartl kann sich das massive Vorgehen der Polizei nicht erklären: "Als Experten für Anonymisierung und Verschlüsselung werden wir regelmäßig auch von Polizeibehörden als Referenten eingeladen. Ein Anruf der Staatsanwaltschaft hätte das alles klären können."
Die Zwiebelfreunde haben sich im Jahr 2011 gegründet, der Verein betreibt sogenannte Tor-Knoten, die zur Anonymisierung im Tor-Netzwerk dienen. Seine Mitglieder halten Vorträge und Workshops zu Datensicherheit, Verschlüsselung und Anonymisierung. Sie arbeiten seit Jahren auch mit NGOs wie Reporter ohne Grenzen zusammen. Das Dresdner Institut für Datenschutz, das Unternehmen und Behörden berät, ist ein Kooperationspartner des Vereins.
Gründer Bartl vermutet deshalb ganz andere Motive der Behörden: "Die umfangreichen Beschlagnahmungen, auch von Unterlagen unbeteiligter Projekte, verstärken den Eindruck, dass hier Informationen zum CCC Augsburg, unserem Verein und Unterstützern gesammelt werden sollten."
Nach SPIEGEL-Informationen sollten lediglich Unterlagen und Datenträger beschlagnahmt werden, die nicht älter als Januar 2018 sind. Tatsächlich reichen die beschlagnahmten Unterlagen bis in das Jahr 2011 zurück - was laut Beteiligten auch für die Beamten ersichtlich gewesen sei.
"Die Durchsuchung bei Zeugen ist absolut unverhältnismäßig"
Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, der seit Jahren eng mit den Zwiebelfreunden zusammenarbeitet, kritisiert das Vorgehen der Behörden scharf: "Die Durchsuchung bei Zeugen ist absolut unverhältnismäßig, man behandelt die Leute wie Straftäter, dabei sammeln sie lediglich Spenden."
Sie betont, dass auch Daten des CCC betroffen seien, da Dokumente des Vorstands in Augsburg beschlagnahmt wurden. "Der Fall ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich übertriebenes polizeiliches Vorgehen massiv auf das Leben und die Arbeit von Menschen auswirkt", sagt Kurz.
Die zuständige Polizei wollte auf Anfrage des SPIEGEL keine Stellung nehmen. Die Generalstaatsanwaltschaft München teilte mit, dass die von der Durchsuchung betroffenen Personen nicht verdächtig seien und die Auswertung der beschlagnahmten Computer und Datenträger andauere.
Kurios mutet eine Szene während der Durchsuchung des von Bartl mitbetriebenen Projekts OpenLab in Augsburg an: An einer Tafel fanden die Beamten chemische Formeln, im gleichen Raum diverse Chemikalien. Sofort nahmen sie alle Anwesenden, auch Bartl, in Gewahrsam und durchsuchten weitere Räume.
In kürzester Zeit stellte sich heraus, was die Festgenommenen laut eigener Angabe schon vor Ort erklärt hatten: Bei den Chemikalien handelte es sich es um handelsübliches Zubehör für den 3D-Druck und das Ätzen von Platinen. Auch landete in einer Tüte der Spurensicherung ein Gegenstand aus dem 3D-Drucker, in Form einer Bombe. Auf der dazugehörigen Beschriftung ist als Delikt "Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion" aufgeführt. Auf YouTube ist der Gegenstand übrigens hier in Aktion zu sehen.
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