Doch Precht vertritt in diesem Punkt nicht nur eine sozialreaktionäre Position, er hat neben einer klaffenden Wissenslücke auch ein enormes Gerechtigkeitsdefizit: Kinder und Jugendliche sind Grundrechteträger wie Erwachsene, haben also genauso das Recht auf eine bedingungslose Absicherung ihrer Existenz und gesellschaftliche Teilhabe. Der Philosoph kennt die sozialpolitischen Debatten in diesem Land offenbar nicht. Von den großen christlichen Jugendverbänden und vom Landesjugendring Thüringen wird ein Kinder- und Jugendgrundeinkommen gefordert. Wohlfahrtsverbände, DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen sowie Teile der SPD streiten für eine eigenständige Kindergrundsicherung ohne Bedürftigkeitsprüfung. Ein bedingungslos gezahltes Einkommen von der Wiege bis zur Bahre, also auch für Kinder und Jugendliche, würde dem ähneln. Es wäre wie das Kindergeld, aber sozial gerechter und höher.
Butterwegge hingegen unterschlägt bekannte Grundeinkommenskonzeptionen, diffamiert und macht unüberlegte Vorschläge. Der Armutsforscher, dem das Grundeinkommen grundsätzlich neoliberales Teufelszeug ist, meint: Ungleiches soll ungleich behandelt werden, Gleiches gleich. Mit dieser, Aristoteles entlehnten, Konzeption der Zuteilungsgerechtigkeit will er gegen das Grundeinkommen argumentieren.
Dem Grundsatz der ungleichen Behandlung Ungleicher ist auch die Finanzierung des Grundeinkommens verpflichtet: Wer mehr Einkommen und Vermögen hat, trägt auch mehr zur Finanzierung des Grundeinkommens bei. Diese Gerechtigkeitsdimension und die damit verbundene Umverteilung von oben nach unten durch Grundeinkommen verschweigt Butterwegge. Er verschweigt auch, dass Grundeinkommenskonzepte mit der von ihm propagierten Bürgerversicherung verbunden sind sowie mit dem Ausbau, der demokratischen Gestaltung und dem gebührenfreien Zugang zu öffentlicher sozialer Infrastruktur und Dienstleistung.
Diese Komponenten sind Bestandteil einer universellen, inklusiven Ausgestaltung der sozialen Systeme. Im Gegensatz dazu steht Butterwegges Vorschlag der Grundsicherung - sie ist selektiv und ausschließend. Weil sie an die Prüfung der Bedürftigkeit gekoppelt ist, liefert sie Neoliberalen den besten Vorwand, Lohnabhängige gegeneinander aufzuhetzen und Sozialleistungen zu kürzen: Der erwerbslose Grundsicherungsbeziehende hat ja fast genauso viel wie der vollzeitjobbende Paketzusteller!
Bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen schließen auch aus der Erwerbsarbeit aus, weil sich für manche Erwerbslose Erwerbseinkommen wegen der hohen Anrechnungsrate nicht lohnen. Eine Bedürftigkeitsprüfung bedeutet außerdem Diskriminierung und Stigmatisierung, weil man sich vor aller Welt als Armer offenbaren und sich der Sozialbürokratie aussetzen muss. Dies provoziert massenhaft den »freiwilligen« Verzicht auf (ergänzende) Sozialleistungen: Heute sind deswegen bis zu 50 Prozent der Anspruchsberechtigten aus dem Leistungssystem ausgeschlossen. Mit Butterweges Grundsicherung dürften es nur ein paar weniger sein. Das bedürftigkeitsgeprüfte Sozialsystem ist und bleibt unterm Strich ausschließend.
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