Montag, 23. Juli 2018

Mit »Erfolgen« der sogenannten libyschen Küstenwache wächst Zahl der Gefangenen

Immer mehr Flüchtlinge interniert


Von Knut Mellenthin
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»KZ-ähliche Verhältnisse«: Selbst das Auswärtige Amt kritisierte die Situation in libyschen Internierungslagern für Flüchtlinge scharf (Gharyan, 12.10.2017)
Die international anerkannte, aber nur einen Teil des Landes beeinflussende libysche Regierung will keine EU-Flüchtlingslager beherbergen. Bild zitierte den in der Hauptstadt Tripolis residierenden Ministerpräsidenten Fajes Al-Sarradsch am Freitag mit der Aussage: »Nein, das wird es bei uns nicht geben. Wir sind absolut dagegen, dass Europa ganz offiziell bei uns illegale Migranten unterbringen will, die man in der EU nicht haben möchte. Wir werden auch keine Deals mit Geld mit der EU machen, um illegale Migranten aufzunehmen.«
Sarradsch bezog sich damit auf die von der EU geplanten Aufnahmezentren in Nordafrika und anderen Teilen des Kontinents, in denen dann Asylanträge entschieden werden sollen, ohne dass die Betroffenen die Chance bekommen, Europa zu betreten und Gerichte anzurufen. Indessen leben aber jetzt schon nach Schätzungen von UN-Stellen ungefähr 660.000 ausländische Flüchtlinge, mehrheitlich ohne stabile Unterkünfte, auf libyschem Boden. Das wären 40.000 Menschen mehr als vor einem Jahr. Rund 10.000 von ihnen sind in offiziellen »Zentren« untergebracht, die von der Regierung in Tripolis kontrolliert werden. Darüber hinaus wird eine unbekannte Zahl in Lagern gefangengehalten, in denen örtliche Milizen ein grausames Regiment führen. Die Rede ist von Vergewaltigungen, Schlägen, mangelhafter Ernährung und medizinischer Versorgung und von Zwangsarbeit.
Vor diesem Hintergrund lassen sich die Worte des Regierungschefs offenbar so deuten: Erstens, Libyen will keine Lager, in deren innere Verhältnisse die EU Einblick hat, geschweige denn, dass sie dort die Aufsicht führt. Zweitens, es soll keine Lager geben, deren Insassen, und sei es auch nur durch ein schwebendes Asylverfahren, monatelang einen mehr oder weniger gesicherten Status haben.
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Die EU hat im vorigen Jahr begonnen, die »libysche Küstenwache« durch Lieferung von Schiffen, Finanzhilfe und durch Lehrgänge zu stärken. Die bei den »Rettungsaktionen« gefangengenommenen Menschen werden auf das Festland zurücktransportier und, sofern sie verhältnismäßig Glück haben, in die offiziellen, von der Sarradsch-Regierung kontrollierten Lager gebracht. Die Zahl der dort Internierten wächst kontinuierlich, seit die »Küstenwache« dank EU-Hilfe immer »erfolgreicher« arbeitet.
Die Situation der Gefangenen ist auch ohne besonders grausame Misshandlungen schlecht. Die Lager sind überbelegt, die meisten Flüchtlinge leben bei Tagestemperaturen von 35 bis 40 Grad Celsius unter freiem Himmel, wie die der UNO angeschlossene Internationale Migrationsbehörde (IOM) in der vorigen Woche beklagte. Die IOM fordert deshalb von der Regierung in Tripolis, festgenommene und zurückgebrachte Flüchtlinge nicht mehr zu internieren.
Daneben existiert immer noch eine unbekannte Zahl »wilder« Lager, die von lokalen Milizen betrieben werden. Nachdem im vergangenen Jahr weltweit über die dort begangenen Verbrechen an den Flüchtlingen berichtet wurde, ließ Sarradsch angeblich die meisten von ihnen schließen. Darüber gibt es aber keine sicheren Erkenntnisse. Und auch eine zentral geführte Küstenwache existiert nicht. Unter dieser irreführenden Bezeichnung agieren vielfach örtliche Milizen, die selbst Menschenhandel betreiben oder engstens mit Menschenhändlern zusammenarbeiten.
Die Regulierung der Insassenzahl in den offiziellen Lagern erfolgt im wesentlichen durch Massendeportationen in die Heimatländer der Geflüchteten. Organisiert werden diese durch die IOM, die von einer »freiwilligen Repatriierung« spricht. Von Januar 2017 bis März 2018 wurden nach Angaben der IOM 23.000 Flüchtlinge aus Libyen ausgeflogen, seither ist das Tempo der Deportationen weiter gestiegen. Freiwilligkeit der Betroffenen ist die erklärte Voraussetzung der UNO für die Mitwirkung an solchen Maßnahmen. Aber von was für einer Freiwilligkeit kann in einem Land mit den Verhältnissen Libyens und angesichts der harten Abschottungspraxis der EU die Rede sein?

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