Erstmals
tritt ein deutscher Nationalspieler zurück, weil er rassistisch
angefeindet wurde. Mesut Özils Rückzug ist ein fatales Signal in einer
besorgniserregenden Zeit.
Nein, man muss nicht mit allem übereinstimmen, was Mesut Özil sagt.
Man kann sich über seine fehlende Selbstkritik ärgern. Man kann sich
darüber aufregen, dass er noch immer nicht gesagt hat, dass er den
türkischen Präsidenten für einen Politiker hält, dem ein anständiger
Demokrat eher die Meinung geigen sollte, als huldvolle Fotos mit ihm zu
schießen. Man kann sich überhaupt darüber echauffieren, dass Özil sich
erst gar nicht und nun viel zu spät erklärte. Aber eigentlich ist das alles zweitrangig. Eigentlich ist nur dieser Satz wichtig: "… ich werde nicht mehr länger für Deutschland auf internationalem Niveau spielen, solange ich das Gefühl habe, rassistisch angefeindet und nicht respektiert zu werden."
Ein deutscher Nationalspieler tritt zurück, weil er sich rassistisch angefeindet fühlt. Noch einmal, weil es bis vor Kurzem noch so unvorstellbar klang: Ein deutscher Nationalspieler tritt zurück, weil er wieder und wieder rassistisch beleidigt wurde. Weil er, wie er schreibt, während der WM als "Türkensau" bezeichnet wurde. Weil andere ihn einen "Ziegenficker" schimpften und ihn zurück nach Anatolien wünschten. Wegen all der Mails und Anrufe und Beschimpfungen in den sozialen Medien, die er und seine Familie erhielten, und auf die Özil gar nicht erst eingehen wollte. Und noch einmal, es ist wichtig: Im Jahr 2018 tritt ein deutscher Nationalspieler wegen Rassismus zurück. Was ist nur los mit diesem Land?
Sportlich wird Özils Rückzug schmerzen
Mesut Özil hat 92 Länderspiele absolviert, er wurde U21-Europameister, er wurde Weltmeister, er hat 23 Tore für Deutschland gemacht. Nur 15 Spieler haben in der DFB-Geschichte häufiger das deutsche Trikot getragen. Özil hat mehr Länderspiele gemacht als Rudi Völler, Oliver Kahn oder Uwe Seeler. Özil ist 29 Jahre alt, im besten Fußballeralter, wie es so schön heißt. Während einer WM, in der alle Spieler schlecht waren, war er noch einer der weniger schlechten. Özil ist einer der begabtesten Fußballer, die je für Deutschland aufliefen. Sportlich wird sein Verlust schmerzen. Doch es geht noch etwas anderes verloren. Etwas, was viel schlimmer ist.Mit Özil tritt ein Stück weit auch der Glaube an eine progressive Gesellschaft zurück. Sein Rückzug ist ein fatales Symbol, in einer Zeit und in einem Land, in dem rechte Parteien immer lauter schreien und auf Marktplätzen gebrüllt wird, dass Flüchtlinge absaufen sollten. Die Folgen des Rücktritts eines Spielers, der für so viele türkischstämmige Jugendliche, und nicht nur die, ein Vorbild war, sind noch gar nicht abzuschätzen. Nur eines steht fest: Mit Özils Abgang haben die Populisten gewonnen.
Schuld daran sind viele. Özil hat sie in seinen Statements erwähnt.
Die waren auf Englisch abgefasst, schon das ein Zeichen. Drei waren es,
mit römischen Zahlen nominiert, I/III und II/III und eben III/III, die Mesut Özil
über den ganzen Sonntag verteilt auf Twitter veröffentlichte. Özil oder
seine Berater oder alle zusammen lieferten eine Abrechnung, wie es sie
so im deutschen Fußball noch nicht gegeben hat. Schnell war klar: So
schreibt nur jemand, der nichts mehr zu verlieren hat.
"Bestimmte deutsche Zeitungen nutzen meinen Hintergrund und die Fotos mit Präsident Erdoğan als rechte Propaganda, um ihre politischen Interessen voranzutreiben", schrieb er zum Beispiel.
Özil kritisierte auch Sponsoren, die ihn des öffentlichen Drucks wegen fallen ließen. Am heftigsten aber ging er den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel an. Grindel hatte ja jüngst gefordert, Özil solle sich bald erklären. Gut möglich, dass sich der DFB-Präsident das etwas anders vorgestellt hat. Denn man muss nicht allzu sehr zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen, dass Özil auch Grindel Rassismus vorwirft.
Wenn ich gehe, soll Grindel mit, so klingt es bei Özil. Das ist nicht der feinste Stil, aber Özil hat einen Punkt: Wie soll ein DFB-Präsident, der von Multikulti nicht allzu viel zu halten scheint, anständig einen Verband führen, in dem jeder fünfte Kicker Eltern oder Großeltern hat, die nicht aus Deutschland stammen? Und selbst wenn er in Sonntagsreden fortan nun Vielfalt beschwören sollte, warum hat sich Grindel dann nicht vor Mesut Özil gestellt?
In vielen Ländern der Welt werden die Rechten oder Rechtsextremen wieder lauter, aber der Verband aus Brasilien und das Team aus Schweden verteidigten ihre Spieler, als sie rassistisch beleidigt wurden. Vom DFB kam gar nichts. Auch wenn man die Fälle nicht aufeinanderlegen kann, weil es in Brasilien und Schweden um rein sportliche Aktionen ging und nicht um Fotos mit schwierigen Politikern, so war es doch bezeichnend, dass Oliver Bierhoff und Reinhard Grindel es nicht nur unterließen, Özil zu helfen, sondern ihn sogar noch angingen.
Als sich berechtigte Kritik, und vielleicht sogar berechtigte Pfiffe an Özil mit nicht mal mehr unverhohlenem Rassismus vermengten, war vom DFB nichts zu hören. Jener Verband, der noch vor Jahren als Vorzeigesymbol der Integration galt, der so tat, als hätte seine Nationalmannschaft das neue Deutschland erfunden. Anstatt auch die Ambivalenzen und Probleme, die Integration mit sich bringen kann, offen zu thematisieren, blieb er stumm, als alle auf Özil herumhackten.
"Bestimmte deutsche Zeitungen nutzen meinen Hintergrund und die Fotos mit Präsident Erdoğan als rechte Propaganda, um ihre politischen Interessen voranzutreiben", schrieb er zum Beispiel.
Auch Mario Basler und Lothar Matthäus ließen sich über Özil aus
In der Tat schossen sich einige Medien und Experten auf Mesut Özil ein, als sich das Vorrunden-Aus abzeichnete. Mario Basler machte sich über seine Körpersprache lustig, der Bild-Kolumnist Lothar Matthäus raunte zweideutig davon, dass Özil sich im DFB-Trikot nicht wohlfühle. ProSieben forderte Özil via Twitter zum Rücktritt auf, entschuldigte sich später. Viele Redaktionen bebilderten die deutsche Fußballkrise mit einem Bild von Özil, obwohl er noch zu den Besseren gehörte. Und selbst die rassistische Beschimpfung des Fans, von dem Özil schrieb, schaffte es in die Blätter. Allerdings unter Schlagzeilen wie: "Özil legt sich mit deutschem Fan an."Özil kritisierte auch Sponsoren, die ihn des öffentlichen Drucks wegen fallen ließen. Am heftigsten aber ging er den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel an. Grindel hatte ja jüngst gefordert, Özil solle sich bald erklären. Gut möglich, dass sich der DFB-Präsident das etwas anders vorgestellt hat. Denn man muss nicht allzu sehr zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen, dass Özil auch Grindel Rassismus vorwirft.
Politiker bezeichnen Grindel als "rechtsaußen"
In den Augen Grindels und seiner Unterstützer, schrieb Özil, sei er nur dann "Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Einwanderer, wenn wir verlieren". In dem Statement geht er auch auf Grindels Tätigkeit als Politiker ein. Etwa, dass Grindel damals gesagt habe, er halte Multikulti für einen Mythos und eine Lebenslüge. Politikerkollegen bezeichneten den damaligen Grindel jüngst als "rechtsaußen" und sagten: "Es war reinster AfD-Sprech, bevor es diese Partei überhaupt gab." Menschen mit einem solchen rassistisch-diskriminierenden Hintergrund sollten, so Özil, nicht im größten Fußballverband der Welt arbeiten, in dem viele Spieler, die in verschiedenen Kulturen aufgewachsen sind, aktiv sind.Wenn ich gehe, soll Grindel mit, so klingt es bei Özil. Das ist nicht der feinste Stil, aber Özil hat einen Punkt: Wie soll ein DFB-Präsident, der von Multikulti nicht allzu viel zu halten scheint, anständig einen Verband führen, in dem jeder fünfte Kicker Eltern oder Großeltern hat, die nicht aus Deutschland stammen? Und selbst wenn er in Sonntagsreden fortan nun Vielfalt beschwören sollte, warum hat sich Grindel dann nicht vor Mesut Özil gestellt?
In vielen Ländern der Welt werden die Rechten oder Rechtsextremen wieder lauter, aber der Verband aus Brasilien und das Team aus Schweden verteidigten ihre Spieler, als sie rassistisch beleidigt wurden. Vom DFB kam gar nichts. Auch wenn man die Fälle nicht aufeinanderlegen kann, weil es in Brasilien und Schweden um rein sportliche Aktionen ging und nicht um Fotos mit schwierigen Politikern, so war es doch bezeichnend, dass Oliver Bierhoff und Reinhard Grindel es nicht nur unterließen, Özil zu helfen, sondern ihn sogar noch angingen.
Als sich berechtigte Kritik, und vielleicht sogar berechtigte Pfiffe an Özil mit nicht mal mehr unverhohlenem Rassismus vermengten, war vom DFB nichts zu hören. Jener Verband, der noch vor Jahren als Vorzeigesymbol der Integration galt, der so tat, als hätte seine Nationalmannschaft das neue Deutschland erfunden. Anstatt auch die Ambivalenzen und Probleme, die Integration mit sich bringen kann, offen zu thematisieren, blieb er stumm, als alle auf Özil herumhackten.
Deutsche Befindlichkeiten sind offengelegt
Vielleicht muss man Özil für
sein Foto fast dankbar sein. Er hat ja, das ist im Getöse um seinen
Rückblick fast untergegangen, auch erklärt, warum er es gemacht hat. Aus
Respekt dem Amt des Präsidenten gegenüber, des Präsidenten aus dem Land
seiner Eltern und Großeltern. Das mag man nun nachvollziehen können
oder nicht. Aber die Diskussion um Özil, Erdoğan und das Foto hat so
oder so deutsche Befindlichkeiten offengelegt. Es hat gezeigt, wie weit
große Teile dieses Land sind, was den Umgang mit Menschen angeht, die
nicht Thomas Müller heißen oder wie Toni Kroos aussehen. Und nicht nur
beim Blick auf die deutsche Nationalmannschaft muss man in diesen Zeiten
zu der traurigen Erkenntnis kommen: Wir waren schon mal weiter. Oder
glaubten, es zu sein.
Nein, man muss nicht mit allem übereinstimmen, was Mesut Özil sagt.
Aber mit seinem letzten Satz umso mehr: "Rassismus sollte niemals
akzeptiert werden."
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