Samstag, 21. Juli 2018

Wem droht hier welche „Gefahr“?


Wem droht hier welche „Gefahr“?
Der Polizeieinsatz in Saalfeld vom 17. Mai (rf-foto)
Die Terrorismusdefinition der EU vom 27. Dezember 2001, die wesentlich mit den Anschlägen auf die Zwillingstürme des WTC in New York gerechtfertigt wurde, erklärt eine Handlung als „terroristisch“, wenn sie mit dem Ziel begangen wird, „… eine Regierung oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören.“1
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 28. Dezember 2001, L344, S. 93


Diese EU-Vorgabe wird jetzt im neuen Polizeigesetz in NRW im § 8 Absatz 5 umgesetzt. Heute dienen „kriminelle Ausländer“ und „islamistische Gefährder“ als Rechtfertigung. Im Gesetzentwurf heißt es:
Sofern die drohende Gefahr bestimmt und geeignet ist,
1.) die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern
2.) eine Behörde, eine nationale oder internationale Organisation oder ein Organ der Meinungsäußerung rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder
3.) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates, eines Landes, einer nationalen oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, handelt es sich um eine drohende terroristische Gefahr.“


Es geht hier nicht um Anschläge, Attentate oder Ähnliches. Eine „drohende terroristische Gefahr“ wird angenommen, wenn jemand beabsichtigt, die „Grundstrukturen“ des Staates „zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“ bzw. wenn er eine Behörde oder ein Organ der Meinungsäußerung „nötigen“ will. „Unter den Voraussetzungen liegt … [die drohende Gefahr] auch dann vor, wenn ledig­lich das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass die Person innerhalb eines absehbaren Zeitraums eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wird.“ (Polizeigesetz in NRW im § 8 Absatz 5, S. 8) Es reicht also schon, wenn die Polizei das vermutet. Da der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung ein allseitiges und vollständiges gesetzliches Streikrecht ver­wehrt ist, kann jeder Massenstreik außerhalb der Tarif­runde kriminalisiert und potenzielle Streikführer „vorsorglich“ verfolgt und eingesperrt werden. Vorgegangen werden kann damit gegen Bewegungen wie die Montagsdemonstrationen gegen die Hartz-Gesetze oder für das „Verbot aller faschistischen Organisationen“. Das geht gegen alle kapitalismuskritischen, revolutionären und marxistisch leninistischen/
kommunistischen Kräfte.
Die sehr weit gefasste Definition rechtfertigt die massive Einschränkung des Persönlichkeits- und des Koalitionsrechts, weil willkürlich alle Bestrebungen gegen die Regierung und die bestehende kapitalistische Ordnung und für soziale und nationale Befreiung als „Terrorismus“ und „Nötigung von staatlichen Organe“ diffamiert und kriminalisiert werden.
Tatsächlich soll damit nicht die „Demokratie“ vor Terroristen, sondern die Diktatur der Monopole mit Staatsterror vor der revolutionären Arbeiter- und Volksbewegung „gerettet“ werden. Die Herrschenden wollen nur „Linke“ dulden, die sich im Prinzip mit dem Kapitalismus arrangiert haben.
Der Begriff des „Gefährders“
Der Begriff des „Gefährders“ ist eine Erfindung des BKA (Bundeskriminalamt) und der Landeskriminalämter aus dem Jahr 2004.
Er entstand nicht zufällig auf dem Höhepunkt der selbständigen Montagsdemonstrations-Bewegung gegen die Hartz-Gesetze der damaligen Schröder/Fischer-Regierung. Bis zu 250.000 Menschen demonstrierten wöchentlich. Die MLPD beteiligte sich bundesweit aktiv und vorwärtstreibend. Sie durchbrach bundesweit die von Staat und bürgerlichen Medien aufgezwungene relative Isolierung. Im Herbst folgten konzernweite selbständige Streiks gegen Arbeitsplatzvernichtung mit dem Höhepunkt des siebentägigen Opel-Streiks im Oktober 2004 mit Werksbesetzungen und Torblockaden. In dieser Situation koordinierten „Lagezentren“ das Vorgehen gegen die Volks- und Streikbewegung. Die Arbeitsgruppe Kripo definierte den „Gefährder“: „eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politische Straftaten von erheblicher Bedeutung … begehen wird“. Die Regierung geriet in eine offene Krise, die in Neuwahlen und der Abwahl von Kanzler Schröder (SPD) mündete. Innenminister Schily (SPD) richtete mit Polizei, Inlands- und Auslandsgeheimdienst ein sogenanntes „Terror-Abwehrzentrum“ ein.
Der sogenannte „Gefährder“ hat also weder eine Straftat begangen, noch gibt es konkrete Anhaltspunkte, dass er eine solche begehen wird. Diese Einstufung erfolgt ausdrücklich ohne Beteiligung eines Gerichts. Sie ist legalisierte Polizeiwillkür. Es gab keine gesetzliche Grundlage dafür in der BRD, nur im Kaiserreich und im Faschismus.
Deshalb wurde der Begriff der „drohenden Gefahr“ eingeführt. Bisher waren polizeiliche Maßnahmen an eine belegte konkrete Gefahr“ gebunden. Der Grundrechte-Report 2018 kritisiert, dass schon die „Prognose einer Prognose“ausreichen soll, denn „eine polizeirechtliche Gefahr ist ja selbst nichts anderes als eine Prognose“. (S. 173)
Um faschistische Verbrecher zu erfassen, die Attentate auf die Bevölkerung vorbereiten, braucht es weder „Gefährder“ noch „drohende Gefahr“. Wer von ihnen sich illegal Waffen beschafft, Sprengstoff besorgt und Anschlagspläne ausheckt, bereitet eine schwere Straftat vor. Das reicht völlig für eine Verhaftung aus.

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