Samstag, 21. Juli 2018

Die neuen Polizeigesetze: Notstandsrecht jetzt auch ohne „Notstand“


Die neuen Polizeigesetze: Notstandsrecht jetzt auch ohne „Notstand“
Polizeiübergriff auf friedliche Demonstranten, Bild: Wikipedia
Die neuen Polizeigesetze legalisieren faschistoide Methoden und wenden Regelungen der Notstandsgeset­ze von 1968 gezielt an, ohne dass der „Notstand“ erklärt werden müsste. „Mit den Notstandsgesetzen schufen sich die deutschen Monopole Instrumente für einen ‚legalen‘ Wechsel ihrer Herrschaftsmethoden von der Hauptseite Demokratie zur Hauptseite Diktatur.“ 1
Die von der ersten Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD im Mai 1968 beschlossenen Gesetze sehen die weitgehende Aushebelung der Grundrechte und den Einsatz von Bundeswehr und Bundespolizei gegen einen „Aufstand“ der Bevölkerung vor.
Die neuen Polizeigesetze führen außergerichtliche polizeiliche Maßnahmen im Sinne der Notstandsgesetze auf Personen, Personengruppen oder bestimmte Gebiete bezogen ein, ohne dass ein allgemeiner Notstand erklärt wird oder besteht.

Um was geht es?
Die neuen Polizeigesetze wenden durchgängig die neuen Begriffe der sogenannten „drohenden Gefahr“ bzw. der „dro­henden terroristischen Gefahr“ an. Also reicht die bloße Annahme der Poli­zei, dass jemand in Zukunft gefährlich werden könnte, um die Maßnahmen anzuwenden. Damit wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung aufgegeben.
Bei konkreten Unterschieden in den einzelnen Bundesländern ist der Grundtenor einheitlich:
  • Die Polizei wird zur Bürgerkriegsarmee weiter aufgerüstet, darf künftig auch Kriegswaffen wie Handgranaten tragen und soll mit Elektrowaffen („Distanzelektroim­pulsgeräte“) aufgerüstet werden.
  • Das BKA (Bundeskriminalamt) soll eine „Zentralstellenfunktion“ bekommen, womit die vom Grundgesetz bestimmte Länderhoheit über die Polizei weiter eingeschränkt wird.
  • Nicht nur die Geheimdienste, auch die Polizei darf V-Leute einschleusen.
  • Die Polizei darf ohne Verdacht auf konkrete Straftaten ermitteln und ohne jedes Gerichtsurteil Strafen verhängen.
  • Jeder Bürger wird zum Verdächtigen erklärt. Unter dem Begriff der „strate­gischen Fahndung“ (Entwurf PolG NRW §12a, S. 28) kann jeder je­derzeit angehalten und die Identität auch zwangsweise durch DNA-Abstrich er­fasst, Autos und Taschen durchsucht werden. Das ist die sogenannte „Schleierfahndung“, die laut Europäischem Gerichtshof gegen das Schengen-Abkommen verstößt. Es verstärkt zudem das Racial Profiling, die Kontrolle von „ausländisch aussehenden Personen“ und soll vor allem gegen „illegale Einwanderung“ eingesetzt werden.
  • Mit der Annahme, dass jeder Bürger ein Gefährder sein könnte, ist die Ausweitung der Videoüberwachung begründet. Bisher war Videobeobachtung nur an Orten erlaubt, an denen Verbrechen erfolgt sind. Jetzt auch, wo die Gefahr von Verbrechen möglich ist und wo „Täter an den Tatort mit den Verkehrsverbindungen (ÖPNV, Zufahrtsstraßen, Parkmöglichkeiten, Verkehrsknotenpunkte) kommen können.“ (S. 35) Also an allen öffentlichen Plätzen und Verkehrsknotenpunkte (Entwurf PolG NRW §15a, S. 29).

  • Aufheben der Privatsphäre durch verdachtsunabhängiges Ausspähen von Computer, Smartphone usw. Ein konkreter Tatverdacht wird überflüssig. Mit der sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung werden Daten schon im Rechner des Absenders mit einem sogenannten „Bundestrojaner“ abgegriffen, noch ehe sie eventuell für den Transport verschlüsselt werden. Faktisch darf jeder PC ausspioniert werden: „Danach reicht auch eine auf das individuelle Verhalten einer Person gestützte Gefahrenprognose aus.“ (S. 36) Sodass sich diese Maßnahme auch gegen Personen im Umfeld der Zielperson richten kann. (S. 37) Brief- und Fernmeldegeheimnis ade.
  • Befugnis der Polizei zum Einbruch in Wohnungen, um „Staatstrojaner“ zu installieren. Verschlüsseln hilft dann nicht mehr (Entwurf PolG NRW § 20c). Auf der Konferenz der Justizminister des Bundes und der Länder wurde ein Beschluss zur Schaffung der gesetzlichen Grundlagen dafür gefasst.
  • Verhängung von Kontakt- und Aufenthaltsverboten (Entwurf PolG NRW §34b). „Darüber hinaus kann es aber auch erforderlich sein, das Aufsuchen bestimmter Orte, z.B. solche, an denen konspirative Treffen stattfinden, zu verbieten.“ (S. 39) Damit werden die Bewegungsfreiheit und die Koalitionsfreiheit als Grundrechte attackiert. Treffen von Arbeitern zur Streikvorbereitung können damit ebenso wie jedes organisierte Handeln von oppositionellen Kräften unterbunden werden.
  • Elektronische Fußfessel – Entwurf PolG NRW §34c. Diese kann „auch zur Überwachung einer Aufenthaltsanordnung und Kontaktverbote eingesetzt werden“. (S.  29) Ein gravierender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.
  • Freiheitsentzug (Präventivhaft) bis zu einem Monat (in Bayern sogar drei Monate – unbegrenzt verlängerbar, in Niedersachsen 74 Tage) ohne Tatvorwurf oder konkrete Gefahr (Entwurf PolG NRW §38). Bisher musste die Polizei eine in Gewahrsam genommene Person spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen wieder freilassen. Jetzt kann sie bis zu sieben Tage ohne Anklage „in Gewahrsam“ genommen werden (S.  42). In der Landtagsdebatte begründete Herbert Reul, NRW-Minister des Innern, dies: „Zum Beispiel verklebt sich jemand im Hambacher Forst die Kuppen, sodass man die Identität nicht feststellen kann. Für einen solchen Fall ist das gedacht. Das finde ich auch richtig.“ Hier wird schon mal eine Zielgruppe benannt: konsequente Umweltkämpfer, die gegen die Rodung des Waldes für die Erweiterung des Braunkohletagebaus Widerstand leisten.

1 Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution S. 279f.

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