Samstag, 21. Juli 2018

„Vorbeugehaft“ – Anleihe an die dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte


„Vorbeugehaft“ – Anleihe an die dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte
Bilder: Wikipedia
Seit Kaiser Wilhelm II. gilt in Deutschland: Wenn es hart auf hart kommt, wenn politische Gegner gefährlich werden, ist die Zeit der „Schutzhaft“ gekommen.
Die Beschönigung der Wortwahl ist heute zwar lateinisch (Prävention = Zuvorkommen) – der Inhalt derselbe. Wer keine Straftat begangen hat, der wird aufgrund seiner Gesinnung verhaftet, ohne Haftbefehl, ohne Gerichtsurteil oder -prüfung, meist auch ohne Anwalt.
In der Diktatur des Hitler-Faschismus saßen Hunderttausende bis zum Kriegsende bzw. bis zu ihrem Tod in „Schutzhaft“. Viele Kommunisten kamen nach dem Zuchthaus in weitere „Schutzhaft“ in die Konzentrationslager.

Staatsschützer packt aus: Massenüberwachung in Göttingen
Im Juni 2017 hatte ein ehemaliger Angehöriger des polizeilichen Staatsschutzes ausgepackt. Mindestens von 1999 bis 2015 überwachte das Kommissariat 4 der Göttinger Polizei unter dem Stichwort „LiMo“ („linksmotiviert) mehrere Hundert Einwohner. Fünf prallgefüllte Aktenordner mit persönlichen und beruflichen Informationen, Fotos, Datensammlungen über die Beteiligung an politischen Veranstaltungen wurden angelegt. Ohne Ermittlungsverfahren, richterlichen Beschluss oder sonstige Rechtsgrundlage. Bevor die Betroffenen Klage einreichen konnten, waren die Akten – ebenso illegal, wie sie entstanden waren – geschreddert.

Wolfgang Schäuble
Ex-Innenminister und heutiger Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble warf im Spiegel schon 2007 die Frage auf, ob man nicht Gefährder wie Kombattanten1 behandeln und internieren könne und ob es nicht Regelungen bis hin zu Extremfällen wie dem sogenannten Targeted Killing“, also gezielten Tötungen, geben müsse. (Spiegel, 7.7.2007)

1 feindliche Kämpfer im Krieg


Bekannte „Schutzhäftlinge“

Rosa Luxemburg, 1871–1919
Führerin der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung u.a. im Kampf gegen den I. Weltkrieg mit polnischer Herkunft; Mitgründerin der Spartakus-Gruppe 1916; Haft und Schutzhaft vom 18. Februar 1915 bis zum 8. November 1918 zur „Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit des Reiches“; Mitgründerin der KPD am 31. Dezember 1918/1. Januar 1919. Am 15. Januar 1919 von reaktionären Freikorps in Berlin ermordet

Carl von Ossietzky, 1889–1938 
Journalist, Schriftsteller und Pazifist; Friedensnobelpreisträger 1935/36; ab 1932 Gefängnis wegen Aufdeckung illegaler Aufrüstung der Reichswehr, Weihnachtsamnestie am 22.
12.1932; Schutzhaft, KZ und Folter ab 28. Februar 1933, im Mai 1936 schwer krank ins Polizeikrankenhaus überführt, wo er 1938 starb

Heinrich Hirtsiefer, 1876–1941
Schlosser und Sozialpolitiker aus Essen, Christlicher Metallarbeiterverband und Mitglied der katholischen Zentrumspartei, langjähriger Minister und zeitweise geschäftsführender stellvertretender Ministerpräsident Preußens von 1925 bis 1932, Verhaftung und mehrmonatige Schutzhaft im Herbst 1933, KZ Kemna und Börgermoor; starb 1941 an den Folgen der Folter und Entbehrungen

Ernst Thälmann, 1886–1944
Hafenarbeiter aus Hamburg und einer der Führer des Hamburger Aufstands 1923, Vorsitzender der KPD; am 3. März 1933 trotz Immunität als Reichstags­abgeordneter in Schutzhaft, ab Ende Mai 1933 Untersuchungshaft, schwere Misshandlungen; am 1. November 1935 Aufhebung der Untersuchungshaft ohne Prozess, Überstellung als Schutzhäftling an die Gestapo, Haft in verschiedenen Gefängnissen und KZ; Ermordung durch die Hitler-Faschisten im August 1944

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