Obwohl die Einnahme von Muhammara – einer kleineren Stadt als Mossul – durch die irakische Armee nur neunundeinhalb Monate dauerte, gibt es zahlreiche Parallelen zwischen diesen Kämpfen und den laufenden Operationen in Mossul
Iraks Armee wird Mossul voraussichtlich auch im Frühjahr nicht vollständig zurückerobern können. Die Terrormiliz IS hat sich intensiv auf die Schlacht vorbereitet, die Verluste der irakischen Streitkräfte sind hoch. Eine Analyse der jüngsten Entwicklungen.
von Tallha Abdulrazaq, Bagdad
rtdeutsch vom 4.02.2017
Es existieren immer noch Widerstandskorridore in Gebieten am Ufer des Tigris, wie beispielsweise in den Vierteln Raschidiye und Schraikhan. Inzwischen beabsichtigt Bagdad, den IS aus West-Mossul herauszudrängen. Die Frage, die gestellt werden muss, ist: Wie hoch werden die Kosten für dieses Unterfangen sein?In vielerlei Hinsicht ähneln die Kämpfe um die zweitgrößte irakische Stadt einer Operation, die Saddam Husseins irakische Armee bereits vor rund vier Jahrzehnten führte.
In den ersten Tagen des iranisch-irakischen Krieges 1980 befahl Saddam Hussein seiner Armee, die Stadt Muhammara einzunehmen, die im iranischen Grenzgebiet liegt und als Chorremschahr bekannt ist. Die Kämpfe um die Stadt mündeten in blutige Straßenschlachten, die den irakischen Spezialeinheiten schließlich erhebliche Verluste beibringen sollten und damit die Fähigkeiten Iraks im Konflikt auch auf lange Sicht beeinflussten. Die Sondereinsatzkommandos Husseins brauchten Jahre, um sich von diesem Schock zu erholen.
Obwohl die Einnahme von Muhammara – einer kleineren Stadt als Mossul – durch die irakische Armee nur neunundeinhalb Monate dauerte, gibt es zahlreiche Parallelen zwischen diesen Kämpfen und den laufenden Operationen in Mossul.
Im Kampf um Mossul verlässt sich die Zentralregierung in Bagdad ebenso hauptsächlich auf ihre Spezialeinheiten, die im Anti-Terror-Dienst (CTS) zusammengefasst sind. Dieser wird von den USA ausgebildet und bewaffnet. Der CTS führt die Operationen in Mossul an und vermochte den Widerstand des IS auf der Ostseite der Stadt weitestgehend zu brechen, so die offizielle Lesart.
Bemerkenswert ist, dass jüngste Berichte und Interviews mit hochrangigen US-Militärkommandeuren zutage förderten, dass der CTS vom “Islamischen Staat” in den vergangenen drei Monaten stark aufgerieben wurde. Demnach verloren die Sondereinsatzkommandos bis zu 50 Prozent ihrer Kameraden, was angesichts der noch anstehenden Kämpfe mit der islamistischen Miliz die Militärführung in Bagdad und den USA unruhig stimmen sollte.
Bestätigend wirkt mit Blick auf diese Darstellungen der Umstand, dass die Behörden in Bagdad es ablehnen, Zahlen über Verluste in Mossul zu veröffentlichen. Dies legt den Schluss nahe, dass Hochrechnungen aus IS-nahen Quellen zumindest ansatzweise die Wirklichkeit wiedergeben könnten. Laut Angaben der Terrormiliz verlor die irakische Armee, die bei der US-unterstützten Operation 100.000 Mann nach Mossul verlegt hatte, in nur wenigen Wochen bis zu 6.500 Soldaten.
Es gibt zwar keine objektiven Wege, die IS-Hochrechnungen zu verifizieren, die wahrscheinlich auch aus Propaganda-Gründen übertrieben wurden. Aber im Wege einer Zusammenschau mit seriösen Stellungnahmen von US-Kommandeuren und eigenen Angaben der Vereinten Nationen verstärkt sich der Eindruck, dass die irakische Armee bereits heftige Rückschläge gegen den sich eingrabenden und aufopferungsbereiten Feind in Mossul erlitten hat.
Diese Entwicklung macht es jedoch auch nachvollziehbar, warum der irakische Premierminister Haidar al-Abadi sein Versprechen nicht realisieren konnte, den IS bis Ende 2016 aus Mossul zu vertreiben. Am 30. Dezember räumte al-Abadi schließlich ein, dass die Terrormiliz auch im kommenden Frühling voraussichtlich nicht aus Mossul vertrieben werden kann.
Iraks militärische Optionen
Die Erkenntnis, dass die Speerspitze der irakischen Armee maßgeblich geschwächt wurde, führt unweigerlich zur Frage: Wie will Irak die westliche Seite der nordirakischen Millionenstadt einnehmen? Es ist davon auszugehen, dass die Altstadt im Westen noch stärker vom IS befestigt wurde als im Osten, der entgegen der Regierungsaussagen nicht ganz von der Armee kontrolliert wird.
Das Erreichen des Tigris-Flusses sollte auch nicht als “halber Meilenstein” gefeiert werden. Krieg ist in der Regel keine lineare Angelegenheit. Den Westteil Mossuls zu erobern, wird alleine schon seiner Unzugänglichkeit wegen schwieriger als der Osten.
Um den IS daran zu hindern, Verstärkung in den Osten der Stadt zu verlegen, bombardierten US-Kampfflugzeuge bereits zu Beginn der Operationen die insgesamt fünf Brücken, die die Stadt miteinander verbinden. Sie alle wurden zerstört. Das führt zu dem Problem, dass Pioniere behelfsmäßige Brücken errichten müssten, um die Verlegung von Soldaten und Kriegsmaterial über den Fluss zu gewährleisten.
Um wiederum ein solches Szenario möglich werden zu lassen, müssten die irakischen Sicherheitskräfte das Artilleriefeuer, Scharfschützen, Bombenangriffe und Bodenoffensiven des IS in Schach halten, während in der Zwischenzeit andere Truppen einen Brückenkopf herstellen.
Jeder Versuch, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, sieht einen schnellen Truppentransfer von mehreren tausend Soldaten vor, um den IS zahlenmäßig zu überwältigen. Dieser muss daran gehindert werden, eine Gegenoffensive zu starten. Außerdem würde das Vorhaben die übersetzenden irakischen Truppen der Gefahr aussetzen, in den Tigris gespült zu werden.
Die irakische Armee könnte außerdem erwägen, Marinesoldaten auf Schnellbooten zu entsenden, die neuralgische Punkte am westlichen Ufer halten sollen. Auch könnten Fallschirmspringer die IS-Verteidigung stören, während ein Brückenkopf errichtet wird. Unterm Strich würden aber beide Erwägungen die irakische Armee zahlreiche Leben kosten.
Eine weitere Option wäre es, den IS in Mossul in die Enge zu treiben. Dafür müsste Bagdad die Tel-Afar-Front wiederbeleben. Die Turkmenen-Stadt liegt rund 60 Kilometer weiter westlich von Mossul und ist das letzte verbliebene Nadelöhr des IS nach Syrien. Von Tel Afar könnten die Truppen der Regierungsarmee Druck auf Mossul ausüben und den IS dazu zwingen, seine Verteidigung zu teilen, was ein Übersetzen nach Ost-Mossul vereinfachen würde.
Eine solche Entwicklung sieht die enge militärische Koordinierung mit der pro-iranischen Volksmobilmachung vor, einer mehrheitlich schiitisch geprägten paramilitärischen Organisation, der Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International Kriegsverbrechen gegen die sunnitisch-arabische Bevölkerung vorwerfen. Die politischen Kosten einer Einbindung der Volksmobilmachung in der sunnitisch-arabisch dominierten Stadt könnten größer sein als ein damit verbundener militärischer Gewinn. Der IS wird seine Kriegsrhetorik gegen die schiitische Konfession als “Gehilfin des US-amerikanischen Imperialismus im Irak” intensivieren und sich die sunnitische Bevölkerung weiter in die eigenen Arme treiben, was den Widerstand gegen Bagdad erhöht und konfessionelle Gräben vertieft.
Sollten die irakischen Einheiten West-Mossul erst einmal betreten haben, wird es in der Stadt primär einen Kampf von Mann zu Mann und Tür zu Tür geben. Die Altstadt von Mossul ist geradezu gespickt mit engen Straßen, die gepanzerten Fahrzeugen die Durchfahrt verwehren. Dieser Umstand und der Tigris-Fluss machen West-Mossul zu einer kaum durchdringbaren Bastion. Die Kämpfe werden zu weiteren schweren Verlusten aufseiten der irakischen Armee führen und die Zeit bis zur Befreiung der Stadt nochmals verlängern. Eine Beendigung der Kämpfe im Frühling erscheint unter all diesen Umständen nicht als realistisch.
Der “Islamische Staat” bereitet sich seit Jahren auf die Kämpfe mit der irakischen Armee um Mossul vor. Die Miliz verwandelte die Stadt in eine Todeszone. Den IS aus Mossul zu vertreiben und das barbarische selbsternannte Kalifat zu beenden, kommt Bagdad teuer zu stehen. Die Schlacht um Mossul ist in ihrer Intensität seit der US-Invasion 2003 beispiellos und entscheidend für die Zukunft des politisch zerstrittenen Iraks.
Tallha Abdulrazaq ist Forscher am Institut für Strategie und Sicherheit an der Universität von Exeter und Gewinner des Jungforscher-Awards von Al Jazeera 2015. RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
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