Mittwoch, 22. Februar 2017

Das »Zuviel« zelebrieren


In »Elle« von Paul Verhoeven erscheint die Perversion allgemeingültig. Isabelle Huppert macht das Ganze erträglicher

Von Peer Schmitt
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Die Vergewaltigung wird mehrmals von ihr reinszeniert (Laurent Lafitte und Isabelle Huppert)
»Elle«, Regie: Paul Verhoeven, F/D 2016, 130 min, bereits angelaufen
Da die Berlinale des 90er-Jahre-Revivals glücklich überstanden ist, soll nicht verschwiegen werden, dass in der zweiten Woche des Festivaltumults die aktuelle Regiearbeit des genialischen Chefs der Internationalen Jury in den deutschen Kinos anlief. Und mit glücklicher Wendung ist »Elle« tatsächlich Paul Verhoevens bester Film seit … ja, genau …. »Starship Troopers« (1997). Die luzide Trashigkeit dieses Films des größten holländischen Filmemachers aller Zeiten, das Oszillieren zwischen herben Geschmacklosigkeiten und dem Sublimen, die Vorliebe für sexistischen Schmock und Techno-Fetisch-Perversion, das alles hat noch einmal kräftig Fahrt aufgenommen für ein reifes Alterswerk.Kalkuliert skandalträchtig beginnt die Farce mit der recht expliziten Darstellung der Vergewaltigung von Isabelle Huppert durch einen schwarz maskierten Mann. Sie nimmt das alles in allem verdächtig gelassen hin, »wie eine wahre Frau«, mit allgemeinem Verderben im Hintersinn, aber nicht ohne fortan mit einer Axt neben sich auf dem Kopfkissen zu schlafen. Isabelle Huppert ist natürlich auch nicht irgendwer, sondern beinahe schon so etwas wie ein Symbol, letzte Vertreterin eines Filmstartyps alteuropäisch intellektualistischer Schule. Wo immer die Sachen anbrannten, war sie irgendwie dabei. Sei es das Ausfaden der Libertinage in den 70ern – »Glissements progressifs du plaisir« (Alain Robbe-Grillet, 1974) und »Les valseuses« (Bertrand Blier, 1974) – oder die großen Krisenbestandsaufnahmen der 80er: »Sauve qui peut (la vie)« und »Passion« (1980 bzw. 1982) von Jean-Luc Godard, »Coup de torchon – Der Saustall« (Bertrand Tavernier, 1981), »Heaven’s Gate« (Michael Cimino, 1980) … Allein was Huppert in den frühen 80ern gemacht hat, reichte für die Aufnahme in den ewigen Kanon. Zudem können nicht allzuviele von sich behaupten, sowohl Anne Bontë, die Kameliendame, Emma Bovary, die Charlotte aus den »Wahlverwandtschaften« als auch Marie Curie und Elfriede Jelineks »Klavierspielerin« in Filmen dargestellt zu haben.
Verhoeven wiederum ist Miterfinder eines Trash, dessen Intellektualismus nicht von außen herangetragen oder hineingeschmuggelt, sondern in der Sache selbst angelegt ist. Vielleicht ist er deshalb so häufig missverstanden worden. Selbst seine ganz großen Pleiten wie »Showgirls« (1995) gelten mittlerweile manchen als verkannte satirische Meisterwerke. Maßgeblich aber bleibt seine Sci-Fi-Trilogie »RoboCop« (1987), »Total Recall« (1990) und eben »Starship Troopers«; vornehmlich parodistische, »karnevaleske« Filme, in denen es von grotesken Körpern nur so wimmelt. Cartoons.
Darf nun eine Farce in einer Vergewaltigung ihren Ausgang nehmen? Eine schwarze Katze faucht in die Kamera, bevor auf Isabelle Huppert geschnitten wird, die, mit dem Rücken zur Kamera, Zeitung lesend und Barock-Muzak aus dem Radio hörend, ein gesundes Frühstück (Obst und Mineralwasser) einnimmt, dann besagte ausgesperrte Katze aus dem Garten ins Zimmer lässt und mit ihr den maskierten Vergewaltiger. Später schimpft sie ein bisschen mit der Katze: »Du hättest ihm ja nicht gleich mit den Krallen die Augen rausreißen müssen, aber ein paar Kratzer hätten schon sein dürfen.«
Die Vergewaltigungsszene wird zum Ausgangspunkt eines mörderischen Plans der von Huppert gespielten »Femme Fatale«. Ein Plan, der Chiffre für die auffällig weit verbreitete Perversion ist. Perversion, zunächst als die sexuelle Handlung, die nach einem Programm/Skript ausgeführt wird, das für den Blick und die Zufriedenheit einer äußeren Autorität geschrieben ist. Die Perversion gefällt sich als Instrument dieser zweiten Ordnung (die hier mit der generellen zweiten Ordnung der Ironie zusammenfällt).
Verhoeven wäre nicht Verhoeven, wenn er dabei nicht genüsslich übertreiben, anhäufen, das »Zuviel« zelebrieren würde. Nicht nur, dass die Huppert-Figur ihre eigene Vergewaltigung wiederholt reinszeniert und rollenkonform in jeder Lebenslage schamlos lügt und betrügt, sie ist auch von einem ganzen Haufen hinreichend dankbar perverser Leute umgeben (sorgfältig am Esstisch der weihnachtlichen Familienfeier gewissermaßen thematisch gruppiert) und nicht zuletzt die Tochter eines zu lebenslanger Haft verurteilten Amokläufers und Serienmörders.
Die Anhäufung gibt der Perversion den Anschein katastrophaler Selbstverständlichkeit, unhintergehbarer Allgemeingültigkeit. Das störrisch Distanzierte von Isabelle Huppert individualisiert diese Selbstverständlichkeit wieder, verleiht ihr eine groteske Komik, die das Ganze erträglicher macht. Ihre konsequent amoralischen Handlungen tragen dabei natürlich das Warnmerkmal des »Professionals«: »Zu eventueller Nachahmung daheim unter keinen Umständen empfohlen«.
»Elle« ist zunächst einmal so was wie die farcenhafte Zuspitzung eines ohnehin schon farcenhaften Chabrol-Films. Karikatur der Karikatur. Die »Femme fatale«-Figur ist bereits glücklich geschieden, frischgebackene Großmutter und nicht zuletzt erfolgreiche Unternehmerin. Zusammen mit ihrer besten Freundin (Anne Consigny), die von ihr selbstverständlich betrogen wird, leitet sie eine Firma, die Computerspiele designt und produziert. Die Endphase der Produktion eines semipornographischen Fantasy-Computerspiels (routinemäßige Vergewaltigung als Rollenspiel) zieht sich als roter Faden durch »Elle«.
Verhoeven lässt es sich nicht nehmen, Sequenzen aus dem blutrünstigen Spiel ausführlich zu zelebrieren. Zum einen als Reminiszenzen auf die grotesken Körper seiner eigenen maßgeblichen Filme, zum anderen als seine Sicht auf das im wesentlichen programmierte und nicht mehr fotografierte Postcinema der Gegenwart.
Der Programmierstar der Firma bezichtigt in einer Szene seine Chefin (Huppert), deren vornehmlich literarisch-verlegerischer Hintergrund beeinträchtige ihre professionelle Urteilskraft (sie ist auf Zeichenhaftigkeit des Produktes fixiert und nicht auf seine praktische Anwendung, seine »Spielbarkeit«). Das lässt sie sich natürlich nicht zweimal sagen.
Angreifer zerschlagen die Fenster einer Flüchtlingsunterkunft am Berliner Tierheim. Brandstifter legen Feuer in einem Flüchtlingsheim in Buch. Ein Waffenbesitzer schießt mit seiner Luftdruckpistole auf die Fenster eines Asylbewerberheims in Neukölln. Das alles sind Fälle aus einer Statistik des Berliner Senats, die am Dienstag  veröffentlicht wurde.
Demnach gab es im Jahr 2016 insgesamt 50 Übergriffe auf Berliner Einrichtungen, in denen Geflüchtete untergebracht sind.  Ein Großteil der Taten fand in den Ostbezirken statt.
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25779524 ©2017
Angreifer zerschlagen die Fenster einer Flüchtlingsunterkunft am Berliner Tierheim. Brandstifter legen Feuer in einem Flüchtlingsheim in Buch. Ein Waffenbesitzer schießt mit seiner Luftdruckpistole auf die Fenster eines Asylbewerberheims in Neukölln. Das alles sind Fälle aus einer Statistik des Berliner Senats, die am Dienstag  veröffentlicht wurde.
Demnach gab es im Jahr 2016 insgesamt 50 Übergriffe auf Berliner Einrichtungen, in denen Geflüchtete untergebracht sind.  Ein Großteil der Taten fand in den Ostbezirken statt.
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25779524 ©2017

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