Mittwoch, 22. Februar 2017

Brennpunkt ist überall


Lehrer sind knapp, überfordert und schlecht bezahlt. Doch vielerorts regt sich Protest

Von Ralf Wurzbacher
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Lehrerinnen werden laut: Immer wieder gehen sie für bessere Bezahlung und anständige Arbeitsbedingungen auf die Straße wie hier am 12. Mai 2016 in Berlin

Sachsen: Mehr Geld gefordert

Kein »Brandbrief«, aber so ähnlich. Anfang Februar hatte eine Delegation des Sächsischen Lehrerverbandes (SLV) Landeskultusministerin Brunhild Kurth (CDU) eine Resolution überreicht und darin bessere Arbeitsbedingungen sowie eine Gleichstellung des Grundschullehramts mit denen anderer Schulformen gefordert. Wie das Internetportal New s4teachers berichtete, lernen an sächsischen Grundschulen mehr als 4.000 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Dazu kämen in der Primarstufe besondere Herausforderungen durch die Integration von Flüchtlingskindern.
Wie überall in Deutschland fehlt es aber auch im Freistaat an qualifiziertem Nachwuchs. Die Lücken schließen zunehmend Quereinsteiger ohne pädagogische Expertise, deren Einarbeitung zusätzliche Belastungen für die ausgebildeten Lehrkräfte mit sich bringt. In ihrem von 4.255 Pädagogen aus 474 Grundschulen unterzeichneten Appell mahnen die Initiatoren, eine fundierte Grundschulausbildung sei entscheidend für das erfolgreiche Absolvieren der weiterführenden Einrichtungen.
Auch angesichts dessen sei es nicht nachvollziehbar, dass Grundschullehrer weniger Geld bekommen als ihre Kollegen. Derzeit erhalten sie in Sachsen abhängig von den Berufsjahren monatlich zwischen rund 3.000 und 4.500 Euro brutto. Sie verdienen also mitunter mehrere hundert Euro weniger als Gymnasiallehrer. »In den Köpfen der Menschen und nicht zuletzt der politischen Akteure dürfen Grundschullehrer nicht länger als Lehrer zweiter Klasse gesehen werden«, erklärte SLV-Vizechefin Katlen Worotnik. Besonders zuversichtlich, dass ihr Anliegen in absehbarer Zeit von der Politik umgesetzt wird, ist sie indes nicht: »Da haben wir noch dicke Bretter zu bohren!« (rwu)
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Es gab Zeiten, da war ein »Brandbrief« noch etwas Besonderes. Die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln brachte der Hilferuf ihrer Rektorin vor elf Jahren wochenlang in die Schlagzeilen. Und geholfen hat’s auch. Inzwischen ist die einstige Skandalanstalt ein schul- und sozialpolitisches Renommierprojekt par excellence und als »Campus Rütli« bei Schülern, Eltern und Lehrern voll angesagt. Einen schönen Nebeneffekt hatte die Sache dazu: Wenn an Orten, die die Medien im Blick haben, geklotzt wird, fällt die Kleckerei beim Großen und Ganzen nicht mehr so auf. Heute sind Brandbriefe das Normalste der Welt. Allein für die zurückliegenden Wochen sind drei davon überliefert: aus Hessen, Bayern und Brandenburg. Ende Januar schlugen in Frankfurt am Main 59 Schulleiter und 18 Konrektoren Alarm, weil insbesondere der chronische Lehrermangel zu untragbaren Zuständen geführt habe. Die Klassen seien zu groß, die Lehrergehälter zu niedrig, und die Arbeitsbelastung sei angesichts immer wieder neuer Aufgaben wie Ganztagsbetreuung, Inklusion (siehe dazu Interview unten) und Integration von Flüchtlingen – kaum zu bewältigen. »Guter Unterricht im herkömmlichen Sinn ist unter solchen Bedingungen nur noch mit erheblichen Abstrichen umzusetzen«, beklagen die Pädagogen.
In Klassen mit bis zu 25 Schülern hätten oft mehr als 80 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund, heißt es in dem Schreiben an Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU). Aber nicht nur in den Brennpunktbezirken mit hohem Ausländeranteil drückt der Schuh. Dafür spricht schon, dass zwei Drittel aller Frankfurter Grundschulen den Appell unterstützen. Viele der Missstände haben sich durch eine seit Jahrzehnten verfehlte Schul- und Sozialpolitik immer weiter zugespitzt und mit dem jüngsten Zulauf an Flüchtlingskindern einen Punkt erreicht, an dem es mit dem üblichen Aussitzen von Problemen nicht mehr getan ist.
So hatte etwa die Kultusministerkonferenz (KMK) schon vor mehr als einem Jahrzehnt vor einem mittel- und langfristigen Schwund an Pädagogen infolge einer gewaltigen Pensionierungswelle gewarnt. Statt aber in großem Stil in die Lehrerausbildung zu investieren und den Beruf attraktiver zu machen, geschah vielerorts das genaue Gegenteil: Den Lehrern wurden noch mehr Aufgaben aufgeladen, sie müssen mehr Schüler und mehr Stunden pro Woche unterrichten und werden bei alledem – allen voran die Angestellten – vergleichsweise schlecht bezahlt. Im besonderen gilt dies für Grundschullehrer. Nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) besteht in Hessen zudem »seit vielen Jahren ein eklatanter Mangel« an Berufsschullehrern. Darüber hinaus könnten auch Stellen für Fachkräfte an Förderschulen »zunehmend nicht besetzt werden«.
Die Politik verfällt ob der Engpässe in Aktionismus. Hessen, Nordrhein-Westfalen oder auch Brandenburg holen derzeit pensionierte Lehrkräfte und Seiteneinsteiger mit kräftigen Zuschlägen in den Schuldienst (zurück). In Bremen wird nach GEW-Angaben jede elfte Stunde von einer nicht voll ausgebildeten Lehrkraft gegeben, sofern der Unterricht nicht ganz ausfällt. Der Stadtstaat behilft sich unter anderem mit sogenannten Feuerwehrkräften, die ihr Lehramtsstudium (noch) nicht abgeschlossen und kein Referendariat vorzuweisen haben. Der Berliner Senat macht ob der Notlage sogar den Kalten Krieg vergessen. Dort hat man im Vorjahr DDR-Lehrer reaktiviert, die seit der »Wiedervereinigung« lediglich in Schulhorten als Erzieher tätig sein durften.
Bayern versucht sich neuerdings daran, die Möglichkeit von Teilzeitarbeit für die Lehrkräfte an Grund-, Förder- und Mittelschulen einzuschränken. Vor zwei Wochen erreichte ein Brief des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sowie die Abgeordneten des Münchner Landtags. Die Schulleiter des Freistaats sähen sich »angesichts mieser Arbeitsbedingungen außerstande, ihre Aufgaben gut zu erledigen«, schreiben die Initiatoren im Namen von 5.000 Volksschulleitern. »So kann es nicht weitergehen«, äußerte sich BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann: »Wir brauchen keine Zuckerl. Wir brauchen eine echte Reform.« Vor jeder neuen Anforderung müsse künftig gesagt werden, welche andere dafür entfällt.
Schließlich ist da noch der Brandbrief der Eltern von Schülern der Friedrich-Ludwig-Jahn-Grundschule in Wittenberge an Brandenburgs Bildungsminister Günter Baaske (SPD). Jedes Jahr seien »immer wieder die gleichen Lehrer dauerkrank. Klassen werden aufgeteilt, mit Stillarbeit beschäftigt, oder es werden zwei Klassen gleichzeitig unterrichtet, Stunden bzw. ganze Unterrichtstage für einzelne Klassen fallen aus.« Dies sei nur noch eine »Verwaltung von Mangel«. Das Ministerium gab daraufhin laut örtlicher Presse zu verstehen, das Problem sei nicht schlimmer als anderswo. Also: Kein Grund zur Aufregung.

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