Proletarier aller Länder, vereinigt euch!
Zusammengestellt durch die Reaktion des Klassenstandpunkt.
Auszug aus: Karl Marx:
„Das Kapital
Vorwort zur ersten Auflage“
25. Juli 1867
„Das Kapital
Vorwort zur ersten Auflage“
25. Juli 1867
„Ich unterstelle natürlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen.”
Auszug aus Mao Tse-Tung:
„Über den Widerspruch“
August 1937
„Über den Widerspruch“
August 1937
Unsere
Dogmatiker sind faule Kerle, die jede mühselige Forschungsarbeit an
konkreten Dingen ablehnen; sie betrachten die allgemeinen Wahrheiten als
etwas vom Himmel Gefallenes, verwandeln sie in unfaßbare, rein
abstrakte Formeln, negieren total die normale Reihenfolge der Erkenntnis
der Wahrheit durch den Menschen und stellen sie auf den Kopf.
Ebensowenig verstehen sie die wechselseitige Verbundenheit zwischen den
beiden Prozessen der menschlichen Erkenntnis: vom Besonderen zum
Allgemeinen und vom Allgemeinen zum Besonderen. Sie verstehen überhaupt
nicht die marxistische Erkenntnistheorie.
Auszug aus: Karl Marx:
„Das Kapital
Nachwort zur zweiten Auflage“
24. Januar 1873
„Das Kapital
Nachwort zur zweiten Auflage“
24. Januar 1873
Die
im „Kapital“ angewandte Methode ist wenig verstanden worden, wie schon
die einander widersprechenden Auffassungen derselben beweisen.
So wirft mir die Pariser „Revue Positiviste“1
vor, einerseits, ich behandle die Ökonomie metaphysisch, andrerseits –
man rate! –, ich beschränke mich auf bloß kritische Zergliederung des
Gegebnen, statt Rezepte (comtistische?) für die Garküche der Zukunft zu
verschreiben. Gegen den Vorwurf der Metaphysik bemerkt Prof. Sieber:
„Soweit
es sich um die eigentliche Theorie handelt, ist die Methode von Marx
die deduktive Methode der ganzen englischen Schule, deren Mängel und
Vorzüge den besten theoretischen Ökonomisten gemein sind.“
Herr
M, Block - „Les Théoriciens du Socialisme en Allemagne. Extrait du
Journal des Économistes, juillet et août 1872“ - entdeckt, daß meine
Methode analytisch ist, und sagt u.a.:
„Par cet ouvrage M. Marx se classe parmi les esprits analytiques les plus éminents.“2
Die deutschen Rezensenten schreien natürlich über Hegelsche Sophistik. Der Petersburger „Вестник Европы“
(Europäischer Bote), in einem Artikel, der ausschließlich die Methode
des „Kapital“ behandelt (Mainummer 1872, p. 427-436), findet meine Forschungsmethode streng realistisch, die Darstellungsmethode aber unglücklicherweise deutsch-dialektisch. Er sagt:
„Auf
den ersten Blick, wenn man nach der äußern Form der Darstellung
urteilt, ist Marx der größte Idealphilosoph, und zwar im deutschen, d.h.
schlechten Sinn des Wortes. In der Tat aber ist er unendlich mehr
Realist als alle seine Vorgänger im Geschäft der ökonomischen Kritik ...
Man kann ihn in keiner Weise einen Idealisten nennen.“
Ich kann dem Herrn Verfasser3
nicht besser antworten als durch einige Auszüge aus seiner eignen
Kritik, die zudem manchen meiner Leser, dem das russische Original
unzugänglich ist, interessieren mögen.
Nach
einem Zitat aus meiner Vorrede zur „Kritik der Pol. Oek.“, Berlin 1859,
p. IV-VII, wo ich die materialistische Grundlage meiner Methode
erörtert habe, fährt der Herr Verfasser fort:
„Für
Marx ist nur eins wichtig: das Gesetz der Phänomene zu finden, mit
deren Untersuchung er sich beschäftigt. Und ihm ist nicht nur das Gesetz
wichtig, das sie beherrscht, soweit sie eine fertige Form haben und in
einem Zusammenhang stehn, wie er in einer gegebnen Zeitperiode
beobachtet wird. Für ihn ist noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer
Veränderung, ihrer Entwicklung, d.h. der Übergang aus einer Form in die
andre, aus einer Ordnung des Zusammenhangs in eine andre. Sobald er
einmal dies Gesetz entdeckt hat, untersucht er im Detail die Folgen,
worin es sieh im gesellschaftlichen Leben kundgibt... Demzufolge bemüht
sich Marx nur um eins: durch genaue wissenschaftliche Untersuchung die
Notwendigkeit bestimmter Ordnungen der gesellschaftlichen Verhältnisse
nachzuweisen und soviel als möglich untadelhaft die Tatsachen zu
konstatieren, die ihm zu Ausgangs- und Stützpunkten dienen. Hierzu ist
vollständig hinreichend, wenn er mit der Notwendigkeit der gegenwärtigen
Ordnung zugleich die Notwendigkeit einer andren Ordnung nachweist,
worin die erste unvermeidlich übergehn muß, ganz gleichgültig, ob die
Menschen das glauben oder nicht glauben, ob sie sich dessen bewußt oder
nicht bewußt sind. Marx betrachtet die gesellschaftliche Bewegung als
einen naturgeschichtlichen Prozeß, den Gesetze lenken, die nicht nur von
dem Willen, dem Bewußtsein und der Absicht der Menschen unabhängig
sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen, Bewußtsein und Absichten
bestimmen... Wenn das bewußte Element in der Kulturgeschichte eine so
untergeordnete Rolle spielt, dann versteht es sich von selbst, daß die
Kritik, deren Gegenstand die Kultur selbst ist, weniger als irgend etwas
andres, irgendeine Form oder irgendein Resultat des Bewußtseins zur
Grundlage haben kann. Das heißt, nicht die Idee, sondern nur die äußere
Erscheinung kann ihr als Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich
beschränken auf die Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache,
nicht mit der Idee, sondern mit der andren Tatsache. Für sie ist es nur
wichtig, daß beide Tatsachen möglichst genau untersucht werden und
wirklich die eine gegenüber der andren verschiedne Entwicklungsmomente
bilden, vor allem aber wichtig, daß nicht minder genau die Serie der
Ordnungen erforscht wird, die Aufeinanderfolge und Verbindung, worin die
Entwicklungsstufen erscheinen. Aber, wird man sagen, die allgemeinen
Gesetze des ökonomischen Lebens sind ein und dieselben; ganz
gleichgültig, ob man sie auf Gegenwart oder Vergangenheit anwendet.
Grade das leugnet Marx. Nach ihm existieren solche abstrakte Gesetze
nicht... Nach seiner Meinung besitzt im Gegenteil jede historische
Periode ihre eignen Gesetze... Sobald das Leben eine gegebene
Entwicklungsperiode überlebt hat, aus einem gegebnen Stadium in ein
andres übertritt, beginnt es auch durch andre Gesetze gelenkt zu werden.
Mit einem Wort, das ökonomische Leben bietet uns eine der
Entwicklungsgeschichte auf andren Gebieten der Biologie analoge
Erscheinung... Die alten Ökonomen verkannten die Natur ökonomischer
Gesetze, als sie dieselben mit den Gesetzen der Physik und Chemie
verglichen ... Eine tiefere Analyse der Erscheinungen bewies, daß
soziale Organismen sich voneinander ebenso gründlich unterscheiden als
Pflanzen- und Tierorganismen... ja, eine und dieselbe Erscheinung
unterliegt ganz und gar verschiednen Gesetzen infolge des verschiednen
Gesamtbaus jener Organismen, der Abweichung ihrer einzelnen Organe, des
Unterschieds der Bedingungen, worin sie funktionieren usw. Marx leugnet
z.B., daß das Bevölkerungsgesetz dasselbe ist zu allen Zeiten und an
allen Orten. Er versichert im Gegenteil, daß jede Entwicklungsstufe ihr
eignes Bevölkerungsgesetz hat... Mit der verschiednen Entwicklung der
Produktivkraft ändern sich die Verhältnisse und die sie regelnden
Gesetze. Indem sich Marx das Ziel stellt, von diesem Gesichtspunkt aus
die kapitalistische Wirtschaftsordnung zu erforschen und zu erklären,
formuliert er nur streng wissenschaftlich das Ziel, welches jede genaue
Untersuchung des ökonomischen Lebens haben muß... Der wissenschaftliche
Wert solcher Forschung liegt in der Aufklärung der besondren Gesetze,
welche Entstehung, Existenz, Entwicklung, Tod eines gegebenen
gesellschaftlichen Organismus und seinen Ersatz durch einen andren,
höheren regeln. Und diesen Wert hat in der Tat das Buch von Marx.“
Indem
der Herr Verfasser das, was er meine wirkliche Methode nennt, so
treffend und, soweit meine persönliche Anwendung derselben in Betracht
kommt, so wohlwollend schildert, was andres hat er geschildert als die
dialektische Methode?
Allerdings
muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsweise
unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen,
seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und deren innres
Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die
wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und
spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehn,
als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun.
Meine
dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht
nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der
Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges
Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere
Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als
das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.
Die
mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30
Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade
als ich den ersten Band des „Kapital“ ausarbeitete, gefiel sich das
verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum4,
welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin,
Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den
Spinoza behandelt hat, nämlich als „toten Hund“. Ich bekannte mich
daher offen als Schüler jenes großen Denkers und kokettierte sogar hier
und da im Kapitel über die Werttheorie mit der ihm eigentümlichen
Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen
erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen
Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt
hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den
rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.
In
ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie
das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie
dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein
Greuel» weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich
auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs
einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach
ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt,
ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.
Die
widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht sich
dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fühlbar in den Wechselfällen
des periodischen Zyklus, den die moderne Industrie durchläuft, und
deren Gipfelpunkt - die allgemeine Krise. Sie ist wieder im Anmarsch,
obgleich noch begriffen in den Vorstadien, und wird durch die
Allseitigkeit ihres Schauplatzes, wie die Intensität ihrer Wirkung,
selbst den Glückspilzen des neuen heiligen, preußisch-deutschen Reichs
Dialektik einpauken.
Auszüge aus: Wladimir Iljitsch Lenin
„Materialismus und Empiriokritizismus“Mai 1909
„Materialismus und Empiriokritizismus“Mai 1909
Kapitel II. Die Erkenntnistheorie des Empiriokritizismus und des dialektischen Materialismus.
6. Das Kriterium der Praxis in der Erkenntnistheorie
6. Das Kriterium der Praxis in der Erkenntnistheorie
Wir
haben gesehen, daß Marx 1845, Engels 1888 und 1892 das Kriterium der
Praxis in die Grundlage der materialistischen Erkenntnistheorie
einführen.5
Von der Praxis isoliert die Frage stellen, „ob dem menschlichen Denken
gegenständliche“ (d. h. objektive) „Wahrheit zukomme“, ist Scholastik,
sagt Marx in der zweiten These über Feuerbach. Die schlagendste
Widerlegung des Kantschen und Humeschen Agnostizismus wie aller andern
philosophischen Schrullen ist die Praxis, wiederholt Engels. „Die
Erfolge unsrer Handlungen liefern den Beweis für die Übereinstimmung
unsrer Wahrnehmungen mit der gegenständlichen“ (objektiven) „Natur der
wahrgenommenen Dinge“, erwidert Engels den Agnostikern.6
Man vergleiche damit die Betrachtung Machs über das Kriterium der Praxis: „Man pflegt in der populären Denk- und Redeweise der Wirklichkeit den Schein
gegenüberzustellen. Einen Bleistift, den wir in der Luft vor uns
halten, sehen wir gerade; tauchen wir denselben schief ins Wasser, so
sehen wir ihn geknickt. Man sagt nun in letzterem Falle: ,Der Bleistift scheint geknickt, ist aber in Wirklichkeit
gerade.‘ Was berechtigt uns aber, eine Tatsache der andern gegenüber
für Wirklichkeit zu erklären und die andere zum Schein herabzudrücken? .
. . Unsere Erwartung wird allerdings getäuscht, wenn wir den
natürlichen Fehler begehen, in ungewöhnlichen Fällen dennoch das
Gewöhnliche zu erwarten. Die Tatsachen sind daran, unschuldig. Es hat
nur einen praktischen, aber keinen wissenschaftlichen Sinn, in diesen
Fällen von Schein
zu sprechen. Ebenso hat die oft gestellte Frage, ob die Welt wirklich
ist oder ob wir sie bloß träumen, gar keinen wissenschaftlichen Sinn.
Auch der wüsteste Traum ist eine Tatsache, so gut als jede andere.“
(„Analyse der Empfindungen“, S. 18/19 [S. 8/9].)
Es
ist wahr: nicht nur ein wüster Traum, sondern auch eine wüste
Philosophie ist mitunter eine Tatsache. Daran ist kein Zweifel möglich,
nachdem man die Philosophie Ernst Machs kennengelernt hat. Wie der
allerletzte Sophist vermengt er die wissenschaftlich-historische und die
psychologische Untersuchung der menschlichen Irrtümer, aller möglichen
„wüsten Träume“ der Menschheit, wie des Glaubens an Waldteufel,
Hausgeister u. dgl. m., mit der erkenntnistheoretischen Unterscheidung
des Wahren und des „Wüsten“. Das ist dasselbe, wie wenn ein Ökonom
erklärte, daß die Theorie von Senior, nach der der ganze Gewinn dem
Kapitalisten aus der „letzten Arbeitsstunde“ des Arbeiters zufließt,
ebenso eine Tatsache sei wie die Theorie von Marx und daß vom
wissenschaftlichen Standpunkt aus die Frage, welche Theorie die
objektive Wahrheit und welche die Vorurteile der Bourgeoisie und die
Käuflichkeit ihrer Professoren ausdrücke, gar keinen Sinn habe. Der
Lohgerber J. Dietzgen sah in der wissenschaftlichen, d. h.
materialistischen Erkenntnistheorie eine „Universalwaffe wider den
religiösen Glauben“ („Kleinere philosophische Schriften“, S. 55), für
den ordentlichen Professor Ernst Mach aber hat die Unterscheidung
zwischen der materialistischen und der subjektiv-idealistischen
Erkenntnistheorie „keinen wissenschaftlichen Sinn“! Die Wissenschaft sei
im Kampfe des Materialismus gegen Idealismus und Religion unparteiisch -
das ist eine Lieblingsidee nicht nur Machs, sondern aller modernen
bürgerlichen Professoren, dieser, um den treffenden Ausdruck desselben
J. Dietzgen zu gebrauchen, „diplomierten Lakaien, die mit einem
geschraubten Idealismus Volksbetörung treiben“ (ebenda, S. 53).
Es
ist eben ein solcher geschraubter Professoren-Idealismus, wenn das
Kriterium der Praxis, die für jedermann den Schein von der Wirklichkeit
sondert, von E. Mach hinter die Grenzen der Wissenschaft, hinter die
Grenzen der Erkenntnistheorie verlegt wird. Die menschliche Praxis
beweist die Richtigkeit der materialistischen Erkenntnistheorie,
erklärten Marx und Engels, und sie bezeichneten die Versuche, die
Grundfrage der Erkenntnistheorie isoliert von der Praxis zu lösen, als
„Scholastik“ und „philosophische Schrullen“. Für Mach hingegen sind
Praxis und Erkenntnistheorie zwei ganz verschiedene Dinge: man könne sie
nebeneinanderstellen, ohne daß die letztere durch die erste bedingt
sei. In seinem letzten Werk „Erkenntnis und Irrtum“ (S. 115 der zweiten
deutschen Auflage) sagt Mach: „Eine Erkenntnis ist stets ein biologisch
forderndes psychisches Erlebnis.“ „Nur der Erfolg vermag beide“
(Erkenntnis und Irrtum) „zu scheiden.“ (116.) „Der Begriff ist eine
physikalische Arbeitshypothese.“ (143.) Unsere russischen Machisten, die
Marxisten sein möchten, nehmen solche Phrasen von Mach mit
erstaunlicher Naivität hin als Beweis dafür, daß er sich dem Marxismus nähere.
Aber Mach nähert sich hier dem Marxismus ebenso, wie sich Bismarck der
Arbeiterbewegung oder der Bischof Jewlogi dem Demokratismus genähert
hat. Bei Mach stehen solche Sätze neben
seiner idealistischen Erkenntnistheorie, aber sie bedeuten keine
Entscheidung für diese oder jene bestimmte Linie in der
Erkenntnistheorie. Die Erkenntnis kann nur dann biologisch fördernd,
fördernd für die menschliche Praxis, für die Erhaltung des Lebens, für
die Erhaltung der Gattung sein, wenn sie eine objektive, vom Menschen
unabhängige Wahrheit widerspiegelt. Für den Materialisten beweist der
„Erfolg“ der menschlichen Praxis die Übereinstimmung unserer
Vorstellungen mit der objektiven Natur der von uns wahrgenommenen Dinge.
Für den Solipsisten ist „Erfolg“ all das, was ich in der Praxis, die
man getrennt von der Erkenntnistheorie betrachten kann, brauche.
Schließen wir das Kriterium der Praxis in die Grundlage der
Erkenntnistheorie ein, so kommen wir unvermeidlich zum Materialismus,
sagt der Marxist. Mag die Praxis meinetwegen materialistisch sein, die
Theorie jedoch ist eine Sache für sich, meint Mach.
„Praktisch“,
schreibt er in der „Analyse der Empfindungen“, „können wir nun handelnd
die Ichvorstellung so wenig entbehren als die Körpervorstellung, nach
einem Ding greifend. Physiologisch bleiben wir Egoisten und
Materialisten, so wie wir die Sonne immer wieder aufgehn sehen.
Theoretisch muß aber diese Auffassung nicht festgehalten werden.“
(284/285 [291].)Mit
Egoismus hat das überhaupt nichts zu tun, denn er ist gar keine
erkenntnistheoretische Kategorie. Ebensowenig auch mit der scheinbaren
Bewegung der Sonne um die Erde, denn die uns in der Erkenntnistheorie
als Kriterium dienende Praxis muß auch die Praxis der astronomischen
Beobachtungen, Entdeckungen usw. umfassen. Es bleibt das wertvolle
Eingeständnis Machs, daß die Menschen sich in ihrer Praxis gänzlich und
ausschließlich von der materialistischen Erkenntnistheorie leiten
lassen, der Versuch aber, sie „theoretisch“ zu umgehen, drückt nur die
gelahrt-scholastischen und geschraubt-idealistischen Bestrebungen Machs
aus.
Wie
wenig neu diese Bemühungen sind, die Praxis als nicht zur
Erkenntnistheorie gehörend auszusondern, um dem Agnostizismus und dem
Idealismus Platz zu machen, zeigt das folgende Beispiel aus der
Geschichte der deutschen klassischen Philosophie. Auf dem Wege von Kant
zu Fichte steht hier G. E. Schulze (der in der Geschichte der
Philosophie sogenannte Aenesidem-Schulze). Er verteidigt offen die
skeptische Linie in der Philosophie und bezeichnet sich als Anhänger von
Hume (und unter den Alten von Pyrrhon und Sextus). Er leugnet auf das
entschiedenste jedes Ding an sich und die Möglichkeit der objektiven
Erkenntnis und verlangt entschieden, daß man über die „Erfahrung“, über
die Empfindungen nicht hinausgehe, wobei er auch den Einwand aus dem
anderen Lager voraussieht: „Da der Skeptiker, wenn er an den
Angelegenheiten des Lebens Anteil nimmt, sowohl die Wirklichkeit
objektiver Gegenstände als gewiß voraussetzt und denselben gemäß sich
beträgt, als auch ein Kriterium der Wahrheit zugibt: so ist sein eigenes
Betragen die beste und deutlichste Widerlegung der Vernunftmäßigkeit
seiner Zweifelsucht.“7
Entrüstet antwortet Schulze: „Durch dieselben“ (Vorwürfe) „kann man
freilich bei dem Pöbel (S. 254) sehr viel ausrichten.“ Denn „meine
Zweifel müssen innerhalb der Grenzen der Philosophie bleiben“ und
berühren nicht die „Angelegenheiten des täglichen Lebens“ (255).
Ebenso
hofft auch der subjektive Idealist Fichte, in den Grenzen der
idealistischen Philosophie Platz zu finden für jenen „Realismus, der
sich uns allen und selbst dem entschiedensten Idealisten aufdringt, wenn
es zum Handeln kommt, d. h. die Annahme, daß Gegenstände ganz
unabhängig von uns außer uns existieren“ (Werke, I, 455).
Der
neueste Positivismus Machs ist über Schulze und Fichte nicht weit
hinausgekommen! Als Kuriosum erwähnen wir, daß für Basarow auch in
dieser Frage niemand außer Pledianow existiert: es gibt eben kein
stärkeres Tier als die Katze. Basarow höhnt über die „salto-vitale
Philosophie Pledianows“ („Beiträge“, S. 69), bei dem sich tatsächlich
die abgeschmackte Phrase findet, der „Glaube“ an die Existenz der
Außenwelt sei „der unvermeidliche Salto vitale“ (Lebenssprung) „der
Philosophie“ („Anmerkung zu L. Feuerbach“, S. 111). Der Ausdruck
„Glaube“, den Pledianow, wenn auch in Anführungszeichen, Hume
nachspricht, offenbart einen Wirrwarr in seiner Terminologie, das läßt
sich nicht leugnen. Aber wozu da Pledianow?? Warum suchte sich Basarow
keinen anderen Materialisten aus, etwa Feuerbach? Nur, weil er ihn nicht
kennt? Unwissenheit ist aber kein Argument. Auch Feuerbach macht, wie
Marx und Engels, in den Grundfragen der Erkenntnistheorie einen vom
Standpunkt Schulzes, Fichtes und Machs unerlaubten „Sprung“ in die
Praxis. Feuerbach kritisiert den Idealismus und stellt dessen Wesen
dabei mit einem prägnanten Zitat aus Fichte dar, das in ausgezeichneter
Weise den Machismus erledigt: „Du setzest“, schrieb Fichte, „die Dinge
als wirklich, als außer dir vorhanden, nur weil du siehst, hörst,
fühlst. Aber Sehen, Fühlen, Hören sind nur Empfindungen... Du empfindest
also nicht die Gegenstände, sondern nur die Empfindungen.“ (Feuerbach,
Werke, X. Band, S. 185.) Und Feuerbach erwidert, der Mensch sei kein
abstraktes Ich, sondern entweder ein Mann oder ein Weib, und man sei
vollkommen berechtigt, die Frage, ob die Welt eine Empfindung ist, auf
gleichen Fuß zu stellen mit der Frage, ob der andere Mensch eine
Empfindung von mir ist oder ob unsere Verhältnisse in der Praxis das
Gegenteil beweisen. „Das eben ist der Grundmangel des Idealismus, daß er
die Frage von der Objektivität oder Subjektivität, von der Wirklichkeit
oder Unwirklichkeit der Welt nur vom theoretischen Standpunkte aus sich
stellt und löst.“ (189, ebenda.) Feuerbach legt die Ergebnisse der
gesamten menschlichen Praxis der Erkenntnistheorie zugrunde. Allerdings,
sagt er, erkennen auch die Idealisten in der Praxis die Realität sowohl
unseres Ich als auch des fremden Du
an. Für die Idealisten ist das „ein nur für das Leben, aber nicht für
die Spekulation gültiger Standpunkt. Allein eine Spekulation, die mit
dem Leben in Widerspruch steht, die den Standpunkt des Todes, der vom
Leibe geschiedenen Seele zum Standpunkt der Wahrheit macht, ist selbst
eine tote und falsche Spekulation.“ (192.) Bevor wir empfinden, atmen wir; ohne Luft, ohne Essen und Trinken können wir nicht existieren.
„Also
ums Essen und Trinken handelt es sich auch bei der Frage von der
Idealität oder Realität der Welt? ruft entrüstet der Idealist aus.
Welche Gemeinheit! Welcher Verstoß gegen die gute Sitte, auf dem
Katheder der Philosophie ebenso wie auf der Kanzel der Theologie über
den Materialismus in wissenschaftlichem Sinne aus allen Leibeskräften zu
schimpfen, dafür aber an Table d‘hôte dem Materialismus im gemeinsten
Sinne zu huldigen!“ (196.) Und Feuerbach ruft aus, die subjektive
Empfindung der objektiven Welt gleichsetzen „heißt die Pollution mit der
Zeugung identifizieren“ (198).
Diese
Bemerkung ist nicht besonders höflich, sie trifft aber auf jene
Philosophen, die lehren, daß die Sinnesvorstellung eben die außer uns
existierende Wirklichkeit sei, haargenau zu.
Der
Gesichtspunkt des Lebens, der Praxis muß der erste und grundlegende
Gesichtspunkt der Erkenntnistheorie sein. Und er führt unvermeidlich zum
Materialismus, da er von vornherein die zahllosen Schrullen der
Professorenscholastik beiseite wirft. Freilich darf dabei nicht
vergessen werden, daß das Kriterium der Praxis schon dem Wesen der Sache
nach niemals irgendeine menschliche Vorstellung vollständig
bestätigen oder widerlegen kann. Auch dieses Kriterium ist „unbestimmt“
genug, um die Verwandlung der menschlichen Kenntnisse in ein
„Absolutum“ zu verhindern, zugleich aber auch bestimmt genug, um gegen
alle Spielarten des Idealismus und Agnostizismus einen unerbittlichen
Kampf zu führen. Wenn das, was von unserer Praxis bestätigt wird, die
einzige, letzte, objektive Wahrheit ist, so ergibt sich daraus, daß man
als einzigen Weg zu dieser Wahrheit den Weg der auf dem
materialistischen Standpunkt stehenden Wissenschaft anerkennen muß.
Bogdanow zum Beispiel läßt Marx‘ Theorie des Geldumlaufs als objektive
Wahrheit nur „für unsere Zeit“ gelten und nennt es „Dogmatismus“, wenn
man dieser Theorie eine „übergeschichtlich-objektive“ Wahrheit zuerkennt
(„Empiriomonismus“, Buch III, S. VII). Das ist wieder eine Konfusion.
Daß diese Theorie der Praxis entspricht, kann durch keine künftigen
Umstände geändert werden, und zwar aus demselben einfachen Grunde, aus
welchem die Wahrheit, daß Napoleon am 5. Mai 1821 gestorben ist, ewig
ist. Da aber das Kriterium der Praxis - d. h. der Verlauf der
Entwicklung aller kapitalistischen Länder in den letzten Jahrzehnten -
nur die objektive Wahrheit der ganzen sozialökonomischen Theorie von
Marx überhaupt, und nicht die irgendeines Teils, einer Formulierung u.
dgl. beweist, so ist klar, daß es ein unverzeihliches Zugeständnis an
die bürgerliche Ökonomie ist, wenn hier von „Dogmatismus“ der Marxisten
gesprochen wird. Die einzige Schlußfolgerung aus der von den Marxisten
vertretenen Auffassung, daß die Theorie von Marx eine objektive Wahrheit
ist, besteht im folgenden: Auf dem Wege
der Marxschen Theorie fortschreitend, werden wir uns der objektiven
Wahrheit mehr und mehr nähern (ohne sie jemals zu erschöpfen); auf jedem anderen Wege aber können wir zu nichts anderem gelangen als zu Konfusion und Unwahrheit.
Kapitel III. Die Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus und des Empiriokritizismus.
6.Freiheit und Notwendigkeit
6.Freiheit und Notwendigkeit
Auf
S. 140/141 der „Beiträge“ zitiert A. Lunatscharski Engels‘
Betrachtungen im „Anti-Dühring“ über diese Frage und schließt sich
vollständig der „erstaunlich prägnanten und treffenden“ Charakteristik
der Sache an, die Engels auf der entsprechenden „wundervollen Seite“8 dieses Werkes gegeben hat.
Des
Wundervollen ist hier allerdings viel. Und am „wundervollsten“ ist, daß
sowohl A. Lunatscharski als auch die vielen anderen Machisten, die
Marxisten sein möchten, die erkenntnistheoretische Bedeutung der
Engelsschen Betrachtungen über Freiheit und Notwendigkeit „übersehen“
haben. Gelesen haben sie es und abgeschrieben auch, aber den
Zusammenhang haben sie nicht verstanden.
Engels
schreibt: „Hegel war der erste, der das Verhältnis von Freiheit und
Notwendigkeit richtig darstellte. Für ihn ist die Freiheit die Einsicht
in die Notwendigkeit. ,Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen wird.‘
Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die
Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze, und in der damit
gegebnen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu
lassen. Es gilt dies mit Beziehung sowohl auf die Gesetze der äußern
Natur, wie auf diejenigen, welche das körperliche und geistige Dasein
des Menschen selbst regeln – zwei Klassen von Gesetzen, die wir
höchstens in der Vorstellung, nicht aber in der Wirklichkeit voneinander
trennen können. Freiheit des Willens heißt daher nichts andres als die
Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können. Je freier also das
Urteil eines Menschen in Beziehung auf einen bestimmten Fragepunkt ist,
mit desto größerer Notwendigkeit wird der Inhalt dieses Urteils bestimmt
sein... Freiheit besteht also in der, auf Erkenntnis der
Naturnotwendigkeiten gegründeten Herrschaft über uns selbst und über die
äußere Natur.“ (S. 112/113 der 5. dtsch. Aufl.)9
Analysieren wir, auf welche erkenntnistheoretischen Annahmen sich diese ganze Betrachtung gründet.
Erstens
erkennt Engels gleich zu Anfang seiner Betrachtungen die Naturgesetze,
die Gesetze der äußeren Natur, die Naturnotwendigkeit an – d. h. alles
das, was Mach, Avenarius, Petzoldt und Co. für „Metaphysik“ erklären.
Hätte Lunatscharski über Engels‘ „wundervolle“ Betrachtungen richtig
nachdenken wollen, so hätte er den grundlegenden Unterschied zwischen
der materialistischen Erkenntnistheorie und dem Agnostizismus und
Idealismus sehen müssen, die die Gesetzmäßigkeit der Natur leugnen oder
sie als eine bloß „logische“ usw. usf. bezeichnen.
Zweitens
gibt sich Engels nicht damit ab, „Definitionen“ der Freiheit und
Notwendigkeit auszuklügeln, jene scholastischen Definitionen, für die
sich die reaktionären Professoren (wie Avenarius) und ihre Schüler (wie
Bogdanow) am meisten interessieren. Engels nimmt die Einsicht und den
Willen des Menschen einerseits, die Naturnotwendigkeit anderseits und
sägt einfach statt jeder Bestimmung, statt jeder Definition, daß die
Naturnotwendigkeit das Primäre, der Wille und das Bewußtsein des
Menschen das Sekundäre sind. Die letzteren müssen sich unvermeidlich und
notwendig der ersteren anpassen; für Engels ist das derart
selbstverständlich, daß er auf die Erläuterung seiner Ansicht keine
weiteren Worte verschwendet. Nur die russischen Machisten brachten es
fertig, sich über die allgemeine Bestimmung des Materialismus durch Engels zu beschweren
(die Natur ist das Primäre, das Bewußtsein das Sekundäre: man erinnere
sich an Bogdanows „Bedenken“ hierbei!) und gleichzeitig eine Einzelanwendung dieser allgemeinen und grundlegenden Bestimmung durch Engels „wundervoll“ und „erstaunlich treffend“ zu finden!
Drittens
gibt es für Engels keinen Zweifel an der Existenz der „blinden
Notwendigkeit“. Er erkennt die Existenz einer von dem Menschen nicht erkannten
Notwendigkeit an. Das geht sonnenklar aus der oben zitierten Stelle
hervor. Übrigens, wie kann der Mensch, vom Standpunkt der Machisten, Kenntnis haben von der Existenz dessen, was er nicht
kennt? Kenntnis haben von der Existenz der nicht erkannten
Notwendigkeit? Ist das denn nicht „Mystik“, nicht „Metaphysik“, nicht
ein Anerkennen von „Fetischen“ und „Idolen“, ist das nicht das
„Kantische unerkennbare Ding an sich“? Hätten sich die Machisten
hineingedacht, dann hätte ihnen die völlige Identität der
Engelsschen Betrachtungen über die Erkennbarkeit der objektiven Natur
der Dinge und über die Verwandlung des „Dinges an sich“ in ein „Ding für
uns“ einerseits und seiner Betrachtungen über die blinde, nicht
erkannte Notwendigkeit anderseits nicht entgehen können. Die Entwicklung
des Bewußtseins bei jedem einzelnen menschlichen Individuum und die
Entwicklung des kollektiven Wissens der gesamten Menschheit zeigen uns
auf Schritt und Tritt die Verwandlung des nicht erkannten „Dinges an
sich“ in ein erkanntes „Ding für uns“, die Verwandlung der blinden,
nicht erkannten Notwendigkeit, der „Notwendigkeit an sich“, in eine
erkannte „Notwendigkeit für uns“.
Gnoseologisch
besteht zwischen der einen und der anderen Verwandlung absolut kein
Unterschied, denn der grundlegende Standpunkt ist hier wie dort
derselbe, nämlich der materialistische: die Anerkennung der objektiven
Realität der Außenwelt und der Gesetze der äußeren Natur, wobei sowohl
diese Welt als auch diese Gesetze für den Menschen sehr wohl erkennbar
sind, aber nie restlos
von ihm erkannt werden können. Wir kennen die Naturnotwendigkeit in den
Witterungserscheinungen nicht, und insofern sind wir unvermeidlich
Sklaven des Wetters. Aber wenngleich wir diese Notwendigkeit nicht kennen, so wissen wir
doch, daß sie existiert. Woher wissen wir das? Aus derselben Quelle,
aus der wir wissen, daß die Dinge außerhalb unseres Bewußtseins und
unabhängig von ihm existieren, nämlich aus der Entwicklung unserer
Kenntnisse, die jedem Menschen millionenfach zeigt, daß auf Nichtwissen
Wissen folgt, wenn der Gegenstand auf unsere Sinnesorgane einwirkt, und
daß um gekehrt Wissen zu Nichtwissen wird, wenn die Möglichkeit solcher
Einwirkung aufgehoben wird.
Viertens
wendet Engels in der zitierten Betrachtung offenkundig die
„saltovitale“ Methode in der Philosophie an, d. h., er macht den Sprung
von der Theorie zur Praxis. Keiner jener gelehrten (und albernen)
Philosophieprofessoren, denen unsere Machisten folgen, wird sich je
erlauben, derartige für einen Vertreter der „reinen Wissenschaft“
schmachvolle Sprünge zu machen. Für sie sind die Erkenntnistheorie, in
der man möglichst verzwickte „Definitionen“ austüfteln muß, und die
Praxis zwei ganz verschiedene Dinge. Bei Engels bricht die ganze
lebendige menschliche Praxis in die Erkenntnistheorie selbst ein, wobei
sie das objektive
Kriterium der Wahrheit gibt: solange wir das Naturgesetz nicht kennen,
das neben unserem Bewußtsein, außerhalb unseres Bewußtseins existiert
und wirkt, macht es uns zu Sklaven der „blinden Notwendigkeit“. Sobald
wir aber dieses Gesetz, das (wie Marx tausendmal wiederholte) unabhängig von
unserem Willen und unserem Bewußtsein wirkt, erkannt haben, sind wir
die Herren der Natur. Die Herrschaft über die Natur, die sich in der
Praxis der Menschheit äußert, ist das Resultat der objektiv richtigen
Widerspiegelung der Erscheinungen und Vorgänge der Natur im Kopfe des
Menschen, ist der Beweis dafür, daß diese Widerspiegelung (in den
Grenzen dessen, was uns die Praxis zeigt) objektive, absolute, ewige
Wahrheit ist.
Zu
welchem Ergebnis sind wir nun gekommen? Jeder Schritt in Engels‘
Betrachtung, buchstäblich fast jeder Satz, jede These beruht gänzlich
und ausschließlich auf der Erkenntnistheorie des dialektischen
Materialismus, auf Annahmen, die zu dem ganzen machistischen Unsinn von
den Körpern als Empfindungskomplexen, von „Elementen“, vom
„Zusammenfallen der sinnlichen Vorstellung mit der außer uns
existierenden Wirklichkeit“ usw. usf. in schärfstem Gegensatz stehen.
Nicht im geringsten darüber beunruhigt, verlassen die Machisten den
Materialismus, wiederholen (à la Berman) abgegriffene Trivialitäten über
die Dialektik und akzeptieren gleichzeitig mit Freuden eine der
Anwendungen des dialektischen Materialismus! Sie haben ihre Philosophie
aus der eklektischen Bettelsuppe geschöpft und fahren fort, dem Leser
mit diesem Zeug aufzuwarten. Sie nehmen ein Stückchen Agnostizismus und
ein Tröpfchen Idealismus von Mach, vermengen das mit einem Stückchen
dialektischen Materialismus von Marx und stammeln, dieses Sammelsurium
sei eine Weiterentwicklung
des Marxismus. Sie glauben, es sei reiner Zufall, wenn Mach, Avenarius,
Petzoldt und alle ihre sonstigen Autoritäten nicht die geringste Ahnung
davon haben, wie diese Frage (Freiheit und Notwendigkeit) von Hegel und
Marx gelöst wurde: nun, ganz einfach, sie haben eben irgendeine Seite
in irgendeinem Büchlein nicht gelesen, doch könne gar keine Rede davon
sein, daß diese „Autoritäten“, was den wirklichen
Fortschritt der Philosophie im 19. Jahrhundert anbetrifft, völlige
Ignoranten, philosophische Obskuranten waren und geblieben sind.
Hier die Betrachtung eines solchen Obskuranten, des Ordinarissimus der Philosophie an der Wiener Universität Ernst Mach:
„Die
Richtigkeit der Position des ,Determinismus‘ oder ,Indeterminismus‘
läßt sich nicht beweisen. Nur eine vollendete oder nachweisbar
unmögliche Wissenschaft könnte hier entscheiden. Es handelt sich hier
eben um Voraussetzungen, die man an die Betrachtung der Dinge
heranbringt, je nachdem man den bisherigen Erfolgen oder Mißerfolgen der
Forschung ein größeres subjektives Gewicht beimißt. Während der
Forschung aber ist jeder Denker notwendig theoretisch Determinist.“
(„Erkenntnis und Irrtum“, 2. dtsch. Aufl., S. 282/283.)
Ist
das nicht Obskurantismus, wenn die reine Theorie sorgfältig von, der
Praxis getrennt wird? Wenn der Determinismus auf das Gebiet der
„Forschung“ beschränkt wird, während auf dem Gebiet der Moral, des
gesellschaftlichen Handelns und auf allen sonstigen Gebieten, außer dem
der „Forschung“, die Frage der „subjektiven“ Wertung überlassen wird? In
meinem Arbeitszimmer, sagt der gelehrte Pedant, bin ich Determinist;
daß aber ein Philosoph sich um eine einheitliche, Theorie und Praxis
umfassende, auf dem Determinismus aufgebaute Weltanschauung zu kümmern
hat, davon ist keine Rede. Mach redet deshalb Banalitäten, weil ihm die
Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit theoretisch
vollständig unklar ist.
„
. . . Jede neue Entdeckung deckt Mängel unserer Einsicht auf, enthüllt
einen bisher unbeachteten Rest von Abhängigkeiten “ (283.)
Ausgezeichnet! Ist also dieser „Rest“ eben das „Ding an sich“, das durch
unsere Erkenntnis immer gründlicher widergespiegelt wird? Nichts
dergleichen : „ . . . So muß also auch derjenige, welcher in der Theorie
einen extremen Determinismus vertritt, praktisch doch Indeterminist
bleiben . . . “ (283.) Ein gütlicher Ausgleich also10:
die Theorie den Professoren, die Praxis den Theologen! Oder: in der
Theorie Objektivismus (d.h. „verschämter“ Materialismus), in der Praxis
die „subjektive Methode in der Soziologie“10.
Daß die russischen Ideologen des Kleinbürgertums, die Volkstümler von
Lessewitsch bis Tschernow für eine so fade Philosophie Sympathie hegen,
ist nicht verwunderlich. Daß sich Leute, die Marxisten sein möchten,
durch solchen Unsinn einfangen ließen und die gar zu absurden
Folgerungen Machs schamhaft verdecken, das ist schon äußerst traurig.
Aber
in der Frage des Willens begnügt sich Mach nicht mit Konfusion und
halbschlächtigem Agnostizismus, sondern geht viel weiter... „Unser
Hunger“, lesen wir in der „Mechanik“, „ist nicht so wesentlich
verschieden von dem Streben der Schwefelsäure nach Zink, und unser Wille
nicht so sehr verschieden von dem Druck des Steines auf die Unterlage.“
„Wir werden uns dann“ (d. h. bei einer solchen Auffassung) „der Natur
wieder näher fühlen, ohne daß wir nötig haben, uns selbst in eine uns
nicht mehr verständliche Staubwolke von Molekülen oder die Natur in ein
System von Spukgestalten aufzulösen.“ (S. 434 der franz. Übersetzung [S.
493 bis 494].) Also, wir brauchen keinen Materialismus („Staubwolke von
Molekülen“ oder Elektronen, d. h. Anerkennung der objektiven Realität
der materiellen Welt), wir brauchen auch“ keinen solchen Idealismus, der
die Welt für das „Anderssein“ des Geistes hält; möglich aber ist ein
Idealismus, der die Welt als Willen
anerkennt! Wir sind nicht nur über den Materialismus, sondern auch über
den Idealismus „irgendeines“ Hegel erhaben, haben aber nichts dagegen,
mit einem Idealismus im Geiste Schopenhauers zu kokettieren! Unsere
Machisten, die die Miene der gekränkten Unschuld aufsetzen, sobald die
Verwandtschaft Machs mit dem philosophischen Idealismus erwähnt wird,
zogen es auch hier vor, diesen heiklen Punkt einfach mit Stillschweigen
zu übergehen.11Indessen
dürfte in der philosophischen Literatur schwerlich eine Darstellung der
Anschauungen Machs anzutreffen sein, in der nicht seine Neigung zur
Willensmetaphysik, d. h. zum voluntaristischen Idealismus hervorgehoben
würde. Darauf hat J. Baumann hingewiesen.11
Und der Machist H. Kleinpeter hat in seiner Erwiderung darauf diesen
Punkt nicht bestritten und hat erklärt, daß allerdings „Kant und
Berkeley Mach näherstehen als der in der Naturwissenschaft herrschende
metaphysische Empirismus“ (d. h. der naturwüchsige Materialismus;
ebenda, Bd. 6, S. 87).12Darauf
verweist auch E. Becher, der erklärt: Wenn Mach an einigen Stellen die
Willensmetaphysik anerkennt und sie an anderen Stellen wieder
verleugnet, so beweise dies nur die Willkür seiner Terminologie,- in
Wirklichkeit sei außer Zweifel, daß Mach der Willensmetaphysik
nahestehe.13
Daß diese Willensmetaphysik (d. h. der Idealismus) der „Phänomenologie“
(d. h. dem Agnostizismus) beigemischt ist, bestätigt auch Lucka.14 Ebenso weist W. Wundt15
darauf hin. Daß Mach ein Phänomenalist ist, der „einer
Willensmetaphysik nicht abgeneigt“ ist, wird auch im Handbuch der
Geschichte der neueren Philosophie von Ueberweg-Heinze16 konstatiert.
Mit
einem Wort, Machs Eklektizismus und seine Neigung zum Idealismus ist
aller Welt klar, ausgenommen höchstens die russischen Machisten.
Antonio Gramsci
„Die Revolution gegen das Kapital“
November 1917 in „Avanti!“
„Die Revolution gegen das Kapital“
November 1917 in „Avanti!“
Die
Revolution der Bolschewiki ist fest in der allgemeinen Revolution des
russischen Volkes verwurzelt. Es waren die Maximalisten17,
die bis vor zwei Monaten das notwendige Ferment bildeten, damit die
Ereignisse nicht stagnieren und der Weg in die Zukunft nicht dadurch
unterbrochen wird, daß sich eine Ordnung in endgültiger Form – und dies
wäre eine bürgerliche Ordnung – etabliert –, diese Maximalisten haben
die Macht errungen, sie haben ihre Diktatur errichtet und beginnen,
sozialistische Formen zu entwickeln, in denen die Revolution letztlich
die Möglichkeit finden muß, ihre Entwicklung harmonisch fortzusetzen,
und zwar ohne daß von den großen inzwischen realisierten
Errungenschaften allzu große Erschütterungen ausgehen.
Die
Revolution der Bolschewiki ist mehr von der Ideologie als von den
Tatsachen hervorgebracht worden. (Deshalb ist es im Grunde unwichtig,
mehr zu wissen, als wir wissen.) Sie war die Revolution gegen das Kapital von Karl Marx. Das Kapital
von Karl Marx war in Rußland mehr ein Buch der Bürgerlichen als der
Proletarier. Es war der kritische Beweis für die fatale Notwendigkeit,
daß sich in Rußland eine Bourgeoisie bildet, daß eine kapitalistische
Ära beginnt, daß sich eine Zivilisation westlichen Typs durchsetzt,
bevor das Proletariat überhaupt erst an seinen Aufstand, an seine
Forderungen als Klasse, an seine Revolution denken kann.
Die
Tatsachen haben die Ideologie überholt. Die Tatsachen haben die
kritischen Schemata ad absurdum geführt, denen zufolge die Geschichte
Rußlands sich nach den Grundprinzipien des historischen Materialismus
hätte entwickeln müssen. Die Bolschewiki ignorieren Karl Marx; sie
bestätigen mit der vollendeten Aktion, mit den realisierten
Errungenschaften als Beweis, daß die Grundprinzipien des historischen
Materialismus nicht so eisern sind, wie man hätte annehmen können und
wie man annahm.
Dennoch besitzen auch diese Vorgänge einen fatalen Charakter; und wenngleich die Bolschewiki einige Feststellungen des Kapitals
ignorieren, so ignorieren sie nicht das ihm innewohnende,
lebensspendende Gedankengut. Sie sind keine „Marxisten“, das ist alles;
sie haben nicht auf der Grundlage der Werke des Meisters eine
aufgesetzte Lehre aus dogmatischen und unbestreitbaren Behauptungen
fabriziert. Sie leben gemäß dem marxistischen Denken, das niemals
stirbt, das eine Fortsetzung des italienischen und deutschen
idealistischen Denkens darstellt und das bei Marx durch positivistische
und naturalistische Zusätze entweiht wurde. Und dieses Denken stellt
stets als den wichtigsten Faktor nicht die ökonomischen Tatsachen, nicht
die Elementargewalten an die erste Stelle, sondern den Menschen, die
menschliche Gesellschaft, die Menschen, die sich zusammenfinden, sich
untereinander verständigen, die vermittels dieser Kontakte
(Zivilisation) ein kollektives soziales Wollen hervorbringen, die die
ökonomischen Tatbestände begreifen, bewerten und diese mit ihrem Wollen
in Übereinstimmung bringen, bis dieses (Wollen) zur Triebkraft der
Ökonomie, zum Modell der objektiven Realität wird, die lebt, sich
entwickelt und den Charakter einer brodelnden irdischen Materie annimmt,
die dorthin gelenkt werden kann, wo es dem Wollen und wie es dem Wollen
entspricht.
Marx hat das Vorhersehbare vorhergesehen. Er konnte den europäischen Krieg18
nicht voraussehen, oder besser, er konnte nicht voraussehen, daß dieser
Krieg tatsächlich diese Zeitdauer und diese Ergebnisse hatte. Er konnte
nicht voraussehen, daß dieser Krieg während dreier Jahre unsagbarer
Leiden, unsagbaren Elends in Rußland ein solches kollektives Wollen des
Volkes hervorbringt, wie er es hervorbrachte. Ein Wollen dieser Art hat
normalerweise zur notwendigen Folge, sich in einem langen Prozeß feiner
Verästelungen, in einer breiten Aufeinanderfolge von Klassenerfahrungen
zu formieren. Die Menschen sind träge, sie haben das Bedürfnis, sich zu
organisieren, zunächst äußerlich in Form von Vereinen, Verbänden, später
innerlich, nach Überzeugungen, nach Zielvorstellungen ...19
mit einer unaufhörlichen Kontinuität und Vielfalt äußerer Impulse.
Deshalb also ermöglichen die Grundprinzipien der historischen Kritik des
Marxismus normalerweise, die Realität richtig zu erfassen, sie
einzufangen, sie sichtbar zu machen und zu charakterisieren.
Normalerweise bringen – vermittels des immer intensiveren Klassenkampfes
– die beiden Klassen der kapitalistischen Welt die Geschichte voran.
Das Proletariat leidet unter seinem unmittelbaren Elend, es ist
fortwährend von Entbehrungen betroffen und übt Druck auf die Bourgeoisie
aus, um die eigenen Bedingungen zu verbessern. Der Kampf zwingt die
Bourgeoisie, die Produktionstechnik zu verbessern, um die Produktion
effizienter zu machen, damit die Befriedigung ihrer unmittelbarsten
Bedürfnisse möglich wird. Es vollzieht sich ein bedrückender Wettlauf
zum Besseren hin, der den Produktionsrhythmus beschleunigt, der ein
kontinuierliches Anwachsen des Umfangs der Güter gewährleistet, die der
Gemeinschaft dienen sollen. Und in diesem Wettlauf gehen viele unter,
die Sehnsüchte der Zurückgebliebenen werden immer dringlicher, und die
Massen befinden sich stets im Zustand des Aufbegehrens. Und aus dem
Chaos-Volk geht immer mehr Klarheit im Denken hervor, es wird sich immer
mehr der eigenen Kraft, der eigenen Fähigkeit bewußt, die soziale
Verantwortung wahrzunehmen, um Sachwalter des eigenen Schicksals zu
werden.
Dies
ist normal, sofern sich die Vorgänge in einem bestimmten Rhythmus
wiederholen, sofern sich die Geschichte nach (zwar) immer komplexeren,
nach Bedeutung und Gewicht immer reicheren, doch immerhin gleichen
Momenten entwickelt. In Rußland aber hat der Krieg Willensäußerungen
freigesetzt. Diese haben infolge der in drei Jahren angestauten Leiden
sehr rasch einen Gleichklang gefunden. Die Entbehrungen waren ungeheuer,
der Hunger und der Hungertod vermochten alle zusammenzuschließen,
veranlaßte mit einem Schlag Dutzende Millionen Menschen zum Aufbegehren.
Die Willensäußerungen wurden in Gleichklang versetzt, zunächst
mechanisch, nach der ersten Revolution20 aktiv, bewußtseinsmäßig.
Die
sozialistische Propaganda hat das russische Volk in Kontakt mit den
Erfahrungen des Proletariats der anderen Länder gebracht. Die
sozialistische Propaganda belebte augenblicklich auf dramatische Weise
die Geschichte des Proletariats, dessen Kämpfe gegen den Kapitalismus,
die lange Folge von Anstrengungen, die unternommen werden müssen, um
sich aus den Zwängen des Sklaventums zu befreien, die das Proletariat
erniedrigen, damit ein neues Bewußtsein, ein unmittelbares Zeugnis einer
künftigen Welt entsteht. Die sozialistische Propaganda hat das soziale
Wollen des russischen Volkes hervorgebracht. Warum sollte es warten, daß
sich in Rußland die Entwicklung Englands wiederholt, daß sich in
Rußland eine Bourgeoisie formiert, daß der Klassenkampf entfacht wird,
damit ein Klassenbewußtsein entsteht und schließlich der Untergang der
kapitalistischen Welt sich ereignet? Das russische Volk hat diese
Erfahrungen im Prozeß des Denkens, und sei es auch des Denkens einer
Minderheit, durchgemacht. Es ist über diese Erfahrungen hinausgegangen.
Dies diente ihm, sich zu behaupten, wie ihm die westlichen
kapitalistischen Erfahrungen dienen werden, sich in kurzer Zeit auf die
Höhe der Produktion der westlichen Welt zu erheben. Nordamerika ist in
kapitalistischer Hinsicht weiter fortgeschritten als England, weil in
Nordamerika die Angelsachsen mit einem Schlag bei einem Stand angefangen
haben, zu dem England nach einer langen Entwicklung gelangt war. Das
sozialistisch erzogene russische Proletariat beginnt seine Geschichte
beim höchsten Stand der Produktion, den England heute erreicht hat, denn
aus der Notwendigkeit anzufangen, wird es vom bereits Erreichten
ausgehen, und von diesem Erreichten wird es den Impuls erhalten, um zu
jener ökonomischen Reife zu gelangen, die nach Marx die notwendige
Bedingung des Kollektivismus ist. Die Revolutionäre werden selbst die
notwendigen Bedingungen für die umfassende und volle Verwirklichung ihr
Ideale schaffen. Sie werden in geringerer Zeit geschaffen, als dies der
Kapitalismus tat. Die von den Sozialisten geübte Kritik am bürgerlichen
System, mit der die Unzulänglichkeiten, die Vergeudung des Reichtums
offengelegt wurden, veranlaßt die Revolutionäre, es besser zu machen und
jene Vergeudung zu vermeiden, um nicht in Mangelerscheinungen zu
verfallen. Es wird im Prinzip ein Kollektivismus des Elends und des
Leidens sein. Doch sind diese Bedingungen des Elends und des Leidens von
einem bürgerlichen Regime ererbt. Der Kapitalismus könnte unmittelbar
in Rußland nicht mehr tun, als der Kollektivismus vermag. Er könnte
heute weniger ausrichten, weil er sofort ein unzufriedenes,
aufgebrachtes Proletariat gegen sich hätte, das nunmehr nicht bereit
wäre, weitere Jahre die Qualen und Widerwärtigkeiten zu erleiden, die
die ökonomische Unzulänglichkeit mit sich bringt. Auch von einem
absoluten, humanen Gesichtspunkt aus hat in Rußland der sofortige
Sozialismus seine Rechtfertigung. Die Leiden, die dem Frieden folgen
werden, können nur in dem Maße ertragen werden, wie die Proletarier
begreifen werden, daß es von ihrem Wollen, von ihrem Arbeitseifer
abhängt, in der kürzestmöglichen Zeit die Leiden zu überwinden.
Man
hat den Eindruck, daß die Maximalisten in diesem Moment eine biologisch
notwendige, spontane Erscheinungsform darstellen, damit die russische
Gesellschaft nicht einem noch schrecklicheren Zusammenbruch verfällt,
damit die russische Gesellschaft, indem sie sich einer gigantischen
eigenständigen Arbeit, einer Arbeit der eigenen Wiedergeburt widmet,
weniger die Gelüste des ausgehungerten Wolfes verspüren muß und damit
Rußland nicht zu einer großen Fleischkammer für Raubtiere wird, die sich
gegenseitig zerfleischen.
Der
historische Materialismus erkennt in seinem Ursprung drei Quellen: Die
klassische deutsche Philosophie, die englische Ökonomie und den
französischen Sozialismus. Das ist genau das Konzept von Lenin. Laut
ihm, gehen Kant und Hegel voran und ihnen entstammen zuerst Marx und
später Lenin – fügen wir an – in der gleichen Art wie dem Sozialismus
der Kapitalismus vorangeht und er ihm entstammt. Zur Aufmerksamkeit
solch hervorragender Vertreter der idealistischen Philosophie wie die
Italiener Croce22 und Gentile23,
die sich dem philosophischen Hintergrund des Denken von Marx gewidmet
haben, ist diese offensichtliche Abstammung des historischen
Materialismus bestimmt nicht fremd. Die weitreichende Dialektik von Kant
ist in der Geschichte des modernen Denkens der marxistischen Dialektik
ein Vorspiel.
Aber
diese Angehörigkeit bedeutet nicht, dass der Marxismus sich in
irgendeiner Leibeigenschaft unter Hegel oder seiner Philosophie
unterwirft, welche, laut der berühmten Phrase, durch Marx auf seine Füße
gestellt wurde, gegen die Absichten von seinem Verfasser, welcher diese
auf den Kopf gestellt hat. Marx, an erster Stelle, schlug nie eine
Ausarbeitung eines philosophischen Systems der historischen
Interpretation vor, das dazu gedacht ist als Werkzeug für das Handeln
seiner politischen und revolutionären Idee zu dienen. Seine Arbeit ist,
in Teilen, Philosophie, weil dieser Typ der Spekulationen sich nicht auf
die Systeme in ihrem eigenen Sinn reduzieren lässt, in welchen, wie
Benedetto Croce warnt – für den Philosophie alles Denken ist, was
philosophischen Charakter hat –, sie manchmal nicht gefunden werden
sondern ihr Äußeres. Die materialistische Auffassung von Marx wird,
dialektisch, als Antithese von Hegels idealistischer Auffassung geboren.
[...]
Die
marxistische Kritik studiert konkret die kapitalistische Gesellschaft.
Solange der Kapitalismus nicht endgültig überwunden ist, ist der Kanon
von Marx noch immer gültig. Sozialismus, das heißt der Kampf, die
gesellschaftliche Ordnung des Kapitalismus in eine kollektivistische
umzuwandeln, hält die Kritik am Leben, setzt sie fort, bestätigt sie,
korrigiert sie. Vergeblich ist jeder Versuch sie als eine simple
wissenschaftliche Theorie einzustufen, während sie in der Geschichte als
Evangelium und Methode einer Massenbewegung arbeitet.
[...]
Marx
lebt in dem Kampf für die Realisierung des Sozialismus, welchen auf der
Welt unzählige Volksmassen, bewegt von seiner Doktrin, auskämpfen. Das
Schicksal der wissenschaftlichen oder philosophischen Theorien, die er
benutzte, dadurch, dass er sie überwand und weitreichend überschritt,
als Bestandteile seiner theoretischen Arbeit, kompromittiert in keinem
Fall die Gültigkeit und Lebendigkeit seiner Idee. Dies ist radikal
anders zum wechselhaften Schicksal der wissenschaftlichen und
philosophischen Ideen die ihn begleiten oder seiner Zeit unmittelbar
vorhergehen.
[…]
VII Der marxistische Determinismus
Eine
andere häufige Haltung der Intellektuellen, die sich selbst damit
unterhalten an der marxistischen Bibliographie rumzufummeln, ist in
ihrem eigenen Interesse den Determinismus von Marx und Marx‘ Schule
aufzubauschen und zu erklären, auch von diesem Standpunkt, ein Produkt
der mechanischen Weltanschauung des 19. Jahrhunderts, unvereinbar mit
der heldenhaften, freiwilligen Konzeption des Lebens, zu der die moderne
Welt nach dem Krieg tendiert. Diese Vorwürfe sind nicht vereinbar mit
den Kritiken der sozialistischen Bewegung des rationalen und utopischen
und am Ende mystischen Aberglauben. Aber Henri de Man24
konnte nicht anders als die Hände an ein Argument zu legen, das so viel
Schaden an den Intellektuellen des 19. Jahrhunderts hinterlässt,
verführt wie mit dem Snobismus der Reaktion gegen das „dumme 19.
Jahrhundert”. Der belgische Revisionist beobachtet in diesem
Zusammenhang eine bestimmte Vorsicht. „Wir
müssen klarstellen, dass Marx nicht die Vorwürfe verdient, die ihm
häufig gemacht werden, dass er ein Fatalist ist, in dem Sinne dass er
den Einfluss der menschlichen Willensäußerung in der geschichtlichen
Entwicklung negiert hat; was er glaubt ist dass diese Willensäußerung
vorbestimmt ist.” Und er fügt an, dass „Jünger
von Marx richtig sind, wenn sie ihren Lehrer gegen die Vorwürfe
verteidigen, diese Form des Fatalismus gepredigt zu haben.” nichts davon hindert ihn jedoch daran, sie zu beschuldigen, „an einen anderen Fatalismus zu glauben, den des unausweichlich kategorischen Endes”, da
„es aus der marxistischen Konzeption eine gesellschaftliche
Willensäußerung gibt, jenen Gesetzen unterworfen, die erreicht werden
durch den Klassenkampf und das unausweichliche Ergebnis jener
ökonomischen Evolution die Interessenwidersprüche schafft”.
Im
Wesen nimmt der Neorevisionismus, wenn auch diskret, die idealistische
Kritik, die die Aktion des Willens und des Geistes beansprucht, an. Aber
diese Kritik betrifft nur die sozialdemokratische Orthodoxie, die wie
schon festgestellt nicht marxistisch sondern lassalleanisch ist, ein
bewiesener Fakt bewiesen für die Gültigkeit in der sich heute die
sozialdemokratische deutsche Wortfolge findet: „Die Rückkehr zu Lassalle.”
Damit diese Kritik gültig ist müsste man anfangen mit dem Beweis, dass
Marxismus Sozialdemokratie ist, etwas was Henri de Man zu tun
unterlässt. Er sieht aber im Gegensatz dazu die III. Internationale als
Erbe der Internationalen Arbeiterassoziation, in deren Versammlungen ein
Mystizismus sehr nahe dem des Christentums der Katakomben genährt
wurde, und in seinem Buch verfasst er diese Beurteilung: „Die
vulgären Marxisten des Kommunismus sind die wahren Nutzer des
marxistischen Erbes. Sie sind es nicht in dem Sinne, dass sie Marx
besser verstehen als in Referenz zu ihrer Epoche, sondern ihn
effizienter anwenden für die Aufgaben ihrer Epoche, für die Umsetzung
ihrer Ziele. Das Bild das Marx uns von Kautsky anbietet sieht mehr wie
das Original aus, als jenes, das Lenin unter seinen Jüngern
popularisiert hat, aber Kautsky hat eine Politik kommentiert, die Marx
nie beeinflusst hat, während die Worte, die Losung die Lenin von Marx
genommen hat sich auf die gleiche Politik bezieht nachdem dieser starb
und weiter neue Realitäten geschaffen hat.”
Lenin wird eine Phrase von Unamuno25 in seinem Die Agonie des Christentums
angehängt; die noch einmal betont wird, widersprüchlich der
Betrachtung, dass er seine Kraft gegen die Realität richtete: „Pech für
die Realität!”. Der Marxismus, wo er revolutionär war – das heißt da, wo
er Marxismus war – hat niemals einen passiven und rigiden Determinismus
befolgt. Die Reformisten widerstehen der Revolution, während der
revolutionären Agitation nach dem Krieg, mit Argumenten des
rudimentärsten ökonomischen Determinismus. Argumente die, im
Hintergrund, sich als die der konservativen Bourgeoisie herausstellen,
und die den absoluten bürgerlichen und nicht sozialistischen Charakter
dieses Determinismus denunzieren. Für die Mehrheit seiner Kritiker
erscheint die russische Revolution als rationaler, als romantischer,
antihistorischer Versuch, einer der fanatischen Utopisten. Die
Reformisten allen Kalibers, missbilligen, an erster Stelle, den
Revolutionären die Tendenz, die Geschichte zu forcieren, die Taktik der
Parteien der III. Internationale als „blanquistisch” und „putschistisch”
bezeichnend.
Marx
konnte nichts anderes fassen oder vorschlagen als eine realistische
Politik und, deshalb, die extreme Demonstration, dass um so voller und
kräftiger der gleiche Prozess der kapitalistischen Ökonomie erfüllt
wurde, umso direkter er zum Sozialismus führt; weil verstanden wurde,
eine vorherige Bedingung einer neuen Ordnung, eine geistige und
intellektuelle Schulung des Proletariats durch den Klassenkampf zu
realisieren benötigte. Vor Marx kam die moderne Welt an einem Moment an,
zu dem keine politische Doktrin und soziale Macht in dem Widerspruch zu
Geschichte und Wissenschaft auftreten konnte. Die Dekadenz der
Religionen hat einen Ursprung, sehr sichtbar in seiner zunehmenden
Abkehr von der geschichtlichen und wissenschaftlichen Erfahrung. Und es
ist absurd ein politisches Konzept zu verlangen – das herausragend
modern in allen seinen Elementen, wie der Sozialismus – gleichgültig für
diese Art der Überlegungen ist. Alle zeitgenössischen politischen
Bewegungen, angefangen von den reaktionärsten, charakterisieren sich,
wie Benda26 in seinem Der Verrat der Intellektuellen für sein Beharren auf der Anmaßung, eine strikte Korrespondenz mit dem Lauf der Geschichte zu haben. Für die Reaktionäre der L`Action Française27,
sprichwörtlich positivistischer als jeder Revolutionär, ist die ganze
Periode, die die liberale Revolution begann monströs romantisch und
antihistorisch. Die Begrenzungen und Funktionen des marxistischen
Determinismus wurden seit langem festgelegt. Kritiker die der ganzen
Frage der Partei fern sind, wie Adriano Tilgher28, unterschreiben die folgende Interpretation: „Die
sozialistische Taktik, um erfolgreich zu sein, muss gut ausgeführt
werden, muss die geschichtliche Situation in Betracht ziehen in der sie
arbeiten muss und in der, wo sie noch unreif ist für die Gründung des
Sozialismus, sich gut dafür rüsten, es durchzuziehen; aber, auf der
anderen Seite, nicht auf die Aktion der Vorfälle, auf seinen Weg
eingreifen, dazu tendieren immer mehr am sozialistischen Denken zu
orientieren, die Handelsweisen reifen für die endgültige Umwandlung. Die
marxistische Taktik ist daher, Dynamik und Dialektik selbst wie die
Doktrin von Marx: der sozialistische Wille der nicht in der Leere
agitiert, die vorliegende Situation nicht ignoriert, die keine
Illusionen der Veränderung mit Aufruf des guten Herzens der Menschen
hat, sondern fest der historischen Realität anhaftet, aber nicht passiv
an ihr resigniert; sie reagieren gegen sie mit mehr Energie, in diesem
Sinne das Proletariat ökonomisch und geistig stärken, ihm den Konflikt
mit der Bourgeoisie bewusst machen, mit dem Eintreffen des Maximum der
Erbitterung und der Bourgeoisie im Extrem der Kräfte der
Kapitalherrschaft, wandelt ein Hindernis für die Produktivkräfte um,
kann zum Vorteil von allen niederreißen und ersetzen, für das
sozialistische Regime”. (La Crisi Mondiale e Saggi critice di Marxismo e Socialismo).
Der
volontaristische Charakter des Sozialismus ist in Wahrheit nicht
weniger evident, obwohl weniger von der Kritik gehört, als sein
deterministischer Grund. Um es auszuwerten reicht es, trotz allem, der
Entwicklung der proletarischen Bewegung zu folgen, vom Wirken von Marx
und Engels in London, den Ursprüngen der I. Internationale, bis zum
aktuellen Moment, dominiert von dem ersten Experiment eines
sozialistischen Staates: der UdSSR. In diesem Prozess, jedes reden,
jedes handeln des Marxismus hat einen Akzent des Glaubens, des Willens,
der heroischen und schaffenden Überzeugung, deren Impuls sinnlos in
einem mittelmäßigen und passiven deterministischen Gedanken zu suchen
wäre.
VIII Der heroische und schaffende Sinn des Sozialismus
Alle
diejenigen, die wie Henri de Man einen ethischen Sozialismus
vorhersagen und ankündigen, basierend auf den humanitären Prinzipien,
statt auf irgendeine Weise zur Erhöhung der Moral des Proletariats
beizutragen, arbeiten unbewusst, paradoxerweise, gegen seine Bestätigung
als eine schaffende und heroische Kraft, was gegen seine
zivilisatorische Rolle ist. Für den Weg des „moralischen“ Sozialismus,
und seine antimaterialistischen Plattitüden kann man nicht anders, als
in den sterilsten und weinerlichsten humanistischen Romantizismus zu
verfallen, in das dekadenteste Apologetentum der „Paria29”
in das sentimentalste und unpassendste Plagiat der evangelischen Phrase
der „Armen im Geiste”. Und das ist das gleiche wie den Sozialismus
zurückzusetzen auf sein romantisches, utopistisches Stadium, in welchem
seine Forderungen sich nährten, in großem Teil, von dem Gefühl und der
Abschweifung dieser Aristokratie, die, nachdem sie unterhalten wurde,
idyllisch und aus dem achtzehnten Jahrhundert, sich selbst als Schäfer
und Pastoren verkleiden und zur Enzyklopädie und dem Liberalismus
werden, mit bizarrer und pferdeähnlicher Führung eine Revolution der Hemdlosen
und Heloten rufen. Einer Folgschaft unter einer Tendenz der
Unterschwelligkeit des Gefühls, ist diese Art von Sozialisten – die von
außerordentlichen und bewundernswerten Geistern mit großer Höhe überragt
werden – sammeln im Strom die sentimentalen Klischees und die
demagogischen Bilder des Heldengedichtes der Sansculotten30
auf, mit dem Ziel auf der Welt ein rousseausches paradiesisches
Zeitalter zu errichten. Aber, wie wir seit langem wissen, ist dieses
absolut nicht der Weg der sozialistischen Revolution. Marx erdachte und
lehrte, dass man damit beginnen muss, die Fatalität der kapitalistischen
Etappe zu verstehen und, vor allem, seinen Wert. Der Sozialismus, nach
Marx, tauchte wie das Konzept einer neuen Klasse auf, wie eine Doktrin
und eine Bewegung die nichts gemeinsam hat mit dem Romantizismus
derjenigen, die ihn ablehnen, die zu verabscheuen sind, das
kapitalistische Werk. Das Proletariat folgt der Bourgeoisie in den
zivilisatorischen Unternehmungen. Und diese Mission annehmend, seiner
Verantwortung und Kapazität bewusst – in revolutionärer Praxis und in
der kapitalistischen Ausbeutung angeeignet – als die Bourgeoisie, ihre
Bestimmung erfüllend, aufhörte eine Kraft des Fortschritts und Kultur zu
sein.
Deshalb hat die Arbeit von Marx einen bestimmten Hauch von Bewunderung des kapitalistischen Werks und das Kapital,
während es die Grundlage für eine sozialistische Wissenschaft legt, ist
die beste Leseart des Heldenepos des Kapitalismus (etwas, was Henri de
Mans Beobachtung äußerlich nicht entgeht, aber in seinem tieferen Sinn
schon).
Der
ethische, pseudochristliche, humanitäre Sozialismus kann einer mehr
oder weniger lyrischen und harmlosen Übung einer müden und dekadenten
Bourgeoisie dienen, aber nicht die Theorie einer Klasse die ihre
Volljährigkeit erreicht hat, die die höchsten Ziele der
Kapitalistenklasse übertroffen hat. Dem Marxismus sind die mittelmäßigen
altruistischen und philanthropischen Spekulationen vollkommen fremd und
er ist gegen sie. Die Marxisten glauben nicht das die Unternehmen eine
neue gesellschaftliche Ordnung schaffen, der kapitalistischen Ordnung
überleben, von einer amorphen Masse der Armen und Unterdrückten
angefangen, geleitet von den voraussehbaren Evangelien der Güter. Die
revolutionäre Energie des Sozialismus ernährt sich nicht von Mitleid und
Neid. Im Klassenkampf, in dem alle Elemente des erhabenen und
heroischen Aufstiegs liegen, kann das Proletariat eine „Moral der
Produzierenden” erheben, weit entfernt und verschieden von der „Moral
der Sklaven”, die versuchen ihre kostenlosen Moralprofessoren mit
Schulden auszustatten, schockiert von ihrem Materialismus. Eine neue
Zivilisation kann nicht aus der tristen und erniedrigenden Welt der
Heloten und der Elenden entstehen, ohne mehr zu Schreiben über das
Helotentum und sein Elend. Das Proletariat tritt in die politische
Geschichte nicht als etwas anderes als eine gesellschaftliche Klasse
ein; im Augenblick in dem es seine Aufbauaufgabe herausfindet, mit den
Elementen die sich durch die menschliche Kraft, moralisch und
amoralisch, gerecht und ungerecht, in eine höhere gesellschaftliche
Ordnung ergeben. Und zu dieser Kapazität ist es nicht durch ein Wunder
gelangt. Es bekommt sie dadurch, dass es fest auf dem Gebiet der
Ökonomie und der Produktion gefestigt ist. Seine Klassenmoral hängt von
der Energie und dem Heldentum ab, mit dem es auf diesem Gebiet arbeitet
und der Weite mit der es die bürgerliche Ökonomie kennenlernt und
beherrscht.
De
Man bemüht sich, zwischendurch, an dieser Wahrheit ab; aber im
allgemeinen schützt er sich durch übernehmen. Er schreibt zum Beispiel: „das
essentielle des Sozialismus ist der Kampf um ihn. Nach der Formel eines
Vertreters der Deutschen Sozialistischen Jugend, ist das Objekt unserer
Existenz nicht paradiesisch sondern Heldenhaft”.
Aber es ist genau diese Konzeption die den Gedanken des belgischen
Revisionismus inspiriert, der, einige Seiten vorher, gesteht: „Ich
denke näher an der reformistischen Praxis als der extremistischen und
schätze eine neue Abwasserleitung in einem Arbeiterviertel oder einen
Blumengarten in einem Arbeiterhaus mehr als eine neue Theorie des
Klassenkampfes”.
De Man kritisiert, im ersten Teil seiner Arbeit, die Tendenz das
Proletariat zu idealisieren wie die Bauernschaft idealisiert wird, der
primitive und einfache Mensch, in der Epoche Rousseaus. Und das zeigt
wie seine Spekulation und seine Praxis sich nur auf dem humanitären
Sozialismus der Intellektuellen basiert.
Es gibt keine Zweifel dass dieser humanitäre Sozialismus nicht wenig propagiert wurde in den Arbeitermassen. Die Internationale, die Hymne der Revolution, richtet sich in ihrem ersten Vers an „die Armen der Welt”31,
ein Satz der reinen evangelischen Erinnerung. Man erinnert sich, dass
der Autor dieser Verse ein französischer Poet des Volkes ist, der reinen
Herkunft aus Boheme und Romantik, eine Ader die in seiner Inspiration
klar hervortritt. Die Arbeit des anderen Franzosen, dem großen Henri
Barbusse32,
zeigt sich geprägt vom gleichen Gefühl der Idealisierung der Massen,
der zeitlosen Masse, unendlich, ohne das unterdrückende Gewicht der
Glorie der Helden und die Ballen der Felder. Massenskulpturen. Aber die
Massen sind nicht das moderne Proletariat; und sein allgemeingültiger
Anspruch ist nicht der revolutionäre und sozialistische Anspruch.
Der
außerordentliche Meilenstein von Marx besteht darin, in diesem Sinne,
das Proletariat entdeckt zu haben. Wie Adriano Tilher geschrieben hat, „vor der Geschichte, taucht Marx als der Entdecker und Verkünder, fast als der Erfinder
des Proletariats auf; er hat effektiv nichts gemacht als der
proletarischen Bewegung das Bewusstsein seiner Natur zu geben, seine
Legitimität, und historische Notwendigkeit, durch das ihm inneren
Gesetz, dem endgültigen Ende auf das es zugeht, und hat also im
Proletariat das Bewusstsein wiederbelebt, das zuvor fehlte; ohne sein
Schaffen, können wir sagen, die Grundlage, und nach der Grundlage, die
Realität des Proletariats als Klasse essentiell antithetisch zur
Bourgeoisie, wahre und einzige Träger des revolutionären Geistes in der
modernen industriellen Gesellschaft”.
Mao Tse-tung
„Woher kommen die richtigen Ideen der Menschen?”
Mai 1963
„Woher kommen die richtigen Ideen der Menschen?”
Mai 1963
Woher
kommen die richtigen Ideen der Menschen? Fallen sie vom Himmel? Nein.
Sind sie dem eigenen Gehirn angeboren? Nein. Die richtigen Ideen der
Menschen können nur aus der gesellschaftlichen Praxis herrühren, nur aus
dem Produktionskampf, dem Klassenkampf und dem wissenschaftlichen
Experiment – diesen drei Arten der gesellschaftlichen Praxis. Das
gesellschaftliche Sein der Menschen bestimmt ihr Denken. Sobald die
richtigen Ideen, die die fortschrittliche Klasse repräsentieren, von den
Massen beherrscht werden, werden sie zur materiellen Gewalt, welche die
Gesellschaft und die Welt umgestaltet. In ihrer gesellschaftlichen
Praxis führen die Menschen verschiedenerlei Kämpfe durch, sammeln sie
reiche Erfahrungen, solche von Erfolgen und solche von Mißerfolgen. Die
unzähligen Erscheinungen der objektiven Außenwelt finden mittels der
fünf Sinnesorgane – Organe des Gesichts-, Gehör-, Geruchs-, Geschmacks-,
und Tastsinnes – ihre Widerspiegelung im menschlichen Gehirn, und das
ist zunächst eine sinnliche Erkenntnis. Hat sich das Material angehäuft,
so tritt ein Sprung ein, und die sinnliche Erkenntnis verwandelt sich
in eine rationale Erkenntnis, d.h. in die Idee. Das ist ein
Erkenntnisprozeß. Es ist die erste Etappe des Gesamtprozesses der
Erkenntnis, nämlich die Etappe des Übergangs von der objektiven Materie
zum subjektiven Bewußtsein, vom Sein zur Idee. Zu diesem Zeitpunkt ist
noch nicht bewiesen, ob das Bewußtsein und die Ideen (einschließlich der
Theorien, politischen Richtlinien, Pläne, Methoden) die Gesetze der
objektiven Außenwelt richtig widergespiegelt haben, es kann noch nicht
festgestellt werden, ob sie richtig sind. Darauf folgt eine zweite
Etappe des Erkenntnisprozesses, nämlich die Etappe des Übergangs vom
Bewußtsein zur Materie, von der Idee zum Sein, wo man die in der ersten
Etappe gewonnenen Erkenntnisse auf die gesellschaftliche Praxis
anwendet, um zu sehen, ob diese Theorien, politischen Richtlinien,
Pläne, Methoden usw. zu dem gewünschten Erfolg führen können. Allgemein
gesagt, ist das richtig, was Erfolg bringt, und falsch. Was mißlingt;
das trifft besonders auf den Kampf der Menschheit mit der Natur zu. Im
gesellschaftlichen Kampf haben die Kräfte , die die fortschrittliche
Klasse repräsentieren, manchmal Mißerfolg, und zwar nicht etwa, weil
ihre Ideen unrichtig wären, sondern weil sie, wenn man die im Kampf
stehenden Kräfte miteinander vergleicht, zeitweilig noch nicht so stark
sind, wie die reaktionären Kräfte; daher erleiden die vorläufig
Niederlagen, doch werden sie früher oder später siegen. Mit der
Überprüfung der menschlichen Erkenntnis durch die Praxis tritt wiederum
ein Sprung ein. Dieser ist von weit größerer Bedeutung als der frühere
Sprung. Denn nur der zweite Sprung kann beweisen, daß der erste Sprung
in der Erkenntnis, d.h. die Ideen, Theorien, politischen Richtlinien,
Pläne; Methoden usw., auf die man im Prozeß der Widerspiegelung der
objektiven Außenwelt gekommen ist, richtig oder falsch war; es gibt
keine andere Methode, die Wahrheit nachzuprüfen. Das Proletariat
verfolgt mit der Erkenntnis der Welt einzig und allein den Zweck, die
Welt umzugestalten; es hat dabei kein anderes Ziel. Zu einer richtigen
Erkenntnis gelangt man oft erst nach einer vielfachen Wiederholung der
Übergänge von der Materie zum Bewußtsein und vom Bewußtsein zur Materie,
das heißt von der Praxis zur Erkenntnis und von der Erkenntnis zur
Praxis. Das ist die Erkenntnistheorie des Marxismus, die
Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus. Unter unseren
Genossen gibt es viele, die dieses erkenntnistheoretische Prinzip noch
nicht verstehen. Fragt man sie, woher ihre Gedanken und Meinungen, ihre
politischen Richtlinien, ihre Methoden, Pläne und Schlußfolgerungen,
ihre endlos dahinplätschernden Reden und ellenlangen Artikel kommen, tun
die ganz erstaunt und finden keine Antwort. Für sie ist auch eine
solche, im alltäglichen Leben oft zu beobachtende Erscheinung des
Sprungs, wie sich die Materie in Geist und der Geist sich in Materie
verwandeln kann etwas Unbegreifliches. Es ist daher notwendig, unsere
Genossen in der Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus zu
schulen, damit die ihr Denken richtig ausrichten, verdrehen,
Untersuchungen und Forschungen vorzunehmen und Erfahrungen
zusammenzufassen, und Schwierigkeiten überwinden, weniger Fehler
begehen, ihre Arbeit gut verrichten sowie im Kampf alle Kräfte
einsetzen, um ein großes und starkes sozialistisches Land aufzubauen und
die unterdrückten und ausgebeuteten breiten Volksmassen der ganzen Welt
zu unterstützen, also die uns obliegende große internationalistische
Pflicht zu erfüllen.
September 2017
Redaktion Klassenstandpunkt
1 „La
Philosophie Positive. Revue“ - Zeitschrift, die von 1867 bis 1883 in
Paris erschien. In Nr.3 vom November/Dezember ]868 veröffentlichte sie
eine kurze Rezension über den ersten Band des „Kapitals“ aus der Feder
von De Roberty, einem Anhänger des positivistischen Philosophen Auguste
Comte.
4 Marx meint hier die deutschen bürgerlichen Philosophen Büchner, Lange, Dühring, Fechner und andere.
5
W.I.Lenin meint die „Thesen über Feuerbach” von Marx (1845) und „Ludwig
Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie” (1888)
sowie die „Einleitung zur englischen Ausgabe” (1892) der Arbeit „Die
Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft” von Engels
in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 3, Berlin 1969, S.5-7; Bd. 21,
Berlin 1962, S. 259-307; Bd. 22, Berlin 1963, S. 287-311.
6 Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 3, Berlin 1969, S. 5 ; Bd. 21, Berlin 1962, S. 276; Bd. 22, Berlin 1963, S. 297.
7 G.
E. Schulze, „Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn
Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementarphilosophie“, 1792, S. 253
8 Lunatscharski
schreibt: „ . . . die wundervolle Seite der religiösen Ökonomik. Ich
sage das, auch anf die Gefahr hin, bei dem nicht religiösen Leser, ein
Lächeln hervorzurufen.“ So gut Ihre Absichten auch sein mögen, Genosse
Lunatscharski, Ihr Liebäugeln mit der Religion ruft nicht ein Lächeln,
sondern Ekel hervor.
9 Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 106.
10
Mach in der „Mechanik“: „Die religiösen Ansichten bleiben jedes
Menschen eigenste Privatsache, solange er mit denselben nicht
aufdringlich wird und sie nicht auf Dinge überträgt, die vor ein anderes
Forum gehören.“ (S. 434 der franz. Übersetzung [S. 494].)
11 „Subjektive Methode in der Soziologie“ - unwissenschaftliches
idealistisches Herangehen an den historischen Prozeß, das die
objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung leugnet
und diese auf die willkürliche Tätigkeit „hervorragender
Persönlichkeiten“ zurückführt. In den dreißiger bis vierziger Jahren des
,19. Jahrhunderts zählten zu den Anhängern der subjektiven Schule in
der Soziologie die Junghegelianer B. Bauer, D. F. Strauß, M. Stirner und
andere,- sie erklärten das Volk zu einer „unkritischen Masse“, die den
„kritisch denkenden Persönlichkeiten“ blindlings folgt. Marx und Engels
unterzogen die Anschauungen der Junghegelianer in der „Heiligen
Familie“, in der „Deutschen Ideologie“ und anderen Werken einer
gründlichen und allseitigen Kritik. In Rußland traten in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts als Repräsentanten der subjektiven Methode
in der Soziologie die liberalen Volkstümler (P. L. Lawrow, N. K.
Michailowski u. a.) auf, die den objektiven Charakter der
Entwicklungsgesetze der Gesellschaft leugneten und die Geschichte auf
die Tätigkeit einzelner Helden, „hervorragender Persönlichkeiten“,
zurückführten. Die Subjektivisten „behaupteten nämlich“, schrieb
W.I.Lenin 1894, „daß man die sozialen Erscheinungen, weil sie so
kompliziert und mannigfaltig sind, nicht untersuchen könne, ohne die
wichtigen von den unwichtigen abgesondert zu haben, für eine derartige
Sonderung aber sei der Standpunkt der ,kritisch denkenden‘ und ,sittlich
entwickelten‘ Persönlichkeit notwendige Voraussetzung“ (Werke, Bd. 1,
S. 425). Die subjektive Methode wird weitgehend von der reaktionären
bürgerlichen Philosophie, Soziologie und Geschichte ausgenutzt, um die
Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung zu verfälschen und
den Kampf gegen die marxistisch-leninistische Theorie zu führen.
Der Marxismus-Leninismus deckte die völlige Haltlosigkeit der subjektividealistischen Richtung in der Soziologie auf und schuf eine wirklich wissenschaftliche, in sich geschlossene Lehre von der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, von der entscheidenden Rolle der Volksmassen in der Geschichte und der Bedeutung des Handelns der einzelnen Persönlichkeit.
Der Marxismus-Leninismus deckte die völlige Haltlosigkeit der subjektividealistischen Richtung in der Soziologie auf und schuf eine wirklich wissenschaftliche, in sich geschlossene Lehre von der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, von der entscheidenden Rolle der Volksmassen in der Geschichte und der Bedeutung des Handelns der einzelnen Persönlichkeit.
12 „Archiv für systematische Philosophie“, 1898, II, Bd. 4, S. 63, Aufsatz über Machs philosophische Ansichten.
13 Erich
Becher, „The Philosophical Views of Ernst Mach“ [Die philosophischen
Ansichten Ernst Machs] in „The Philosophical Review“, vol. XIV, 5, 1905,
pp. 536, 546, 547, 548
14 £. Ludka, „Das Erkenntnisproblem und Machs .Analyse der Empfindungen‘ “ in „Kantstudien“, Bd. VIII, 1903, S. 400.
17 Das Wort „Maximalisten“ steht hier für Bolschewiki und hat in diesem Falle aus der Sicht Gramscis eine positive Bedeutung.
18
Gemeint ist der erste Weltkrieg 1914-1918. Gramsci spricht von den drei
Jahren seit Beginn bis zum Zeitpunkt der Oktoberrevolution in Rußland.
21 Die vorliegenden Auszüge erscheinen hier erstmals in deutscher Übersetzung
24 Hendrik
de Man, 17. 11. 1885 – 20. 6. 1953 , Präsident der Belgischen
Arbeiterpartei 1938 – 1940, Kollaborateur nach der Besatzung Belgiens
durch den deutschen Faschismus.
29 Ausgestoßene
30 Sansculotten
nannten sich die französischen Revolutionäre, weil sie keine
Kniebundhosen trugen. Diese wurden hauptsächlich von den Adligen
getragen.
31 „Arriba los pobres del mundo En pie los esclavos sin pan
y gritemos todos unidos
¡Viva la Internacional!“
y gritemos todos unidos
¡Viva la Internacional!“
Anmerkung
des Übersetzers. Die Hymne des internationalen Proletariats und der
internationalen proletarischen Bewegung ist die Internationale. Trotzdem
existieren unterschiedliche Versionen dieser Hymne. Nicht nur der
unterschiedlichen Sprachen sogar innerhalb der gleichen Sprache. So die spanische und lateinamerikanische Version.
Aber auch unter den englischen, deutschen und französischen Versionen gibt es deutliche Unterschiede. Wo z.b. hier Mariategui über „die Armen der Welt” spricht heißt es in der deutschen Version die „Verdammten dieser Erde”.
Aber auch unter den englischen, deutschen und französischen Versionen gibt es deutliche Unterschiede. Wo z.b. hier Mariategui über „die Armen der Welt” spricht heißt es in der deutschen Version die „Verdammten dieser Erde”.
- Geschrieben von dame
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