Sommer
2009: Die junge Frau Maria B. ist als Teilnehmerin des »No Border Camp«
in Brüssel zu einem Gespräch mit Abgeordneten der linken Fraktion
GUE/NGL ins EU-Parlament eingeladen. Doch sie wird dem Anschein nach
schon am Eingang abgefangen. Dort wird sie angeblich vom
Sicherheitspersonal aufgehalten und in einer Herrentoilette isoliert.
Maria B. verlässt das Gebäude nach kurzer Zeit und behauptet, man habe
ihren Rucksack durchsucht, Gegenstände beschlagnahmt und ihr schließlich
den Zugang zum Parlament verweigert. Das war eine Lüge. Eine Lüge wie
sie verdeckte Ermittler*innen tagtäglich verbreiten. Einige Jahre später
flog Maria B., die vor allem in der linken Szene Hamburgs verdeckt
ermittelt hatte, auf. Weder über den Vorfall im EU-Parlament noch über
Maria B.s umfangreiche Tätigkeiten in Hamburg gelang es den Betroffenen
und deren Unterstützer*innen, die ganze Wahrheit zu erfahren. B.s
Einsatz wurde zwar vor einem Hamburger Gericht für rechtswidrig erklärt,
zur Aufklärung trug das Urteil allerdings nicht bei. Die Akten blieben
verschlossen, eine juristische Klärung der Umstände wurde unmöglich
gemacht.
Leider ist dies kein Einzelfall, wie die Veranstaltung der irischen Abgeordneten Lynn Boylan in Kooperation mit Sabine Lösing (Die Linke) im Europäischen Parlament Ende August 2017 zeigte. Eine weitere Erkenntnis der Veranstaltung: Das Ausmaß grenzüberschreitender verdeckter Ermittlungen in Europa ist größer als gedacht.
Zunächst ging es um die Betroffenen solcher Ermittlungen, die tiefe seelische Wunden davontragen. So berichtete Kate Wilson, eine britische Aktivistin, eindrucksvoll von dem ihr angetanen Unrecht. Sie hatte sich 2003 in Mark Stone, einen charismatischen Mann, verliebt. Sie wurden ein Paar, lebten zwei Jahre unter einem Dach. Nach dem Ende ihrer Liebesbeziehung sahen sie sich in Berlin, Spanien sowie Frankreich wieder und blieben freundschaftlich verbunden. Erst 2010 erfuhr Kate Wilson, dass es weder einen Mark Stone noch seinen toten Vater gab, von dem er ihr unter Tränen erzählt hatte. Es gab lediglich Mark Kennedy, den verdeckten Ermittler, und seine Lügen. Er ging – wie auch Maria B. in Hamburg – freundschaftliche und intime Liebesbeziehungen mit Aktivist*innen ein, um an Informationen über Netzwerke zu gelangen und sie weiterzugeben. Persönlichkeitsrechte wurden vom Staat mit Füßen getreten. Die Fälle belegen auch, dass es bei solchen Ermittlungen nicht nur um die Verletzung der Persönlichkeitsrechte geht, sondern auch um die Gefährdung des Rechts, in einer jeden demokratischen Gesellschaft politische Aktivitäten zu organisieren. Die verdeckten Ermittlungen wirken zerstörerisch.
2010 entflammte in England eine Debatte um den Fall Kennedy. Er war in mehr als zehn Ländern im Einsatz gewesen, und einige seiner Einsatzberichte sollen es bis auf den Tisch von Tony Blair geschafft haben. Auf Grund der Enttarnung weiterer britischer verdeckter Ermittler wurde der öffentliche Druck so groß, dass ein Untersuchungsausschuss einberufen wurde. Der Skandal schlug hohe Wellen. Unter anderem seien Jeremy Corbyn und andere Abgeordnete in den Fokus der Ermittlung geraten, berichtete Jason Kirkpatrick, der zweite Betroffene der sich an der Veranstaltung im EU-Parlament beteiligte. Er war ein langjähriger Freund von Mark »Stone« und erzählte eindrücklich vom eigenen Schmerz. Außerdem versucht er Druck auf die ehemalige Innenministerin und jetzige Premierministerin Theresa May auszuüben, die Untersuchungen des Ausschusses auf andere Länder auszuweiten. Dieser konzentrierte sich lediglich auf England und Wales, obwohl die Ermittler*innen auch in Irland, Nordirland, Schottland, Deutschland und Polen im Einsatz waren. Die ersten Zahlen, die der Untersuchungsausschuss vorlegte, zeigen das ganze Ausmaß der Praxis in den beiden britischen Ländern: Seit 1968 seien circa 1000 verschiedenste politische Gruppen von mindestens 144 verdeckten Polizeibeamt*innen ausspioniert worden.
Legal, illegal, scheißegal
Britta Eder, eine Hamburger Anwältin, eröffnete den zweiten Teil der Veranstaltung. Sie begleitete neben dem eingangs erwähnten Verfahren gegen Maria B. noch zwei weitere Verfahren gegen verdeckte Ermittler*innen, die in die linke Szene Hamburgs geschleust worden waren. Sie stellte klar, dass in allen drei Fällen der rechtliche Rahmen des Einsatzes gebrochen wurde. Bisher habe also kein rechtlicher Rahmen Rechtsverletzungen bei einem solchen Einsatz verhindern können. Die Wahrung eines solchen Rahmens wäre nur auf Kosten der Anonymität der Ermittler*innen und des durch sie erschlichenen Vertrauens denkbar, dies liegt aber wohl kaum im Sinne der ermittelnden Behörden. Die Behörden nehmen den Rechtsbruch billigend in Kauf. Daniel Holder, ein Vertreter der nordirischen Menschenrechtsorganisation CAJ, stellte zusätzlich klar, dass die meisten Ermittler*innen während ihrer Einsätze auch Straftaten begehen und dass man versuchen müsse, sie dafür belangen. Immer wieder zeige sich, dass der Staat in diesen Fällen seine Rechtslage nicht auf seine Bediensteten anwendet – ein weiterer kaum zu überbrückender Widerspruch, den auch der Anwalt Darragh Macken aus Belfast sieht. Er forderte vor allem eine Klärung der Rechenschaftspflicht bei solchen Ermittlungen. Klagen vor nationalen Gerichten könnten hier der erste Schritt sein. Darüber hinaus berichtete er über einen britischen Polizeibeamten, der in Deutschland im Einsatz war, ohne die rechtlichen Rahmenbedingungen überhaupt zu kennen. Zuletzt belegte Chris Jones von der Nichtregierungsorganisation StateWatch mit seinen Ausführungen die lange Tradition, auf europäischer Ebene polizeiliche Austauschforen, auch für die Praxis verdeckter Ermittlungen, zu organisieren. Er unterstrich, dass die EU-Politik eher Skillsharing organisiere, als solche Polizeipraxen kritisch zu hinterfragen. Hier sollten vor allem die EU-Abgeordneten versuchen, Transparenz zu erkämpfen. Welche Einsätze werden mit EU-Geldern finanziert? Wie ist das Verhältnis der EU-Institutionen zu der Praxis grenzüberschreitender verdeckter Ermittlungen?
Polizeiarbeit und die Arbeit der Geheimdienste sind klar zu trennen. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass Polizeibeamte unter dem Vorwand eingesetzt werden, »schwere Straftaten« zu verhindern, aber de facto als Informationsbeschaffer in linke Netzwerke geschleust werden. Zumindest in Deutschland wurden niemals Belege erbracht, dass diese Einsätze solche Straftaten verhindert hätten. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es vielmehr darum geht, politische Opposition zu schwächen und Strukturen zu zerschlagen. Zudem lassen sich sogar sehr begrenzte Einsätze, beispielsweise in Hamburg, schwer kontrollieren, die verantwortlichen Instanzen versagten bei der Kontrolle. Wie sollten folglich grenzüberschreitende verdeckte Ermittlungen wie die von Mark Kennedy effektiv kontrolliert werden können? Angesichts dieser Beweislast gehören derartige Ermittlungen abgeschafft.
Sabine Lösing ist für DIE LINKE Mitglied des Europaparlaments; Max Bömelburg ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter in ihrem Büro tätig.
Leider ist dies kein Einzelfall, wie die Veranstaltung der irischen Abgeordneten Lynn Boylan in Kooperation mit Sabine Lösing (Die Linke) im Europäischen Parlament Ende August 2017 zeigte. Eine weitere Erkenntnis der Veranstaltung: Das Ausmaß grenzüberschreitender verdeckter Ermittlungen in Europa ist größer als gedacht.
Zunächst ging es um die Betroffenen solcher Ermittlungen, die tiefe seelische Wunden davontragen. So berichtete Kate Wilson, eine britische Aktivistin, eindrucksvoll von dem ihr angetanen Unrecht. Sie hatte sich 2003 in Mark Stone, einen charismatischen Mann, verliebt. Sie wurden ein Paar, lebten zwei Jahre unter einem Dach. Nach dem Ende ihrer Liebesbeziehung sahen sie sich in Berlin, Spanien sowie Frankreich wieder und blieben freundschaftlich verbunden. Erst 2010 erfuhr Kate Wilson, dass es weder einen Mark Stone noch seinen toten Vater gab, von dem er ihr unter Tränen erzählt hatte. Es gab lediglich Mark Kennedy, den verdeckten Ermittler, und seine Lügen. Er ging – wie auch Maria B. in Hamburg – freundschaftliche und intime Liebesbeziehungen mit Aktivist*innen ein, um an Informationen über Netzwerke zu gelangen und sie weiterzugeben. Persönlichkeitsrechte wurden vom Staat mit Füßen getreten. Die Fälle belegen auch, dass es bei solchen Ermittlungen nicht nur um die Verletzung der Persönlichkeitsrechte geht, sondern auch um die Gefährdung des Rechts, in einer jeden demokratischen Gesellschaft politische Aktivitäten zu organisieren. Die verdeckten Ermittlungen wirken zerstörerisch.
2010 entflammte in England eine Debatte um den Fall Kennedy. Er war in mehr als zehn Ländern im Einsatz gewesen, und einige seiner Einsatzberichte sollen es bis auf den Tisch von Tony Blair geschafft haben. Auf Grund der Enttarnung weiterer britischer verdeckter Ermittler wurde der öffentliche Druck so groß, dass ein Untersuchungsausschuss einberufen wurde. Der Skandal schlug hohe Wellen. Unter anderem seien Jeremy Corbyn und andere Abgeordnete in den Fokus der Ermittlung geraten, berichtete Jason Kirkpatrick, der zweite Betroffene der sich an der Veranstaltung im EU-Parlament beteiligte. Er war ein langjähriger Freund von Mark »Stone« und erzählte eindrücklich vom eigenen Schmerz. Außerdem versucht er Druck auf die ehemalige Innenministerin und jetzige Premierministerin Theresa May auszuüben, die Untersuchungen des Ausschusses auf andere Länder auszuweiten. Dieser konzentrierte sich lediglich auf England und Wales, obwohl die Ermittler*innen auch in Irland, Nordirland, Schottland, Deutschland und Polen im Einsatz waren. Die ersten Zahlen, die der Untersuchungsausschuss vorlegte, zeigen das ganze Ausmaß der Praxis in den beiden britischen Ländern: Seit 1968 seien circa 1000 verschiedenste politische Gruppen von mindestens 144 verdeckten Polizeibeamt*innen ausspioniert worden.
Legal, illegal, scheißegal
Britta Eder, eine Hamburger Anwältin, eröffnete den zweiten Teil der Veranstaltung. Sie begleitete neben dem eingangs erwähnten Verfahren gegen Maria B. noch zwei weitere Verfahren gegen verdeckte Ermittler*innen, die in die linke Szene Hamburgs geschleust worden waren. Sie stellte klar, dass in allen drei Fällen der rechtliche Rahmen des Einsatzes gebrochen wurde. Bisher habe also kein rechtlicher Rahmen Rechtsverletzungen bei einem solchen Einsatz verhindern können. Die Wahrung eines solchen Rahmens wäre nur auf Kosten der Anonymität der Ermittler*innen und des durch sie erschlichenen Vertrauens denkbar, dies liegt aber wohl kaum im Sinne der ermittelnden Behörden. Die Behörden nehmen den Rechtsbruch billigend in Kauf. Daniel Holder, ein Vertreter der nordirischen Menschenrechtsorganisation CAJ, stellte zusätzlich klar, dass die meisten Ermittler*innen während ihrer Einsätze auch Straftaten begehen und dass man versuchen müsse, sie dafür belangen. Immer wieder zeige sich, dass der Staat in diesen Fällen seine Rechtslage nicht auf seine Bediensteten anwendet – ein weiterer kaum zu überbrückender Widerspruch, den auch der Anwalt Darragh Macken aus Belfast sieht. Er forderte vor allem eine Klärung der Rechenschaftspflicht bei solchen Ermittlungen. Klagen vor nationalen Gerichten könnten hier der erste Schritt sein. Darüber hinaus berichtete er über einen britischen Polizeibeamten, der in Deutschland im Einsatz war, ohne die rechtlichen Rahmenbedingungen überhaupt zu kennen. Zuletzt belegte Chris Jones von der Nichtregierungsorganisation StateWatch mit seinen Ausführungen die lange Tradition, auf europäischer Ebene polizeiliche Austauschforen, auch für die Praxis verdeckter Ermittlungen, zu organisieren. Er unterstrich, dass die EU-Politik eher Skillsharing organisiere, als solche Polizeipraxen kritisch zu hinterfragen. Hier sollten vor allem die EU-Abgeordneten versuchen, Transparenz zu erkämpfen. Welche Einsätze werden mit EU-Geldern finanziert? Wie ist das Verhältnis der EU-Institutionen zu der Praxis grenzüberschreitender verdeckter Ermittlungen?
Polizeiarbeit und die Arbeit der Geheimdienste sind klar zu trennen. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass Polizeibeamte unter dem Vorwand eingesetzt werden, »schwere Straftaten« zu verhindern, aber de facto als Informationsbeschaffer in linke Netzwerke geschleust werden. Zumindest in Deutschland wurden niemals Belege erbracht, dass diese Einsätze solche Straftaten verhindert hätten. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es vielmehr darum geht, politische Opposition zu schwächen und Strukturen zu zerschlagen. Zudem lassen sich sogar sehr begrenzte Einsätze, beispielsweise in Hamburg, schwer kontrollieren, die verantwortlichen Instanzen versagten bei der Kontrolle. Wie sollten folglich grenzüberschreitende verdeckte Ermittlungen wie die von Mark Kennedy effektiv kontrolliert werden können? Angesichts dieser Beweislast gehören derartige Ermittlungen abgeschafft.
Sabine Lösing ist für DIE LINKE Mitglied des Europaparlaments; Max Bömelburg ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter in ihrem Büro tätig.
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