Samstag, 28. Oktober 2017
Wie viel Arbeit braucht der Mensch?
"Der Titel, zu dem ich hier ein paar Überlegungen vortragen soll, ist
gut gewählt, denn er bringt mit nicht mehr als fünf Worten die
vollkommene Absurdität unserer Arbeitsverhältnisse auf den Begriff. In
früheren Zeiten, als unsere Ahnen noch das zum Leben Notwendige
zusammenjagten und -sammelten, war diese Frage leicht beantwortet,
wenn sie sich denn überhaupt stellte: Man musste so lange ‚arbeiten‘
bis man satt zu essen hatte. (...) Was ist geschehen, dass die Arbeit
von einem notwendigen Übel zu einem hochrangigen Lebensziel, dem alle
in scharfer Konkurrenz nachjagen, mutieren konnte? Die Antwort ist
bestürzend einfach: Es geht in der Frage gar nicht um Arbeit und
Arbeit ist auch nicht erstrebenswert. Es geht um Geld. Die Frage:
„Wieviel Arbeit braucht der Mensch?“ und jene andere: „Wieviel Geld
braucht der Mensch?“ sind gleichbedeutend. Arbeit haben heißt Geld
haben. (Mehr oder weniger, versteht sich, aber das lassen wir jetzt
einmal beiseite.) Mit der Gleichsetzung von Arbeit und Geld erfährt
die Arbeit eine unerhörte Entwertung, obwohl sie scheinbar so
begehrenswert ist wie nie zuvor in der Geschichte. Von den unendlich
vielen Weisen, sein Dasein zu sichern durch verschiedenste, an die
jeweiligen lokalen Gegebenheiten angepasste Unterhaltstätigkeiten und
von den verschiedensten Weisen, das gesellschaftliche Miteinander zu
gestalten, ist nur die Arbeit für Geld übrig geblieben. Überhaupt sind
die Menschen in der industriellen Gesellschaft auf drei
Tätigkeitsformen festgelegt, die alle drei verheerende Folgen haben
für die Menschen, die radikal entfähigt werden, und für ihre
Lebensgrundlagen, die radikal geplündert werden. (...) Moderne Arbeit,
auf die alle so scharf sind, dass sie zum obersten Bedürfnis avanciert
ist, hat schwerwiegende Folgen für den arbeitenden Menschen, die sich
gegenseitig bedingen und aufheizen. Sie macht Zeit knapp, sie macht
Menschen hilflos und bedürftig, sie macht Begehren maßlos, und sie
bedroht den sozialen Frieden durch rücksichtslose Konkurrenz aller mit
allen um die knappen Ressourcen. (...) Wenn ich mit der These recht
habe, dass wir heute in jedweder beruflichen Tätigkeit mehr Schaden
anrichten als nützen, dann können wir getrost unser Verhältnis zu den
Arbeitslosen, die wir gern als Gescheiterte ansehen, überdenken. Nicht
sie, sondern die im Arbeitsleben Stehenden hätten sich dann die
Sinnfrage zu stellen und stünden in einer vollkommenen Umkehrung der
Beweislast unter Rechtfertigungszwang." Beitrag von Marianne
Gronemeyer beim online-Magazin Denk-doch-MAL (ohne Datum) - Marianne
Gronemeyer ist Professorin für Erziehungswissenschaften und
Buchautorin - sehr lesenswert!
http://denk-doch-mal.de/wp/neuer-beitrag-wieviel-arbeit-braucht-der-mensch/
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