Samstag, 28. Oktober 2017

Die Kurzokratie (Dieter Braeg)


Endlich wieder Wahl! Der Nationalrat ist die Abgeordnetenkammer des österreichischen Parlaments. Am 15. Oktober findet die 26. Nationalratswahl statt. Gewählt wird im Regelfall alle fünf Jahre. Aufgrund der Differenzen zwischen den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP und dem Rücktritt von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner beantragten die Oppositionsparteien jedoch vorzeitige Neuwahl.

Im Jahre 2008 vermeldete die bürgerliche Österreichische Volkspartei (ÖVP) 700.000 Mitglieder, während die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) im Jahre 2014 etwas mehr als 200.000 Mitglieder hatte. Die ÖVP hat in den letzten zehn Jahren vier Vorsitzende verbraucht und es dabei immer nur geschafft, in Österreich per Vizekanzler mitzuregieren. Allerdings profilierte sich in der jetzigen Koalition der Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), der Erdoğan – als belagerten die Türken mal wieder Wien – die Rote Karte zeigt.

Bezeichnend ist, was Kurz in seiner Partei durchsetzte: unter anderem eine eigenständige Wahlliste namens »Liste Sebastian Kurz – Die neue Volkspartei«; eine neue Listenerstellung: Kurz erreichte ein Vorzugsstimmensystem zur Kandidatenauswahl, freie Hand bei der Bundesliste und ein Vetorecht bei den Landeslisten. Kurz hat freie Hand bei der Bestellung von Regierungsteam und Generalsekretariat und bei Koalitionsverhandlungen. Kurz übernimmt die alleinige inhaltliche Führung der Partei. Alles dies ist jetzt in den Statuten der Partei verankert.

Die Mitgliedschaft der ÖVP hat da nichts mitzubestimmen. Die Gesetze in Österreich lassen zu, dass auf diese Art Politik betrieben wird. Der Hauptslogan zur Nationalratswahl der Kurz-ÖVP, der »Liste Sebastian Kurz – Die neue Volkspartei«, heißt: »Es ist Zeit.« Quereinsteiger wie etwa der ehemalige Grünen-Politiker Efgani Dönmez, die Opernball-Organisatorin Maria Großbauer und der Mathematiker Rudolf Taschner, die Salzburger Personalunternehmerin Tanja Graf, der Wiener Landespolizeivizepräsident Karl Mahrer und die ehemalige Stabhochspringerin Kira Grünberg sind auf der Bundesliste auf die ersten zehn aussichtsreichen Plätze gereiht – von Sebastian Kurz, ohne Beteiligung der ÖVP-Mitgliedschaft. Ein Beweis, wie wenig in Österreich innerparteiliche Demokratie eine Rolle spielt, die auch nicht wie in Deutschland durch ein Parteiengesetz geregelt wird.

Dass die Presse diese Art von »Kurzokratie« noch meist positiv kommentiert, passt zur Medienaufklärung in Österreich, die Bürgerin und Bürger durch reichlich veröffentlichte Wahlwerbung erleichtert wird. Die österreichische Sozialdemokratie ermuntert: »Holt euch, was euch zusteht!« Etwa den 12-Stunden Tag, den der KTM-Chef Stefan Pierer fordert, der der ÖVP eine Wahlspende von 436.463 Euro zukommen ließ?

Neun Parteien kandidieren in ganz Österreich. Bisher waren im Nationalrat fünf vertretenen: SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne und Neos. Die Neoliberalen haben sich auch ein wenig »umgetauft« und firmieren unter »Das Neue Österreich, gemeinsam mit Irmgard Griss«. Die Juristin und ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes ist ihr Zugpferd.

Dazu kommen noch, entweder unterstützt durch drei Nationalratsunterschriften oder eine ausreichende Anzahl von Unterstützungsunterschriften Wahlberechtigter folgende Gruppierungen, die österreichweit antreten: die »Liste Peter Pilz« – ein langjähriger Grüner, den diese Partei nicht mehr zur Kandidatur zuließ; die »Freie Liste Österreich« – sie ist eine Abspaltung von der FPÖ; »G!LT«, eine Liste des Kabarettisten Roland Düringer – sein Ziel: »Im System offener Demokratie können alle Bürgerinnen und Bürger Themen im Parlament einbringen«. Die KPÖ hat sich mit den jungen Grünen – sie wurden aus der Mutterpartei ausgeschlossen – zur Liste »KPÖ plus« zusammengefunden. »Die Weißen« kandidieren unter dem Motto: »Die Weißen – das Recht geht vom Volk aus«. Dazu kommen noch sechs Parteien/Gruppierungen, die in einzelnen Bundesländern kandidieren und keine Chance haben, in den Nationalrat zu gelangen. Zu einer gemeinsamen »linken Liste« kam es nicht.

Neben den jetzt schon im Nationalrat vertretenen Parteien hat wahrscheinlich nur die Liste Peter Pilz eine Chance auf einen Einzug in den Nationalrat. Die populistisch-nationale FPÖ mit ihrem Vorturner Heinz-Christian Strache darf besorgt in eine ungewisse Zukunft schauen, weil Sebastian Kurz sie problemlos rechts überholt, da hilft der FPÖ-Slogan »Der rot-schwarze Speck muss weg!« nicht. Allerdings hat sich der jetzige Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) auf den Weg gemacht, der völkischen FPÖ jene Tür zu öffnen, hinter der man dann zum weiteren Machterhalt über eine Koalition mit den National-Reaktionären nachdenkt. Erwartet wird nach der Wahl eine Koalition aus ÖVP/FPÖ oder SPÖ/FPÖ oder, mal wieder, das SPÖ/ÖVP- oder ÖVP/SPÖ-Bündnis.

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