Samstag, 28. Oktober 2017

125 Jahre Künstlerkolonie Ahrenshoop (Karl-H. Walloch)


Unter dem Motto »Tradition bewahren – im Zeitgeist leben« feiert der Künstlerort – heute Seebad Ahrenshoop – 125 Jahre Künstlerkolonie Ahrenshoop auf dem Darß.

Der Maler und Grafiker Paul Müller-Kaempff entdeckte 1889 für sich das Fischland, das er gemeinsam mit dem Tiermaler Oskar Frenzel aufsuchte, auch das Fischerdorf Ahrenshoop. Es war das Jahr, in dem sich Fritz Mackensen, Otto Modersohn und Hans am Ende vor den Toren Bremens in Worpswede niederließen. Paul Müller-Kaempff, 1861 in Oldenburg geboren, studierte ab 1882 an der Düsseldorfer Kunstakademie. Ein Jahr später wechselte er nach Karlsruhe, wurde vom Landschaftsmaler Gustav Schönleber unterrichtet.

Das Entstehen der Künstlerkolonie Ahrenshoop war eng mit einer europäischen Kunstrichtung, die um 1830 im französischen Barbizon ihren Ausgang nahm, verbunden. Dort gründete Théodore Rousseau eine Malerkolonie, die maßgeblich die europäische Landschaftsmalerei beeinflusste, vor allem den Impressionismus. Die Maler strebten keine gemeinsame Ästhetik an, was sie einte, war die Ablehnung der akademischen Lehre. Sie zogen den direkten Zugang zur Natur vor.

Die ersten Künstler, die in einem Fischerdorf an der Ostsee eine Künstlerkolonie gründeten, waren um 1870 Dänen. Maler aus Kopenhagen stellten in den Sommermonaten an Dänemarks abgelegener Nordspitze Skagen am Strand und in den Dünen die Staffelei auf. Ob Paul Müller-Kaempff von der Künstlerkolonie Skagen wusste, ist nicht überliefert. Aber er beschließt, sich in Ahrenshoop auf Dauer anzusiedeln. Er und Fritz Wachenhusen, sie sind befreundet, werden später als Entdecker und Beförderer der Künstlerkolonie genannt.

1892 baut Müller-Kaempff auf dem Grundstück Dorfstraße 18 sein Atelierhaus. Auch die Künstlerkollegen Anna Gerresheim, Elisabeth von Eicken, Fritz Grebe, Hugo Richter-Lefensdorf, Carl Friedrich Koch, Friedrich Wachenhusen und Martin Körte bauen Häuser. Aus dem verschlafenen Fischerdorf wird in nur wenigen Jahren ein Künstlerdorf. Am 11. Juli 1909 eröffnet der Kunstkaten im Ort, damit haben die Künstler ein Ausstellungszentrum. In diesen Jahren sind auch Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky auf dem Darß, wohnen aber in Prerow.

Die Chronistin des Fischlandes, Käthe Miethe, schreibt 1916: »Ahrenshoop war damals von der ersten Malergeneration bevölkert, die dieses der Welt abgelegene Dorf mit seinen wenigen Häusern und Menschen entdeckt hatte. Rundherum in den kleinen Fischerhäusern hatten sich Künstler, Schriftsteller, Schauspieler und Sänger eingemietet. Ahrenshoop war damals tatsächlich eine Künstlerkolonie.«

Der Erste Weltkrieg verschlechtert die Lage der bildenden Künstler dramatisch, auch in Ahrenshoop. Der Kunstmarkt bricht zusammen. Max Pechstein kommt als Fronturlauber in die Künstlerkolonie. Da seine ehemaligen adeligen Käufer abgedankt haben, verkauft als erster Paul Müller-Kaempff 1918 sein Atelierhaus. Der Verleger des Hinstorff-Verlags in Rostock, Peter E. Erichson, kauft, wird Neubürger und Mäzen. George Grosz ist mit seiner Familie zwischen 1918 und 1931 ständiger Sommergast in Ahrenshoop. Über den Badebetrieb spottet er: »Da wimmelt eine ganze Anzahl Kunstbeflissener herum nebst vielen von denen, die dazugehören, kauernde unbefriedigte gymnastisch ausgebildete Frauen in aparten Hosentrachten und literarische Jungs.« Wieland Herzfelde besucht häufig seinen Freund Grosz. Der prominenteste Gast in den Jahren der Weimarer Republik ist Albert Einstein.

Auch über Künstler in Ahrenshoop kommt der braune Ungeist, die Mehrheit wählt 1933 die NSDAP. So kann Hitler Ehrenbürger werden, auch eine Straße bekommt seinen Namen. Bedacht mit einer Straße werden ebenso Göring und Hindenburg. Ein Schild am Ortseingang verkündet den Gesinnungswandel mit »Judenfreie Gemeinde«. Andererseits wird der Ort für verfolgte Künstler der NS-Diktatur zum Asyl. Der Bildhauer und Grafiker Gerhard Marcks kommt nach Ahrenshoop. Seit 1928 Rektor der Kunstschule Burg Giebichenstein, entlassen die Nazis ihn sofort 1933 aus dem Amt.

Ende April 1945 befreit die Rote Armee den Darß vom Nazispuk. Ahrenshoop ist Zufluchtsort für viele Flüchtlinge. Es beginnt der Neuanfang mit einem Gymnasium, das im Spätsommer eröffnet. Die Schüler werden von Künstlern unterrichtet. Mit dabei sind Ottilie Kaysel, Marie Voss und Alfred Partikel. In der Dorfschule ist erst ab September 1946 wieder Unterricht. Bürgermeister ist der expressionistische Maler und Grafiker Hans Brass, der sich um die Not der Einwohner und Flüchtlinge kümmern muss. Der »Antifaschistische Block« von Ahrenshoop besteht aus Adolf von Achenbach (KPD), Josyta Burgartz (SPD) und Rudolf Ziel (LDP).

Der Ort hat zwei sowjetische Kommandanten und einen trennenden Schlagbaum, weil er zu zwei Provinzen gehört: Vorpommern und Mecklenburg. Der Grenzweg erinnert an die Teilung, er führt von der Dorfstraße zum Strand.

Erst im Januar 1946 endet die Teilung. Johannes R. Becher wird in diesen Jahren zum Förderer des Ortes. Am 8. August 1945 gründet er in Berlin mit dem Schriftsteller Bernhard Kellermann und dem Maler Karl Hofer den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Becher wird dessen Präsident, der Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann Ehrenpräsident. Auch in Ahrenshoop gibt es eine Ortsgruppe. Der Schriftsteller Willi Bredel und Karl Kleinschmidt vom Vorstand des Kulturbundes Mecklenburg-Vorpommern geben dem Ort den Namen »Bad der Kulturschaffenden«. Einer der ersten Gäste 1946 ist Victor Klemperer mit Frau.

Am 18. August 1946 beginnt im Ort wieder der Ausstellungsbetrieb im Kunstkaten, vom Kulturbund gepachtet. Johannes R. Becher lädt Kulturpolitiker und Offiziere der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) nach Ahrenshoop ein, darunter Sergej Iwanowitsch Tulpanow. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) fördert den Ort als Urlaubsdomizil für Werktätige.

Jedes Jahr steigt der Badegast Johannes R. Becher in die Fluten der Ostsee –häufig splitternackt. Nacktbaden kommentiert der Schriftsteller Ehm Welk so: »In manchem Seebad ist die nackte Wahrheit nicht immer ein ästhetisches Vergnügen. Und so handelt der Bürgermeister durchaus richtig, als er einige an Gestalt und Jahren unterschiedliche Damen ersuchte, das Paradies nicht gerade vor dem Kurhaus, sondern etwas weiter abseits zu etablieren. Doch er kam schön an. ›Sie haben wohl die Zeit verschlafen‹, schallte es ihm entgegen, ›sie oller Faschist!‹ Worauf ihm die neue Zeit die Kehrseite zeigte.«

Bertolt Brecht ist im Sommer 1950 und 1951 Gast in Ahrenshoop. Ein Schwarz-Weiß-Foto, 1950 aufgenommen, zeigt ihn mit Karl Kleinschmidt, Egon Monk, Hans Hermann Schmid, Helene Weigel und Hilde Troeger. Überliefert ist von Hilde Troeger: »Brecht schickte mich […] mit ein paar Versen zu Hanns Eisler, und wenn ich ihn nicht am Strand traf, fand ich ihn zu Hause, und von dort trug ich dann auch manchmal ein Notenblatt oder zwei zurück zu Brecht, wenn Eisler, abends vermutlich oder in der frühen Morgenstunde, die Brecht so liebte, etwas zu den Versen  komponiert hatte – übrigens auf amerikanischem Notenpapier, MGM stand oben drauf, Metro-Goldwyn-Mayer.«

Auf der Ahrenshooper Gästeliste stehen jahrelang die Namen der Elite aus Kunst und Kultur der DDR: Theodor Brugsch, Ernst Busch, Fritz Cremer, Gerhart Eisler, Franz Fühmann, Hans Frank, Wolfgang Harich, Wieland Herzfelde, Herbert Ihering und Kurt Maetzig. Mit dem Beginn der Formalismusdebatte kippt in Ahrenshoop die Stimmung. Dazu gehört auch die 1953 an der Ostseeküste durchgeführte »Aktion Rose«, die Enteignung von Pensionen und Hotels, Unruhe, auch Flucht in den Westen bringt.

Aber Johannes R. Becher hält seine schützenden Hände, nun als Kulturminister der DDR, über den Ort. Eine wichtige Kraft sind die 60 Mitglieder der Ortsgruppe des Kulturbundes. Mit dem Mauerbau am 13. August 1961 in Berlin wird auch die Seegrenze als ein möglicher Fluchtweg stärker kontrolliert. Ab 1962 sind alle privaten Sportboote auf der Ostsee verboten, ebenso der nächtliche Aufenthalt am Strand. Der Ort erhält eine Abordnung der »Grenzbrigade Küste«.

Die Ausstellungen im Kunstkaten spiegeln den Spagat der DDR-Kulturpolitik wider. Ab 1966 stellen Künstler aus der Sowjetunion, Polen und der Tschechoslowakei aus. Im Rahmen der »Biennale der Ostseeländer« in Rostock findet skandinavische Kunst den Weg nach Ahrenshoop. Im Juli 1972 verwendet der ZK-Sekretär für Kultur, Kurt Hager, in seinem Referat statt des Begriffes »Sozialistischer Realismus« nun den Begriff »Weite durch Vielfalt«.

Mit dem Brand des Kunstkatens 1974 kommt für die Kultur der Rückschlag. Der Wiederaufbau ist schwierig, es fehlen die Materialien. Erst 1977 kann – in Anwesenheit des Ehrenpräsidenten des Kulturbundes Alexander Abusch – das Haus wiedereröffnet werden. Aus Anlass des 75. Jubiläums des Kunstkatens 1984 werden unter dem Titel »Bildende Kunst in Ahrenshoop« Arbeiten ab 1890 gezeigt. Seit Jahren gibt es in der DDR private Kunstsammler, darunter auch Handwerker, die an bildender Kunst Interesse haben, gefördert durch die Bildungspolitik im Land.

Nach 1989 hat über Jahre die Treuhand das Sagen im Land. Abgewickelt wird alles: die Industrie, die Kombinate, Werften, das Trickfilmstudio in Dresden, auch Universitäten und Bibliotheken, alles. Massenarbeitslosigkeit überzieht das Land. Das ist auch an der Ostsee zu spüren. Die Künstlerkolonie Ahrenshoop muss neue Wege finden. In der Wendezeit gründen zehn Einwohner des Ortes den Förderkreis Ahrenshoop. Die Initiative geht vom Buchhändler Andreas Wegschneider aus, der die Buchhandlung »Bunte Stube« führt. Auch in dem Ostseebad finden in diesen Jahren Kämpfe um Grundstücke und Häuser statt. Auf eine Vielzahl der Immobilien in der Künstlerkolonie werden Restitutionsansprüche gestellt, nur ein Drittel wird positiv entschieden.

Dass der Ort seinen Charme behält, legt die Bauordnung fest. Sie schreibt vor, wie die Neubauten von Künstlerhäusern und Katen, auch von Hotels, aussehen dürfen. Für die Maler kommen neben dem historischen Kunstkaten das Künstlerhaus Lukas, das Kunstmuseum Ahrenshoop und das Neue Kunsthaus dazu. Sechs Galerien im Ort regen zum Besuch an. Und die Ahrenshooper Kunstauktion, in diesem Jahr zum 43. Mal – ist ein nicht wegzudenkendes Ereignis, von hier finden Arbeiten der Ahrenshooper Künstler den Weg in Sammlungen. Heute gehören zu Ahrenshoop aber ebenso das Jazzfest, die Filmnächte, die Literaturtage und die Kammermusiktage. Und die Badegäste.

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