Von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt
(Mexiko-Stadt/Berlin, 18. April 2017, npl).- Das Stau- und
Wasserkraftwerk La Parota im Bundesstaat Guerrero sollte vor 14
Jahren das größte Projekt während der Regierungszeit von Präsident
Vicente Fox (2000-2006) werden. Doch der Bau einer 192 hohen
Staumauer und die Überflutung von 17.300 Hektar Land, keine 40
Kilometer von der Hafen- und Touristenstadt Acapulco entfernt,
scheiterten am überregional bekannt gewordenen erbitterten
Widerstand des Rates der Ejidos und Gemeinden in Opposition zum
Stauwerk La Parota, Cecop (Consejo de Ejidos y Comunidades
Opositores a la Presa La Parota).
Die zumeist kleinbäuerlichen und indigenen Mitglieder des Cecop
verteidigten den Papagayo-Fluss gegen die Regierung und die
staatliche Stromgesellschaft CFE. Der Widerstand kostete mehrere
Tote, Dutzende von Haftbefehlen, aufwändige Gerichtsverfahren
und wiederholte
Konfrontationen mit staatlichen Sicherheitskräften. Die
vergangenen Jahre herrschte um das Projekt La Parota relative
Ruhe. Doch am vergangenen 8. März attackierten mehr als 100
bewaffnete Mitglieder der inzwischen regierungsnahen Vereinigung
der Dörfer und Organisationen des Bundesstaates Guerrero Upoeg
(Unión de Pueblos y Organizaciones del Estado de Guerrero) die
vom Cecop organisierte Gemeindepolizei. Rodolfo Chavez, einer
der charismatischsten Sprecher des Cecop, zieht im nachfolgenden
Interview Bilanz.
Wie sieht es heute mit der Opposition gegen La
Parota aus?
Rodolfo Chavez: Von den 47
betroffenen Gemeinden und 19 Ejidos sind mehrere Ejidos und 36
Gemeinden nach wie vor in der Bewegung aktiv. Den Anfang machten
damals drei Gemeinden. Damals begann die Stromgesellschaft CFE,
Leute aus den umliegenden Gemeinden unter Vertrag zu nehmen,
Versprechungen zu machen. Die 47 Dörfer waren praktisch
zweigeteilt. Einige waren mehr dafür, andere mehr dagegen. Dann
grub die CFE ganze Hügel um, fällte tausende Bäume, kam bis an
die Felder heran. Die Leute organisierten sich.
Sie haben dennoch häufiger von einer Verletzung des
sozialen Gewebes durch die Spaltung in Gegner*innen und
Befürworter*innen des Megaprojektes gesprochen. Bleibt die
Spaltung bestehen oder konnte sie zumindest teilweise
überwunden werden?
Rodolfo Chavez: In Zuge der
Cecop-Bewegung zerbrach das soziale Gefüge durch die
Interventionen der CFE. Wir haben diese deswegen immer
angeklagt. Denn ihr Vorgehen implizierte den Bruch zwischen
Familien, Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern, Dörfern. In
den 14 Jahren der Bewegung haben wir die Harmonie weder im
Gebiet des indigenen Gemeindelandes von Cacahuatepec noch in den
Ejidos, die am Kampf gegen das Stauwerk La Parota beteiligt
sind, zurückgewonnen. Obwohl wir von Anfang an den Abzug der CFE
aus dem Territorium erreicht haben, hörte diese nicht damit auf,
einzuschüchtern, zu attackieren, zu provozieren, neue Anläufe zu
unternehmen. Der Bruch des sozialen Gefüges war für die meisten
Toten sowie die Verletzten und Probleme in den Dörfern
verantwortlich. Das werden wir der mexikanischen Regierung und
der CFE nicht vergessen.
Trotzdem hat der Cecop es geschafft, sich die
Stromgesellschaft CFE vom Leib zu halten. Wie?
Wir hielten über 5 Jahre Blockaden an sieben verschiedenen
Stellen aufrecht. Tag und Nacht, damit ihren Maschinen der Weg
versperrt wurde. Das war unsere größte Stärke: die Kontrolle
über das Territorium. Ohne diese kannst du so viele einstweilige
Verfügungen einreichen, wie du willst, tausend gerichtliche Wege
beschreiten – und das ist durchaus notwendig – aber ohne die
Kontrolle über das Territorium machen sie, was sie wollen. Du
musst Stärke zeigen, Entscheidungen treffen, zentrale Prinzipien
haben. Wir hatten zwei. Erstens: Das Land wird nicht verkauft.
Keine Diskussion. Zweitens: Das Stauwerk La Parota wird es
nicht geben. Nur über unsere Leichen. Ohne solche Entscheidungen
kannst du nicht gewinnen.
In der Vergangenheit hast du mehrmals die
bedeutende Rolle der Frauen in der Bewegung betont. Ist das
immer noch so?
Bei den regelmäßigen Sonntagstreffen sind weiterhin viele
Frauen dabei. Aber Frauen wie Männer aus einigen Gemeinden
kommen nicht mehr so häufig. Eine drei Jahre anhaltende Bewegung
ermüdet die Leute schon. Stell dir vor, wie es nach 14 Jahren
aussieht, das ist ein schrecklicher Kraftaufwand. Männer und
Frauen haben oft nicht einmal das Geld für den Bus von einem Ort
in den anderen. Die Frauen sind aber bis heute dabei. In vielen
Konfliktsituationen mit der Polizei waren sie die mutigsten. Es
gab sogar einige, die sagten, ich gehe nicht auf die
Versammlungen und auch nicht jeden Sonntag auf die Treffen. Aber
an dem Tag, an dem es Probleme gibt, benachrichtigt mich und ich
bin dabei. Manche Frauen stellen sich dann in die erste Reihe –
mit Steinen, Machete, Knüppeln.
Gibt es immer noch Haftbefehle gegen Mitglieder des
Cecop?Derzeit sind es 80 Haftbefehle. Zuvor waren schon elf von uns in den ersten Jahren in Haft, später weitere 20. Bis vor zwei Jahren waren der Compañero Marco Antonio Suastegui und eine Compañera (María de la Luz Dorantes) in Haft. Ihn schickten sie in das Hochsicherheitsgefängnis nach Nayarit, sie in die Haftanstalt in Acapulco. Die Haftbefehle basieren auf absurden Argumenten. Beispielsweise die 40 Haftbefehle gegen Compañeros, weil sie sich angeblich zusammen mit Marco Antonio Suastegui eines Grundstücks bemächtigt haben sollen. Bei dem Grundstück, das diese Person beanspruchte, handelte es sich um Land für einen Gemeindefriedhof.
Angeblich hatte er dort ein Haus, was nicht stimmt – es sei
denn, ein Grab. Aus dem Haus wurden angeblich Waschmaschine,
Kühlschrank und ein Bett im Wert 300.000 Pesos (15.000 Euro)
geklaut. Doch aufgrund dieser absurden Anklage erwirkte die
Staatsanwaltschaft 40 Haftbefehle. Inzwischen gab es eine
Ortsbesichtigung, Die Staatsanwaltschaft konnte mit eigenen
Augen feststellen, dass es sich um einen Friedhof handelt, dass
dort niemand lebt. Wir hoffen also, den Fall so schnell wie
möglich zu gewinnen.
Werden die Haftbefehle denn aktiv verfolgt oder
dienen sie dazu, im geeigneten Moment aus der Schublade
gezogen zu werden?
Völlig aktiv. Die Compañeros können das Gemeindeterritorium
nicht verlassen. Die Behörden sind dort bisher nicht
hingekommen, um die Haftbefehle zu vollstrecken. Aber die
Betroffenen sind gefangen auf ihrem eigenen Gemeindeland, in
ihrem Haus sozusagen. Sobald sie einen Fuß nach außerhalb setzen
– auf die Bundesstraße Richtung Acapulco zum Beispiel, um
Erledigungen zu machen oder sich wegen einer Erkrankung
behandeln zu lassen – müssen sie mit der sofortigen Verhaftung
rechnen. So
war es auch bei Marco, der nach Acapulco fuhr, dort
verhaftet und direkt ins Hochsicherheitsgefängnis nach Nayarit
verfrachtet wurde. Diese Situation ist unhaltbar.
Besteht die Möglichkeit, dass die Regierung das
Projekt La Parota wieder aufleben lässt?
Was wir von den Präsidenten Calderón (2006-2012) und Peña Nieto
(seit 2012) gefordert haben, ist das endgültige Aufgeben des
Projektes per Dekret. Bisher ist La Parota per Gerichtsbeschluss
nur suspendiert. Wenn die Leute nicht da wären, um diese
Situation zu verteidigen, hätten sie das Projekt schon
durchgeführt. Im nationalen CFE-Haushalt erscheint Jahr für Jahr
weiterhin der Posten für den Bau des Stauwerks La Parota. Die
Ausgaben sind dort veranschlagt. Peña Nieto hat einmal davon
gesprochen, statt eines großen Stauwerks könnten mehrere
kleinere gebaut werden, um auf weniger Widerstand zu stoßen.
Welchem Motiv ist die Aggression der Upoeg
geschuldet?
Ständig ist versucht worden, zu spalten, die Bevölkerung noch
mehr zu entzweien. In diesem Kontext ist die Attacke der Upoeg
mit 200 Personen zu sehen. Die Upoeg lässt sich von der Landes-
und Bundesregierung einspannen. Das ist befremdlich. Warum
lassen sie sich einspannen? Bisher hatten wir keine Probleme mit
der Upoeg. Augenscheinlich gab es Ruhe, weil die CFE nicht
zurückgekommen ist. Legal kann sie das nicht und die Bewegung
erlaubt es auch nicht. Aber die Regierung und die CFE werden uns
nie verzeihen, dass wir ihnen ihre Grenzen aufgezeigt haben. Sie
wollen zeigen, dass sie das Sagen haben. Wir geben ein
schlechtes Beispiel ab. Wer sich wehrt, wird bestraft, so ihre
Botschaft.
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