Wer
hat das nicht schon erlebt: Man möchte sich freuen, aber es geht nicht.
So war das kürzlich wieder bei der Verurteilung eines Mannes, der an
das Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden Europas uriniert hat. Das
Amtsgericht Tiergarten verknackte ihn zu einer Geldstrafe von 1500 Euro.
Dabei berücksichtigte es, dass der Beschuldigte erheblich alkoholisiert
gewesen sei und ohne nachzudenken gehandelt habe. Der 22-Jährige zeigte
sich reuig. »Es war eine Dummheit. Ich schäme mich für mein Verhalten.«
Damit könnte man den Vorfall vergessen, gäbe es da nicht einen irritierenden Rest. Ein Mahnmal kann nämlich auch auf andere Weise besudelt werden, mit Worten zum Beispiel, und in diesem Fall passiert nichts. Dabei kann das für die Betroffenen viel schmerzhafter sein. Solche Angriffe erfolgen in der Regel vorsätzlich und sie verhaken sich leicht im kollektiven Gedächtnis, bis eines Tages jemand erschreckt feststellt: »Die Seele unseres ganzen Volks hat sich verbogen.« Heiner Geißler, der ehemalige Generalsekretär der CDU, sagte das 1994 unter dem Eindruck der rechtsradikalen Begleitmusik zur deutschen Wiedervereinigung. »Wie heute über Ausländer gesprochen wird, das ist ein Rechtsruck, das hat es vor drei Jahren noch nicht gegeben.« (Die Zeit, 24.2.1994)
Seither hat sich die Situation dramatisch verschlechtert, aber die Justiz lässt die Zügel weiter schleifen. Heribert Prantl, selber Jurist von hohen Graden, hielt ihr kürzlich in der Süddeutschen Zeitung zugute, dass auch Unsägliches gesagt werden dürfe, solange die Strafgesetze nicht verletzt würden. Aber so war das mit der Meinungsfreiheit wohl nicht gedacht, als die Väter und Mütter des Grundgesetzes sie als Grundrecht in der Verfassung verankerten. Das Recht von Opfern des Naziterrors, vor Schmähungen geschützt zu werden, darf doch nicht geringer veranschlagt werden als das Recht von Gegnern der Freiheit auf Meinungsfreiheit. Aber genau das geschieht ständig. 91 Strafanzeigen wurden gegen den thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke erstattet, nachdem er das Berliner Holocaust-Mahnmal verächtlich gemacht und eine Abkehr von der – wie er sagte – »dämlichen Bewältigungspolitik« gefordert hatte. Alle 91 Anzeigen wurden niedergeschlagen.
Das gegen Höcke eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener wurde eingestellt, und das mit einer Begründung, deren Kälte für sich spricht. Beim Vorwurf der Volksverhetzung müsse der objektive Sinn der Meinungsäußerung bewertet werden, dozierte die Staatsanwaltschaft Dresden. Im Falle Höckes handle es sich um eine radikale Kritik an der Art und Weise der Vergangenheitsbewältigung, weshalb eine Volksverhetzung nicht nachweisbar sei. Da sich die Rede nicht direkt an NS-Opfer gerichtet habe, sei auch eine Strafbarkeit wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener nicht nachweisbar.
Von dieser Argumentation führt eine gerade Linie zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes, die öffentliche Verbreitung von Parolen wie »Juden raus«, »Ausländer raus« und »Türken raus« erfülle nicht in jedem Fall den Tatbestand der Volksverhetzung. Bei »Juden raus« liege vor dem geschichtlichen Hintergrund eine solche Auslegung auf der Hand. Sie sei jedoch nicht ohne weiteres auf die anderen Äußerungen übertragbar. Bei ihnen fehlten allgemein bekannte geschichtliche Erfahrungen, die sie als Aufforderungen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen erscheinen ließen (Aktenzeichen 3 StR – 36/84). Eine Serie von Mordanschlägen auf Ausländer setzte den Bundesgerichtshof wenig später ins Unrecht.
Mit seiner großzügigen Auslegung der Meinungsfreiheit befindet sich das höchste deutsche Strafgericht auf einem Irrweg. Wohin er geführt hat, offenbart Björn Höckes leider viel zu wenig beachtete Äußerung, die Entnazifizierung nach dem Zweiten Weltkrieg sei eine »Rodung der deutschen Wurzeln« gewesen. Höcke hat hinterher nicht gesagt: »Es war eine Dummheit. Ich schäme mich für mein Verhalten.« Warum auch, schließlich weiß er nicht nur den Bundesgerichtshof auf seiner Seite, sondern auch das Bundesverfassungsgericht. Das hob am 5. März 2010 die Verurteilung dreier Neonazis wegen Volksverhetzung mit der Begründung auf, einem Plakat mit der Aufschrift »Ausländer raus« sei nicht zwingend zu entnehmen, dass Ausländer entrechtet werden sollten.
Damit könnte man den Vorfall vergessen, gäbe es da nicht einen irritierenden Rest. Ein Mahnmal kann nämlich auch auf andere Weise besudelt werden, mit Worten zum Beispiel, und in diesem Fall passiert nichts. Dabei kann das für die Betroffenen viel schmerzhafter sein. Solche Angriffe erfolgen in der Regel vorsätzlich und sie verhaken sich leicht im kollektiven Gedächtnis, bis eines Tages jemand erschreckt feststellt: »Die Seele unseres ganzen Volks hat sich verbogen.« Heiner Geißler, der ehemalige Generalsekretär der CDU, sagte das 1994 unter dem Eindruck der rechtsradikalen Begleitmusik zur deutschen Wiedervereinigung. »Wie heute über Ausländer gesprochen wird, das ist ein Rechtsruck, das hat es vor drei Jahren noch nicht gegeben.« (Die Zeit, 24.2.1994)
Seither hat sich die Situation dramatisch verschlechtert, aber die Justiz lässt die Zügel weiter schleifen. Heribert Prantl, selber Jurist von hohen Graden, hielt ihr kürzlich in der Süddeutschen Zeitung zugute, dass auch Unsägliches gesagt werden dürfe, solange die Strafgesetze nicht verletzt würden. Aber so war das mit der Meinungsfreiheit wohl nicht gedacht, als die Väter und Mütter des Grundgesetzes sie als Grundrecht in der Verfassung verankerten. Das Recht von Opfern des Naziterrors, vor Schmähungen geschützt zu werden, darf doch nicht geringer veranschlagt werden als das Recht von Gegnern der Freiheit auf Meinungsfreiheit. Aber genau das geschieht ständig. 91 Strafanzeigen wurden gegen den thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke erstattet, nachdem er das Berliner Holocaust-Mahnmal verächtlich gemacht und eine Abkehr von der – wie er sagte – »dämlichen Bewältigungspolitik« gefordert hatte. Alle 91 Anzeigen wurden niedergeschlagen.
Das gegen Höcke eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener wurde eingestellt, und das mit einer Begründung, deren Kälte für sich spricht. Beim Vorwurf der Volksverhetzung müsse der objektive Sinn der Meinungsäußerung bewertet werden, dozierte die Staatsanwaltschaft Dresden. Im Falle Höckes handle es sich um eine radikale Kritik an der Art und Weise der Vergangenheitsbewältigung, weshalb eine Volksverhetzung nicht nachweisbar sei. Da sich die Rede nicht direkt an NS-Opfer gerichtet habe, sei auch eine Strafbarkeit wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener nicht nachweisbar.
Von dieser Argumentation führt eine gerade Linie zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes, die öffentliche Verbreitung von Parolen wie »Juden raus«, »Ausländer raus« und »Türken raus« erfülle nicht in jedem Fall den Tatbestand der Volksverhetzung. Bei »Juden raus« liege vor dem geschichtlichen Hintergrund eine solche Auslegung auf der Hand. Sie sei jedoch nicht ohne weiteres auf die anderen Äußerungen übertragbar. Bei ihnen fehlten allgemein bekannte geschichtliche Erfahrungen, die sie als Aufforderungen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen erscheinen ließen (Aktenzeichen 3 StR – 36/84). Eine Serie von Mordanschlägen auf Ausländer setzte den Bundesgerichtshof wenig später ins Unrecht.
Mit seiner großzügigen Auslegung der Meinungsfreiheit befindet sich das höchste deutsche Strafgericht auf einem Irrweg. Wohin er geführt hat, offenbart Björn Höckes leider viel zu wenig beachtete Äußerung, die Entnazifizierung nach dem Zweiten Weltkrieg sei eine »Rodung der deutschen Wurzeln« gewesen. Höcke hat hinterher nicht gesagt: »Es war eine Dummheit. Ich schäme mich für mein Verhalten.« Warum auch, schließlich weiß er nicht nur den Bundesgerichtshof auf seiner Seite, sondern auch das Bundesverfassungsgericht. Das hob am 5. März 2010 die Verurteilung dreier Neonazis wegen Volksverhetzung mit der Begründung auf, einem Plakat mit der Aufschrift »Ausländer raus« sei nicht zwingend zu entnehmen, dass Ausländer entrechtet werden sollten.
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