Poonal v. 16.3.2017
Von Juan Paullier, BBC Mundo*
(São Leopoldo, 16. März 2017, IHU-BBC
Mundo).- Es ist noch unklar, wie viele Körper in den Massengräbern
im Bundesstaat Veracruz begraben liegen, doch es wird davon
ausgegangen, dass sie die Zahl noch steigt. Die Entdeckung des
wohl größten Massengrabs in Mexiko erschüttert zum wiederholten
Mal ein Land, das an solche Funde traurigerweise gewöhnt ist.
Das Kollektiv El Solecito aus dem Bundesstaat
Veracruz bestätigt den Fund der Überreste von 253 Menschen. Sie
wurden in Massengräbern entdeckt, auf einem Grundstück, das als
Colinas de Santa Fe, bekannt ist. Die Regierung hat die Zahlen
zwar noch nicht konkret bestätigt, gesteht aber ein, dass „bei
Beendigung der Öffnung aller Gräber des Bundesstaates, dieses
wohl das größte Massengrab Mexikos und eventuell der Welt sein
wird“.
Was sagen die Entdecker des Fundes?
Lucy Díaz, Gründerin und Koordinatorin des Kollektivs El
Solecito, das Mütter von Gewaltsam Verschwundenen
vereint, versichert gegenüber BBC Mundo, dass die Mütter den
Fund für den größten Mexikos halten. Die Identifizierung der
Leichen, so erklärt sie, ist „praktisch komplett davon abhängig,
was uns die forensischen Wissenschaftler (Teil der
Bundespolizei) erzählen“, die an den Ausgrabungen teilnehmen.
Das Massengrab wurde innerhalb eines Grundstücks von 2
Kilometern, bekannt als Colinas de Santa Fe, nördlich des Hafens
von Veracruz gefunden. „Offenbar ist das Durchschnittsalter der
Leichen sehr niedrig, ich schätze zwischen 14 und 24 Jahren“,
sagt Lucy Díaz, eine der Frauen, die sich der Suche widmet.
Die Gruppe von Müttern fing im August mit der Unterstützung
staatlicher Organe, Expert*innen und Gutachter*innen an, Leichen
und Gräber zu suchen. Am Freitag stießen sie schließlich auf den
besagten Fund. Die Leichenfunde wurden forensischen
Wissenschaftler*innen übergeben, um ihren Ursprung festzustellen
und die nötigen Analysen zu unternehmen, um ihre Identität zu
klären.
„Es gibt Befunde aus allen Zeiten, wir haben Leichen mit noch
sehr viel Gewebe gefunden und andere, die bereits komplett
skelettiert sind. Die Kleidung, die wir fanden, weisen darauf
hin, dass es viele Mädchen gibt“, versichert Díaz.
El Solecito hinterfragt das Zögern der Behörden, den Ernst der
Lage öffentlich zuzugeben und glaubt, dies geschehe „um einen
Status Quo und das Image eines Rechtsstaates
aufrechtzuerhalten“.
„Die internationalen Instanzen sollen anfangen, diese Realität
anzunehmen und sich die ganzen Gräueltaten einzugestehen“,
beklagt Díaz.
„Mexiko lügt und die anderen Länder tun so, als ob sie es
glauben“.
Ist es das größte Massengrab, das in Mexiko gefunden
wurde?
Da die Bestätigung der Behörden zu diesem Punkt noch fehlt und
angesichts der Erwartung, dass die Zahl der Toten noch steigen
wird, ist eine konkrete Antwort auf diese Frage noch nicht
möglich. Der Fund von geheimen Gräbern ist in Mexiko nicht
unüblich. Es wurden in 16 Bundesstaaten solche Gräber gefunden,
das ist die Hälfte des Landes.
Im Januar wurden 56 Leichen in einem Massengrab in Nuevo León,
im Norden des Landes, entdeckt.
Gemäß offiziellen Zahlen wurden zwischen Februar 2007 und
Januar 2016 insgesamt 681 Körper in 224 Massengräbern
aufgefunden. Laut Generalstaatsanwaltschaft der Republik
(Procuraduría General de la República – PGR) konnten weniger als
20 Prozent der Opfer identifiziert werden.
In Iguala, im Bundesstaat Guerrero, wo vermutet wird, dass 2014
die 43 Studenten von Ayotzinapa gewaltsam verschwinden gelassen
wurden, fand man 63 Gräber mit insgesamt 133 Körpern.
Zwischen 2011 und 2012 wurden in mindestens fünf Gemeinden des
Bundesstaates Durango 351 Leichen in 15 „Narco-Massengräbern“
gefunden. Im Jahr 2011 wurden außerdem fast 50 Gräber mit 193
Opfern in der Gemeinde San Fernando, Tamaulipas, gefunden.
Die Zahl der Gewaltsam Verschwundenen ist dieses Jahr auf mehr
als 30.000 angestiegen, dabei schätzen
Menschenrechtsorganisationen, dass die tatsächliche Anzahl höher
ist. Die Bewegung für Unsere Gewaltsam Verschwundenen in Mexiko
(Movimiento por Nuestros Desaparecidos en México) sagt, dass
gerade einmal zwei von zehn Fällen angezeigt werden.
Der Generalstaatsanwalt von Veracruz gibt zu, dass im
Bundesstaat 2.400 Menschen als verschwunden registriert sind.
Die Nationale Bürgerbeobachtungsstelle (Observatorio Nacional
Ciudadano), eine zivilgesellschaftliche Organisation, die den
Behörden kritisch auf die Finger schaut, kritisierte letzten
Monat, dass es elf unterschiedliche Datenbanken zur
Registrierung von Verschwundenen in Mexiko gäbe, was die
Einschätzung der Situation im Land erheblich erschweren würde.
Wie haben die Behörden in Veracruz reagiert?
Erst am Dienstag nahm der Generalstaatsanwalt Jorge Winckler in
einem Interview mit dem Fernsehsender Televisa Bezug auf den
Fall. Dabei bestätigte er: „Veracruz ist für mich ein riesiges
Massengrab, und wie ich bereits gesagt habe: Wenn alle Gräber,
die es im Bundesland gibt, gefunden werden, wird dieses das
größte Mexikos und vielleicht der Welt sein“.
„Während vieler Jahre“, fügte er hinzu, „ließ die organisierte
Gewalt mit dem Einvernehmen der Regierung Menschen verschwinden
und entsorgte sie in den Gräbern, die genau für diese Zwecke
gemacht wurden“.
„Alles ist absolut richtig, alles was die Familien sagen, ist
die Wahrheit. Während der Regierungszeit von Javier Duarte
wurden die Familienkollektive der Gewaltsam Verschwundenen
betrogen, indem sie DNA-Proben entnehmen ließen, um sie
angeblich mit denen der Leichen zu vergleichen, das war alles
Lüge“, erklärte er.
Der Generalstaatsanwalt erwähnte weder die Anzahl der Leichen,
die im Massengrab gefunden wurden, noch, wo und wann sie
gefunden wurden.
BBC Mundo kontaktierte den Pressesprecher der
Generalstaatsanwaltschaft um diese Zweifel zu klären, erhielt
aber keine Antwort.
Veracruz ist einer der Staaten, in denen der Gewaltindex in den
letzten Jahren am meisten zugenommen hat.Warum gibt es diese Gewaltsituation in Veracruz?
Veracruz ist einer der gewaltsamsten Bundesstaaten Mexikos, da
es sich hierbei um ein umstrittenes Gebiet zwischen den
Drogenkartellen Zetas und Jalisco Nueva Generación handelt.
Die Situation spitzte sich in der Regierungszeit von Javier
Duarte (2010-2016) weiter zu. Seit Oktober letzten Jahres
befindet sich Duarte, ein Politiker der Partei der
Institutionalisierten Revolution PRI (Partido Revolucionario
Institucional) auf der Flucht. Der Generalstaatsanwalt der
Republik beauftragte Interpol damit, eine Fahndung (rote Karte)
nach ihm herauszugeben.
Duarte wird gesucht wegen widerrechtlicher Bereicherung sowie
Unterschlagung und der Nichterfüllung seiner rechtlichen Pflicht
– Anschuldigungen, die der Ex-Gouverneur als „grundlose
Anklagen“ zurückgewiesen hatte.
Der Bundesstaat ist eines der gefährlichsten Pflaster, um dort
journalistisch tätig zu sein. Während der Regierungszeit von
Duarte wurden dort 19 Reporter*innen umgebracht und acht weitere
gelten bis zum heutigen Tag als verschwunden.
* Der Artikel wurde zuerst am 14. März bei BBC Mundo
veröffentlicht.
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