Mittwoch, 19. April 2017

Anti-Asyl-Demo soll Geld für Flüchtlingsarbeit einspielen


Auf dem Pirnaer Sonnenstein ist ein Protest gegen die steigende Zahl von Ausländern geplant. Anwohner stört die Demo, eine Gegenaktion soll sie karikieren.

Von Thomas Möckel
Blick zum Sonnenstein in Pirna. In dem Stadtteil ist für Mittwoch eine Demonstration angemeldet – und eine Gegenaktion angekündigt.
Blick zum Sonnenstein in Pirna. In dem Stadtteil ist für Mittwoch eine Demonstration angemeldet – und eine Gegenaktion angekündigt.
© Daniel Förster
Pirna. Kaum hatte Brigitte Jungmichel dieser Tage das Flugblatt aus ihrem Briefkasten gefischt, stieg auch schon der Groll in ihr auf. Die Seniorin, die seit 47 Jahren auf dem Sonnenstein wohnt, stört sich zum einen daran, dass dieser Zettel offenbar flächendeckend im Wohngebiet verteilt wurde. Auch der Inhalt, den sie lesen musste, gefällt ihr gar nicht. „Das hat mich richtig wütend gemacht“, sagt sie.
Der Grund des Ungemachs: Die von der NPD dominierte Gruppierung „Nein zum Heim – Sächsische Schweiz und Osterzgebirge“ plant am 5. April ab 18 Uhr eine Demonstration unter dem Titel „Brennpunkt Sonnenstein“ in dem Wohngebiet. Als Herkunftsadresse geben die Verfasser das Haus Hauptstraße 26 in Pirna an – es ist das Haus „Montag“, Kreisgeschäftsstelle der NPD. Laut einer Prognose rechnet das Landratsamt mit etwa 100 Teilnehmern.
In dem Demo-Aufruf beklagen die Verfasser, dass sich der Stadtteil verändere – der Sonnenstein drohe zu dem zu werden, was man an allen westdeutschen Großstädten beobachten könne. Es käme zur Ghettobildung, und Ausländer würden immer mehr das Stadtbild prägen.
Alteingesessene Sonnensteiner zeichnen allerdings ein anderes Bild.
Brigitte Jungmichel kann das in dem Flugblatt beschriebene Szenario nicht bestätigen. „So ist es hier nicht“, sagt sie. Natürlich gebe es Ausländer auf dem Sonnenstein, die meisten von ihnen seien aber freundlich und würden keinesfalls das Straßenbild dominieren. Die Stadt Pirna beziffert den Ausländeranteil an der Bevölkerung auf dem Sonnenstein auf etwa fünf Prozent. „Der Sonnenstein“, sagt Brigitte Jungmichel, „ist kein Brennpunkt.“ Dennoch gibt es in dieser Hinsicht ein Problem.


Es regt sich Widerstand


Der Sonnenstein ist in den vergangenen Wochen zu einem Hort von Ausländerkriminalität hochstilisiert worden. Diese Entwicklung geht nicht zuletzt zurück auf einen Beitrag von Tim Lochner – Stadtrat, Ex-OB-Kandidat und Vereinspräsident des 1. FC Pirna – bei Facebook. Ausführlich schilderte er in dem sozialen Netzwerk eine angebliche Auseinandersetzung zwischen Ausländern und Deutschen nach einem Fußballspiel seines Vereins auf dem Sonnenstein. Es geht um Gewalt, Waffen, sexuelle Übergriffe auf Frauen – dabei war Lochner an diesem Tag gar nicht vor Ort. Die Polizei ermittelt zwar nach den Ereignissen in drei Fällen, kann aber den Sachverhalt, so wie er bei Facebook geschildert ist, bislang nicht bestätigen. Doch die Vorwürfe sind nun in der Welt, und sie bilden offenbar auch den Anlass für die jetzt angemeldete Demo.
Dagegen regt sich Widerstand. Der Verein „Alternatives Kultur- und Bildungszentrum“ (Akubiz) sowie mehrere Parteien wollen das Demo-Motto quasi karikieren und daraus sogar Profit für die Flüchtlingsarbeit schlagen. Dafür dient ihnen das Modell der sogenannten „Prokopfgeldspende“. Akubiz ruft alle Bürger auf, pro Teilnehmenden an der NPD-Demo einen Geldbetrag im Cent-Bereich zu spenden. Die Erlöse soll dann der Arbeit des Internationalen Begegnungszentrums in Pirna zugutekommen. Das 2016 eröffnete Zentrum ist ein Projekt der AG Asylsuchende und hilft, damit geflüchtete Menschen am hiesigen Leben teilhaben und sich integrieren können. Einzelheiten zu der Spendenaktion finden sich auf der Akubiz-Internetseite. Das Pirnaer Rathaus sowie SPD, Linke und Grüne tragen die Gegenaktion mit. „Wir wollen diesen Leuten nicht das Thema überlassen. Sie sollen jetzt nicht die Probleme ausschlachten und alle Ausländer über einen Kamm scheren“, sagt Hannes Merz, Beisitzer im Kreisvorstand der Grünen. Als Gegenpol favorisieren die Aktivisten die Spendenaktion, eine reine Gegendemo hielten sie für unangemessen.
Die wird es aller Voraussicht aber dennoch geben: Jürgen Kasek, Landessprecher der sächsischen Grünen, hat für Mittwoch eine Demo mit dem Titel „Gegen rassistische Brennpunkte“ angemeldet, das Landratsamt prognostiziert 150 Teilnehmer.
Brigitte Jungmichel schwant schon Schlimmes, sie hadert vor allem mit der von der NPD angemeldeten Demo. „So etwas“, sagt sie, „brauchen wir hier nicht.“

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