Zeitschrift „Contralínea“ in Mexiko
Wo Journalisten gefährlich leben
Mexiko gilt für Journalisten als
gefährlichstes Land, in dem kein Krieg ist. Ein
Erfahrungsbericht eines Mitarbeiters von „Contralínea“.
taz v. 7.4.2017Wie sollte ein Redakteur reagieren, wenn er an einen beliebigen Tag die Redaktion betritt und vor Ort alles durcheinander findet und sämtliche Archive, Festplatten, Kameras und Computer entwendet wurden? Genau diese Erfahrung habe ich vor zwei Jahren in meiner Arbeit beim Wochenblatt Contralínea gemacht.
Es war nicht das erste Mal,
dass mein Medium Contralínea Opfer von willkürlichen
Angriffen wurde. Die Wochenzeitschrift ist 2002 mit einem
linksgerichteten und regimekritischen, investigativen Ansatz
entstanden und hat seitdem Aufmerksamkeit nicht nur von den
Lesern, sondern auch von der Regierung bekommen.
Seit 2007 lief eine Hetzkampagne
gegen die Publikation, nach Enthüllungen über einen Skandal
mit dem staatlichen Mineralölkonzern Pemex und der Firma Zeta
Gas. Seitdem hat der Druck auf die Zeitschrift stetig
zugenommen. Seit 2010 brachen vier Mal Unbekannte in die
Zeitung ein und entwendeten meist höchst sensible Information,
trotz aller Sicherheitsvorkehrungen seitens der Behörden.
Zumal die Behörden selbst bei
der Verfolgung mitwirken, wie unser Direktor Miguel Badillo
2009 am eigenen Leib ertragen musste, als er von der Polizei
verhaftet wurde. Die Firma Zeta Gas S.A. de C.V. hatte ihn
verklagt. Der Grund war die Recherche von Ana Lilia Pérez –
Journalistin bei Contralínea, die in Berlin eine
Zeit im Exil verbracht hat – über die Geschäfte von Zeta Gas
mit Pemex. Badillo wurde kurz danach wieder auf freien Fuß
gesetzt, da ihm nichts nachgewiesen werden konnte. Die
Verhaftung war überzogen: Es ist zu vermuten dass die Polizei
zugunsten krimineller Banden arbeitete.
Einschüchterungsversuche
Später wurde in die Wohnung von
Badillo eingebrochen, auch in die der Redakteurinnen Flor
Goche und Elva Mendoza. Hier wurden erneut wichtige Dokumente,
Computer und Festplatten entwendet. Immer wieder kam es zu
Bedrohungen und Einschüchterungen per Telefon – manchmal
anonym, manchmal explizit von Drogenkartells. Wenn Reporter
von Contralínea an offizielle Quellen und Behörden
für einfach Recherche kontaktieren, scheint es für sie immer
schwerer zu sein als für andere Medien.
Der Staat hat auf die Bedrohung
der Medien reagiert und Lösungen vorgeschlagen, um gefährdete
Reporter zu schützen: Videoüberwachung der Eingänge zu
Redaktionsräumen und Wohnorte der Journalisten,
Personenschutz, außerdem können Journalisten ein Panik-Telefon
bekommen, das sie im Notfall mit einer Zentrale verbindet und
Hilfe vor Ort bringen soll.
Doch ich habe abgelehnt, als mir
entsprechende Angebote gemacht wurden. Die Realität hat
gezeigt, dass diese Maßnahmen im Notfall wenig helfen und die
Arbeit nicht sicherer machen. Auch erfordern sie oft eine
absolute Offenlegung der Privatsphäre, was nicht unbedingt im
Interesse des Redakteurs ist.
Die Maßnahmen erwecken einen
Schein der Sicherheit, der sich im Notfall als wenig effektiv
erweist. Das Notfall-Handy braucht oft Zeit, um sich mit der
Zentrale zu verbinden. Die Maßnahmen sind also oft nur
kosmetisch, um einen Anschein von Sicherheit zu geben. Und den
Anschein, dass die Politik auf die Bedrohung reagiert.
Finanzspritzen für unkritische Medien
Da sind die kleinen
Provokationen fast zweitrangig, wie die Anwesenheit von
suspekten Fotographen, die sehr intensiv die Redaktion von
außen erkundigen und dann schnell wegrennen. All diese
Phänomene sind Teil der Realität regimekritischer Medien, die
gegen den Strom arbeiten müssen und oft keine Garantie auf
Sicherheit und leibliche Integrität haben.
Nach einem Bericht der NGO
Reporter Ohne Grenzen von 2016 gilt Mexiko als das
gefährlichste für Journalisten weltweit, welches nicht
offiziell im Kriegszustand ist.
Zu dieser Bedrohung kommt die
finanzielle Lage: Es gibt öffentliche Förderung für Zeitungen,
diese wird aber von der zentralen Regierung und den
Bundesstaaten gezielt vergeben. Regierungsfreundliche Medien
bekommen massenhaft Finanzspritzen, während die alternativen
und unabhängigen Medien wenig oder gar nichts davon
abbekommen. Der ehemalige Präsident von Mexiko José
López-Portillo verteidigte diese Praxis sogar öffentlich: „No
te pago para que me pegues“ – „Ich bezahle dich ja nicht,
damit du mich schlägst“.
Chiapas98 Mailingliste
JPBerlin - Mailbox und Politischer Provider
Chiapas98@listi.jpberlin.de
https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/chiapas98
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen