»Erledigt
durch Zeitablauf!« – das habe Helmut Kohl handschriftlich an den Rand
eines Aktenvermerks geschrieben, als er als Kanzler mit Milliarden
schweren Reparationsforderungen der Regierung in Athen konfrontiert
wurde, berichtet Karl Heinz Roth. Der Bremer Arzt, Historiker und
Mitarbeiter des Instituts für Sozialgeschichte, fordert seit langem
Gerechtigkeit für Griechenland und betont: Nichts ist erledigt!
Roth redet frei, hat Zahlen, Daten, Fakten im Kopf, als er in Hannover im gut besetzten Saal des Kulturzentrums Pavillon referiert, wie die brutale Besatzungsherrschaft der Nazi-Deutschen (1941 bis 1944/45) Griechenland ruiniert und auf den Status eines »Entwicklungslandes« herabgestoßen hat. Er erinnert daran, dass er und andere Experten es gewagt haben, gegen die Austeritätspolitik, die den Griechen seit der Weltfinanzkrise von 2007 von Berlin und Brüssel diktiert wird, mit Gegenvorschlägen zu opponieren. Die dramatische wirtschaftliche und soziale Katastrophe, die die meisten Griechen nunmehr seit Jahren durchleiden, sei nur zu überwinden, so Roth, wenn die Deutschen endlich ihre tabuisierte Schuld aus der Zeit des Faschismus gegenüber den Griechen beglichen; nur dann werde ein Neustart in Griechenland möglich – und der Zerfall der EU aufzuhalten sein.
Im Jahr 2015 hat Roth mit diesen Thesen eine »Flugschrift« vorgelegt (»Griechenland am Abgrund. Die deutsche Reparationsschuld«), mit der er aber gegen »die deutsche Machtelite und die von ihr kontrollierten Medien« nicht durchdringen konnte. Zusammen mit dem Politikwissenschaftler Hartmut Rübner hat Roth jetzt eindrucksvoll nachgelegt.
Unter dem Titel »Reparationsschuld« haben beide die »Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa« – so der Untertitel ihres im März erschienenen Buches – umfassend analysiert. Sie skizzieren den Raub- und Vernichtungskrieg der Nazis in Griechenland und nehmen die Reparationspolitik der Alliierten, der Griechen sowie der deutschen Nachkriegsregierungen mit zahlreichen Dokumenten gut belegt aus Sicht der Opfer in den Blick: Da sind noch viele Rechnungen offen, nicht nur in Griechenland.
Das liest sich fesselnd wie ein Polit-Krimi. Die präsentierten Fakten treiben jedem anständigen Menschen Zorn- und Schamesröte ins Gesicht. Dafür sorgen die in Griechenland verübten und in Deutschland weitgehend totgeschwiegenen Verbrechen genauso wie der Zynismus, mit dem alle Nachkriegsregierungen von Adenauer, über Brandt, Kohl, Schröder und Merkel bis heute die griechischen Reparationsforderungen trickreich auf Sankt Nimmerlein zu vertagen such(t)en, dabei um keinen schäbigen Winkelzug verlegen! Das macht fassungslos und zornig.
Warum hat beispielsweise Joachim Gauck am 7. März 2014 bei seinem Besuch im griechischen Märtyrerdorf Lyngiades »tiefes Erschrecken und doppelte Scham« bekundet und »im Namen Deutschlands [...] um Verzeihung« gebeten, eine Bitte um »Entschuldigung« aber strikt vermieden? Dadurch hätte er rechtliche Schadensersatzansprüche begründen können, die die deutsche Reparationsbürokratie aber negiert, machen Roth und Rübner aufmerksam.
Worum geht es bei den hierzulande notorisch als »Wiedergutmachung« verharmlosten Reparationen? Es geht um den universellen Anspruch auf Schadensersatzleistungen, stellen die beiden Wissenschaftler klar, die nach Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht zu erbringen sind. Diese »sind das internationale zivilrechtliche Pendant zum Völkerstrafrecht. Sie sollen die materiellen und humanitären Folgen von Angriffskriegen, Kriegsverbrechen, Menschheitsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen ausgleichen, wie sie in Kriegen, in Bürgerkriegen und bei anderen exzessiven Gewaltakten vorkommen.«
An solcher Gewalt war kein Mangel, seit die Nazi-Truppen am Palmsonntag 1941 in Griechenland einfielen und das Land binnen weniger Wochen besetzten. Noch während der Kampfhandlungen wurden Kommandos zur »Beuteerfassung« in Griechenland aktiv. Anhand vorbereiteter Listen beschlagnahmten sie alles, was für die deutsche Rüstungswirtschaft und Truppenversorgung wichtig war. Das Land wurde systematisch von den Nazis und deutschen Konzernen wie AEG oder
Deutschland ist nicht Griechenland?
Zwei Mythen kämpfen seit alters her miteinander: »Das Recht der Völker, ihre mitgeborene Freiheit / die Macht des Markts, unsterblich wie seine Gesetze.« Um diese Mythen rankt sich die Tragödie Griechenlands, die Volker Braun in seinem Theaterstück »Die Griechen« verarbeitet. Unter der Regie von Manfred Karge hat es das Berliner Ensemble jetzt uraufgeführt, zunächst auf der Probebühne, nunmehr im Hauptsaal.
Braun behandelt die Krise Griechenlands seit 2001. Von der Aufnahme des Landes in die Eurozone bis zu Unterstützungsleistungen aus Brüssel. Und er verbindet dies mit der klassischen griechischen Geschichte, wo vor 3000 Jahren die Demokratie erfunden wurde. Dort hat sie begonnen – die Demokratie –, wird sie hier enden? Der Zuschauer erlebt die einzelnen Phasen des Zerfalls: Papandreous Bemühungen um einen Schuldenschnitt, den Widerstand aus Brüssel, schließlich die Volksbefragung unter Tsipras, bei der über 62 Prozent der Bevölkerung die geforderten Sparmaßnahmen der Euro-Gruppe ablehnen. Erfolg der Demokratie? Es folgen zähe Verhandlungen der Athener Regierung mit Brüssel, schließlich muss Tsipras klein beigeben und erreicht die Verlängerung des Hilfsprogramms. Die Macht des Marktes hat gesiegt – sprich die Banken. Die Demokratie ist der Verlierer – sprich das Volk.
Das Stück ist eine besondere Form von »Gegenwartstheater«, eine der löblichen Ausnahmen in der Berliner Theaterlandschaft. Aber: Die Bezüge zur gegenwärtigen politischen Situation in der Welt bleiben in der Beschreibung stecken, zeigen keinerlei Ausweg. Es verwundert auch, weshalb der von Braun vorgesehene Epilog – der gerade den Bezug zur Flüchtlingskrise herstellt – nicht zur Aufführung gelangt. Hervorzuheben sind die außerordentlich hohe sprachliche Verständlichkeit des Ensembles im Chor, die schauspielerische Leistung von Joachim Nimtz als Papandreou und als Eurotaurus sowie von Swetlana Schönfeld als Sprecherin der Putzfrauen, des Volkes.
Das Berliner Ensemble war gut beraten, im Programmheft sowohl den Text des Stückes als auch die Arbeitsnotizen von Volker Braun zu veröffentlichen. Dies trägt zum Verständnis bei und belegt einmal mehr das sprachliche Können des Autors. Der Klappentext enthält Zitate von Politikern aus Europa, die darauf hinweisen, was Griechenland ist. Sind aber Irland, Spanien oder Deutschland wirklich nicht Griechenland? Noch nicht!
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Krupp geplündert, ihm wurden maßlose Besatzungskosten inklusive einer
Milliarden teuren Zwangsanleihe auferlegt. Die Folge war eine
Hungerkatastrophe, der mindestens 140.000 Griechen in den Groß- und
Mittelstädten zum Opfer fielen. Es begann sich aber gleichzeitig ein
immer schlagkräftiger werdender linksrepublikanischer Widerstand zu
entwickeln, auf den die Nazis mit bestialischen Massakern einer
enthemmten Soldateska reagierten, denen allein mehr als 10.000 Menschen
zum Opfer fielen. Auch wurden unter anderem 1700 griechische Dörfer
zerstört; 690.000 Menschen waren am Ende der Besatzung obdachlos.
Faschisten ermordeten in den Gaskammern von Auschwitz und Treblinka
59.000 der rund 72.000 griechischen Juden. Insgesamt kamen rund 330.000
griechische Zivilisten gewaltsam zu Tode. Das damals 6,9 Millionen
Einwohner zählende Land hatte den Tod von 4,8 Prozent seiner Bevölkerung
zu beklagen. Und den Überlebenden hinterließen die Nazis »verbrannte
Erde«: Vor ihrem Rückzug zerstörten sie die griechische Infrastruktur
umfassend. Auch den innergriechischen Hass, der sich im folgenden
Bürgerkrieg grausam entlud, schürten die Deutschen gezielt.
Der Kritik, mit der Roth nach seiner »Flugschrift« von 2015 konfrontiert worden ist, entzieht dieses Buch die Basis: Von der behaupteten Verabsolutierung angeblich zu hoher oder unberechtigter griechischer Reparationsforderungen kann keine Rede sein. Die Autoren belegen, dass die bis heute nur in Höhe von etwa einem Prozent beglichenen griechischen Forderungen in Höhe von 185 Milliarden Euro eher zu niedrig angesetzt sind. Sie zeigen: Bei der Interalliierten Reparationskonferenz von Paris 1945/46 hat Griechenland – wie etwa auch das frühere Jugoslawien – nur »am Katzentisch« gesessen. Das Abkommen, mit dem Griechenland völkerrechtlich verbindlich 7,181 Milliarden US-Dollar (Preisstand 1938) zugesprochen worden sind, ist, so urteilen beide, das Ergebnis eines »nur geringfügig abgeschwächten Diktats des anglo-amerikanischen Machtblocks und Frankreichs«. Es benachteiligte ausgerechnet die Länder, die – wie auch Griechenland – mit »am stärksten unter der deutschen Okkupation gelitten hatten«. Zudem erhielten die Deutschen im Zuge des bald heiß laufenden Kalten Krieges immer größere Reparationsrabatte.
Am Ende ihrer politisch brisanten Untersuchungen machen Roth und Rübner eine eigene Rechnung auf: Mit dem »zweiten Griff nach der Weltmacht« hatten die (Nazi-)Deutschen bei ihren Opfern den gigantischen Gesamtschaden von mehr als 5,8 Billionen Euro (in Preisen von 2016) angerichtet; davon ist seit 1945 bis heute nur ein Fünftel (1,2 Billionen Euro) mit Reparationen ausgeglichen worden. Da die Gesamtsumme nicht zu bezahlen ist, sollte über die nächsten zwei Jahrzehnte hinweg im Rahmen einer den faktischen Friedensvertrag (4plus2-Vertrag) ergänzenden Reparationsakte wenigstens ein zweites Fünftel zur Schadensregulierung gezahlt werden, meinen Roth und Rübner. Mindestens aber, so ihre Minimalforderung, müssten weitere 306 Milliarden Euro Entschädigung für die bislang benachteiligten Nazi-Opfer aufgebracht werden. Das sei jene Summe, mit der »die bundesdeutsche Ministerialbürokratie die Veteranen der Wehrmacht und der Waffen-SS sowie die durch die Entnazifizierung um ihre Beamtenkarriere gebrachten NS-Funktionsträger schadlos gehalten hat«.
Ob dies gegen alle machtpolitische Verdrängung gelingen wird? Roth ist »ein bisschen optimistisch«. Er verweist auf erste Erfolge der zur Zeit in New York laufenden namibische Entschädigungsklage gegen die Regierung in Berlin wegen der Kolonialmassaker des Deutschen Reichs an den Hereros und Namas; und er betont: »Im Völkerrecht gibt es keine Verjährungsfristen.«
Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner: »Reparationsschuld. Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa«, Metropol Verlag, 645 Seiten, 29,90 €
Ossietzky-Themenheft »Sündenbock Griechenland«, unter anderem mit Karl Heinz Roth: Griechenland und die Euro-Krise; Otto Köhler: Wir, die Beherrscher Europas; Mikis Theodorakis: An die empörten Bürger; Conrad Schuhler: Streicht die Schulden!; Norman Paech: Griechenland: Eine offene Rechnung; Heft 1/2013, 36 Seiten, 2,80 € zzgl. 1,50 € Versandkosten, Bezug: ossietzky@interdruck.net
Roth redet frei, hat Zahlen, Daten, Fakten im Kopf, als er in Hannover im gut besetzten Saal des Kulturzentrums Pavillon referiert, wie die brutale Besatzungsherrschaft der Nazi-Deutschen (1941 bis 1944/45) Griechenland ruiniert und auf den Status eines »Entwicklungslandes« herabgestoßen hat. Er erinnert daran, dass er und andere Experten es gewagt haben, gegen die Austeritätspolitik, die den Griechen seit der Weltfinanzkrise von 2007 von Berlin und Brüssel diktiert wird, mit Gegenvorschlägen zu opponieren. Die dramatische wirtschaftliche und soziale Katastrophe, die die meisten Griechen nunmehr seit Jahren durchleiden, sei nur zu überwinden, so Roth, wenn die Deutschen endlich ihre tabuisierte Schuld aus der Zeit des Faschismus gegenüber den Griechen beglichen; nur dann werde ein Neustart in Griechenland möglich – und der Zerfall der EU aufzuhalten sein.
Im Jahr 2015 hat Roth mit diesen Thesen eine »Flugschrift« vorgelegt (»Griechenland am Abgrund. Die deutsche Reparationsschuld«), mit der er aber gegen »die deutsche Machtelite und die von ihr kontrollierten Medien« nicht durchdringen konnte. Zusammen mit dem Politikwissenschaftler Hartmut Rübner hat Roth jetzt eindrucksvoll nachgelegt.
Unter dem Titel »Reparationsschuld« haben beide die »Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa« – so der Untertitel ihres im März erschienenen Buches – umfassend analysiert. Sie skizzieren den Raub- und Vernichtungskrieg der Nazis in Griechenland und nehmen die Reparationspolitik der Alliierten, der Griechen sowie der deutschen Nachkriegsregierungen mit zahlreichen Dokumenten gut belegt aus Sicht der Opfer in den Blick: Da sind noch viele Rechnungen offen, nicht nur in Griechenland.
Das liest sich fesselnd wie ein Polit-Krimi. Die präsentierten Fakten treiben jedem anständigen Menschen Zorn- und Schamesröte ins Gesicht. Dafür sorgen die in Griechenland verübten und in Deutschland weitgehend totgeschwiegenen Verbrechen genauso wie der Zynismus, mit dem alle Nachkriegsregierungen von Adenauer, über Brandt, Kohl, Schröder und Merkel bis heute die griechischen Reparationsforderungen trickreich auf Sankt Nimmerlein zu vertagen such(t)en, dabei um keinen schäbigen Winkelzug verlegen! Das macht fassungslos und zornig.
Warum hat beispielsweise Joachim Gauck am 7. März 2014 bei seinem Besuch im griechischen Märtyrerdorf Lyngiades »tiefes Erschrecken und doppelte Scham« bekundet und »im Namen Deutschlands [...] um Verzeihung« gebeten, eine Bitte um »Entschuldigung« aber strikt vermieden? Dadurch hätte er rechtliche Schadensersatzansprüche begründen können, die die deutsche Reparationsbürokratie aber negiert, machen Roth und Rübner aufmerksam.
Worum geht es bei den hierzulande notorisch als »Wiedergutmachung« verharmlosten Reparationen? Es geht um den universellen Anspruch auf Schadensersatzleistungen, stellen die beiden Wissenschaftler klar, die nach Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht zu erbringen sind. Diese »sind das internationale zivilrechtliche Pendant zum Völkerstrafrecht. Sie sollen die materiellen und humanitären Folgen von Angriffskriegen, Kriegsverbrechen, Menschheitsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen ausgleichen, wie sie in Kriegen, in Bürgerkriegen und bei anderen exzessiven Gewaltakten vorkommen.«
An solcher Gewalt war kein Mangel, seit die Nazi-Truppen am Palmsonntag 1941 in Griechenland einfielen und das Land binnen weniger Wochen besetzten. Noch während der Kampfhandlungen wurden Kommandos zur »Beuteerfassung« in Griechenland aktiv. Anhand vorbereiteter Listen beschlagnahmten sie alles, was für die deutsche Rüstungswirtschaft und Truppenversorgung wichtig war. Das Land wurde systematisch von den Nazis und deutschen Konzernen wie AEG oder
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Deutschland ist nicht Griechenland?
Zwei Mythen kämpfen seit alters her miteinander: »Das Recht der Völker, ihre mitgeborene Freiheit / die Macht des Markts, unsterblich wie seine Gesetze.« Um diese Mythen rankt sich die Tragödie Griechenlands, die Volker Braun in seinem Theaterstück »Die Griechen« verarbeitet. Unter der Regie von Manfred Karge hat es das Berliner Ensemble jetzt uraufgeführt, zunächst auf der Probebühne, nunmehr im Hauptsaal.
Braun behandelt die Krise Griechenlands seit 2001. Von der Aufnahme des Landes in die Eurozone bis zu Unterstützungsleistungen aus Brüssel. Und er verbindet dies mit der klassischen griechischen Geschichte, wo vor 3000 Jahren die Demokratie erfunden wurde. Dort hat sie begonnen – die Demokratie –, wird sie hier enden? Der Zuschauer erlebt die einzelnen Phasen des Zerfalls: Papandreous Bemühungen um einen Schuldenschnitt, den Widerstand aus Brüssel, schließlich die Volksbefragung unter Tsipras, bei der über 62 Prozent der Bevölkerung die geforderten Sparmaßnahmen der Euro-Gruppe ablehnen. Erfolg der Demokratie? Es folgen zähe Verhandlungen der Athener Regierung mit Brüssel, schließlich muss Tsipras klein beigeben und erreicht die Verlängerung des Hilfsprogramms. Die Macht des Marktes hat gesiegt – sprich die Banken. Die Demokratie ist der Verlierer – sprich das Volk.
Das Stück ist eine besondere Form von »Gegenwartstheater«, eine der löblichen Ausnahmen in der Berliner Theaterlandschaft. Aber: Die Bezüge zur gegenwärtigen politischen Situation in der Welt bleiben in der Beschreibung stecken, zeigen keinerlei Ausweg. Es verwundert auch, weshalb der von Braun vorgesehene Epilog – der gerade den Bezug zur Flüchtlingskrise herstellt – nicht zur Aufführung gelangt. Hervorzuheben sind die außerordentlich hohe sprachliche Verständlichkeit des Ensembles im Chor, die schauspielerische Leistung von Joachim Nimtz als Papandreou und als Eurotaurus sowie von Swetlana Schönfeld als Sprecherin der Putzfrauen, des Volkes.
Das Berliner Ensemble war gut beraten, im Programmheft sowohl den Text des Stückes als auch die Arbeitsnotizen von Volker Braun zu veröffentlichen. Dies trägt zum Verständnis bei und belegt einmal mehr das sprachliche Können des Autors. Der Klappentext enthält Zitate von Politikern aus Europa, die darauf hinweisen, was Griechenland ist. Sind aber Irland, Spanien oder Deutschland wirklich nicht Griechenland? Noch nicht!
Brigitte Udke
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Der Kritik, mit der Roth nach seiner »Flugschrift« von 2015 konfrontiert worden ist, entzieht dieses Buch die Basis: Von der behaupteten Verabsolutierung angeblich zu hoher oder unberechtigter griechischer Reparationsforderungen kann keine Rede sein. Die Autoren belegen, dass die bis heute nur in Höhe von etwa einem Prozent beglichenen griechischen Forderungen in Höhe von 185 Milliarden Euro eher zu niedrig angesetzt sind. Sie zeigen: Bei der Interalliierten Reparationskonferenz von Paris 1945/46 hat Griechenland – wie etwa auch das frühere Jugoslawien – nur »am Katzentisch« gesessen. Das Abkommen, mit dem Griechenland völkerrechtlich verbindlich 7,181 Milliarden US-Dollar (Preisstand 1938) zugesprochen worden sind, ist, so urteilen beide, das Ergebnis eines »nur geringfügig abgeschwächten Diktats des anglo-amerikanischen Machtblocks und Frankreichs«. Es benachteiligte ausgerechnet die Länder, die – wie auch Griechenland – mit »am stärksten unter der deutschen Okkupation gelitten hatten«. Zudem erhielten die Deutschen im Zuge des bald heiß laufenden Kalten Krieges immer größere Reparationsrabatte.
Am Ende ihrer politisch brisanten Untersuchungen machen Roth und Rübner eine eigene Rechnung auf: Mit dem »zweiten Griff nach der Weltmacht« hatten die (Nazi-)Deutschen bei ihren Opfern den gigantischen Gesamtschaden von mehr als 5,8 Billionen Euro (in Preisen von 2016) angerichtet; davon ist seit 1945 bis heute nur ein Fünftel (1,2 Billionen Euro) mit Reparationen ausgeglichen worden. Da die Gesamtsumme nicht zu bezahlen ist, sollte über die nächsten zwei Jahrzehnte hinweg im Rahmen einer den faktischen Friedensvertrag (4plus2-Vertrag) ergänzenden Reparationsakte wenigstens ein zweites Fünftel zur Schadensregulierung gezahlt werden, meinen Roth und Rübner. Mindestens aber, so ihre Minimalforderung, müssten weitere 306 Milliarden Euro Entschädigung für die bislang benachteiligten Nazi-Opfer aufgebracht werden. Das sei jene Summe, mit der »die bundesdeutsche Ministerialbürokratie die Veteranen der Wehrmacht und der Waffen-SS sowie die durch die Entnazifizierung um ihre Beamtenkarriere gebrachten NS-Funktionsträger schadlos gehalten hat«.
Ob dies gegen alle machtpolitische Verdrängung gelingen wird? Roth ist »ein bisschen optimistisch«. Er verweist auf erste Erfolge der zur Zeit in New York laufenden namibische Entschädigungsklage gegen die Regierung in Berlin wegen der Kolonialmassaker des Deutschen Reichs an den Hereros und Namas; und er betont: »Im Völkerrecht gibt es keine Verjährungsfristen.«
Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner: »Reparationsschuld. Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa«, Metropol Verlag, 645 Seiten, 29,90 €
Ossietzky-Themenheft »Sündenbock Griechenland«, unter anderem mit Karl Heinz Roth: Griechenland und die Euro-Krise; Otto Köhler: Wir, die Beherrscher Europas; Mikis Theodorakis: An die empörten Bürger; Conrad Schuhler: Streicht die Schulden!; Norman Paech: Griechenland: Eine offene Rechnung; Heft 1/2013, 36 Seiten, 2,80 € zzgl. 1,50 € Versandkosten, Bezug: ossietzky@interdruck.net
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