IMI-Analyse 2017/07 - in: Graswurzelrevolution Nr. 418, April 2017
Protest und Widerstand gegen die Militarisierung von Kindern und Jugendlichen
von: Markus Pflüger | Veröffentlicht am: 6. April 2017
Militarisierung bedeutet die gesellschaftliche
Durchsetzung von militärischen Prinzipien wie Gehorsam und Hierarchien
und die gewalttätige Durchsetzung von Interessen. Das militärische
Konzept frisst sich dabei in alle gesellschaftlichen Bereiche und
durchdringt das Denken. Militarisierung ist ein Angriff auf
Selbstbestimmung und Emanzipation und steht Gewaltfreiheit und
Pazifismus diametral entgegen.
Militarisierung ist eine autoritäre Formierung der Gesellschaft und dient der (militärischen) Aufrechterhaltung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und Staatlichkeit im westlichen Verständnis. Es geht nicht um Ursachen von Missständen, es geht nicht um Menschenrechte, Gerechtigkeit oder Frieden. (1)
Militarisierung setzt dabei besonders bei Kindern und Jugendlichen an, denn Minderjährige sind die ideale Zielgruppe, um Menschen früh ans Militär zu binden, um mehr Militärbefürworter_innen an der Heimatfront zu haben und um potentielle Soldatinnen und Soldaten rekrutieren zu können.
Mehrere Ebenen der Militarisierung
Die Rekrutierung ist die direkteste Ebene: junge Menschen sollen für den Kriegsdienst geworben werden – durch die Aussetzung der Wehrpflicht ist das Ziel jetzt, dass diese Menschen einen Vertrag als BerufssoldatInnen unterschreiben. Orte dafür sind die Arbeitsagentur, Berufsmessen, Schulen, der öffentliche Raum, Feste, Konzerte, Events, aber auch Schülerzeitungen, Youtube-Videos und soziale Netzwerke – also Treffpunkte gesellschaftlichen Lebens und vor allem Jugend- Treffpunkte, die dadurch militarisiert werden.
Sogenannte „Politische Bildung“ ist eine weitere Ebene: Konkret geschieht diese durch Jugendoffiziere, die Jugendliche in Schulen unterrichten und von ihrer Weltsicht bzw. der ihres Dienstherrn überzeugen wollen. Für Schulklassen gibt es Seminarfahrten, Museumsbesuche, Unterrichtseinheiten und Karriereberatung. Auch der „Infotruck Karrieretreff Bundeswehr“ macht gerne im Schulhof halt und militärpropagandistisches Unterrichtsmaterial wird zur Verfügung gestellt. Weitere Werbewege sind alle möglichen Formen von Medien und Events für Jugendliche und Kinder – es ist eine vielfältige Strategie: sie geht von Werbebriefen und Werbeplakaten, über Anzeigen z.B. auch in Abitur-Zeitungen und allen Online-Medien. Des Weiteren gibt es z.B. Pizza-Verpackungen, Jugendsportförderung und -pressekongresse, Girls day, Preisausschreiben, Camps wie Bw-Musix oder Bundeswehr Olympix und Heeresschauen und seit zwei Jahren auch den Tag der Bundeswehr mit Großereignissen an 16 Standorten. Militarisierung ist eine Antwort auf Bundeswehrdefizite.
Chancen für Antimilitarist_innen
Die Bundeswehr hat ein Imageproblem: So sind aktuell 68% der Bevölkerung gegen Auslandseinsätze (vgl. Studie S.2,3). Das Beispiel Rekrutierung von Menschen mit Migrationshintergrund zeigt gut um was es geht, so heißt es im Bundeswehr-Weißbuch: „[…] der Anteil von Frauen und von Menschen mit Migrationshintergrund in der Bundeswehr [muss] weiter steigen. Sie spielen eine wichtige Rolle bei dem Bild, das die Bundeswehr von sich nach außen transportiert.“
Am gravierendsten – besonders angesichts der weiter steigenden Sollstärke – ist das massive Rekrutierungsproblem: 2016 waren es rund 10.000 „Freiwillig Wehrdienstleistende“, gewünscht waren aber 15.000 neuen Rekrut_innen. Verstärkt wird dies durch ein Fachkräfteproblem: – es mangelt v.a. an ÄrztInnen, PsychologInnen und IT-Kräften und es gibt eine hohe Abbrecherquote.
Aufgrund der Rekrutierungsprobleme gibt es Probleme fürs Militär, die gleichzeitig Chancen für PazifistInnen und AntimilitaristInnen sind. Es gilt dem Militär weiter die Legitimation zu entziehen, bei Werbung und Rekrutierung zu stören, diese möglichst komplett zu verhindern, bundeswehrkritische Stimmung in der Gesellschaft zu verstärken, nicht nur die Ablehnung von Auslandseinsätzen, sondern des Militärischen insgesamt voranzutreiben. Wir haben eine große Herausforderung: Die Bundesregierung arbeitet mit einer massiven PR-Kampagne.
Das Verteidigungsministerium teilte über die Adressaten der „Mach, was wirklich zählt“- Kampagne mit: „Kernzielgruppe der Kampagne sind 17- bis 35-Jährige. Des Weiteren sollen aber auch die allgemeine Öffentlichkeit sowie alle Angehörigen der Bundeswehr erreicht werden. Allein 2015 waren für die Kampagne mindestens 10,6 Millionen Euro aus dem Verteidigungsetat veranschlagt. Interessant dabei ist die Entpolitisierung des Militärischen, indem es um individuelle Probleme der Rekruten geht (Youtube-Doku-Soap); es werden Digitale Kräfte gesucht, es geht um sportliche Herausforderungen (Olympische Sommerspiele 2016) und menschliche Hilfe, indem Sanitäter gesucht werden und verschwiegen wird, dass sie auf einer Seite militärischer Konflikte stehen, bewaffnet sind und eben keine neutralen Helfer.
Über 1500 Minderjährige bei der Bundeswehr zeigen, dass es dort Kindersoldaten gibt. Die UN-Kinderschutzkonvention wird dabei konterkariert, wie am weltweiten „Red Hand Day“ öffentlich angeprangert. Deutschland steht so in einer Reihe mit Ländern wie Eritrea und dem Kongo, wichtiger ist es der Bundesregierung aber so möglichst früh an Jugendliche ranzukommen. Dies belegt auch folgendes Zitat der Kinderschutz-Kommission: „[Es] werden Informationen gegeben, die nur teilweise korrekt sind, die zumindest in der Wissenschaft stark umstritten sind“, so der Wissenschaftler. Und weiter: „Es wird dazu noch eine Konstruktion der Alternativlosigkeit geschaffen: Also es gibt den Krisenherd – man könnte jetzt abwarten oder zum Militär gehen und den Krisenherd löschen.
Zivile Bearbeitungsmechanismen werden dabei komplett außer acht [sic!] gelassen.“ Die „Mach, was wirklich zählt“- Werbung suggeriert jungen Menschen, dass sie die Welt als SoldatInnen direkt verbessern könnten: „Es ist tatsächlich hoch umstritten, ob Militäreinsätze – und wenn ja, welche Militäreinsätze – tatsächlich Krisenherde nachhaltig lösen.“ Die Armee stellt sich als persönlicher Helfer der jungen Zielgruppe dar: „Die Bundeswehr präsentiert sich als Lösung für Probleme und Defizite, die junge Menschen in ihrem Lebensabschnitt des Heranwachsens gerade empfinden könnten.“
Militarisierung heißt Verharmlosung und Entpolitisierung
Die Einstiegsthemen, um an junge Menschen heranzukommen, sind gute Berufs- und Studienmöglichkeiten – die Bundeswehr präsentiert sich als erfolgreicher Arbeitgeber mit Karrierechancen, so heißt es in den Werbesprüchen und Prospekten, die die Bundeswehr an Schüler verteeilt: „Karriereturbo Berufserfahrung“ oder „Studieren erster Klasse“, es geht um „Verantwortung übernehmen – Weiterkommen“, „Viel Raum für Entfaltung“, „Den Fortschritt im Fokus“.
Auch Geld und ein sicherer Arbeitsplatz werden thematisiert. So wirbt die Bundeswehr aktuell mit „Besondere Berufe – besondere Zuwendungen“. Zudem gibt es Schülerpraktika und die Möglichkeit zum Quereinstieg.
Die Armee verschweigt bei der Nachwuchs- und Imagewerbung systematisch ihren militärischen Charakter. Dass es beim Militär um das Erlernen des Mordhandwerks, dass es ums Töten und Sterben geht, wird verschleiert. Gefahr für Leib und Leben und Traumatisierungen werden ebenso verschwiegen wie der offizielle Auftrag der Bundeswehr für Macht und Wirtschafsinteressen tödliche Gewalt anzudrohen und anzuwenden.
Die immensen Kosten steigen: So waren 2014 im Verteidigungshaushalt 30 Millionen Euro für die Werbung eingeplant, die auch fast ausgeschöpft wurden. 2015 bis 2017 waren bzw. sind es jeweils 35,3 Millionen Euro. Ein weiterer Anstieg entsprechend der Aufrüstungsankündigungen und weiter zu erhöhenden Rekrutenzahlen ist absehbar.
Trotz allem hat die Bundeswehr mit ihrem Militarsisierungskurs bisher wenig Erfolg: Die Umfrage des Allensbach Instituts Anfang Februar 2016 zeigt, „dass bei der Schwerpunktzielgruppe der 16- bis 29 Jährigen eine hohe Aufmerksamkeit (45 Prozent) und Erinnerung (74 Prozent) der Kampagne erreicht wurden. Bisheriger Erfolg: etwa 10% mehr Ansehen. Das Nachwuchs-Problem bleibt aber, obwohl die Einstellungsvorrausetzungen und damit die ,,Qualität des Personals“ immer weiter herabgesetzt wird.
Der aktuelle Werbefeldzug der Bundeswehr ist das zentrale Element der Militarisierung von Kindern und Jugendlichen. Damit soll das Image der Bundeswehr verbessert und die RekrutInnenzahl erhöht werden. Erstes gelingt wohl auch im Hinblick auf zukünftige Wählerinnen, letzteres bisher nur eingeschränkt. Auch dank der Kritik und Aufklärungsarbeit von Antimilitarist_innen und Friedensbewegung.
Gefährlich ist, wie der Soldatenberuf entpolitisiert und die Bundeswehr als „Unternehmen im Wettbewerb“ dargestellt wird. Die Bundesregierung beeinflusst damit die öffentliche Meinung und verfälscht das Image des Kriegshandwerks in Richtung „helfender deutscher Soldaten im In- und Ausland“ – entgegen der tatsächlichen Auftragsdefinition und Realität. Der Soldatenberuf wird auf eine persönliche Ebene gezogen, es fehlt an einer inhaltlichen Auseinandersetzung über Sinn und Ziel des Tötungshandwerks, es geht nur um Oberflächliches wie Sport, gute Berufsausbildung, spannende Betätigung – der militärische Aspekt fehlt. Die Bundeswehr macht auf stylisch und cool, dass sie für Macht- und Wirtschaftsinteressen tötet, wird unterschlagen.
Aktiv werden
In „Schulfrei für die Bundeswehr“-Netzwerken, an „Red Hand Days“ und mit Aktionen gegen den Tag der Bundeswehr gilt es sich für die Abschaffung der Bundeswehr einzusetzen und in Bündnisse insbesondere gegen die Militarisierung der Jugend zu engagieren. Möglichkeiten sind militärfreie Schulen, Schulbeschlüsse gegen Bundeswehr an Schulen, Protest und Kampagnen gegen Bundeswehrwerbung und Rekrutierung, konkret auch der Hinweis auf die Widerspruchsmöglichkeiten gegen die Datenweitergabe mit den Adressen aller 17-Jährigen an die Bundeswehr (2), die Kampagne „Unter 18nie.de“ sowie Kampagnen wie „Krieg beginnt hier“ (3) sowie kreative und direkte Aktionen sind beispielhafte Möglichkeiten.
Markus Pflüger hat im Rahmen des Symposiums Politischer Pazifismus am 28.1.2017 unter dem Titel „Stoppt die Militarisierung von Kindern und Jugendlichen!“ einen Vortrag gehalten. Der folgende Text stellt eine Zusammenfassung dar. Der Workshop fand zusammen mit Michael Schulze von Glasser statt, der vor allem die Unter18Nie- Kampagne erläuterte; Hintergrund ist seine Studie, die er vor Veröffentlichung im Februar 2017 in der Graswurzelrevolution Nr. 416 unter dem Titel „Bundeswehr: Der neue Werbefeldzug“ zusammengefasst hat.(4)
Anmerkungen
1) Vgl. http://antimilitarismus.blogsport.de/ texte/militarisierung-ist-mehr-als-mehr-militaer/
2) „Meine Daten sind nichts für die Bundeswehr“, www.dfg-vk.de
3) www.krieg-beginnt-hier.de
4) IMI-Studie 2017/01: Bundeswehr: Der neue Werbefeldzug. Analyse der „Mach, was wirklich zählt“-Kampagne und der YouTube-Doku-Serie „Die Rekruten“ von: Michael Schulze von Glaßer. http://www.imi-online.de/2017/01/18/ bundeswehr-der-neue-werbefeldzug/
Militarisierung ist eine autoritäre Formierung der Gesellschaft und dient der (militärischen) Aufrechterhaltung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und Staatlichkeit im westlichen Verständnis. Es geht nicht um Ursachen von Missständen, es geht nicht um Menschenrechte, Gerechtigkeit oder Frieden. (1)
Militarisierung setzt dabei besonders bei Kindern und Jugendlichen an, denn Minderjährige sind die ideale Zielgruppe, um Menschen früh ans Militär zu binden, um mehr Militärbefürworter_innen an der Heimatfront zu haben und um potentielle Soldatinnen und Soldaten rekrutieren zu können.
Mehrere Ebenen der Militarisierung
Die Rekrutierung ist die direkteste Ebene: junge Menschen sollen für den Kriegsdienst geworben werden – durch die Aussetzung der Wehrpflicht ist das Ziel jetzt, dass diese Menschen einen Vertrag als BerufssoldatInnen unterschreiben. Orte dafür sind die Arbeitsagentur, Berufsmessen, Schulen, der öffentliche Raum, Feste, Konzerte, Events, aber auch Schülerzeitungen, Youtube-Videos und soziale Netzwerke – also Treffpunkte gesellschaftlichen Lebens und vor allem Jugend- Treffpunkte, die dadurch militarisiert werden.
Sogenannte „Politische Bildung“ ist eine weitere Ebene: Konkret geschieht diese durch Jugendoffiziere, die Jugendliche in Schulen unterrichten und von ihrer Weltsicht bzw. der ihres Dienstherrn überzeugen wollen. Für Schulklassen gibt es Seminarfahrten, Museumsbesuche, Unterrichtseinheiten und Karriereberatung. Auch der „Infotruck Karrieretreff Bundeswehr“ macht gerne im Schulhof halt und militärpropagandistisches Unterrichtsmaterial wird zur Verfügung gestellt. Weitere Werbewege sind alle möglichen Formen von Medien und Events für Jugendliche und Kinder – es ist eine vielfältige Strategie: sie geht von Werbebriefen und Werbeplakaten, über Anzeigen z.B. auch in Abitur-Zeitungen und allen Online-Medien. Des Weiteren gibt es z.B. Pizza-Verpackungen, Jugendsportförderung und -pressekongresse, Girls day, Preisausschreiben, Camps wie Bw-Musix oder Bundeswehr Olympix und Heeresschauen und seit zwei Jahren auch den Tag der Bundeswehr mit Großereignissen an 16 Standorten. Militarisierung ist eine Antwort auf Bundeswehrdefizite.
Chancen für Antimilitarist_innen
Die Bundeswehr hat ein Imageproblem: So sind aktuell 68% der Bevölkerung gegen Auslandseinsätze (vgl. Studie S.2,3). Das Beispiel Rekrutierung von Menschen mit Migrationshintergrund zeigt gut um was es geht, so heißt es im Bundeswehr-Weißbuch: „[…] der Anteil von Frauen und von Menschen mit Migrationshintergrund in der Bundeswehr [muss] weiter steigen. Sie spielen eine wichtige Rolle bei dem Bild, das die Bundeswehr von sich nach außen transportiert.“
Am gravierendsten – besonders angesichts der weiter steigenden Sollstärke – ist das massive Rekrutierungsproblem: 2016 waren es rund 10.000 „Freiwillig Wehrdienstleistende“, gewünscht waren aber 15.000 neuen Rekrut_innen. Verstärkt wird dies durch ein Fachkräfteproblem: – es mangelt v.a. an ÄrztInnen, PsychologInnen und IT-Kräften und es gibt eine hohe Abbrecherquote.
Aufgrund der Rekrutierungsprobleme gibt es Probleme fürs Militär, die gleichzeitig Chancen für PazifistInnen und AntimilitaristInnen sind. Es gilt dem Militär weiter die Legitimation zu entziehen, bei Werbung und Rekrutierung zu stören, diese möglichst komplett zu verhindern, bundeswehrkritische Stimmung in der Gesellschaft zu verstärken, nicht nur die Ablehnung von Auslandseinsätzen, sondern des Militärischen insgesamt voranzutreiben. Wir haben eine große Herausforderung: Die Bundesregierung arbeitet mit einer massiven PR-Kampagne.
Das Verteidigungsministerium teilte über die Adressaten der „Mach, was wirklich zählt“- Kampagne mit: „Kernzielgruppe der Kampagne sind 17- bis 35-Jährige. Des Weiteren sollen aber auch die allgemeine Öffentlichkeit sowie alle Angehörigen der Bundeswehr erreicht werden. Allein 2015 waren für die Kampagne mindestens 10,6 Millionen Euro aus dem Verteidigungsetat veranschlagt. Interessant dabei ist die Entpolitisierung des Militärischen, indem es um individuelle Probleme der Rekruten geht (Youtube-Doku-Soap); es werden Digitale Kräfte gesucht, es geht um sportliche Herausforderungen (Olympische Sommerspiele 2016) und menschliche Hilfe, indem Sanitäter gesucht werden und verschwiegen wird, dass sie auf einer Seite militärischer Konflikte stehen, bewaffnet sind und eben keine neutralen Helfer.
Über 1500 Minderjährige bei der Bundeswehr zeigen, dass es dort Kindersoldaten gibt. Die UN-Kinderschutzkonvention wird dabei konterkariert, wie am weltweiten „Red Hand Day“ öffentlich angeprangert. Deutschland steht so in einer Reihe mit Ländern wie Eritrea und dem Kongo, wichtiger ist es der Bundesregierung aber so möglichst früh an Jugendliche ranzukommen. Dies belegt auch folgendes Zitat der Kinderschutz-Kommission: „[Es] werden Informationen gegeben, die nur teilweise korrekt sind, die zumindest in der Wissenschaft stark umstritten sind“, so der Wissenschaftler. Und weiter: „Es wird dazu noch eine Konstruktion der Alternativlosigkeit geschaffen: Also es gibt den Krisenherd – man könnte jetzt abwarten oder zum Militär gehen und den Krisenherd löschen.
Zivile Bearbeitungsmechanismen werden dabei komplett außer acht [sic!] gelassen.“ Die „Mach, was wirklich zählt“- Werbung suggeriert jungen Menschen, dass sie die Welt als SoldatInnen direkt verbessern könnten: „Es ist tatsächlich hoch umstritten, ob Militäreinsätze – und wenn ja, welche Militäreinsätze – tatsächlich Krisenherde nachhaltig lösen.“ Die Armee stellt sich als persönlicher Helfer der jungen Zielgruppe dar: „Die Bundeswehr präsentiert sich als Lösung für Probleme und Defizite, die junge Menschen in ihrem Lebensabschnitt des Heranwachsens gerade empfinden könnten.“
Militarisierung heißt Verharmlosung und Entpolitisierung
Die Einstiegsthemen, um an junge Menschen heranzukommen, sind gute Berufs- und Studienmöglichkeiten – die Bundeswehr präsentiert sich als erfolgreicher Arbeitgeber mit Karrierechancen, so heißt es in den Werbesprüchen und Prospekten, die die Bundeswehr an Schüler verteeilt: „Karriereturbo Berufserfahrung“ oder „Studieren erster Klasse“, es geht um „Verantwortung übernehmen – Weiterkommen“, „Viel Raum für Entfaltung“, „Den Fortschritt im Fokus“.
Auch Geld und ein sicherer Arbeitsplatz werden thematisiert. So wirbt die Bundeswehr aktuell mit „Besondere Berufe – besondere Zuwendungen“. Zudem gibt es Schülerpraktika und die Möglichkeit zum Quereinstieg.
Die Armee verschweigt bei der Nachwuchs- und Imagewerbung systematisch ihren militärischen Charakter. Dass es beim Militär um das Erlernen des Mordhandwerks, dass es ums Töten und Sterben geht, wird verschleiert. Gefahr für Leib und Leben und Traumatisierungen werden ebenso verschwiegen wie der offizielle Auftrag der Bundeswehr für Macht und Wirtschafsinteressen tödliche Gewalt anzudrohen und anzuwenden.
Die immensen Kosten steigen: So waren 2014 im Verteidigungshaushalt 30 Millionen Euro für die Werbung eingeplant, die auch fast ausgeschöpft wurden. 2015 bis 2017 waren bzw. sind es jeweils 35,3 Millionen Euro. Ein weiterer Anstieg entsprechend der Aufrüstungsankündigungen und weiter zu erhöhenden Rekrutenzahlen ist absehbar.
Trotz allem hat die Bundeswehr mit ihrem Militarsisierungskurs bisher wenig Erfolg: Die Umfrage des Allensbach Instituts Anfang Februar 2016 zeigt, „dass bei der Schwerpunktzielgruppe der 16- bis 29 Jährigen eine hohe Aufmerksamkeit (45 Prozent) und Erinnerung (74 Prozent) der Kampagne erreicht wurden. Bisheriger Erfolg: etwa 10% mehr Ansehen. Das Nachwuchs-Problem bleibt aber, obwohl die Einstellungsvorrausetzungen und damit die ,,Qualität des Personals“ immer weiter herabgesetzt wird.
Der aktuelle Werbefeldzug der Bundeswehr ist das zentrale Element der Militarisierung von Kindern und Jugendlichen. Damit soll das Image der Bundeswehr verbessert und die RekrutInnenzahl erhöht werden. Erstes gelingt wohl auch im Hinblick auf zukünftige Wählerinnen, letzteres bisher nur eingeschränkt. Auch dank der Kritik und Aufklärungsarbeit von Antimilitarist_innen und Friedensbewegung.
Gefährlich ist, wie der Soldatenberuf entpolitisiert und die Bundeswehr als „Unternehmen im Wettbewerb“ dargestellt wird. Die Bundesregierung beeinflusst damit die öffentliche Meinung und verfälscht das Image des Kriegshandwerks in Richtung „helfender deutscher Soldaten im In- und Ausland“ – entgegen der tatsächlichen Auftragsdefinition und Realität. Der Soldatenberuf wird auf eine persönliche Ebene gezogen, es fehlt an einer inhaltlichen Auseinandersetzung über Sinn und Ziel des Tötungshandwerks, es geht nur um Oberflächliches wie Sport, gute Berufsausbildung, spannende Betätigung – der militärische Aspekt fehlt. Die Bundeswehr macht auf stylisch und cool, dass sie für Macht- und Wirtschaftsinteressen tötet, wird unterschlagen.
Aktiv werden
In „Schulfrei für die Bundeswehr“-Netzwerken, an „Red Hand Days“ und mit Aktionen gegen den Tag der Bundeswehr gilt es sich für die Abschaffung der Bundeswehr einzusetzen und in Bündnisse insbesondere gegen die Militarisierung der Jugend zu engagieren. Möglichkeiten sind militärfreie Schulen, Schulbeschlüsse gegen Bundeswehr an Schulen, Protest und Kampagnen gegen Bundeswehrwerbung und Rekrutierung, konkret auch der Hinweis auf die Widerspruchsmöglichkeiten gegen die Datenweitergabe mit den Adressen aller 17-Jährigen an die Bundeswehr (2), die Kampagne „Unter 18nie.de“ sowie Kampagnen wie „Krieg beginnt hier“ (3) sowie kreative und direkte Aktionen sind beispielhafte Möglichkeiten.
Markus Pflüger hat im Rahmen des Symposiums Politischer Pazifismus am 28.1.2017 unter dem Titel „Stoppt die Militarisierung von Kindern und Jugendlichen!“ einen Vortrag gehalten. Der folgende Text stellt eine Zusammenfassung dar. Der Workshop fand zusammen mit Michael Schulze von Glasser statt, der vor allem die Unter18Nie- Kampagne erläuterte; Hintergrund ist seine Studie, die er vor Veröffentlichung im Februar 2017 in der Graswurzelrevolution Nr. 416 unter dem Titel „Bundeswehr: Der neue Werbefeldzug“ zusammengefasst hat.(4)
Anmerkungen
1) Vgl. http://antimilitarismus.blogsport.de/ texte/militarisierung-ist-mehr-als-mehr-militaer/
2) „Meine Daten sind nichts für die Bundeswehr“, www.dfg-vk.de
3) www.krieg-beginnt-hier.de
4) IMI-Studie 2017/01: Bundeswehr: Der neue Werbefeldzug. Analyse der „Mach, was wirklich zählt“-Kampagne und der YouTube-Doku-Serie „Die Rekruten“ von: Michael Schulze von Glaßer. http://www.imi-online.de/2017/01/18/ bundeswehr-der-neue-werbefeldzug/
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