Mittwoch, 19. April 2017

Wenn das Militärische die Gesellschaft durchdringt

IMI-Analyse 2017/07 - in: Graswurzelrevolution Nr. 418, April 2017



Protest und Widerstand gegen die Militarisierung von Kindern und Jugendlichen

von: Markus Pflüger | Veröffentlicht am: 6. April 2017



Militarisierung bedeutet die ge­sellschaftliche Durchsetzung von militärischen Prinzipien wie Gehorsam und Hierarchien und die gewalttätige Durchsetzung von Interessen. Das militärische Konzept frisst sich dabei in alle gesellschaftlichen Bereiche und durchdringt das Denken. Mili­tarisierung ist ein Angriff auf Selbstbestimmung und Emanzi­pation und steht Gewaltfreiheit und Pazifismus diametral ent­gegen.
Militarisierung ist eine autoritä­re Formierung der Gesellschaft und dient der (militärischen) Aufrechterhaltung der kapita­listischen Wirtschaftsordnung und Staatlichkeit im westlichen Verständnis. Es geht nicht um Ursachen von Missständen, es geht nicht um Menschenrechte, Gerechtigkeit oder Frieden. (1)
Militarisierung setzt dabei be­sonders bei Kindern und Ju­gendlichen an, denn Minderjäh­rige sind die ideale Zielgruppe, um Menschen früh ans Militär zu binden, um mehr Militärbe­fürworter_innen an der Heimat­front zu haben und um potenti­elle Soldatinnen und Soldaten rekrutieren zu können.
Mehrere Ebenen der Militarisie­rung
Die Rekrutierung ist die direk­teste Ebene: junge Menschen sollen für den Kriegsdienst ge­worben werden – durch die Aus­setzung der Wehrpflicht ist das Ziel jetzt, dass diese Menschen einen Vertrag als Berufssol­datInnen unterschreiben. Orte dafür sind die Arbeitsagentur, Berufsmessen, Schulen, der öffentliche Raum, Feste, Kon­zerte, Events, aber auch Schü­lerzeitungen, Youtube-Videos und soziale Netzwerke – also Treffpunkte gesellschaftlichen Lebens und vor allem Jugend- Treffpunkte, die dadurch milita­risiert werden.
Sogenannte „Politische Bil­dung“ ist eine weitere Ebene: Konkret geschieht diese durch Jugendoffiziere, die Jugendli­che in Schulen unterrichten und von ihrer Weltsicht bzw. der ihres Dienstherrn überzeugen wollen. Für Schulklassen gibt es Seminarfahrten, Museums­besuche, Unterrichtseinheiten und Karriereberatung. Auch der „Infotruck Karrieretreff Bundes­wehr“ macht gerne im Schulhof halt und militärpropagandisti­sches Unterrichtsmaterial wird zur Verfügung gestellt. Weitere Werbewege sind alle möglichen Formen von Medien und Events für Jugendliche und Kinder – es ist eine vielfältige Strategie: sie geht von Werbebriefen und Wer­beplakaten, über Anzeigen z.B. auch in Abitur-Zeitungen und allen Online-Medien. Des Wei­teren gibt es z.B. Pizza-Verpac­kungen, Jugendsportförderung und -pressekongresse, Girls day, Preisausschreiben, Camps wie Bw-Musix oder Bundeswehr Olympix und Heeresschauen und seit zwei Jahren auch den Tag der Bundeswehr mit Gro­ßereignissen an 16 Standorten. Militarisierung ist eine Antwort auf Bundeswehrdefizite.
Chancen für Antimilitarist_innen
Die Bundeswehr hat ein Image­problem: So sind aktuell 68% der Bevölkerung gegen Aus­landseinsätze (vgl. Studie S.2,3). Das Beispiel Rekrutie­rung von Menschen mit Mi­grationshintergrund zeigt gut um was es geht, so heißt es im Bundeswehr-Weißbuch: „[…] der Anteil von Frauen und von Menschen mit Migrationshinter­grund in der Bundeswehr [muss] weiter steigen. Sie spielen eine wichtige Rolle bei dem Bild, das die Bundeswehr von sich nach außen transportiert.“
Am gravierendsten – besonders angesichts der weiter steigen­den Sollstärke – ist das massive Rekrutierungsproblem: 2016 waren es rund 10.000 „Frei­willig Wehrdienstleistende“, gewünscht waren aber 15.000 neuen Rekrut_innen. Verstärkt wird dies durch ein Fachkräf­teproblem: – es mangelt v.a. an ÄrztInnen, PsychologInnen und IT-Kräften und es gibt eine hohe Abbrecherquote.
Aufgrund der Rekrutierungspro­bleme gibt es Probleme fürs Mi­litär, die gleichzeitig Chancen für PazifistInnen und Antimilita­ristInnen sind. Es gilt dem Mi­litär weiter die Legitimation zu entziehen, bei Werbung und Re­krutierung zu stören, diese mög­lichst komplett zu verhindern, bundeswehrkritische Stimmung in der Gesellschaft zu verstär­ken, nicht nur die Ablehnung von Auslandseinsätzen, sondern des Militärischen insgesamt vor­anzutreiben. Wir haben eine große Heraus­forderung: Die Bundesregierung arbeitet mit einer massiven PR-Kampagne.
Das Verteidigungsministerium teilte über die Adressaten der „Mach, was wirklich zählt“- Kampagne mit: „Kernzielgrup­pe der Kampagne sind 17- bis 35-Jährige. Des Weiteren sollen aber auch die allgemeine Öf­fentlichkeit sowie alle Angehö­rigen der Bundeswehr erreicht werden. Allein 2015 waren für die Kampagne mindestens 10,6 Millionen Euro aus dem Vertei­digungsetat veranschlagt. Inter­essant dabei ist die Entpolitisie­rung des Militärischen, indem es um individuelle Probleme der Rekruten geht (Youtube-Doku-Soap); es werden Digitale Kräf­te gesucht, es geht um sportliche Herausforderungen (Olympi­sche Sommerspiele 2016) und menschliche Hilfe, indem Sani­täter gesucht werden und ver­schwiegen wird, dass sie auf ei­ner Seite militärischer Konflikte stehen, bewaffnet sind und eben keine neutralen Helfer.
Über 1500 Minderjährige bei der Bundeswehr zeigen, dass es dort Kindersoldaten gibt. Die UN-Kinderschutzkonvention wird dabei konterkariert, wie am weltweiten „Red Hand Day“ öf­fentlich angeprangert. Deutsch­land steht so in einer Reihe mit Ländern wie Eritrea und dem Kongo, wichtiger ist es der Bun­desregierung aber so möglichst früh an Jugendliche ranzukom­men. Dies belegt auch folgendes Zitat der Kinderschutz-Kom­mission: „[Es] werden Informa­tionen gegeben, die nur teilwei­se korrekt sind, die zumindest in der Wissenschaft stark umstrit­ten sind“, so der Wissenschaft­ler. Und weiter: „Es wird dazu noch eine Konstruktion der Alternativlosigkeit geschaffen: Also es gibt den Krisenherd – man könnte jetzt abwarten oder zum Militär gehen und den Krisenherd löschen.
Zivile Bearbeitungsmechanis­men werden dabei komplett außer acht [sic!] gelassen.“ Die „Mach, was wirklich zählt“- Werbung suggeriert jungen Menschen, dass sie die Welt als SoldatInnen direkt verbessern könnten: „Es ist tatsächlich hoch umstritten, ob Militäreinsätze – und wenn ja, welche Militärein­sätze – tatsächlich Krisenherde nachhaltig lösen.“ Die Armee stellt sich als persönlicher Hel­fer der jungen Zielgruppe dar: „Die Bundeswehr präsentiert sich als Lösung für Probleme und Defizite, die junge Men­schen in ihrem Lebensabschnitt des Heranwachsens gerade emp­finden könnten.“
Militarisierung heißt Verharmlo­sung und Entpolitisierung
Die Einstiegsthemen, um an junge Menschen heranzukom­men, sind gute Berufs- und Studienmöglichkeiten – die Bundeswehr präsentiert sich als erfolgreicher Arbeitgeber mit Karrierechancen, so heißt es in den Werbesprüchen und Pro­spekten, die die Bundeswehr an Schüler verteeilt: „Karriereturbo Berufserfahrung“ oder „Studie­ren erster Klasse“, es geht um „Verantwortung übernehmen – Weiterkommen“, „Viel Raum für Entfaltung“, „Den Fort­schritt im Fokus“.
Auch Geld und ein sicherer Ar­beitsplatz werden thematisiert. So wirbt die Bundeswehr aktu­ell mit „Besondere Berufe – be­sondere Zuwendungen“. Zudem gibt es Schülerpraktika und die Möglichkeit zum Quereinstieg.
Die Armee verschweigt bei der Nachwuchs- und Imagewerbung systematisch ihren militärischen Charakter. Dass es beim Militär um das Erlernen des Mordhand­werks, dass es ums Töten und Sterben geht, wird verschlei­ert. Gefahr für Leib und Leben und Traumatisierungen werden ebenso verschwiegen wie der offizielle Auftrag der Bundes­wehr für Macht und Wirtschaf­sinteressen tödliche Gewalt an­zudrohen und anzuwenden.
Die immensen Kosten steigen: So waren 2014 im Verteidi­gungshaushalt 30 Millionen Euro für die Werbung einge­plant, die auch fast ausgeschöpft wurden. 2015 bis 2017 waren bzw. sind es jeweils 35,3 Millio­nen Euro. Ein weiterer Anstieg entsprechend der Aufrüstungs­ankündigungen und weiter zu erhöhenden Rekrutenzahlen ist absehbar.
Trotz allem hat die Bundeswehr mit ihrem Militarsisierungskurs bisher wenig Erfolg: Die Um­frage des Allensbach Instituts Anfang Februar 2016 zeigt, „dass bei der Schwerpunktziel­gruppe der 16- bis 29 Jährigen eine hohe Aufmerksamkeit (45 Prozent) und Erinnerung (74 Prozent) der Kampagne erreicht wurden. Bisheriger Erfolg: etwa 10% mehr Ansehen. Das Nach­wuchs-Problem bleibt aber, ob­wohl die Einstellungsvorrauset­zungen und damit die ,,Qualität des Personals“ immer weiter herabgesetzt wird.
Der aktuelle Werbefeldzug der Bundeswehr ist das zentrale Element der Militarisierung von Kindern und Jugendlichen. Damit soll das Image der Bun­deswehr verbessert und die Re­krutInnenzahl erhöht werden. Erstes gelingt wohl auch im Hinblick auf zukünftige Wäh­lerinnen, letzteres bisher nur eingeschränkt. Auch dank der Kritik und Aufklärungsarbeit von Antimilitarist_innen und Friedensbewegung.
Gefährlich ist, wie der Solda­tenberuf entpolitisiert und die Bundeswehr als „Unternehmen im Wettbewerb“ dargestellt wird. Die Bundesregierung be­einflusst damit die öffentliche Meinung und verfälscht das Image des Kriegshandwerks in Richtung „helfender deutscher Soldaten im In- und Ausland“ – entgegen der tatsächlichen Auftragsdefinition und Realität. Der Soldatenberuf wird auf eine persönliche Ebene gezogen, es fehlt an einer inhaltlichen Aus­einandersetzung über Sinn und Ziel des Tötungshandwerks, es geht nur um Oberflächliches wie Sport, gute Berufsausbildung, spannende Betätigung – der mi­litärische Aspekt fehlt. Die Bun­deswehr macht auf stylisch und cool, dass sie für Macht- und Wirtschaftsinteressen tötet, wird unterschlagen.
Aktiv werden
In „Schulfrei für die Bundeswehr“-Netzwerken, an „Red Hand Days“ und mit Aktionen gegen den Tag der Bundeswehr gilt es sich für die Abschaffung der Bundeswehr einzusetzen und in Bündnisse insbesondere gegen die Militari­sierung der Jugend zu engagie­ren. Möglichkeiten sind militär­freie Schulen, Schulbeschlüsse gegen Bundeswehr an Schulen, Protest und Kampagnen gegen Bundeswehrwerbung und Re­krutierung, konkret auch der Hinweis auf die Widerspruchs­möglichkeiten gegen die Da­tenweitergabe mit den Adressen aller 17-Jährigen an die Bundes­wehr (2), die Kampagne „Unter 18nie.de“ sowie Kampagnen wie „Krieg beginnt hier“ (3) sowie kreative und direkte Ak­tionen sind beispielhafte Mög­lichkeiten.
Markus Pflüger hat im Rahmen des Symposiums Politischer Pazifis­mus am 28.1.2017 unter dem Titel „Stoppt die Militarisierung von Kindern und Jugendlichen!“ einen Vortrag gehalten. Der folgende Text stellt eine Zusammenfassung dar. Der Workshop fand zusammen mit Michael Schulze von Glasser statt, der vor allem die Unter18Nie- Kampagne erläuterte; Hintergrund ist seine Studie, die er vor Veröffentlichung im Februar 2017 in der Graswurzelrevolution Nr. 416 unter dem Titel „Bundeswehr: Der neue Werbefeldzug“ zusam­mengefasst hat.(4)
Anmerkungen
1) Vgl. http://antimilitarismus.blogsport.de/ texte/militarisierung-ist-mehr-als-mehr-militaer/
2) „Meine Daten sind nichts für die Bundes­wehr“, www.dfg-vk.de
3) www.krieg-beginnt-hier.de
4) IMI-Studie 2017/01: Bundeswehr: Der neue Werbefeldzug. Analyse der „Mach, was wirklich zählt“-Kampagne und der YouTube-Doku-Serie „Die Rekruten“ von: Michael Schulze von Glaßer. http://www.imi-online.de/2017/01/18/ bundeswehr-der-neue-werbefeldzug/

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